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PASTORALBESUCH IN ÖSTERREICH

WORTGOTTESDIENST FÜR DIE ALTEN UND KRANKEN

PREDIGT VON JOHANNES PAUL II.

Dom von Salzburg - Sonntag, 26. Juni 1988

 

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Es ist mir eine große Freude, den heutigen Sonntag in Salzburg mit diesem gemeinsamen Morgengebet in eurer Mitte zu beginnen. Der Begegnung mit betagten, kranken und behinderten Menschen kommt bei meinen Pastoralbesuchen stets ein bevorzugter Platz zu. Ihr seid nicht die vergessenen Kinder Gottes. Im Gegenteil! Wenn schon einem Vater oder einer Mutter ein krankes wachsen kann, um wieviel mehr wird bei Gott Freude über euren Glauben und euren Lebensmut sein. Und Jesus Christus versichert uns, daß wir in euch auf besondere Weise ihm selber begegnen.

Es ist leider keine Selbstverständlichkeit, daß jemand, der unter Beschwerden von Alter, Krankheit oder Behinderung leidet, in unserer Gesellschaft als gleichwertiger Mensch anerkannt wird. Doch Gott fragt nicht nach euer Leistungsfähigkeit im Produktionsprozeß, nicht nach der Höhe eures Bankkontos. Nicht auf das, was ”ins Auge fällt“, sieht der Herr, sondern auf das Herz.

Der liebende Blick Gottes, der auf jedem Menschen ruht, vermittelt ihm die Gewißheit, daß er – ob jung oder alt, krank oder gesund – ausnahmslos erwünscht und gewollt ist. Darin erfahren wir uns alle als Söhne und Töchter des gemeinsamen himmlischen Vaters. Die Liebe Gottes zu uns ist immer das Erste und Grundlegende. Dies zu erfahren und darum zu wissen, ist etwas Großes; und etwas Großes ist es, diese Erfahrung auch anderen mitzuteilen und sie gemeinsam mit ihnen zu leben.

2. Euer Los und eure Beschwerden lasten gewiß oft schwer auf euren Schultern. Wer von euch wird nicht schon versucht gewesen sein zu fragen, ob die Mühen und Plagen, die Müdigkeit, die ihn überfällt, sich noch lohnen und einen Sinn haben. In eurem Leid erfahrt ihr konkret die Hinfälligkeit und Begrenztheit des Geschöpfes. Gerade darin aber kann das Leid für euch auch zum besonderen Ort der Öffnung auf die Mitmenschen und auf Gott hin werden. Ein Leben, das allzu glatt und fraglos dahinläuft, verleitet uns allzu leicht zur Oberflächlichkeit, läßt uns satt und selbstgenügsam werden. Wo uns hingegen das Leid aufrüttelt mit den Fragen, die sich damit unausweichlich stellen, da bricht in uns die Sehnsucht auf. Wir beginnen erneut nach anderen und im tiefsten nach Gott Ausschau zu halten.

Um im Leid Hilfe und Heilung finden zu können, brauchen wir die Gemeinschaft mit den Mitmenschen und mit Gott. Wie im Glück, sollen wir uns auch im Leid nicht absondern, denn die Gemeinschaft ist der Ort, wo wir Leben teilen können. Es ist eine der schönsten Aufgaben der Kirche, das brüderliche Teilen als heilsam erleben zu lassen. Darin erfährt sich die Kirche wirklich als Gemeinschaft der Kinder Gottes und als Wohnung Gottes. Denn ”wo die Liebe und die Güte ist, da ist Gott“!

