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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE BISCHÖFE DER SKANDINAVISCHEN BISCHOFSKONFERENZ ANLÄSSLICH IHRES
«AD-LIMINA»-BESUCHES

Samstag, 29. Februar 1992

 

Liebe Mitbrüder!

1. Am Sitz des Bischofs von Rom heiße ich Euch heute zu Eurem diesjährigen Ad-limina-Besuch sehr herzlich willkommen. Mit Euch als den Oberhirten aus dem Gebiet der Nordischen Bischofskonferenz grüße ich alle Priester, Ordensleute und Gläubigen, die zu vertreten Euch anvertraut ist. Mein dankbares Gedenken gilt auch allen, die Euch in Eurem Dienst in den nordischen Ländern vorangegangen sind. Das Hauptziel des Besuches Ad-limina-Apostolorum ist, durch den Besuch der Gräber der Apostelfürsten Petrus und Paulus die Sendung und die Aufgaben, die mit Eurem bischöflichen Amt verbunden sind, neu zu bedenken.

Eure Diözesen umfassen ganze Länder im nördlichen Teil des europäischen Kontinentes, die über ein sehr reiches christliches Erbe mit äußerst bemerkenswerten menschlichen und kulturellen Leistungen verfügen. Davon konnte ich mich selbst anläßlich meines Pastoralbesuches im Jahre 1989 in Euren Ländern überzeugen, den ich noch in lebendiger, froher und dankbarer Erinnerung bewahre.

2. Während jener Tage in Euren geschätzten Ländern konnte ich den Geist zunehmender ökumenischer Zusammenarbeit und Verständigung unmittelbar feststellen. ln besonderer Erinnerung sind mir noch die ökumenischen Begegnungen im Dom Nidaros in Trondheim, in Turku und in Uppsala. Bei meiner Begegnung mit Euch in Oslo am 1. Juni 1989 hatte ich gesagt: ”Die ökumenische Entwicklung in Euren Ländern gibt uns Grund, Gott dafür zu danken, daß wir in den letzten Jahrzehnten viele Vorurteile und Mißverständnisse miteinander überwinden und viel Gemeinsames entdecken konnten. Wenn auch bis zur vollen Glaubens– und Kirchengemeinschaft noch ein weiter Weg zurückzulegen ist, so ist es um so wichtiger, daß die Christen angesichts der zunehmenden Entchristlichung in der heutigen Welt schon jetzt alles miteinander tun, was nur irgendwie möglich und wünschenswert ist“.

Es erfüllt mich heute mit großer Genugtuung, daß der ökumenische Aspekt meines Pastoralbesuches weitere positive Entwicklungen mit sich gebracht hat. ln einigen Ländern werden die Ansprüche der Minderheitenkirchen vorbildlich gehandhabt. Ihre Majestäten König Carl XVI. Gustav von Schweden und Königin Silvia haben mir am 3. Mai 1991 einen offiziellen Besuch abgestattet. Herr Erzbischof Werkström war zusammen mit Herrn Bischof Brandenburg bereits im Oktober 1990 in Rom; bei dieser Begegnung wurde mir von Erzbischof Werkström die Idee eines ökumenischen Gottesdienstes in St. Peter unterbreitet, die sich bereits ein Jahr später verwirklichen sollte. Die Lutherische Bischofskonferenz lud 1991 die katholischen Bischöfe in sehr freundlicher Weise ein, an ihrem jährlichen Einkehrtag teilzunehmen.

In Norwegen besteht seit 1979 die ”Norwegian Catholic-Lutheran Discussion Group“, die nach fruchtbarer Arbeit ihre Berichte zu den Themen ”Eucharistie“, ”Amt in der Kirche“ und ”Rechtfertigung“ vorgelegt hat.

Unser Mitbruder im Bischofsamt Hans Martensen ist bereits seit dem Jahr 1967 Mitglied der internationalen Lutherisch-Katholischen Dialogkommission; von 1973 bis 1983 war er Co-Chairman dieser Kommission.

Auch in Finnland gestaltet sich die ökumenische Zusammenarbeit ausgesprochen positiv. Der Primas der Evangelisch–Lutherischen Kirche Finnlands, Erzbischof John Vikström, der griechisch-orthodoxe Erzbischof von Karelien und ganz Finnland, Johannes, und unser Mitbruder Paul Verschuren haben sich anläßlich des St.-Henrik-Festes nach Rom begeben, um an einem ökumenischen Gebet teilzunehmen. Der mir abgestattete Besuch war ein weiteres Zeichen der guten und offenen ökumenischen Atmosphäre in Finnland, das in diesem Jahr den 75. Jahrestag seiner Unabhängigkeit als Republik feiern kann.

