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INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION

THEOLOGIE HEUTE:
PERSPEKTIVEN, PRINZIPIEN UND KRITERIEN

 

 

INHALT


Einleitung
 

Kapitel 1           
Auf Gottes Wort hören

1. Der Primat des Wortes Gottes
2. Glaube, die Antwort auf Gottes Wort
3. Theologie, das Verstehen des Glaubens

Kapitel 2            
In der Gemeinschaft der Kirche bleiben

1.   Das Studium der Schrift als Seele der Theologie
2.   Treue zur apostolischen Tradition
3.   Aufmerksamkeit für den sensus fidelium
4.   Verantwortete Verbundenheit mit dem kirchlichen Lehramt
5.   In der Gemeinschaft der Theologen
6.   Im Dialog mit der Welt

Kapitel 3            
Für die Wahrheit Gottes Zeugnis ablegen

1.   Die Wahrheit Gottes und die Rationalität der Theologie
2.   Die Einheit der Theologie in der Vielfalt der Methoden und Disziplinen
3.   Wissenschaft und Weisheit

Schluss

 

VORBEMERKUNG

Die Studie zum Stellenwert der Theologie ist von der Internationalen Theologenkommission bereits in ihrer Fünfjahres-Periode von 2004-2008 begonnen worden. Die Arbeit wurde von einer Unterkommission geleistet, die unter der Leitung von Prof. Santiago del Cura Elena stand. Mitglieder waren Erzbischof Bruno Forte, Erzbischof Savio Hon Tai-Fai, S.D.B und die Professoren Antonio Castellano, S.D.B., Tomislav Ivancic, Thomas Norris, Paul Rouhana, Leonard Santedi Kinkupu, Jerzy Szymik und Thomas Söding.

Da die Unterkommission keine Möglichkeit hatte, ihre Arbeit mit der Publikation eines Dokumentes abzuschließen, wurde die Studie in der darauffolgenden fünfjährigen Arbeitsphase wieder aufgenommen, auf der Basis der bereits geleisteten Arbeit. Zu diesem Zweck wurde eine neue Unterkommission unter dem Vorsitz von Prof. Paul McPartlan gebildet. Mitglieder sind Bischof Jan Liesen und die Professoren Serge Thomas Bonino, O.P., Antonio Castellano, S.D.B., Adelbert Denaux, Tomislav Ivancic, Leonard Santedi Kinkupu, Jerzy Szymik, Sr. Sarah Butler, M.S.B.T., und Thomas Söding.

Von 2004 bis 2011 wurde das Thema während zahlreicher Treffen der Unterkommission und der Plenarsitzungen der Internationalen Theologenkommission in Rom eingehend diskutiert. Der vorliegende Text wurde am 29. November 2011 in forma specifica angenommen und dem Vorsitzenden der Internationalen Theologenkommission, Kardinal William Levada, Präfekt der Glaubenskongregation vorgelegt, der die Veröffentlichung autorisiert hat.

Einleitung

1. Die auf das Zweite Vatikanische Konzil folgenden Jahre sind für die Katholische Theologie außerordentlich fruchtbar gewesen. Neue theologischen Stimmen, speziell die der Laien und Frauen, sind laut geworden; Theologien aus neuen kulturellen Kontexten, insbesondere aus Lateinamerika, Afrika und Asien, sind entstanden; neue Themen sind auf die Tagesordnung gesetzt worden: Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, Ökologie und Bioethik; dank neuer Erkenntnisse auf dem Gebiet der biblischen, liturgischen, patristischen Theologie und im Bereich der Mittelalterstudien sind bekannte Themen vertieft bearbeitet worden; im Bereich des ökumenischen, inter-religiösen und inter-kulturellen Dialogs ist eine neue, tiefer gehende Ebene der Reflexion entstanden. All das sind fundamental positive Entwicklungen. Die Katholische Theologie ist bestrebt, dem Weg zu folgen, den das Konzil gewiesen hat, als es seine „Verbundenheit, Achtung und Liebe gegenüber der ganzen Menschheitsfamilie“ auszudrücken wünschte, in dem es in einen Dialog mit ihr eintritt und „jene Heilskräfte bietet, die die Kirche selbst, vom Heiligen Geist geleitet, von ihrem Gründer empfängt“.[1]           
Allerdings ist die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch durch eine gewisse Zersplitterung der Theologie gekennzeichnet gewesen; im gerade erwähnten Dialog steht die Theologie immer auch vor der Herausforderung, ihre Identität zu wahren. Es erhebt sich daher die Frage, was das Charakteristikum der Katholischen Theologie ausmacht und was ihr – in und durch ihre vielen Formen – einen klaren Sinn für ihre Wesen in ihrem Engagement in der Welt heute verleiht.

2. Die Kirche bedarf entschieden eines gemeinsamen Diskurses, wenn sie die eine Botschaft von Christus der Welt vermitteln will, sowohl theologisch wie pastoral. Es ist daher legitim, von der Notwendigkeit einer bestimmten Einheit der Theologie zu sprechen. Allerdings muss man mit dem Begriff der Einheit umsichtig umgehen; man darf sie nicht mit Uniformität oder der Festlegung auf einen bestimmten Stil verwechseln. Die Einheit der Theologie muss, wie die Einheit der Kirche, die wir im Apostolischen Glaubensbekenntnis bekennen, eng mit dem Gedanken der Katholizität verbunden sein, ebenso wie mit dem Gedanken der Heiligkeit und Apostolizität.[2] Die Katholizität der Kirche leitet sich von Christus selbst her, der der Retter der ganzen Welt und aller Menschen ist (vgl. Eph 1,3-10; 1Tim 2,3-6). Die Kirche ist daher in jeder Kultur und jedem Land zuhause und will „alles sammeln, um alles zu weihen, alles zu retten.“[3] Die Tatsache, dass es einen Erlöser gibt, zeigt, dass es eine notwendige Verbindung zwischen Katholizität und Einheit gibt. Da die Theologie das unerschöpfliche Geheimnis Gottes und die Vielzahl der Wege erforscht, auf denen Gottes Gnade die Erlösung wirkt, nimmt sie auch notwendigerweise eine Vielzahl von Formen an. Obwohl sich die Erforschung der einen Wahrheit, des dreieinen Gottes und des einen Heilsplanes, auf den einen Herrn Jesus Christus konzentriert, muss diese Vielfalt mehrere unterschiedliche Wesenszüge ausbilden.

3. Die Internationale Theologenkommission hat die verschiedenen Aspekte der theologischen Aufgabenstellung in früheren Texten erörtert, besonders in „Die Einheit des Glaubens und der theologische Pluralismus“ (1972), „Lehramt und Theologie“ (1975) und „Die Interpretation der Dogmen“ (1990)[4]. Der vorliegende Text versucht, charakteristische Merkmale der Katholischen Theologie aufzuzeigen.[5] Er reflektiert grundlegende Perspektiven und Prinzipien der Katholischen Theologie, und er liefert Kriterien, mit Hilfe derer erkannt werden kann, weshalb unterschiedliche und vielseitige Theologien authentisch katholisch sind und an der Sendung der Katholischen Kirche teilhaben, die darin besteht, die Gute Nachricht Menschen aller Nationen, Stämme, Völker und Sprachen zu verkünden (vgl. Mt 28,18-20; Offb 7,9), damit alle die Stimme des einen Herrn hören und sie alle eine Herde des einen Hirten werden (vgl. Joh 10,16). Diese Sendung hat zur Voraussetzung, dass es in der Katholischen Theologie sowohl die Verschiedenheit in der Einheit als auch die Einheit in der Verschiedenheit gibt. Die Katholischen Theologien müssen als katholisch erkennbar sein, sich gegenseitig unterstützen und füreinander Verantwortung unternehmen, so wie die Christen ihrerseits es in der Gemeinschaft der Kirche zur Ehre Gottes tun.           
Der vorliegende Text besteht aus drei Kapiteln, die sich mit folgenden Themen befassen: In der reichen Vielfalt ihrer Ausdrücke, Protagonisten, Ideen und Kontexte ist die Theologie katholisch und somit fundamental eine,

·        insofern sie sich aus dem aufmerksamen Hören auf Gottes Wort herleitet (vgl. Kap.1);

·        insofern sie ihren Ort bewusst und treu in der Gemeinschaft der Kirche hat (vgl. Kap. 2);

·        insofern sie sich am Dienst an Gott in der Welt orientiert, indem sie allen Männern und Frauen der heutigen Zeit die göttliche Wahrheit in verständlicher Form vermittelt (vgl. Kap. 3).