3. Der Mann mit der verdorrten Hand, von dem wir soeben im Evangelium gehört haben, lebt völlig unbeachtet am Rand der Gesellschaft. Jesus sieht ihn, wie die anderen ihn sehen, aber er allein übersieht ihn nicht. Er ruft ihn der Synagoge vom Rand in die Mitte, um vor aller Augen auf ihn aufmerksam zu machen. ”Steh auf“, sagt er zu ihm, ”und stell dich in die Mitte!“. Und ”der Man stand auf und trat vor“.  Ohne daß der Mann Vertrauen zu Jesus gefaßt hätte, wäre es ihm nicht möglich gewesen, sein Leid hier in der Öffentlichkeit zu zeigen. – Er verläßt sich auf Jesus wie Petrus, der sich auf die Stimme des Herrn verläßt und über das Wasser geht. ”Er stand auf“: Mit diesem kleinen Wort sagt uns der Evangelist, daß der Kranke nicht einfach Objekt der Heilkraft des Herrn ist, sondern daß die Heilung sich in der persönlichen Begegnung und durch die Mitwirkung des Kranken ereignet. Jesus begegnet dem Kranken als einem vollwertigen. Hilfe bedürftigen Menschen, und der Kranke begegnet in Jesus dem verheißenen Messias, dem menschgewordenen Gottessohn; er erfährt Heilung aus dem glaubenden Ja zu Christus.

Wie heilsam die persönliche Begegnung mit Gott sein kann, sehen wir auch an den besonderen Orten der Gnade, an Orten des Gebetes und der Bekehrung wie zum Beispiel in Lourdes und Fatima oder wo immer sich Menschen von Gottes Liebe berühren lassen. Jedes Jahr kehren Unzählige reich beschenkt von dort in ihren Alltag zurück. Das Wunder der Begegnung und des Glaubens. In der glaubenden Hinwendung zu Gott in Christus und durch Maria kommen dei quälenden Menschen nach dem ”Warum“ des Leidens zur Ruhe. Sie erscheinen in einem neuen Licht, das Leid erhält von Gott her einen tieferen Sinn. Gott selbst hat auf die schwere Frage des Leidens eine Antwort gegeben, indem er ein Mensch, einer von uns, geworden ist. Die Antwort Gottes heißt Jesus Christus.

4. In seinem Namen, im Namen Jesu Christi, den wir auch unseren ”Heiland“ nennen, komme ich heute zu euch. Das Wort Heiland verweist uns auf seine Sendung, zu ”heilen“. Jesus Christus hat das Reich Gottes nicht nur durch Worte verkündet, sondern auch durch taten. Dieses Reich hat mit ihm und seinem Wirken schon konkret begonnen, besonders dadurch, daß er Menschen an der Wurzel – an Leib und Seele – geheilt hat. Viele der Menschen, die sich um Jesus drängten, waren krank. Manche von ihnen waren dazu noch tief in Schuld verstrickt. Jesus hat ihnen die Schuld vergeben und sie oft auch durch äußere Heilung wieder ganz ”heil“ gemacht. Die Tauben, die er heilte, konnten nun nicht nur die Stimme der Welt, sondern auch das Wort Gottes hören. Die Stummen konnten fortan nicht nur mit Menschen sprechen, sondern aus der Tiefe ihres Herzens heraus Gott loben. Und die Lahmen konnten nicht nur gehen, sondern sich auf Gott hin bewegen. Jesus hat ihnen nicht nur äußere Heilung, sondern das ”Heil gesckenkt“, den Frieden mit Gott, den Frieden mit sich selbst und den Frieden mit den anderen Menschen.

Jesus Christus hat in der Tat nicht alle Menschen äußerlich geheilt, denen er begegnete. Aber er hat schließlich für sie alle – ohne Ausnahme – selbst auf das bitterste gelitten. Sein Weg wurde zum Kreuzweg nach Golgota. Er starb den furchtbaren Kreuzestod, der das Leid und die Schuld jedes einzelnen Menschen und der ganzen Menscheit zusammenfaßt und erlöst.

5. Seither steht das Bild des gekreuzigten Herrn in einer besonderen Weise vor den Augen jener Christen, die ein großes Leid, eine große Last tragen müssen. Der göttliche ”Mann der Schmerzen“ geht auch an eurer Seite, liebe Brüder und Schwestern! Dieser von Leid und Kreuz gezeichnete Christus tritt aber zugleich als der Auferstandene mit verklärten Wunden vor Gottes Thron für uns ein. Leiden und Tod waren nicht das Letzte für Christus, und sie sind auch nicht das Letzte für den Menschen, der an Christus glaubt. Leid und Tod tragen fortan in sich die Verheißung endgültiger Auferstehung und ewiger Seligkeit.