Von weitreichender Bedeutung ist auch das erste Treffen von lutherischen und katholischen Bischöfen aus allen fünf nordischen Ländern, das im September vergangenen Jahres in Sigtuna stattgefunden hat. Neben der Rückbesinnung auf meinen Pastoralbesuch von 1989 und Überlegungen über Auftrag und Aufgaben des Bischofs widmete sich die Versammlung dem wichtigen Thema der gemeinsamen Aufgaben der Kirche in Europa. Für die vielen Initiativen in Euren Ländern in den vergangenen Jahren, die auf allen Seiten die Ernsthaftigkeit des ökumenischen Engagements deutlich werden lassen, danke ich Euch aufrichtig. Zugleich ermutige ich Euch, die nach meinem Besuch intensivierten Kontakte ideenreich weiterzuführen. Dabei kommt es darauf an, den neuen theologischen Einsichten Taten folgen zu lassen und die heute theologisch verantwortbaren Schritte zu unternehmen.

Die erste ökumenische Feier in St. Peter am 5. Oktober vergangenen Jahres unter Beteiligung der lutherischen Erzbischöfe von Schweden und Finnland und in Anwesenheit lhrer Majestäten, des Königs und der Königin von Schweden, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Mit ihrer Teilnahme beim Abschluß der Jubiläumsfeiern anläßlich der Heiligsprechung von Brigitta von Schweden vor 600 Jahren haben die Repräsentanten der lutherischen Kirchen unterstrichen, daß sie sich mit als Erben einer geschichtlichen Tradition betrachten, die auch die Zeit vor der Reformation einschließt. Dies ist ein Schritt, der von unserer Seite aus zweifellos zu begrüßen ist.

Diese ökumenische Feier war außerdem ein authentisches Beispiel für die Anwendung der Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils, wenn es dort heißt: ”Bei besonderen Anlässen, zum Beispiel bei Gebeten die "für die Einheit" für verrichtet werden, ist es erlaubt und auch erwünscht, daß sich die Katholiken mit den getrennten Brüdern im Gebet zusammenfinden. Solche gemeinsamen Gebete sind ein höchst wirksames Mittel, um die Gnade der Einheit zu erflehen, und ein echter Ausdruck der Gemeinsamkeit, in der die Katholiken mit den getrennten Brüdern immer noch verbunden sind“.

In allem suchen wir die Einheit im Glauben. Der gemeinsame Glaube muß das einende Band sein, das alle Christen verbindet. Die Ausdrucksformen dieses einen gemeinsamen Glaubens mögen je nach Ort und Zeit verschieden sein: solch eine Vielfalt ist nicht nur legitim, sondern eine Bereicherung, solange die grundlegende Gemeinsamkeit im Glauben bewahrt ist. Deshalb hat ja das II. Vatikanische Konzil erklärt, ”zur Wiederherstellung oder Erhaltung der Gemeinschaft und Einheit... "keine Lasten aufzuerlegen, die über das Notwendige hinausgehen" “.

3. Ihr habt in Euren Berichten mit großer Offenheit die Schwierigkeiten beschrieben, die mit dem Symptom der Säkularisierung zusammenhängen. Wenn wir von der ausgesprochenen Diaspora–Situation Eurer Diözesen ausgehen, wird einsichtig, daß der Druck von seiten der Gesellschaft, unter dem die katholischen Gemeinden stehen, sich noch stärker auswirkt. Dennoch dürft Ihr Euch nicht entmutigen lassen. Auch wenn Eure Gemeinden nicht sehr zahlreich und oft nur klein sind, so sind sie doch sehr lebendig. Es sind durchaus Hoffnungszeichen vorhanden. Eure pastoralen Anstrengungen waren und sind nicht umsonst. Fahrt darin fort, zusammen mit Euren Mitarbeitern im priesterlichen Dienst, den Ordensleuten, den verantwortlichen Laien und allen Gläubigen. Bekundet ihnen ausdrücklich mein Vertrauen.

ln diesem Zusammenhang möchte ich die Tätigkeit der neuen Bewegungen erwähnen, die sich in den letzten Jahren gut entwickelt hat. Mit noch größerer Dankbarkeit gegenüber Gott, dem Spender aller Gnaden, habe ich zur Kenntnis genommen, daß einige Frauenklöster neu errichtet wurden: Karmel in der Diözese Helsinki und in Tromsoe; die Schwestern der heiligen Brigitta haben sich in Turku niedergelassen, und im Bereich der Diözese Stockholm wirken die Benediktinerinnen.

