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ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.
AN DIE TEILNEHMER DER 17. EUROPARAT-KONFERENZ
DER DIREKTOREN DER GEFÄNGNISVERWALTUNGEN

Sala Clementina
 Donnerstag, 22. November 2012

 

 

Frau Ministerin,
Frau Vizegeneralsekretärin,
sehr geehrte Damen und Herren!

Ich freue mich, Sie anläßlich Ihrer Konferenz begrüßen zu können, und möchte zunächst der Justizministerin der Italienischen Regierung, Prof. Paola Severino, sowie der Generalsekretärin des Europarates, Dr. Gabriella Battaini-Dragoni, für ihre Grußworte danken, die sie im Namen aller Anwesenden an mich gerichtet haben.

Der Strafvollzug wird immer wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Regierungen gestellt, besonders in einer Zeit, in der wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten sowie zunehmender Individualismus die Wurzeln der Kriminalität nähren. Es gibt jedoch eine Tendenz, die Debatte auf den legislativen Aspekt der Frage nach Verbrechen und Strafe oder auf den Gerichtsprozeß zu beschränken, das heißt wie man am besten zu einem raschen Urteil gelangt, das den wahren Tatsachen weitestgehend entspricht. Weniger Aufmerksamkeit wird der Durchführung des Strafvollzugs entgegengebracht.

In diesem Zusammenhang ist neben dem Faktor der »Gerechtigkeit« ein weiteres wesentliches Element die Achtung der Menschenwürde und der Menschrechte. Aber auch dies – obwohl es unverzichtbar ist und man in vielen Ländern leider noch weit davon entfernt ist, es zu beachten – reicht nicht aus, um die Rechte des Einzelnen vollkommen zu wahren. Es bedarf konkreter Bemühungen, nicht nur einer Grundsatzerklärung, um eine tatsächliche Resozialisierung des Straftäters herbeizuführen, die sowohl um seiner Würde willen als auch im Hinblick auf seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft erforderlich ist. Die persönliche Notwendigkeit für den Strafgefangenen, im Gefängnis einen Rehabilitations- und Reifungsprozeß durchzumachen, ist in der Tat auch eine Notwendigkeit für die Gesellschaft, denn so kann jemand, der einen nützlichen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten vermag, wiedergewonnen werden, und ein solcher Prozeß verringert die Wahrscheinlichkeit, daß der Gefangene erneut eine Straftat begeht und damit die Gesellschaft in Gefahr bringt. In den letzten Jahren hat es einen beachtlichen Fortschritt gegeben, auch wenn noch ein langer Weg zu beschreiten ist. Es geht nicht nur darum, ausreichende Finanzmittel aufzubringen, um die Gefängnisse würdiger zu gestalten und den Gefangenen bessere Unterstützung und Bildungsmaßnahmen zu gewährleisten, sondern es bedarf auch eines Umdenkens, um die Debatte über die Wahrung der Menschenrechte Strafgefangener mit der weitergreifenden Debatte über die Umsetzung der Strafjustiz zu verbinden.

Wenn die menschliche Gerechtigkeit in diesem Bereich auf die göttliche Gerechtigkeit blicken und von dieser höheren Sichtweise geprägt sein soll, dann darf die Tatsache, daß das Urteil der Resozialisierung dienen soll, nicht als zusätzlicher oder nebensächlicher Aspekt des Strafvollzugs betrachtet werden, sondern muß vielmehr als sein höchster und prägender Wesenszug gelten. Um »Gerechtigkeit zu üben«, ist es nicht genug, jene, die eines Vergehens überführt worden sind, einfach nur zu bestrafen: Es ist notwendig, daß durch ihre Bestrafung alles getan wird, was möglich ist, um sie zu korrigieren und zu einer Besserung zu führen. Wenn dies nicht geschieht, wird keine Gerechtigkeit im eigentlichen Sinne erlangt. In jedem Fall ist es wichtig, keine Situationen entstehen zu lassen, in denen eine Inhaftierung, die in ihrer Resozialisierungsrolle versagt, das Gegenteil bewirkt und die Tendenz, Verbrechen zu begehen, sowie die Bedrohung der Gesellschaft durch den einzelnen paradoxerweise eher verstärkt als überwindet.