Der christliche Glaube und die christliche Hoffnung blicken über den Tod hinaus. Sie sind aber nicht nur eine Vertröstung auf das Jenseits. Sie verändern auch schon unser irdisches Leben. Wem es geschenkt ist, an Christus zu glauben, dem wachsen Kräfte zu, eigene Leiden und Lasten anzunehmen und zu tragen. Er bekommt aber auch Kräfte, um die Leiden und Beschwerden seiner Mitmenschen mitzutragen und sie überwinden zu helfen. ”Einer trage des anderen Last“, sagt der Apostel Paulus; ”so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“. Darum muß gerade die Kirche sich als Ort erweisen, an dem sich betagte, kranke und behinderte Menschen geborgen, verstanden und mitgetragen fühlen, weil ihr Mittelpunkt Christus ist, der Schmerzensmann und der von Leiden und Tod auferstandene, verklärte Herr.

6. Liebe Brüder und Schwestern! Gewiß gibt es immer wieder Menschen, die achtlos und gleichgültig an euch vorbeigehen. Sie geben euch das Gefühl, überflüssig zu sein, nicht gebraucht zu werden. Aber seid davon überzeugt: Wir brauchen euch! Die ganze Gesellschaft braucht euch. Ihr seid für eure Mitmenschen eine aufrüttelnde Anfrage nach den tieferen Werten des menschlichen Lebens, ein Aufruf an ihre Mitmenschlichkeit, eine Prüfung ihrer Fähigkeit zu lieben. Besonders für die jungen Menschen seid ihr eine Herausforderung, das Beste in sich zu entwickeln: Solidarität und Hilfsbereitschaft mit denen, die besonders darauf angewiesen sind. Wo diese Mitmenschlichkeit verkümmert, da wird es kalt in der Gesellschaft. Es ist jedoch ermutigend, daß sich heute so viele junge Menschen für betagte, kranke und behinderte Mitmenschen einsetzen.

Aus eurer Mitte rufe ich allen in der Gesellschaft zu: Es darf keine Einteilung des menschlichen Lebens in lebenswertes und unwertes Leben geben! Diese Einteilung hat vor Jahrzehnten in die schlimmste Barbarei geführt. Jedes menschliche Leben – ob schon geboren oder nicht, ob voll entfaltet oder in seiner Entwicklung behindert – jedes menschliche Leben ist von Gott mit einer Würde ausgestattet, an der sich niemand vergreifen darf. Jeder Mensch ist Bild Gottes!

7. Zum Schluß möchte ich euch dann auch noch sagen, wie sehr euch gerade die Kirche braucht. In euch erkennen wir Christus, der als der von Kreuz und Leid Gezeichnete in unserer Mitte fortlebt. Und wenn ihr jene Leiden annehmt, die euch unausweichlich auferlegt sind, so hat euer Gebet und Opfer vor Gott eine unerhörte Kraft. Laßt darum nicht nach in eurem Gebet! Betet und opfert für die Kirche, für das Heil der Menschen und betet auch für meinen apostolischen Dienst.

Zusammen mit euch danke ich schließlich allen jenen Menschen, die schwere und glückliche Stunden mit euch teilen, die durch ihre Nähe Brücken bauen über die Abgründe von Traurigkeit und Verlassenheit. Sie sind es, die euch in der Prüfung durch Alter, Krankheit oder Behinderung Lebensmut geben und Hoffnung wecken können, so daß das Wunder der Begegnung und das Wunder des Glaubens immer wieder neu möglich werden.

Maria, die Hilfe der Christen, stehe euch bei mit ihrem mütterlichen Schutz. Und der Dreifaltige Gott segne euch und alle eure Helferinnen und Helfer mit seinem Frieden und erfülle euch stets mit tiefer geistlicher Freude! Amen.

 

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