Kapitel 1:       
Auf Gottes Wort hören

4. „Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun (vgl. Eph 1,9): dass die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur (vgl. Eph 2,18; 2Petr 1,4)“.[6] „Das Neue der biblischen Offenbarung besteht darin, dass Gott sich im Dialog zu erkennen gibt, den er mit uns führen möchte.[7]Die Theologie ist - in all ihren verschiedenen Traditionen, Disziplinen und Methoden – gegründet auf den fundamentalen Akt des gläubigen Hörens auf das offenbarte Wort Gottes – Christus selbst. Auf Gottes Wort zu hören ist das entscheidende Prinzip der Katholischen Theologie; es führt zum Verstehen und Sprechen und zur Bildung der christlichen Gemeinschaft: „Die Kirche gründet in der Tat auf dem Wort Gottes, sie entsteht und lebt aus ihm.“[8] „Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt. Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit dem Sohn Jesus Christus“ (1Joh 1,3). Die ganze Welt soll die Berufung zur Erlösung hören, „damit die ganze Welt im Hören auf die Botschaft des Heiles glaubt, im Glauben hofft und in der Hoffnung liebt.“[9]

5. Theologie ist die wissenschaftliche Reflexion über die göttliche Offenbarung, die die Kirche im Glauben als universal rettende Wahrheit annimmt. Die ganze Fülle und der Reichtum dieser Offenbarung sind zu groß, um von nur einer einzigen Theologie erfasst zu werden. Tatsächlich ist diese Offenbarung Quelle für so viele verschiedene Theologien, wie sie in unterschiedlicher Weise von Menschen rezipiert wird. In ihrer Vielfalt ist die Theologie jedoch vereint im Dienst an der einen Wahrheit Gottes. Die Einheit der Theologie fordert jedoch keine Uniformität, sondern eine Konzentration auf Gottes Wort und eine Erklärung seines unermesslichen Reichtums durch Theologien, die miteinander kommunizieren und im Dialog stehen. Umgekehrt darf die Vielfalt der Theologien nicht Bruch oder Missklang hervorrufen, sondern muss die unzähligen Wege entdecken lassen, die Gottes einzig rettende Wahrheit nimmt.

1.   Der Primat des Wortes Gottes

6. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott“ (Joh 1,1). Das Johannesevangelium beginnt mit einem „Prolog“. Dieser Hymnus betont die kosmische Reichweite der Erlösung und den Höhepunkt der Erlösung in der Fleischwerdung des Wortes Gottes. „Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen“ (Joh 1,3-4).[10] Schöpfung und Geschichte machen Raum und Zeit aus, in denen sich Gott selbst offenbart. Die Welt, die von Gott durch sein Wort erschaffen wurde (vgl. Gen 1), ist gleichzeitig der Hintergrund für die Ablehnung Gottes durch die Menschen. Dennoch, Gottes Liebe zu den Menschen ist immer unendlich viel größer. „Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ (Joh 1,5). Die Menschwerdung des Sohnes ist der Höhepunkt jener unerschütterlichen Liebe: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.“ (Joh 1,14) Die Offenbarung Gottes als Vater, der die Welt liebt (vgl. Joh 3,16.35), ist verwirklicht in der Offenbarung des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus, des Sohnes Gottes, des „Erlösers der Welt“ (Joh 4,42). „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst durch die Propheten gesprochen; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat. (Hebr 1,1-2) „Niemand hat Gott je gesehen. Der einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18).

7. Die Kirche verehrt in hohem Maße die Heilige Schrift, aber es ist wichtig zu erkennen, dass der „christliche Glaube nicht eine ‚Buchreligion‘ ist; das Christentum ist die ‚Religion des Wortes Gottes‘, nicht ‚eines schriftlichen, stummen Wortes, sondern des menschgewordenen, lebendigen Wortes‘.[11]Das Wort Gottes wird fundamental bezeugt durch die Heilige Schrift, sowohl des Alten wie des Neuen Testaments.[12] Die Schriften sind „von Gott eingegeben und ein für alle Male niedergeschrieben“, deshalb vermitteln „sie das Wort Gottes selbst unwandelbar“ und lassen „in den Worten der Propheten und der Apostel die Stimme des Heiligen Geistes vernehmen“[13]. Tradition ist die getreue Überlieferung des Wortes Gottes, bezeugt durch die Propheten und Apostel im Kanon der Schrift und in der Liturgia, Martyria und Diakonia der Kirche.

8. Nach dem Hl. Augustinus wurde das Wort Gottes von inspirierten Verfassern gehört und mit ihren Worten überliefert: „Gott spricht durch Menschen nach Menschenart, weil er, so redend, uns sucht“.[14] Der Heilige Geist inspirierte nicht nur die biblischen Verfasser, die richtigen Worte des Zeugnisses zu finden, sondern hilft auch den Leserinnen und Lesern der Bibel jeden Alters, das Wort Gottes in den menschlichen Worten der Heiligen Schrift zu verstehen. Die Beziehung zwischen Schrift und Tradition ist in der Wahrheit verwurzelt, die Gott in seinem Wort zu unserer Erlösung offenbart: „… von den Büchern der Schrift (ist) zu bekennen, dass sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte.“[15] Durch die Jahrhunderte hindurch führt der Heilige Geist „die Gläubigen in alle Wahrheit ein und lässt das Wort Christi in Überfülle unter ihnen wohnen.“[16] „Das Wort Gottes schenkt sich uns in der Heiligen Schrift als inspiriertes Zeugnis der Offenbarung, die mit der lebendigen Überlieferung der Kirche die höchste Richtschnur des Glaubens darstellt.[17]

9. Ein Kriterium Katholischer Theologie ist die Erkenntnis des Primates des Wortes Gottes. Gott spricht „in vielen und verschiedenen Weisen“ – in der Schöpfung, durch die Propheten und Weisen, durch die heiligen Schriften und definitiv durch Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi, des fleischgewordenen Wortes (vgl. Hebr 1,1-2).

2.   Glaube, die Antwort auf Gottes Wort

10. Paulus schreibt in seinem Brief an die Römer: „So gründet der Glaube in der Botschaft, die Botschaft im Wort Christi“ (Röm 10,17). Paulus trifft hier zwei wichtige Feststellungen. Auf der einen Seite erklärt er, dass sich der Glaube aus dem Hören von Gottes Wort herleitet, immer „in der Kraft des Geistes Gottes“ (Röm 15,19). Auf der anderen Seite erklärt er die Wege, auf denen das Wort Gottes das Ohr der Menschen erreicht: grundlegend durch diejenigen, die ausgesandt worden sind, um das Wort zu verkünden und Glauben zu wecken (vgl. Röm 10,14-15). Daraus folgt, dass das Wort Gottes für alle Zeit und authentisch auf dem Fundament der Apostel (vgl. Eph 2,20-22) und in der apostolischen Sukzession (vgl. 1Tim 4,6) verkündet werden kann.

11. Da Jesus Christus, das fleischgewordene Wort „zugleich der Mittler und die Fülle der ganzen Offenbarung ist“[18], ist die Antwort, nach der das Wort sucht, nämlich der Glaube, ebenso personal. Durch den Glauben vertrauen die Menschen sich ganz Gott an, in einem Akt, der die vollständige Unterwerfung des Verstandes und Willens unter den Gott, der offenbart, nach sich zieht.[19] „Der Gehorsam des Glaubens“ (Röm 1,5) ist somit etwas Personales. Durch den Glauben öffnen die Menschen ihr Ohr, um auf Gottes Wort zu hören, und öffnen ihren Mund, um zu beten und Gott zu loben. Sie öffnen ihr Herz, um Gottes Liebe zu empfangen, die in sie ausgegossen ist durch die Gabe des Heiligen Geistes (vgl. Röm 5,5), und sie „werden reich an Hoffnung in der Kraft des Heiligen Geistes“ (Röm 15,13), einer Hoffnung, „die nicht zugrunde gehen lässt“ (Röm 5,5). Deshalb kann lebendiger Glaube so verstanden werden, dass er Hoffnung und Liebe umfasst. Paulus betont darüber hinaus, dass der Glaube, der durch Gottes Wort hervorgerufen wird, in den Herzen der Menschen wohnt und zu einem Bekenntnis führt: „denn wenn du mit deinem Mund bekennst: ‚Jesus ist der Herr‘ und in deinem Herzen glaubst: ‚Gott hat ihn von den Toten auferweckt‘, so wirst du gerettet werden. Wer mit dem Herzen glaubt und dem Mund bekennt, wird Gerechtigkeit und Heil erlangen“ (Röm 10,9-10).

