APOSTOLISCHE REISE IN DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE SEMINARISTEN DER DIÖZESE AUGSBURG
Montag, 4. Mai 1987
Verehrte Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Alumnen,
liebe Brüder und Schwestern!
Ein weiterer Höhepunkt meines kurzen Pastoralbesuches in eurer Diözese ist die Einweihung des neuen Priesterseminars. Dies ist für euch, aber auch für mich eine besondere Freude, die mir zum ersten Mal während einer Pastoralreise zuteil wird.
1. Das II. Vatikanische Konzil nennt das Seminar das ”Herz der Diözese“ (Optatam Totius, 5). Sein Pulsschlag bestimmt langfristig das religiöse und kirchliche Leben draußen in den Gemeinden. Von hier sendet Christus in der Person des Bischofs immer wieder neu seine Boten aus, durch die er selber im Volke Gottes seine Heilssendung fortsetzt. Je mehr diese von seinem Geist beseelt sind, desto reicher werden bei den Gläubigen die geistlichen Früchte der Frömmigkeit und Heiligkeit sein. Zu Recht erwartet das Konzil die ersehnte Erneuerung der Kirche zum großen Teil vom priesterlichen Dienst. Darum auch die entscheidende Bedeutung der Seminare, in denen die Priester seit der Zeit des Konzils von Trient ihre religiöse und theologische Ausbildung erhalten und auf ihre spätere Sendung vorbereitet werden.
Wie fruchtbar die tridentinische Einführung des Priesterseminars in der jüngeren Geschichte der Kirche gewesen ist, geht aus dem Urteil des bekannten deutschen Kirchenhistorikers Hubert Jedin hervor, der dazu bemerkt: ”Es war ein großer Schritt nach vorn, ein so großer, daß man sagen konnte, allein dieses Dekret habe die Veranstaltung des Trienter Konzils gerechtfertigt“. Möge auch das neue Seminar der Diözese Augsburg, über das wir heute Gottes Segen herabrufen, in gleichem Maße fruchtbare Pflanzstätte - ”Seminarium“ - für diese Ortskirche werden. Hirten im Geist Christi sind nach Gottes Hilfe die beste Gewähr, daß das pilgernde Volk Gottes auf dem Weg der Nachfolge des Herrn sicher voranschreitet.
Das Priesterseminar hat in der Diözese Augsburg eine lange Tradition. Eine besondere Erwähnung verdient der Weitblick des Kardinals Otto Truchseß von Waldburg, der dem Mangel an guten Priestern schon im Jahr 1549 durch die Gründung einer Lehr- und Erziehungsanstalt in Dillingen abhelfen wollte. Darin sollten vor allem die künftigen Priester geistig und religiös in angemessener Weise auf ihren Dienst vorbereitet werden. Mit der Errichtung eines solchen Seminars nahm dieser Augsburger Oberhirte bereits die tridentinische Idee vorweg. Es wurde Jahre später an die ebenfalls dort neugegründete Universität angeschlossen. Die Theologiestudenten fanden herzliche Aufnahme im Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern, bis nun hier in der Bischofsstadt selbst das neue Seminar erbaut wurde. Ich beglückwünsche die Diözese Augsburg zu diesem Haus. Wie ich erfahren habe, wurde die Einrichtung vieler Zimmer von einzelnen Personen, von Pfarreien oder kirchlichen Gemeinschaften übernommen. Gleichzeitig hat die Diözese Augsburg noch drei armen Bistümern tatkräftig geholfen, ihr eigenes Priesterseminar einzurichten. Euch allen möge Gott dies reich vergelten, besonders dadurch, daß er aus diesem Haus für eure Diözese viele gute Priester hervorgehen läßt.