4. Was zweifellos von Bedeutung für Eure pastorale Arbeit erscheint, ist das grundsätzliche Konzept vom Menschen, der sich seiner Verantwortung in Familie und Gesellschaft bewußt ist. Der Christ muß aus seinem Glauben heraus den Sinn des Lebens und für das Leben verstehen und sein Handeln danach ausrichten. Von der Verpflichtung der Gottes–und Nächstenliebe aus dem Evangelium ist es nicht möglich, das Leben als einzelner und in Gemeinschaft in moralisch relevante und irrelevante Bereiche aufzuteilen. Moralische Verpflichtungen können nicht von vornherein als unnütz abgetan werden, wenn es um die Würde der Person geht in den Bereichen des Lebens im allgemeinen sowie der Erziehung, der Gesundheit, der Arbeit, der Wirtschaft und der Hilfe für die Schwächsten und Schwächeren im besonderen. Dies ist vor allem hervorzuheben angesichts fortschreitender Errungenschaften in Wissenschaft und Technik.

Als Christen sind wir uns bewußt, daß das Konzept vom Menschen und die Anforderungen an den Menschen ein Ideal darstellt, das wir mit Gottes Hilfe anstreben, gerade dann, wenn menschliche Schwachheit und Fehlerhaftigkeit im Wege stehen.

Menschliche Unvollkommenheit in Demut anerkennen impliziert jedoch nicht, auf das Streben nach dem Ideal zu verzichten. Anerkennen, daß es viele Überschreitungen im moralischen Bereich gibt, rechtfertigt nicht die Amoralität. Es muß uns darum gehen, die wahre Größe des Menschen zu verteidigen, wobei kein Lebensbereich ausgeklammert werden darf. In diesem Zusammenhang ist auf den Stellenwert von Ehe und Familie für die Gesellschaft hinzuweisen. Mit großer Genugtuung habe ich festgestellt, daß in einigen Diözesen, vor allem im Bereich der Diözese Stockholm, ausgesprochen positive Symptome und Tendenzen bezüglich einer Rückkehr zu den die Familie tragenden Werten zu beobachten sind. Wirtschaftliche, soziale und hedonistische Gesichtspunkte dürfen das Wachsen der Familien und ihren Wunsch, neues Leben zu schenken, nicht behindern.

Im Bereich der Diözese Stockholm ist diesem Aspekt weitgehend Rechnung getragen worden, insofern dort eine neue Kinderfreundlichkeit zu beobachten ist.

Das II. Vatikanische Konzil hat treffend erklärt: ”Alle Mitglieder der Familie haben, jedes nach seinen eigenen Gaben, die Gnade und Verantwortung, täglich personale Gemeinschaft aufzubauen und dabei aus der Familie eine "Schule reich entfalteter Humanität" zu machen“.

Auch die Familie steht immer im Spannungsfeld zwischen Ist–Zustand und Idealbild, wie ich im Apostolischen Schreiben ”Familiaris consortio“ betont habe: ”Die Familiengemeinschaft kann nur mit großem Opfergeist bewahrt und vervollkommnet werden. Sie verlangt in der Tat eine hochherzige Bereitschaft aller und jedes einzelnen zum Verstehen, zur Toleranz, zum Verzeihen, zur Versöhnung. Jede Familie weiß, wie Ichsucht, Zwietracht, Spannungen und Konflikte ihre Gemeinschaft schwer verletzen und manchmal tödlich treffen: daher die vielfachen und mannigfaltigen Formen von Spaltung im Familienleben. Aber gleichzeitig ist jede Familie immer vom Gott des Friedens gerufen, die frohe und erneuernde Erfahrung der "Versöhnung" zu machen, der wiederhergestellten Gemeinschaft, der wiedergefundenen Einheit“.