Als Direktoren von Gefängnisverwaltungen können Sie zusammen mit allen Verantwortungsträgern der Justizverwaltung in der Gesellschaft einen wichtigen Beitrag leisten, um jene mit der Würde des Menschen verbundene »wahrere Gerechtigkeit« zu fördern, die »für die befreiende Kraft der Liebe offen ist« (Johannes Paul II., Botschaft zur Feier des Jubiläums in den Gefängnissen, 9. Juli 2000; in O.R. dt., Nr. 27, 7.7.2000, S. 4). Ihre Rolle ist in gewisser Hinsicht noch entscheidender als die der Gesetzgeber, denn auch wenn angemessene Strukturen und Ressourcen vorhanden sind, hängt der Erfolg von Resozialisierungsmaßnahmen stets von der Einfühlsamkeit, der Fähigkeit und der Aufmerksamkeit jener ab, deren Aufgabe es ist, die Vorschriften vom Papier in die Praxis umzusetzen. Die Arbeit von Justizvollzugsbeamten, auf welcher Ebene auch immer sie tätig sind, ist durchaus nicht einfach. Daher möchte ich heute durch Sie all jenen in der Gefängnisverwaltung meine Anerkennung zum Ausdruck bringen, die ihre Pflichten mit Sorgfalt und Hingabe erfüllen. Der Umgang mit Straftätern, die den Preis für das bezahlen, was sie getan haben, und der Einsatz, der notwendig ist, um Menschen, die in vielen Fällen bereits Ausgrenzung und Verachtung erfahren haben, Würde und Hoffnung zurückzugeben, erinnert an die Sendung Christi, der nicht gekommen ist, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder (vgl. Mt 9,13; Mk 2,17; Lk 5,32), die ersten Empfänger der göttlichen Gnade. Jeder ist aufgerufen, Hüter seines Bruders zu sein und die mörderische Gleichgültigkeit Kains zu überwinden (vgl. Gen 4,9).

Ihre besondere Aufgabe ist es, Menschen in Ihre Obhut zu nehmen, die unter den Lebensbedingungen im Gefängnis stärker Gefahr laufen, ihr Bewußtsein für den Sinn des Lebens und den Wert ihrer persönlichen Würde zu verlieren und statt dessen der Entmutigung und Verzweiflung nachzugeben. Tiefe Achtung vor der Person, Bemühen um die Wiedereingliederung der Gefangenen, Förderung einer Gemeinschaft, die wirklich der Resozialisierung dient: Diese Dinge sind um so dringender angesichts der wachsenden Zahl »ausländischer Strafgefangener«, deren Lebensumstände oft schwierig und instabil sind. Natürlich ist es wesentlich, daß die Rolle der Gefängnisse und ihrer Mitarbeiter mit einer entsprechenden Bereitschaft seitens des Gefangenen einhergehen, sich einer Resozialisierung zu unterziehen. Es genügt jedoch nicht, einfach nur abzuwarten und auf eine positive Antwort zu hoffen: Diese muß angespornt und ermutigt werden durch Initiativen und Programme, die in der Lage sind, Trägheit zu überwinden und die Isolierung zu durchbrechen, in der die Inhaftierten oft gefangen sind. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Förderung von Formen der Evangelisierung und der Seelsorge, die in der Lage sind, die edelste und tiefste Seite des Inhaftierten anzusprechen und seine Begeisterung für das Leben und sein Verlangen nach Schönheit zu wecken, die so kennzeichnend sind für Menschen, die neu entdecken, daß sie das unauslöschliche Bild Gottes in sich tragen. Wo Vertrauen in die Möglichkeit zur Erneuerung vorhanden ist, kann das Gefängnis seine Resozialisierungsfunktion wahrnehmen und für den Straftäter zur Gelegenheit werden, die von Christus durch das Paschamysterium erlangte Erlösung zu erfahren, die den Sieg über alles Böse gewährleistet.

Liebe Freunde, ich danke Ihnen aufrichtig für diese Begegnung und für alles, was Sie tun, und rufe auf Sie und Ihre Arbeit den überreichen göttlichen Segen herab.

 



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