2. Der heutige Tag soll uns ein Wort des II. Vatikanischen Konzils in Erinnerung rufen, wonach der ”wichtigste Beitrag“ für die Förderung der Priesterberufe in den Familien geschieht. Es nennt diese sogar das ”erste Seminar“ (Optatam Totius, 2). Darum wendet sich die Kirche mit besonderem Nachdruck an die Eltern: Schafft in euren Familien eine Atmosphäre, in der sich der Glaube und eine mögliche geistliche Berufung entfalten können. Betet gemeinsam und nehmt möglichst zusammen mit euren Kindern am Gottesdienst und am Leben der Pfarrei teil. Öffnet euch in christlicher Solidarität den Nöten der kranken, einsamen und alten Mitmenschen. Verschafft euch ausgewogene und zuverlässige Informationen über das heute Leben heutige Leben der Kirche, damit ihr im Familiengespräch Entscheidungen der Oberhirten oder auch eventuelles Versagen in der Kirche gerecht und wohlwollend beurteilen könnt. Selbst wenn Zeiten kommen, in denen ihr als Vater oder Mutter meint, eure Kinder würden der Faszination diesseitiger Erwartungen und Verheißungen erliegen, zweifelt nicht: Sie werden immer wieder danach ausschauen, ob ihr selbst Jesus Christus als Einschränkung oder als die Begegnung eures Lebens, als Freude und Quelle der Kraft im Alltag empfindet. Vor allem aber hört nicht auf zu beten. Denkt an die heilige Monika, deren Sorgen und Beten sich verstärkte, als ihr Sohn Augustinus, der später Bischof und Heilige, seinen Weg fernab von Christus ging und so seine Freiheit zu finden glaubte. Wie viele Monikas gibt es heute! Was viele Mütter durch ihr Gebet und Opfer für die Kirche und das Reich Gottes in der Stille gewirkt haben und wirken, wird ihnen niemand gebührend zu danken vermögen. Gott vergelte es ihnen! Wenn die erstrebte Erneuerung der Kirche vor allem vom Dienst der Priester abhängt, dann sicher auch im hohen Maße von den Familien und besonders von den Frauen und Müttern.
Ebenso möchte ich in diesem Zusammenhang auch an die große Familie der Pfarrei einige dringende Bitten richten: Haltet das monatliche Triduum: Priesterdonnerstag, Herz-Jesu-Freitag, Herz-Mariä-Samstag! Betet beharrlich, der Aufforderung Christi entsprechend, daß der Herr Arbeiter in seine Ernte sende! (Mt 9, 38) Betet um Piester-, Missions- und Ordensberufe! Laßt die Jugend erkennen, daß nicht nur der Bischof, sondern auch die Pfarrgemeinde jedem dankbar ist, der trotz Schwierigkeiten den an ihn ergangenen Ruf Christi großherzig erwidert. In besonderer Weise wende ich mich an die Kranken: Ihr erfahrt in euren Gebrechen, daß unsere Hoffnung nicht in dieser Welt aufgeht. Ihr spürt die Notwendigkeit von Menschen, die euch von Christus her, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, euer Leben deuten und euch durch Wort und Sakrament Kraft und Trost spenden. Euer Leben und Leiden ist nicht sinnlos, sondern kann überreicher Segen für die ganze Kirche werden, wenn ihr es Christus anbietet. Vergeßt in eurer Krankheit nicht das Gebet um Priester- und Ordensberufe! Wenn so Pfarrgemeinde und Familie eine vom Glauben geprägte Atmosphäre schaffen, ist die Kirche überzeugt, daß Gott trotz vermehrter Schwierigkeiten und Hindernisse, trotz der Aufrechterhaltung des priesterlichen Zölibats auch in unserer Zeit genügend junge Menschen zum Priestertum berufen und ihnen die Weite des Herzens schenken wird, seinem Ruf zu folgen.
3. Die Familie ist das erste und eigentliche Seminar. Doch bedarf es dann noch eines eigenen Hauses, in dem der junge Theologe geistig und religiös für den späteren Dienst ausgebildet wird. Der Bedeutung des Priesterseminars entsprechend richtet die Kirche hohe Erwartungen an die Leitung des Seminars, an die Professoren der Universität und an die Alumnen.