12. Glaube ist also eine Erfahrung Gottes, die seine Kenntnis nach sich zieht; denn die Offenbarung gewährt Zugang zu Gottes Wahrheit, die uns rettet (vgl. 2Tim 2,13) und uns befreit (vgl. Joh 8,32). Paulus schreibt an die Galater, die zum Glauben gekommen sind: „Jetzt, da ihr Gott erkannt habt, vielmehr von Gott erkannt worden seid, …“ (Gal 4,9; vgl. 1Joh 4,16). Ohne Glauben ist es unmöglich, Einsicht in die Wahrheit zu gewinnen; denn sie ist von Gott offenbart worden. Die von Gott offenbarte und im Glauben angenommene Wahrheit ist aber nicht irrational. Vielmehr führt sie zum „wahren und angemessenen Gottesdienst“ (logike latreia), von dem Paulus sagt, dass er die Erneuerung des Denkens mit sich bringt (vgl. Röm 12,1-2). Dass Gott existiert und der eine ist, der Schöpfer und Herr der Geschichte, kann man mithilfe des Verstandes aus den Werken der Schöpfung erkennen, gemäß einer langen Tradition sowohl des Alten (vgl. Weish 13,1-9) wie auch des Neuen Testaments (vgl. Röm 1,18-23).[20] Aber nur durch den Glauben kann man wissen, dass Gott sich selbst offenbart hat durch die Fleischwerdung, das Leben, den Tod und die Auferstehung seines Sohnes zum Heil der Welt (vgl. Joh 3,16) und dass Gott im Innersten Vater, Sohn und Heiliger Geist ist.

13. Glaube ist sowohl ein Akt des Vertrauens als auch des Bekennens. Fides quae und Fides qua sind untrennbar miteinander verbunden; denn Vertrauen ist die Zustimmung zu einer Botschaft mit einem klaren Inhalt, und das Bekenntnis kann nicht auf ein reines Lippenbekenntnis reduziert werden, sondern muss aus dem Herzen kommen. Glaube ist eine Wirklichkeit, die sowohl tief personal wie ekklesial ist. Wenn Christen ihren Glauben bekennen, sagen sie sowohl: „Ich glaube“, als auch: „Wir glauben“. Glaube wird in der koinonia des Heiligen Geistes (vgl. 2Kor 13,13) bekannt, die alle Glaubenden mit Gott und untereinander verbindet (vgl. 1Joh 1,1-3) und ihren höchsten Ausdruck in der Eucharistie erfährt (vgl. 1Kor 10,16-17). Glaubensbekenntnisse haben sich in der Gemeinschaft der Glaubenden von frühester Zeit an entwickelt. Alle Christen sind berufen, ein persönliches Glaubenszeugnis abzulegen, während die Glaubensbekenntnisse es der Kirche als ganzer ermöglichen, ihren Glauben zu bekennen. Dieses Bekenntnis entspricht der Lehre der Apostel, dem Evangelium, in dem die Kirche steht und durch das die Gläubigen gerettet werden (vgl. 1Kor 15,1-11).

14. „Es gab aber auch falsche Propheten im Volk; so wird es auch bei euch falsche Lehrer geben. Sie werden verderbliche Irrlehren verbreiten“ (2Petr 2,1)[21]. Das Neue Testament zeigt ganz deutlich, dass von den ersten Anfängen der Kirche an bestimmte Menschen eine häretische Interpretation des Glaubens vertreten haben – eine Interpretation, die der apostolischen Tradition widerspricht. Im Ersten Johannesbrief ist die Trennung von der Gemeinschaft der Liebe ein Indikator falschen Lehrens (vgl. 1Joh 2,18-19). Eine Häresie verzerrt also nicht nur das Evangelium, sondern beschädigt auch die kirchliche Gemeinschaft. „Häresie nennt man die nach Empfang der Taufe erfolgte beharrliche Leugnung einer mit göttlichem und katholischem Glauben zu glaubenden Wahrheit oder einen beharrlichen Zweifel an einer solchen Glaubenswahrheit.“[22] Diejenigen, die solch eines Widerstandes gegen die Lehren der Kirche schuldig sind, setzen ihr eigenes Urteil an die Stelle des Gehorsams gegenüber dem Wort Gottes (den formalen Grund des Glaubens), die fides qua. Jede Häresie ruft in Erinnerung, dass die Gemeinschaft der Kirche in ihrer Integrität nur auf der Basis des Katholischen Glaubens gesichert ist und die Kirche zu einer noch tiefer gehenden Suche nach Wahrheit in der Gemeinschaft drängt.

15. Ein Kriterium Katholischer Theologie ist, dass sie den Glauben der Kirche als Quelle, Kontext und Norm annimmt. Die Theologie hält fides qua und fides quae zusammen. Sie erklärt die Lehre der Apostel, die Gute Nachricht über Jesus Christus „gemäß der Schrift“ (1Kor 15,3), als Regel und Ansporn für den Glauben der Kirche.

3.   Theologie – das Verstehen des Glaubens

16. Der Akt des Glaubens – als Antwort auf Gottes Wort – öffnet den Verstand des Glaubenden für neue Horizonte. Paulus schreibt: „Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi“ (2Kor 4,6). In diesem Licht betrachtet der Glaube die ganze Welt auf eine neue Weise, er sieht sie genauer, weil er, befähigt durch den Heiligen Geist, Anteil an Gottes eigener Perspektive gewinnt. Aus diesem Grund lädt Augustinus jeden ein, der die Wahrheit sucht, „zu glauben um zu verstehen (crede ut intelligas)“.[23] Wir haben „den Geist, der aus Gott stammt“, empfangen, sagt Paulus, „damit wir das erkennen, was uns von Gott geschenkt worden ist“ (1Kor 2,12). Durch diese Gabe werden wir in ein Verstehen Gottes selbst hineingezogen; „der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes.“ (1Kor 2,10). Indem er uns lehrt, dass wir „den Geist Christi“ haben (1Kor 2,16), gibt Paulus zu verstehen, dass wir durch Gottes Gnade teilhaben an Christi eigener Kenntnis des Vaters, und dadurch auch an Gottes Kenntnis seiner selbst.

17. Die Gläubigen sind durch ihren Glauben im Besitz des „unergründlichen Reichtums Christi“ (Eph 3,8); sie suchen noch voller zu verstehen, was sie glauben, indem sie ihn in ihren Herzen bewegen (vgl. Lk 2,19). Vom Geist geführt und unter Aufwendung ihres ganzen Verstandes streben sie danach, den klaren Inhalt des Wortes Gottes in sich aufzunehmen, so dass es Licht und Nahrung für ihren Glauben werden kann. Sie erbitten von Gott, dass sie „in aller Weisheit und Einsicht, die der Geist schenkt, den Willen des Herrn ganz“ erkennen (Kol 1,9). Dies ist der Weg, den Glauben zu verstehen (intellectus fidei). Wie Augustinus erklärt, entfaltet sich dieses Verstehen aus der ganzen Dynamik des Glaubens: „Derjenige, der durch wahren Verstand jetzt das versteht, was er vorher nur geglaubt hat, ist sicher dem vorzuziehen, der immer noch das verstehen will, was er glaubt; aber wenn man das Verlangen nicht hat und denkt, dass man nur die Dinge glauben kann, die man nicht versteht, dann missversteht man den eigentlichen Zweck des Glaubens.“[24] Diese Arbeit am Verstehen des Glaubens gibt ihm im Gegenzug Nahrung und ermöglicht es ihm, zu wachsen.[25] So sind „Glaube und Vernunft wie die beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt.“[26] Der Weg des intellectus fidei ist der Pfad vom Glauben, der seine Quelle und sein dauerndes Prinzip ist, zum Sehen in Herrlichkeit (die selige Schau, vgl. 1Joh 3,2), zu dessen Antizipation der intellectus fidei gehört.

