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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Aula Paolo VI
Mittwoch, 19. Dezember
2012

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Die Jungfrau Maria: Bild des gehorsamen Glaubens

Liebe Brüder und Schwestern!

Auf dem Weg des Advents nimmt die Jungfrau Maria einen besonderen Platz ein als jene, die auf einzigartige Weise die Erfüllung der Verheißungen Gottes erwartet und Jesus, den Sohn Gottes, im Glauben und in ihrem Leib angenommen hat, in völligem Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen. Heute möchte ich vom großen Geheimnis der Verkündigung her kurz mit euch über den Glauben Marias nachdenken.

»Chaîre kecharitomene, ho Kyrios meta sou«, »Freue dich, du Gnadenvolle. Der Herr ist mir dir« (Lk 1,28). Dies sind die Worte – vom Evangelisten Lukas wiedergegeben –, mit denen der Erzengel Gabriel sich an Maria wendet. Auf den ersten Blick scheint der Begriff »chaîre«, »freue dich«, ein normaler Gruß zu sein, der im griechischen Sprachraum üblich ist. Auf dem Hintergrund der biblischen Überlieferung erhält dieses Wort jedoch eine viel tiefere Bedeutung. Derselbe Begriff erscheint viermal im griechischen Text des Alten Testaments, und zwar immer als freudige Verkündigung der Ankunft des Messias (vgl. Zef 3,14; Joël 2,21; Sach 9,9; Klgl 4,21). Der Gruß des Engels an Maria ist also eine Einladung zur Freude, zu einer tiefen Freude. Er verkündet das Ende der Traurigkeit, die in der Welt ist angesichts der Begrenztheit des Lebens, angesichts des Leidens, des Todes, der Bosheit, der Finsternis des Bösen, die das Licht der göttlichen Güte zu verdunkeln scheint. Es ist ein Gruß, der den Beginn des Evangeliums, der Frohen Botschaft, anzeigt.

Warum aber wird Maria eingeladen, sich auf diese Weise zu freuen? Die Antwort findet sich in der zweiten Hälfte des Grußes: »Der Herr ist mit dir«. Auch hier müssen wir uns, um den Sinn des Gesagten richtig zu verstehen, dem Alten Testament zuwenden. Im Buch Zefanja finden wir dieses Wort: »Juble, Tochter Zion … Der König Israels, der Herr, ist in deiner Mitte … Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein Held, der Rettung bringt« (3,14–17). In diesen Worten liegt eine zweifache Verheißung, die an Israel, die Tochter Zion, ergeht: Gott wird als Retter kommen und in der Mitte seines Volkes Wohnung nehmen, im Schoß der Tochter Zion. Im Zwiegespräch zwischen dem Engel und Maria erfüllt sich genau diese Verheißung: Maria wird gleichgesetzt mit dem Volk, mit dem Gott den Bund geschlossen hat, sie ist wirklich die Tochter Zion in Person; in ihr erfüllt sich die Erwartung der endgültigen Ankunft Gottes, in ihr nimmt der lebendige Gott Wohnung.

Im Gruß des Engels wird Maria »Gnadenvolle« genannt; im Griechischen hat der Begriff »Gnade«, »charis«, dieselbe sprachliche Wurzel wie das Wort »Freude«. Auch in diesem Ausdruck wird die Quelle der Freude Marias noch besser erläutert: Die Freude kommt aus der Gnade, sie kommt also aus der Gemeinschaft mit Gott, aus der Tatsache, in so enger Verbindung mit ihm zu stehen, die Wohnung des Heiligen Geistes zu sein, völlig vom Wirken Gottes geprägt. Maria ist das Geschöpf, das auf einzigartige Weise ihrem Schöpfer die Tür weit geöffnet hat, sich ohne Einschränkung in seine Hände gegeben hat. Sie lebt ganz und gar »von« und »in« der Beziehung mit dem Herrn; sie ist in hörender Haltung, achtet darauf, die Zeichen Gottes auf dem Weg seines Volkes zu erfassen; sie ist eingebunden in eine Geschichte des Glaubens und der Hoffnung auf die Verheißungen Gottes, die das Gefüge ihres Daseins darstellt. Und sie unterwirft sich im Glaubensgehorsam freiwillig dem empfangenen Wort, dem göttlichen Willen. Der Evangelist Lukas erzählt die Geschichte Marias durch einen subtilen Parallelismus zur Geschichte Abrahams. Wie der große Erzvater der Vater der Glaubenden ist, der auf den Ruf Gottes geantwortet hat, das Land, in dem er lebte, seine Sicherheiten zu verlassen, um in ein unbekanntes Land aufzubrechen, dessen Besitz ihm von Gott verheißen ist, so vertraut sich Maria mit völligem Vertrauen dem Wort an, das ihr der Bote Gottes verkündigt, und wird zum Vorbild und zur Mutter aller Gläubigen.