Ihr, meine lieben Seminaristen, widmet euch hier einem mehrjährigen Studium der Theologie. Nutzt diese Zeit für euren späteren priesterlichen Auftrag. Der erste Petrusbrief mahnt: ”Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Pt 3, 15). Rechenschaft zu geben über den Grund unserer Hoffnung und den Glauben überzeugend darzulegen, weil die Menschen vom Meinungssog der vielen Weltanschauungen und Ideologien hin- und hergeworfen werden. Meint nicht, zur Seelsorge genügt schon die priesterliche Lauterkeit: Nicht nur das Herz, auch der Kopf muß glauben können und den Glauben bezeugen. Kardinal Otto Truchseß Waldburg hatte zu Recht mit der Gründung des Dillinger Seminars die Bildung des Seelsorgsklerus heben wollen und dann die Verbindung mit der Universität gesucht. Seid dankbar für diese Möglichkeit eines intensiven Theologiestudiums und erkennt darin eine Chance für euer kommendes priesterliches Wirken. Schon die großen Theologen der Väterzeit wie Klemens von Alexandrien und Basilius, Augustinus und Hieronymus haben diese Notwendigkeit der denkerischen Durchdringung und Darlegung des Glaubens erfaßt und die theologische Reflexion selbst maßgeblich gefördert.
4. Echte Theologie ist allerdings nicht nur Sache des Intellekts, sondern des ganzen Menschen mit allen seinen geistigen Kräften, auch denen des Willens und der Liebe. Deshalb lädt der heilige Bonaventura, einer der großen Theologen der Kirche, den Leser seiner Schriften zuerst zum Gebet ein. Er schreibt: Der Leser ”glaube nicht etwa, es nütze ihm Lesung ohne Salbung, Gedankenschärfe ohne Andacht, Forschen ohne Bewunderung, umsichtiges Erwägen ohne Jubel, Fleiß ohne Frömmigkeit, Wissen ohne Liebe, Einsicht ohne Demut, Studium ohne göttliche Gnade, eine Betrachtung (der Welt) ohne von Gott geschenkte Weisheit“ (S. Bonaventurae, Itinerarium, Prol. 4).
Ich erinnere hier an den aus dem Bistum Augsburg hervorgegangenen Theologen und Bischof Johann Michael Sailer. Wie alle großen Theologen wußte er von einer geistlichen oder weisheitlichen Theologie, die das Verfahren der wissenschaftlichen Argumentation und das Einzelwissen übersteigt und letzte Zusammenhänge in Gott als dem Grund und dem Sinn allen Wissens schaut. Eine solche mehr intuitive Schau kann auch dem Einzelwissen, so bruchstückhaft dieses sein mag, seinen Ort im Ganzen zuordnen; sie ahnt eine Harmonie, auch wenn sie nicht begrifflich auszudrücken ist. Zu dieser Schau gelangen wir nicht ohne Gebet und Erleuchtung. Das Seminar der Diözese Augsburg trägt seit seiner Gründung in Dillingen den Namen des heiligen Hieronymus, des großen Erklärers der Heiligen Schrift. Vergeßt nicht, das Hieronymus immer wieder den um Erleuchtung gebeten hat, ”der den Schlüssel Davids hat, der öffnet und niemals schließt . . ., daß er uns die Geheimnisse des Evangeliums aufschließt“ (S. Hieronymi, In Marci Ev., I, 13-21).