18. Der intellectus fidei nimmt im Leben der Kirche und in der Gemeinschaft der Glaubenden verschiedene Formen an in Übereinstimmung mit den verschiedenen Gaben der Gläubigen (lectio divina, Meditation, Predigt, Theologie als Wissenschaft usw.). Er wird Theologie im eigentlichen Sinn, wenn der Gläubige es unternimmt, sich den Inhalt des christlichen Geheimnisses in einer rationalen und wissenschaftlichen Weise zu vergegenwärtigen. Theologie ist deshalb scientia Die, insofern sie eine rationale Teilhabe an dem Wissen ist, das Gott von sich selbst und allen Dingen hat.

19. Ein Kriterium Katholischer Theologie, speziell als Glaubenswissenschaft, ist der Glaube, der zu verstehen sucht (fides quaerens intellectum).[27] Er hat eine rationale Dimension. Theologie strebt danach, zu verstehen, was die Kirche glaubt, warum sie glaubt und was sub specie Dei gewusst werden kann. Als scientia Dei zielt die Theologie darauf, in einer rationalen und systematischen Weise die Heilswahrheit Gottes zu verstehen.

Kapitel 2
In der Gemeinschaft der Kirche bleibe
n

20. Der angemessene Ort für die Theologie ist innerhalb der Kirche, die durch das Wort Gottes zusammengekommen ist. Die Kirchlichkeit der Theologie ist ein konstitutiver Aspekt der Aufgabe der Theologie, weil sie auf Glauben gegründet ist, und der Glaube sowohl personal wie ekklesial ist. Die Offenbarung Gottes richtet sich auf das Zusammenrufen und die Erneuerung des Volkes Gottes. Durch die Kirche erhalten die Theologen den Gegenstand ihrer Forschung. Was die Katholische Theologie betrifft, hat es beträchtliche Reflexionen über die „loci“ der Theologie gegeben, d.h. die grundlegenden Bezugspunkte für die theologische Aufgabe.[28] Es ist wichtig, nicht nur die „loci“ zu kennen, sondern auch ihre Gewichtung und die Beziehung untereinander.

1.   Das Studium der Schrift als Seele der Theologie

21. Das „Studium des Heiligen Buches“ ist „gleichsam die Seele der Theologie“.[29] Dies ist die zentrale Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Theologie. Papst Benedikt XVI. wiederholt: „Wo die Theologie nicht wesentlich Auslegung der Schrift in der Kirche ist, hat die Theologie kein Fundament mehr“.[30] Theologie muss schriftgemäß sein, und die Schriften müssen alle theologische Arbeit unterstützen und begleiten, weil die Theologie mit „der Wahrheit des Evangeliums“ (Gal 2,5) befasst ist; sie kann diese Wahrheit nur erkennen, wenn sie das normative Zeugnis im Kanon der Heiligen Schrift untersucht[31] und die menschlichen Worte der Bibel zum lebendigen Wort Gottes in Beziehung setzt. „Die katholischen Exegeten dürfen bei ihrer Interpretationsarbeit nie vergessen, dass sie das Wort Gottes auslegen … Das Ziel ihrer Arbeit ist erst erreicht, wenn sie den Sinn des biblischen Textes als gegenwartsbezogenes Wort Gottes erfasst haben.“[32]

22. Dei Verbum sieht die Aufgabe der Exegese darin festzustellen, „was Gott uns mitteilen wollte“.[33] Um die Bedeutung biblischer Texte zu verstehen und zu erklären,[34] muss sie sich aller angemessenen philologischen, historischen und literarischen Methoden bedienen, mit dem Ziel, die Heilige Schrift in ihrem Kontext und ihrer Zeit zu erklären und zu verstehen. So wird die Historizität der Offenbarung methodologisch in Betracht gezogen. Dei Verbum 12 verweist insbesondere auf die Notwendigkeit, den literarischen Formen Aufmerksamkeit zu schenken: „Denn die Wahrheit wird je anders dargelegt und ausgedrückt in Texten von in verschiedenem Sinn geschichtlicher, prophetischer oder dichterischer Art, oder in anderen Redegattungen.“ Seit dem Konzil sind weitere Methoden entwickelt worden, die geeignet sind, Aspekte der Bedeutung der Schrift zu entfalten.[35] Dei Verbum 12 weist jedoch darauf hin, dass zur „Erkenntnis der göttlichen Dimension der Bibel“ und um eine wahrhaft „theologische“ Interpretation der Schrift zu erreichen „drei fundamentale Kriterien“ in Betracht gezogen werden müssen:[36] die Einheit der Schrift, das Zeugnis der Tradition und die Analogie des Glaubens.[37] Das Konzil bezieht sich auf die Einheit der Schrift, da die Bibel die vollständige Wahrheit von der Erlösung nur in ihrer vielfältigen Gänze bezeugt.[38] Die Exegese hat Methoden entwickelt, den Kanon der Schrift als Ganzen in den Blick zu nehmen, als hermeneutischen Bezugspunkt, um die Schrift auszulegen. So kann die Bedeutung bestimmt werden, die dem Ort und Inhalt der verschiedenen Bücher und Perikopen zukommt. Alles in allem, so lehrt das Konzil, muss die Exegese bestrebt sein, die biblischen Texte vor dem breiten Hintergrund des Glaubens und Lebens des Gottesvolkes zu lesen und zu interpretieren, der durch die Jahrhunderte hindurch vom Wirken des Heiligen Geistes getragen wird. Genau in diesem Kontext sucht die Exegese nach dem wörtlichen Sinn und öffnet sich dem spirituellen oder volleren Sinn (sensus plenior) der Schrift.[39] „Nur dort, wo beide methodologische Ebenen, die historisch-kritische und die theologische, berücksichtigt werden, kann man von einer theologischen Exegese sprechen, die allein der Heiligen Schrift angemessen ist“.[40]

23. Wenn Dei Verbum feststellt, dass das Studium der Heiligen Schrift die „Seele“ der Theologie ist, hat das Dokument alle theologischen Disziplinen im Sinn. Diese Gründung auf dem geoffenbarten Wort Gottes, so wie es durch Schrift und Tradition bezeugt wird, ist wesentlich für die Theologie. Ihre primäre Aufgabe ist es, Gottes Wahrheit als Heilswahrheit zu interpretieren. Weiter vorangetrieben durch das Zweite Vatikanische Konzil, strebt die Katholische Theologie danach, sich in ihrer gesamten Arbeit dem Wort Gottes und deshalb dem Zeugnis der Schrift zu widmen.[41] Deshalb sollen in theologischen Darlegungen „biblische Themen an erster Stelle stehen“, vor allem anderen.[42] Dieser Ansatz entspricht erneut demjenigen der Kirchenväter, die „in erster Linie und wesentlich „Kommentatoren der Heiligen Schrift“ waren[43]; er eröffnet die Möglichkeit ökumenischer Zusammenarbeit: „Das gemeinsame Hören und Meditieren der Schrift“ lässt „uns eine reale, wenn auch noch nicht volle Gemeinschaft leben …, denn das gemeinsame Hören der Schriften führt zum Dialog der Liebe und lässt den Dialog der Wahrheit wachsen“[44].

24. Ein Kriterium Katholischer Theologie ist, dass sie sich ständig auf das kanonische Zeugnis der Schrift bezieht und dass sie die Verankerung aller kirchlicher Lehre und Praxis in jenem Zeugnis fördern muss. Denn „wie die christliche Religion selbst, so muss auch jede kirchliche Verkündigung sich von der Heiligen Schrift nähren und sich an ihr orientieren.“[45] Die Theologie muss danach streben, die Heilige Schrift für die an Christus Glaubenden weit zu öffnen,[46] so dass die Gläubigen mit dem lebendigen Wort Gottes in Berührung kommen können (vgl. Hebr 4,12).

2.   Treue zur apostolischen Tradition

25. Die Apostelgeschichte beschreibt das Leben der frühen christlichen Gemeinde in einer Weise, die für die Kirche aller Zeiten grundlegend ist: „Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42; vgl. Offb 1,3). Diese kurze Beschreibung am Ende der Erzählung über das Pfingstfest, bei dem der Heilige Geist den Mund der Apostel zum Predigen öffnet und viele von denen, die ihnen zuhörten zum Glauben bringt, unterstreicht verschiedene wesentliche Aspekte des fortwährenden Wirkens des Heiligen Geistes in der Kirche. Dies ist eine Antizipation des Lehre und sakramentalen Lebens der Kirche, ihrer Spiritualität und ihrer Verpflichtung zur Nächstenliebe. All dies fand seinen Anfang in der Gemeinschaft der Apostel; die Weitergabe dieses ganzheitlichen Lebens im Heiligen Geist ist die apostolische Tradition. Lex orandi (das Gesetz des Gebetes), lex credendi (das Gesetz des Glaubens) und lex vivendi (das Gesetz des Lebens) sind alle wesentliche Aspekte dieser Tradition. Paulus bezieht sich auf die Tradition, in die er als Apostel eingebunden gewesen ist, wenn er davon spricht, zu „überliefern“, was er selbst „empfangen“ hat (1Kor 15,1-11; vgl. 1Kor 11,23-26).