Der Schutz der Familie als Keimzelle der Gesellschaft ist Eurer besonderen pastoralen Sorge anvertraut. Religiös und oft auch zivilrechtlich irreguläre Verbindungen, wie die sogenannte Ehe auf Probe und freie Verbindungen, schaden der Institution Familie. Dennoch bedürfen auch jene Mitmenschen unserer seelsorglichen Betreuung, ebenso wie die wiederverheirateten Geschiedenen. Allerdings muß bei der Betreuung der letzteren die kirchenrechtliche Ordnung eingehalten werden.

5. Eure Berichte geben ein beredtes Zeugnis davon, wie Ihr versucht, zusammen mit Euren Priestern, Ordensleuten und Gläubigen am Aufbau der Kirche zu wirken, und dies trotz relativ begrenzter Mittel. Mein besonderer Dank gilt Euch und allen im Bereich der Jugendarbeit und der Erziehung Tätigen für ihr aufopferungsvolles Apostolat.

Die Berufungen zum Priestertum sind in Euren Diözesen zufriedenstellend. ln diesem Zusammenhang darf ich mit großer Genugtuung das Seminar für Philosophie in Stockholm erwähnen, das zu berechtigten Hoffnungen Anlaß gibt. Ferner habe ich mit außerordentlicher Freude die Errichtung des Schwedischen Kollegs in Rom für die Studenten der Theologie und für eventuelle Spezialisierungen zur Kenntnis genommen. Auf diese Weise besteht der Vorteil, daß sich die künftigen Priester bereits gegenseitig gut kennen, wenn sie ihren Dienst beginnen.

Was die weiblichen Ordensgemeinschaften betrifft, gibt es Berufungen im kontemplativen Bereich, während bei den sogenannten tätigen Gemeinschaften zweifellos ein Mangel an Berufungen vorliegt. Deswegen ersuche ich Euch und Eure Gläubigen inständig, in Eurem pastoralen Eifer und im Gebet für geistliche Berufe zu verharren.

6. Im sozialen Bereich möchte ich all das unterstreichen, was Ihr tut, um den Geist der Solidarität und des Dienstes zu fördern. Das Evangelium ermuntert alle Jünger Christi dazu. Wir dürfen uns nicht dem Schicksal ergeben und zusehen, wie zu viele Schwestern und Brüder unter Not und Elend leiden. Für die Solidarität mit den Mitmenschen in den Ländern Mittel–und Osteuropas sowie in der Dritten Welt danke ich Euren Gläubigen von Herzen; sie geben damit ein hervorragendes Beispiel moralischer Verantwortung für den Nächsten.

Auch die einzelnen Caritas-Verbände leisten eine sehr gute Arbeit, vor allem auch innerhalb Eurer Länder auf dem Gebiet der Hilfe für Flüchtlinge und Obdachlose. Unser Mitbruder im Bischofsamt Mons. Kenney ist seit einem Jahr auch als Präsident der Europäischen Caritas tätig.

Zugleich darf ich Euch ermutigen, in Eurem Engagement fortzufahren und vor allem den jungen Menschen die Hoffnung auf eine gute Zukunft durch eine qualifizierte Ausbildung zu vermitteln sowie den Erwachsenen tragfähige Lebensbedingungen zu sichern. Die Behinderten, die Alten und die Kranken bedürfen unserer besonderen Aufmerksamkeit, ebenso die ausländischen Mitbürger. Nur so kann eine wahrhaft menschliche Gesellschaft entstehen. Die Soziallehre der Kirche ermutigt alle Gläubigen und Menschen guten Willens, ihren Schwestern und Brüdern zu dienen.

7. Seit dem 23. Oktober 1988 hat die Kirche in den nordischen Ländern einen neuen Seligen: Niels Stensen. Er war durch sein Beispiel sowie durch Wort und Schrift für viele Menschen ein Halt in ihrem Leben. Sein starkes Vertrauen in die Führung der göttlichen Vorsehung in allen Lebenslagen sei Euch und allen Eurer Sorge Anvertrauten Vorbild und Ermutigung zugleich. Er führe und beschütze Euch in der Ausübung Eurer Verantwortung in der Leitung der Gemeinschaft der Gläubigen; denn die Letztverantwortung in der Leitung der Diözese liegt immer beim Bischof.

Mit Euch bitte ich den Herrn für die Diözesen und Jurisdiktionsbereiche, die Euch anvertraut sind, und erflehe die Fürsprache der Heiligen Eurer Länder. Von Herzen erteile ich Euch, den Priestern, Diakonen und Ordensleuten sowie allen Gläubigen meinen Apostolischen Segen.

 

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