5. Meine lieben Alumnen! Nützt also eure kostbare Seminarszeit auf bestmögliche Weise zum Studium, aber ebenso auch zum Gebet, zum vertieften Mitvollzug der Eucharistie, die ihr täglich feiert, und zur persönlichen Erfahrung des Friedens, den Gott im Bußsakrament schenkt. Die Seminarszeit ist ja zugleich eine Entdeckungsreise in euer eigenes Innenleben. Dort entdeckt ihr Fähigkeiten und Talente, hochherzige Ideale und Vorsätze. Zweifellos begegnet ihr im eigenen Herzen aber auch mancherlei Schwächen, Fehlern und schlechten Neigungen: Egoismus, Sinnlichkeit, Stolz. Alle guten Anlagen unserer menschlichen Natur sollen auch auf dem Weg zum Priestertum entfaltet und gekräftigt werden; es gilt aber auch, alles Negative zu durchschauen, zu überwinden, umzuwandeln. Gewiß ist dies alles eine Aufgabe für ein ganzes Leben. In den Jahren eurer Jugend, liebe Freunde, stellt ihr jedoch die Weichen für euren künftigen Weg, legt ihr den Grund für den Bau eures Lebens. Darum gilt es, die relativ stillen Jahre der Seminarszeit für die geduldige und stetige Formung eures inneren Menschen zu nutzen. Darin wirkt ihr auf ganz persönliche Weise zusammen mit unserem Herrn Jesus Christus, der schon mit den ersten Jüngern eine solche geistige Formung begonnen hat, nachdem er sie in seine Nähe gerufen hatte: ”Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind!“ (Mk 6, 31).
Im Auftrag Christi, des Guten Hirten, sollt auch ihr, liebe Seminaristen,; einmal als Priester den Menschen dienen. So viele von ihnen sind ohne Richtung und Ziel, ohne Hoffnung - wie Schafe, die keinen Hirten haben. Darum wünscht das Konzil, daß auch jene Eigenschaften ”der Alumnen ausgebildet werden, die am meisten dem Dialog mit den Menschen dienen, wie die Fähigkeit, anderen zuzuhören und im Geist der Liebe sich seelisch den verschiedenen menschlichen Situationen zu öffnen“ (Optatam Totius, 19). Das setzt auf eurer Seite die Fähigkeit und Bereitschaft voraus, in Offenheit und Freundlichkeit, mit Zuneigung und Güte auf die Menschen zuzugehen. Jetzt schon im Seminar könnt ihr das im Umgang miteinander einüben, wenn ihr wie die Apostel einen Jüngerkreis um Jesus, eine Seminargemeinde, bildet. Als Priester werdet ihr dann besser in der Lage sein, mit allen Mitbrüdern bereitwillig und solidarisch zusammenzuarbeiten; soll doch das Presbyterium eines Bistums eine wahrhaft brüderliche Gemeinschaft bilden.
Gestatten Sie mir nun, verehrte Herren Professoren, daß ich mich kurz auch an Sie wende. Von ihrem Forschen und Lehren wird der Glaube von Generationen junger Priesteramtskandidaten und auch Laientheologen maßgeblich geprägt. An der Klarheit, Festigkeit und Tiefe Ihrer Glaubensüberzeugung sollen Ihre Studenten sich ausrichten können. Es drängt mich, Ihnen, denen die Kirche ihren Priesternachwuchs während der Ausbildungszeit anvertraut, den aufrichtigen Dank auszusprechen für Ihren Dienst in Forschung und Lehre, in Beratung und geistlicher Führung und Sie zu bitten, Ihre Kraft auf allen diesen Feldern zum Besten der vom Herrn besonders berufenen jungen Menschen einzusetzen und ihr Amt stets im Licht des Glaubens unter der Führung des kirchlichen Lehramts auszuüben.
Mögen alle Verantwortlichen und Mitarbeiter in Seminar und Universität an ihrem jeweiligen Ort den von ihnen erwarteten wichtigen Beitrag leisten, auf daß dieses Priesterseminar für die Ortskirche in Augsburg zu einem kraftvoll pulsierenden ”Herz der Diözese“ werde, aus dessen Lebensstrom in die Gemeinde hinein sich nicht nur die Priesterschaft immer wieder verjüngt, sondern auch das religiöse Leben der Gläubigen sich fortwährend erneuert und reiche Fürchte hervorbringt.
Das geben Gott mit seinem bleibenden Schutz und Segen!
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