26. Die Tradition ist daher etwas Lebendiges und Vitales, ein fortwährender Prozess, in dem die Einheit des Glaubens Ausdruck findet in der Vielfalt der Sprachen und der Unterschiedlichkeit der Kulturen. Sie hört auf Tradition zu sein, wenn sie versteinert. „Diese apostolische Überlieferung kennt in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt: es wächst das Verständnis der überlieferten Dinge und Worte durch das Nachsinnen und Studium der Gläubigen …; denn die Kirche strebt im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen, bis an ihr sich Gottes Worte erfüllen.“[47] Tradition geschieht in der Kraft des Heiligen Geistes, der, wie Jesus seinen Jüngern verheißen hat, die Kirche in alle Wahrheit führt (vgl. Joh 16,13), indem sie das Gedächtnis Jesu fest begründet (vgl. Joh 14,26), indem die Kirche treu zu ihren apostolischen Ursprüngen steht und damit die sichere Überlieferung des Glaubens ermöglicht und so die immer neue Präsentation des Evangeliums unter der Anleitung der Hirten, die die Nachfolger der Apostel sind, vorantreibt.[48] Vitale Bestandteile der Tradition sind deshalb: ein ständig erneuertes Studium der Heiligen Schrift, Gottesdienst, Aufmerksamkeit für das, was die Glaubenszeugen über die Jahrhunderte gelehrt haben, Katechese zur Förderung des Wachstums im Glauben, praktische Gottes- und Nächstenliebe, strukturiertes kirchliches Amt, und der Dienst, der durch das Lehramt dem Wort Gottes zuteilwird. „Was von den Aposteln überliefert wurde, umfasst alles, was dem Volk Gottes hilft, ein heiliges Leben zu führen und den Glauben zu mehren. So führt die Kirche in Lehre, Leben und Kult durch die Zeiten weiter und übermittelt allen Geschlechtern alles, was sie selber ist, alles, was sie glaubt.“[49]

27. „Die Aussagen der heiligen Väter bezeugen die lebenspendende Gegenwart dieser Überlieferung, deren Reichtümer sich in Tun und Leben der glaubenden und betenden Kirche ergießen.“[50] Weil die Kirchenväter sowohl des Ostens wie des Westens eine einzigartige Stellung einnehmen in der „getreuen Überlieferung und Erläuterung“ der geoffenbarten Wahrheit[51], sind ihre Schriften ein spezifischer Bezugspunkt (locus) für die Katholische Theologie. Die Tradition, die den Kirchenvätern bekannt war und von ihnen gelebt worden ist, war facettenreich und sehr lebendig, wie man aus der Pluralität der liturgischen Familien und aus den spirituellen und exegetisch-theologischen Traditionen erkennen kann (z.B. in den Schulen von Alexandria und Antiochien), eine Vielfalt, die fest in dem einen Glauben verankert und vereint ist. Während der hauptsächlichen theologischen Kontroversen des 4. und 5. Jahrhunderts war die Übereinstimmung einer Lehrmeinung mit dem Konsens der Kirchenväter - oder auch deren Fehlen – in Beweis für Orthodoxie oder Häresie.[52] Für Augustinus war das vereinte Zeugnis der Kirchenväter die Stimme der Kirche.[53] Die Konzile von Chalkedon und Trient begannen ihre feierlichen Erklärungen mit der Formel: „Den Heiligen Vätern folgend….“[54]und das Konzil von Trient und das Erste Vatikanische Konzil stellten deutlich heraus, dass der „einmütige Konsens“ der Kirchenväter ein sicherer Weg für die Interpretation der Heiligen Schrift ist.[55]

28. Zahlreiche Kirchenväter waren Bischöfe, die sich mit ihren bischöflichen Mitbrüdern in den Konzilien versammelten, zunächst auf regionaler Ebene und später weltweit oder „ökumenisch“ und kennzeichnen das Leben der Kirche von den frühesten Jahrhunderten an nach dem Vorbild der Apostel (vgl. Apg 15,6-21). Konfrontiert mit den christologischen und trinitarischen Häresien, die den Glauben und die Einheit der Kirche während der patristischen Periode bedrohten, trafen sich die Bischöfe zu den großen Ökumenischen Konzilien (Nizäa I, Konstantinopel I, Ephesus, Chalkedon, Konstantinopel II, Konstantinopel III und Nizäa II) um Irrlehren zu verurteilen und den orthodoxen Glauben in Bekenntnissen und Definitionen des Glaubens zu verkünden. Diese Konzilien führten ihre Lehren insbesondere ihre feierlichen Definitionen als normativ und universal bindend fort; diese Definitionen sind Ausdruck und Teil der apostolischen Tradition und dienen kontinuierlich dem Glauben und der Einheit der Kirche. Nachfolgende Konzilien, die im Westen als ökumenisch anerkannt worden sind, setzen diese Praxis fort. Das Zweite Vatikanische Konzil bezieht sich auf das Lehramt (magisterium) des Papstes und der Bischöfe der Kirche und stellt fest, dass die Bischöfe dann unfehlbar lehren, wenn sie entweder mit dem Bischof von Rom zu einem ökumenischen Konzil versammelt sind oder – obwohl über die Welt verteilt – in Gemeinschaft mit ihm übereinstimmen, dass eine bestimmte Lehre Glauben oder die Sitten betreffend, „definitiv und absolut zu halten“ sind. Der Papst selbst, Haupt des Kollegiums der Bischöfe, lehrt unfehlbar, „wenn er als oberster Hirt und Lehrer aller Christgläubigen … eine Glaubens- oder Sittenlehre in einem endgültigen Akt verkündet“[56].

29. Die Katholische Theologie erkennt die Lehrautorität der ökumenischen Konzilien, das ordentliche und universale Lehramt der Bischöfe, sowie das Lehramt des Papstes an. Sie anerkennt den besonderen Stellenwert der Dogmen, d.h. solcher Feststellungen, „in denen die Kirche eine Offenbarungswahrheit in endgültiger und universalkirchlich verbindlicher Form so verkündet, dass ihre Leugnung als Häresie verworfen und mit dem Anathem belegt wird.“[57] Dogmen gehören zur lebendigen und fortgesetzten apostolischen Tradition. Theologen sind sich der Schwierigkeiten bewusst, die ihre Interpretation mit sich bringt. Zum Beispiel ist es notwendig, die präzise Fragestellung unter Berücksichtigung des historischen Kontextes zu verstehen und zu erkennen, wie Bedeutung und Inhalt eines Dogmas mit dessen Formulierung zusammenhängt.[58] Nichtsdestoweniger sind Dogmen ein sicherer Bezugspunkt für den Glauben der Kirche und werden als solche in der theologischen Reflexion und Argumentation verwendet.