Ich möchte einen weiteren wichtigen Aspekt hervorheben: Die Öffnung der Seele für Gott und sein Wirken im Glauben schließt auch das Element der Dunkelheit ein. Die Beziehung des Menschen zu Gott löscht die Entfernung zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht aus, beseitigt nicht das, was der Apostel Paulus angesichts der Tiefe der Weisheit Gottes sagt: »Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege!« (Röm 11,33). Aber gerade wer – wie Maria – vollkommen offen ist für Gott, gelangt zur Annahme des göttlichen Willens, auch wenn er geheimnisvoll ist, auch wenn er oft nicht dem eigenen Willen entspricht und ein Schwert ist, das durch die Seele dringt, wie der alte Simeon auf prophetische Weise zu Maria sagen wird, als Jesus später im Tempel dargebracht wird (vgl. Lk 2,35). Zum Glaubensweg Abrahams gehört der Augenblick der Freude über das Geschenk seines Sohnes Isaak ebenso wie der Augenblick der Dunkelheit, als er auf den Berg Morija steigen muß, um eine paradoxe Geste zu vollbringen: Gott fordert ihn auf, den Sohn zu opfern, den er ihm gerade geschenkt hat. Auf dem Berg gebietet ihm der Engel: »Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus, und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, daß du Gott fürchtest; du hast mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten « (Gen 22,12). Das volle Vertrauen Abrahams in einen Gott, der den Verheißungen treu ist, schwindet auch dann nicht, wenn sein Wort geheimnisvoll und schwierig, fast unmöglich anzunehmen ist. Ebenso ist es für Maria: Ihr Glaube lebt die Freude der Verkündigung, aber er geht auch durch die Dunkelheit der Kreuzigung ihres Sohnes, um zum Licht der Auferstehung gelangen zu können.

Auch für den Glaubensweg eines jeden von uns ist es nicht anders: Wir erleben Augenblicke des Lichts, aber wir erleben auch Zeiten, in denen Gott abwesend zu sein scheint, sein Schweigen auf unserem Herzen lastet und sein Wille nicht dem unseren entspricht – dem, was wir möchten. Aber je mehr wir uns Gott öffnen, das Geschenk des Glaubens annehmen, unser Vertrauen ganz auf ihn setzen – wie Abraham und wie Maria –, desto mehr befähigt er uns, mit seiner Gegenwart jede Situation des Lebens im Frieden und in der Gewißheit seiner Treue und seiner Liebe zu leben. Das bedeutet jedoch, aus sich selbst und aus den eigenen Plänen herauszugehen, damit das Wort Gottes das Licht sei, das unser Denken und unser Handeln leitet.

Ich möchte noch einen anderen Aspekt erwähnen, der in den Berichten des hl. Lukas über die Kindheit Jesu zum Vorschein kommt. Maria und Josef bringen ihren Sohn nach Jerusalem, zum Tempel, um ihn dem Herrn darzubringen und zu weihen, wie das Gesetz des Mose es vorschreibt: »Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht sein« (vgl. Lk 2,22–24). Diese Geste der Heiligen Familie bekommt einen noch tieferen Sinn, wenn wir sie im Licht der im Evangelium berichteten Episode des zwölfjährigen Jesus betrachten, der nach dreitägiger Suche im Tempel wiedergefunden wird, wo er mit den Schriftgelehrten diskutiert. Auf die sorgenvollen Worte von Maria und Josef: »Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht«, erfolgt die geheimnisvolle Antwort Jesu: »Warum habt ihr mich gesucht? Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?« (Lk 2,48–49) – also im Eigentum des Vaters, im Haus des Vaters, wie ein Sohn. Maria muß den tiefen Glauben erneuern, mit dem sie bei der Verkündigung »ja« gesagt hat; sie muß akzeptieren, daß der eigentliche Vater Jesu den Vorrang hat, sie muß den Sohn loslassen können, den sie zur Welt gebracht hat, damit er seiner Sendung folgt. Und das »Ja« Marias zum Willen Gottes, im Glaubensgehorsam, wiederholt sich ihr ganzes Leben lang, bis hin zum schwierigsten Augenblick, dem des Kreuzes.