30. Im katholischen Glauben sind Schrift, Tradition und das Lehramt der Kirche untrennbar miteinander verbunden. „Die Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift bilden den einen der Kirche überlassenen heiligen Schatz des Wortes Gottes“ und „die Aufgabe aber, das geschriebene oder überlieferte Wort Gottes verbindlich zu erklären, ist nur dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut.“[59] Die Heilige Schrift ist nicht nur einfach ein Text, sondern „locutio Dei[60] und „Verbum Dei" [61], ursprünglich bezeugt durch die Propheten des Alten Testaments und schließlich durch die Apostel des Neuen Testaments (vgl. Röm 1,1-2). Die Heilige Schrift ist mitten aus dem Volk Gottes entstanden, wurde zusammengetragen, gelesen und ausgelegt durch das Volk Gottes und gehört somit zur lebendigen Tradition der Kirche als kanonisches Zeugnis des Glaubens für alle Zeit. Tatsächlich „ist die Schrift das erste Glied in der geschriebenen Tradition“.[62] „Daher muss die Schrift als Wort Gottes verkündigt, gehört, gelesen, aufgenommen und gelebt werden, und zwar in der Spur der apostolischen Überlieferung, mit der es untrennbar verknüpft ist.“[63] Dieser Prozess wird durch den Heiligen Geist gestärkt, „durch den die lebendige Stimme des Evangeliums in der Kirche und durch sie in der Welt widerhallt.“[64] „Die Heilige Schrift ist Gottes Rede, insofern sie unter dem Anhauch des Heiligen Geistes schriftlich aufgezeichnet wurde. Die Heilige Überlieferung aber gibt das Wort Gottes, das von Christus dem Herrn und vom Heiligen Geist den Aposteln anvertraut wurde, unversehrt an deren Nachfolger weiter, damit sie es unter der erleuchtenden Führung des Geistes der Wahrheit in ihrer Verkündigung treu bewahren, erklären und ausbreiten. So ergibt sich, dass die Kirche ihre Gewissheit über alles Geoffenbarte nicht aus der Heiligen Schrift allein schöpft.“[65] Die Kirche leitet ihre Gewissheit aus der apostolischen Tradition ab, weil diese der lebendige Prozess des Hörens der Kirche auf das Wort Gottes ist.

31. Das Zweite Vatikanische Konzil unterscheidet zwischen der Tradition und jenen Traditionen, die bestimmten Zeiträumen der Kirchengeschichte angehören oder bestimmten Regionen und Gemeinschaften, wie religiösen Orden oder speziellen Ortskirchen.[66] Die Unterscheidung zwischen der Tradition und den Traditionen ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine der Hauptaufgaben der Katholischen Theologie sowie der Theologie der letzten Jahrzehnte allgemein.[67] Sie ist eine Aufgabe mit vielen ökumenischen Implikationen, die in der Katholizität der Kirche tief verwurzelt ist. Es stellen sich zahlreiche Fragen, zum Beispiel: „Ist es möglich, genauer den Inhalt der einen Überlieferung durch ihre Bedeutung festzulegen? Beinhalten alle Überlieferungen, die für sich beanspruchen christlich zu sein, die Überlieferung? Wie können wir unterscheiden zwischen Überlieferungen, die die wahre Überlieferung verkörpern und nur menschlicher Überlieferung? Wo finden wir die wahre Überlieferung und wo die leere Überlieferung oder gar die Verdrehung der Überlieferung?“[68] Auf der einen Seite muss die Theologie zeigen, dass die apostolische Tradition nicht abstrakt ist, sondern dass sie konkret in den unterschiedlichen Traditionen existiert, die sich innerhalb der Kirche herausgebildet haben. Auf der anderen Seite muss die Kirche bedenken, weshalb bestimmte Traditionen nicht für die Kirche als Ganze charakteristisch sind, sondern für bestimmte religiöse Gemeinschaften, Ortskirchen und historische Phasen. Kritik gegenüber der apostolischen Tradition ist nicht angemessen; andererseits müssen die verschiedenen Traditionen immer offen sein für Kritik, so dass die „fortgesetzte Erneuerung“ [69] stattfinden kann, die für die Kirche notwendig ist, und sich die Kirche ständig selbst auf ihrem einzigen Fundament erneuern kann, nämlich Jesus Christus. Solch eine Kritik versucht zu verifizieren, ob eine spezifische Überlieferung wirklich den Glauben der Kirche an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit ausdrückt, und sie versucht entsprechend, diese bestimmte Tradition durch die Verbindung mit dem lebendigen Glauben aller Orte und Zeiten zu stärken oder zu korrigieren.

32. Ein Kriterium Katholischer Theologie ist die Treue zur apostolischen Tradition. Diese Treue erfordert eine aktive und differenzierte Rezeption der unterschiedlichen Zeugnisse und Ausdrucksformen der fortdauernden apostolischen Tradition. Sie impliziert das Studium der Heiligen Schrift, der Liturgie und der Schriften der Kirchenväter wie der Lehrer und Lehrerinnen der Kirche sowie die Aufmerksamkeit gegenüber dem Lehren des Magisteriums.

3.   Aufmerksamkeit für den "sensus fidelium"

33. In seinem Ersten Brief an die Thessalonicher schreibt Paulus: „Darum danken wir Gott unablässig dafür, dass ihr das Wort Gottes, das ihr durch unsere Verkündigung empfangen habt, nicht als Menschenwort, sondern – was es in Wahrheit ist – als Gottes Wort angenommen habt; und jetzt ist es in euch, den Gläubigen, wirksam“ (1Thess 2,13). Diese Worte verdeutlichen, worauf das Zweite Vatikanische Konzil Bezug genommen hat, als es vom „übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes“ gesprochen hat (sensus fidei)[70] und über die „innere Einsicht, die aus geistlicher Erfahrung stammt“[71], die die Gläubigen haben (sensus fidelium). Subjekt des Glaubens ist das Volk Gottes als Ganzes, das in der Kraft des Heiligen Geistes dem Wort Gottes zustimmt. Deshalb erklärt das Konzil, dass das gesamte Volk Gottes an dem prophetischen Amt Jesu Anteil hat[72] und dass es – gesalbt mit Heiligem Geist (vgl. 1Joh 2,20.27) – „in Angelegenheiten des Glaubens nicht irren kann“.[73] Die Hirten, die das Volk Gottes leiten, indem sie seinem Glauben dienen, sind selbst in erster Linie Mitglieder der Gemeinschaft der Glaubenden. Deshalb spricht Lumen gentium zuerst über das Volk Gottes und den sensus fidei, den es hat[74], und erst dann von den Bischöfen[75], die durch ihre apostolische Sukzession im Episkopat und durch den Empfang ihres eigenen spezifischen „charisma veritatis certum“ (dem sicheren Charisma der Wahrheit)[76] als Kollegium in hierarchischer Gemeinschaft mit ihrem Oberhaupt, dem Bischof von Rom und Nachfolger des Heiligen Petrus auf dem Päpstlichen Stuhl[77], das kirchliche Lehramt innehaben. Gleichermaßen lehrt Dei Verbum, dass das Wort Gottes „der Kirche überlassen“ ist und bezieht sich auf das „ganze Heilige Volk“, das es befolgt, bevor es spezifiziert, dass der Papst und die Bischöfe die Aufgabe haben, das Wort Gottes authentisch zu interpretieren.[78] Diese Ordnung ist grundlegend für die Katholische Theologie. Augustinus sagt: „Vobis sum episcopus, vobiscum sum christianus.[79]

34. Die Art und der Stellenwert von sensus fidei und sensus fidelium müssen richtig verstanden werden. Sensus fidelium bedeutet nicht einfach die Mehrheitsmeinung einer bestimmten Zeit oder Kultur, noch ist er lediglich eine zweitrangige Zustimmung zu dem, was zuerst durch das Lehramt gesagt worden ist. Der sensus fidelium ist der sensus fidei des Volkes Gottes insgesamt, das dem Wort Gottes gehorsam folgt und auf den Wegen des Glaubens von ihren Hirten geführt wird. So ist der sensus fidelium der Sinn des Glaubens, der tief im Volk Gottes verwurzelt ist, das das Wort Gottes empfängt, versteht und in der Kirche lebt.

35. Für die Theologen ist der sensus fidelium von großer Bedeutung. Er ist nicht nur ein Gegenstand der Aufmerksamkeit und Wertschätzung; er ist auch eine Basis und ein locus (Ort) ihrer Arbeit. Einerseits sind die Theologen vom sensus fidelium abhängig, weil der Glaube, den sie erforschen und erklären, im Volk Gottes lebendig ist. Deshalb steht fest, dass die Theologen selbst am Leben der Kirche teilnehme müssen, um des Wortes Gottes wahrhaftig bewusst zu werden. Andererseits müssen die Theologen als Teil des besonderen Dienstes, den sie im Leib Christi leisten, den Glauben der Kirche erforschen, wie er sich in den Schriften, der Liturgie und den Glaubensbekenntnissen, den Dogmen, den Katechismen und im sensus fidelium selbst findet. Die Theologen helfen, den Inhalt des sensus fidelium zu klären und zu artikulieren, indem sie erkennen und aufweisen, dass Themen, die die Wahrheit des Glaubens betreffen, komplex sein können und dass deren Erforschung präzise sein muss.[80] Es obliegt ihnen, in Treue zur apostolischen Überlieferung gelegentlich kritisch Ausdrücke der Volksfrömmigkeit, aber auch neue Gedankenströmungen und Bewegungen innerhalb der Kirche zu untersuchen. Das kritische Urteil der Theologen muss immer konstruktiv sein; es muss von Bescheidenheit, Respekt und Nächstenliebe geprägt sein: „Die Erkenntnis (gnosis) macht aufgeblasen, die Liebe (agape) dagegen baut auf“ (1Kor 8,1).

36. Ein Kriterium Katholischer Theologie ist die Aufmerksamkeit für den sensus fidelium. Theologie muss bestrebt sein, genau zu entdecken und auszudrücken, was die katholischen Gläubigen gegenwärtig glauben; sie muss die Wahrheit in Liebe aussprechen, so dass die Gläubigen im Glauben wachsen können und nicht „hin und her getrieben sind von jedem Widerstreit der Meinungen“ (Eph 4,14).

4.   Verantwortete Verbundenheit mit dem kirchlichen Lehramt

37. In der Katholischen Theologie ist das Lehramt ein wesentlicher Bestandteil im theologischen Unternehmen selbst, weil die Theologie ihren Gegenstand von Gott durch die Kirche empfängt, deren Glauben authentisch interpretiert wird durch das „lebendige Lehramt der Kirche“,[81] d.h. durch das Lehramt des Papstes und der Bischöfe. Treue zum Lehramt ist notwendig für die Theologie, damit sie die Wissenschaft des Glaubens (scientia fidei) und eine kirchliche Aufgabe sein kann. Eine korrekte theologische Methode erfordert daher sowohl ein grundlegendes Verständnis des Wesens und der Autorität des Lehramtes auf seinen verschiedenen Ebenen als auch der Beziehungen, die zwischen dem kirchlichen Lehramt und der Theologie bestehen.[82] Bischöfe und Theologen haben unterschiedliche Berufungen und müssen wechselseitig die jeweiligen Kompetenzen respektieren, damit nicht das Lehramt die theologische Wissenschaft nicht auf reine Wiederholung reduziert und die Theologie nicht für sich in Anspruch nimmt, das kirchliche Lehramt der Hirten der Kirche zu ersetzen.

38. Das Verständnis der Kirche als communio (Gemeinschaft) ist ein guter Rahmen, innerhalb dessen man untersuchen kann, wie die Beziehungen zwischen den Theologen und den Bischöfen, zwischen der Theologie und dem Lehramt geartet sind und wie eine fruchtbare Zusammenarbeit möglich wird. Das erste, was es zu erkennen gilt, ist, dass sowohl die Theologen in ihrer Arbeit als auch die Bischöfe in ihrem Amt unter dem Primat des Wortes Gottes stehen und niemals darüber.[83] Zwischen Bischöfen und Theologen muss es eine wechselseitig vertrauensvolle Zusammenarbeit geben; in ihrem gehorsamen Hören auf das Wort und dessen gläubiger Verkündigung, in ihrer Aufmerksamkeit gegenüber dem sensus fidelium und ihrem Dienst am Wachstum und der Vollendung des Glaubens; in ihrem Anliegen, mit Respekt gegenüber neuen Fragestellungen und Herausforderungen zukünftigen Generationen das Wort zu übermitteln, in ihrem hoffnungsvollen Zeugnis, das sie von den Gaben ablegen, die sie bereits empfangen haben – in all dem haben Bischöfe und Theologen ihre besonderen Rollen in einer gemeinsamen Sendung,[84] aus der sowohl das Lehramt als auch die Theologen ihre Legitimität und ihren Zweck ableiten.[85] Die Theologie erforscht und formuliert den Glauben der Kirche; das kirchliche Lehramt verkündet diesen Glauben und legt ihn authentisch aus.[86]

39. Einerseits braucht das Lehramt die Theologie, um in ihren Interventionen nicht nur Lehrautorität zu demonstrieren, sondern auch theologische Kompetenz und die Fähigkeit einer kritischen Evaluation unter Beweis zu stellen; deshalb müssen Theologen zur Unterstützung hinzugezogen werden, wenn es um die Vorbereitung und die Formulierung lehramtlicher Äußerungen geht. Andererseits ist das Lehramt eine unverzichtbare Hilfe für die Theologie durch die authentische Weitergabe Glaubensgutes (depositum fidei), besonders in kritischen Zeiten der Unterscheidung. Die Theologen müssen den Beitrag der lehramtlichen Aussagen zum theologischen Fortschritt anerkennen und bei der Rezeption dieser Aussagen behilflich sein. Lehramtliche Interventionen selbst können die theologische Reflexion anregen; die Theologen müssen zeigen, wie ihre eigenen Beiträge mit den bisherigen lehramtlichen Aussagen übereinstimmen und sie voranbringen. Es gibt in der Kirche tatsächlich so etwas wie das „Lehramt“ der Theologen,[87] aber es ist kein Raum für paralleles, entgegengesetztes oder alternatives Lehramt[88] oder für Ansichten, die die Theologie vom Lehramt der Kirche trennen.

40. Wenn es um die „authentische“ Interpretation des Glaubens geht, spielt das Lehramt eine Rolle, die die Theologie schlicht nicht selbst übernehmen kann. Die Theologie kann nicht ein Urteil, das in der Gemeinschaft theologischer Wissenschaft gebildet worden ist, an die Stelle eines Urteils der Bischöfe setzen. Die Aufgabe des Lehramtes zu akzeptieren, das den authentischen Glauben feststellt, verlangt, die verschiedenen Ebenen lehramtlicher Aussagen zu erkennen.[89] Diese verschiedenen Ebenen führen eine entsprechend differenzierte Antwort von Seiten der Glaubenden und der Theologen herbei. Nicht jede lehramtliche Verlautbarung ist von gleichem Gewicht. Dies ist auch für die Arbeit der Theologie wichtig; tatsächlich werden die verschiedenen Ebenen durch das beschrieben, was man „theologische Qualifikationen“ oder Noten nennt.[90]

41. Genau wegen dieser Abstufung bringt der Gehorsam, den die Theologen als Mitglieder des Gottesvolkes dem Lehramt schulden, immer konstruktiv kritische Evaluationen und Kommentare mit sich.[91] Während der „Dissens“ mit dem Lehramt keinen Platz in der Katholischen Theologie hat, ist Nachforschen und Hinterfragen gerechtfertigt und sogar notwendig, wenn die Theologie ihre Aufgabe erfüllen soll.[92] Wie immer die Situation ist: Ein rein äußerliches und formales Gehorchen oder Befolgen von Seiten der Theologen ist nicht ausreichend. Die Theologen müssen bestrebt sein, ihre Reflexion über die Wahrheit, die vom kirchlichen Lehramt verkündet wird, zu vertiefen und deren Folgerungen für das christliche Leben und den Dienst an der Wahrheit zu erkennen. Auf diese Weise erfüllen die Theologen ihre eigentliche Aufgabe, und die Lehren des kirchlichen Amtes werden nicht auf rein dekorative Zitate im theologischen Diskurs reduziert.

42. Die Beziehung zwischen Bischöfen und Theologen ist beiderseits oft gut und vertrauensvoll, mit großem Respekt gegenüber den jeweiligen Berufungen und Verantwortlichkeiten. Beispielsweise nehmen Bischöfe an nationalen und regionalen Versammlungen theologischer Gesellschaften teil, zählen auf theologische Experten, wenn sie ihre eigenen Lehren und Grundsätze formulieren, besuchen und unterstützen theologische Fakultäten und Schulen ihrer Diözesen. Es ist unvermeidlich, dass es gelegentlich zu Spannungen in der Beziehung zwischen Bischöfen und Theologen kommt. In seiner gründlichen Analyse der dynamischen Interaktion zwischen dem lebendigen Organismus der Kirche, den drei Ämtern Christi als Prophet, Priester und König, erkannte der Selige John Henry Newman die Möglichkeit solcher „chronischer Kollisionen und Gegensätze“; man tut gut daran, sich zu erinnern, dass er sie als „in der Natur der Sache liegend“ einschätzte.[93] „Theologie ist das fundamentale und regulative Prinzip des gesamten Kirchensystems“, schrieb er, und dennoch „kann die Theologie nicht immer ihren eigenen Weg gehen“.[94] Mit Blick auf die Spannungen zwischen Theologen und Lehramt stellte die Internationale Theologenkommission 1975 fest: „Wo wahres Leben ist, gibt es auch Spannung. Sie bedeutet nicht Feindschaft oder wirklichen Gegensatz, sondern Lebenskraft und Ansporn, gemeinsam in der Weise des Dialogs des einem jeden eigenen Amtes zu walten.“[95]