Angesichts all dessen können wir uns fragen: Wie konnte Maria diesen Weg an der Seite ihres Sohnes mit einem so festen Glauben leben, auch in der Dunkelheit, ohne das volle Vertrauen in das Wirken Gottes zu verlieren? Es gibt eine Grundhaltung, die Maria angesichts dessen, was in ihrem Leben geschieht, annimmt. Bei der Verkündigung erschrickt sie, als sie die Worte des Engels hört – es ist die Furcht, die der Mensch verspürt, wenn er von der Nähe Gottes berührt wird –, aber es ist nicht die Haltung dessen, der Angst vor dem hat, was Gott erbitten könnte. Maria denkt nach, sie überlegt, was dieser Gruß zu bedeuten habe (vgl. Lk 1,29). Der griechische Begriff, der im Evangelium gebraucht wird, um dieses »Nachdenken« zum Ausdruck zu bringen, »dielogizeto«, verweist auf die Wurzel des Wortes »Dialog«. Das bedeutet, daß Maria in einen vertrauten Dialog eintritt mit dem Wort Gottes, das ihr verkündigt wurde. Sie betrachtet es nicht oberflächlich, sondern sie verweilt dabei, läßt es in ihren Verstand und in ihr Herz eindringen, um zu verstehen, was der Herr von ihr will, den Sinn der Verkündigung. Einen weiteren Hinweis auf die innere Haltung Marias gegenüber dem Wirken Gottes finden wir – ebenfalls im Evangelium des hl. Lukas – bei der Geburt Jesu, nach der Anbetung der Hirten. Es heißt, Maria »bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach« (Lk 2,19). Der griechische Begriff ist »symballon«: Wir könnten sagen, daß sie all das, was ihr geschah, in ihrem Herzen »zusammenhielt«, »zusammenstellte «; sie stellte jedes einzelne Element, jedes Wort, jede Tatsache in das Ganze hinein und verarbeitete es, bewahrte es und erkannte, daß alles aus dem Willen Gottes kommt. Maria macht nicht halt bei einem oberflächlichen Verständnis dessen, was in ihrem Leben geschieht, sondern sie blickt in die Tiefe, läßt sich von den Ereignissen ansprechen, verarbeitet sie, erkennt sie und erlangt jenes Verständnis, das nur der Glaube gewährleisten kann. Es ist die tiefe Demut des gehorsamen Glaubens Marias, der auch das in sich aufnimmt, was sie am Wirken Gottes nicht versteht, indem sie zuläßt, daß Gott ihren Verstand und ihr Herz öffnet. »Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ« (Lk 1,45), ruft ihre Verwandte Elisabet aus. Eben aufgrund ihres Glaubens werden alle Geschlechter sie seligpreisen.

Liebe Freunde, das Hochfest der Geburt des Herrn, das wir in einigen Tagen feiern werden, lädt uns ein, dieselbe Demut und denselben Glaubensgehorsam zu leben. Die Herrlichkeit Gottes zeigt sich nicht im Triumph und in der Macht eines Königs, sie erstrahlt nicht in einer berühmten Stadt, in einem prächtigen Palast, sondern sie nimmt Wohnung im Schoß einer Jungfrau, sie offenbart sich in der Armut eines Kindes. Auch in unserem Leben wirkt die Allmacht Gottes mit der oft stillen Kraft der Wahrheit und der Liebe. Der Glaube sagt uns also, daß die wehrlose Macht jenes Kindes am Ende den Lärm der Mächte der Welt besiegt.

* * *

Herzlich grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache. Wir alle wollen durch unser Leben sichtbar machen, daß Gott die Menschen liebt und uns in seinem Sohn Jesus Christus nahe gekommen ist. Wir wollen versuchen mitzuhelfen, daß sich der Friede auf der Erde ausbreitet. Der Herr stärke uns dazu mit seiner Gnade. Von Herzen wünsche ich euch und euren Familien ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest.

 

 

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