43. Die Freiheit der Theologie und der Theologen ist ein Thema von besonderem Interesse.[96] Diese Freiheit entwickelt sich „aus der wahren wissenschaftlichen Verantwortung der Theologen.“[97] Der Gedanke der Verbundenheit mit dem Lehramt fördert manchmal einen kritischen Gegensatz zwischen der sog. „wissenschaftlichen“ Theologie (die weder den Glauben noch kirchliche Loyalität voraussetze) und der sog. „konfessionellen“ Theologie (die an eine religiöse Bekenntnis gebunden sei); aber ein solcher Gegensatz ist unangemessen.[98] Andere Diskussionen ergeben sich aus der Betrachtung der Gewissensfreiheit der Gläubigen oder aus der Bedeutung des Fortschritts wissenschaftlicher Forschung; das kirchliche Lehramt wird manchmal als repressive Kraft oder Fortschrittsbremse gesehen. Die Erforschung solcher Probleme ist selbst Teil der theologischen Aufgabenstellung: die wissenschaftlichen und konfessionellen Aspekte der Theologie angemessen zu integrieren und die Freiheit der Theologie innerhalb des Horizontes des göttlichen Heilsplanes und -willens zu sehen.

44. Ein Kriterium Katholischer Theologie ist die verantwortete Verbundenheit mit dem Lehramt in seinen verschiedenen Graden. Katholische Theologen müssen die Kompetenz der Bischöfe anerkennen, speziell des Kollegiums der Bischöfe unter dem Vorsitz des Papstes, um eine authentische Interpretation des Wortes Gottes zu leisten, das in Schrift und Tradition übergeben ist.[99]

5.   In der Gemeinschaft der Theologen

45. So wie es bei allen christlichen Berufungen der Fall ist, ist der Dienst der Theologen personal, aber auch gemeinschaftlich und kollegial; das heißt, er wird in und für die Kirche als Ganze geleistet und er wird solidarisch gelebt mit all denjenigen, die dieselbe Berufung haben. Die Theologen sind sich wahrlich bewusst und stolz auf die tiefe Solidarität, die sie untereinander im Dienst an Christus und der Welt verbindet. Auf viele verschiedene Weisen, als Theologen in den Fakultäten und Schulen, als Mitglieder der theologischen Gesellschaften und Vereinigungen, als gemeinsame Arbeiter in der Forschung, als Schriftsteller und Lehrer unterstützen, ermutigen und inspirieren sie sich gegenseitig und fungieren gleichzeitig als Mentoren und Vorbilder für diejenigen, speziell fortgeschrittene Studenten, die auf dem Weg sind, Theologen zu werden. Darüber hinaus breiten sich solidarische Verbindungen in Raum und Zeit aus, verbinden Theologen auf der ganzen Welt in verschiedenen Ländern und Kulturen und über die Zeit in verschiedenen Epochen und Zusammenhängen. Diese Solidarität ist wahrhaft von Vorteil, wenn sie das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit der Kriterien der Katholischen Theologie vorantreibt, so wie sie in diesem Bericht beschrieben wird. Niemand kann die Katholischen Theologen besser unterstützen in ihrem Bestreben, den bestmöglichen Dienst zu leisten in Übereinstimmung mit den Besonderheiten ihrer jeweiligen Disziplin, als andere Katholische Theologen.

46. Heutzutage nimmt die Zusammenarbeit in der Forschung und an Publikationsprojekten, sowohl innerhalb wie über die verschiedenen theologischen Felder hinweggreifend, allgemein zu. Gelegenheiten zur Präsentation, Seminare und Konferenzen, die das wechselseitige Bewusstsein und die Wertschätzung der Kollegen in theologischen Institutionen und Fakultäten stärken, müssen gepflegt werden. Darüber hinaus müssen Gelegenheiten zu interdisziplinären Treffen und zum Austausch zwischen Theologen und Philosophen, Naturwissenschaftlern und Sozialwissenschaftlern, Historikern usw. gefördert werden. Wie in diesem Bericht betont wird, ist die Theologie eine Wissenschaft, die nach Zusammenwirken mit anderen Wissenschaften strebt, so wie auch sie einen fruchtbaren Austausch mit der Theologie suchen.

47. So wie es in der Natur ihrer Aufgabe liegt, arbeiten Theologen oft an den Grenzen der kirchlichen Erfahrung und Reflexion. Speziell mit einer großen Zahl von Laientheologen, die eine Reihe von Erfahrungen auf unterschiedlichsten Gebieten der Interaktion der Kirche mit der Welt haben, von Evangelium und Leben, mit denen ordinierte Theologen und Theologen im religiösen Leben nicht so vertraut sein mögen, kommt es zunehmend dazu, dass die Theologen den Anstoß geben für Glauben, der nach Verstehen sucht, unter neuen Lebensumständen oder angesichts neuer Streitfragen. Theologen brauchen und verdienen die betende Unterstützung der kirchlichen Gemeinschaft insgesamt, und speziell untereinander, in ihrem ernsthaften Bemühen um die Kirche, aber das sorgfältige Festhalten an grundlegenden Kriterien der Katholischen Theologie ist unter solchen Umständen von besonderer Bedeutung. Die Theologen müssen sich immer der wesentlichen Vorläufigkeit ihrer Bestrebungen bewusst sein und ihre Arbeit der ganzen Kirche zur Prüfung und Evaluation überlassen.[100]

48. Einer der wertvollsten Dienste, die die Theologen untereinander leisten, ist der des gegenseitigen Hinterfragens und Korrigierens: Beispiele sind die mittelalterliche Praxis der disputatio und die heutige Praxis des gegenseitigen Rezensierens von Schriften, so dass Ideen und Methoden fortschreitend verfeinert und perfektioniert werden können. Dieser Prozess findet innerhalb der Theologengemeinschaft selbst statt.[101] Seiner Natur nach kann dies allerdings ein langsamer und privater Vorgang sein; aber speziell in der heutigen Zeit der schnellen Kommunikation und Verbreitung von Gedanken weit über die rein theologische Gemeinschaft hinaus, wäre es unvernünftig, zu denken, dass der Mechanismus der Selbst-Korrektur in allen Fällen ausreichend sei. Die Bischöfe, die über die Gläubigen wachen, indem sie lehren und sich um sie kümmern, haben zweifellos das Recht und die Pflicht, zu sprechen, zu intervenieren und, wenn nötig, theologische Arbeit zu kritisieren, die sie für falsch oder schädlich halten.[102]

49. Ökumenische Dialoge und Forschungen schaffen ein einzigartig privilegiertes und potentiell produktives Feld der Zusammenarbeit zwischen katholischen Theologen und denen anderer christlicher Traditionen. In solcher Arbeit können Fragen des Glaubens, der Bedeutung und der Sprache tiefgreifend durchdacht werden. Da sie, manchmal seit vielen Jahrhunderten, daran arbeiten, das gegenseitige Verständnis von Themen zu vertiefen, die zwischen ihren Traditionen strittig sind, fungieren die Theologen als Botschafter ihrer Gemeinschaft bei der heiligen Aufgabe, die Versöhnung und Einheit der Christen herbeizuführen, damit die Welt glaube (vgl. Joh 17,21). Dieser sozusagen „diplomatische Dienst“ erfordert eine klare Orientierung an den Kriterien, die hier von katholischen Theologen beschrieben werden, so dass die vielfältigen Gaben, die die Katholische Tradition enthält, wahrhaftig in einem „Austausch der Gaben“ dargeboten werden können, der der ökumenischer Dialog und die ökumenische Zusammenarbeit in gewissem Sinne ist.[103]

50. Ein Kriterium Katholischer Theologie ist, dass sie in professioneller, betender und liebender Zusammenarbeit mit der ganzen Gemeinschaft der Katholischen Theologen in der Gemeinschaft der Kirche ausgeübt wird, im Geist gegenseitiger Wertschätzung und Unterstützung, aufmerksam für die Bedürfnisse der Glaubenden und die Leitung durch die Hirten der Kirche.

6.   Im Dialog mit der Welt

51. „Im Glauben daran, dass es vom Geist des Herrn geführt wird, der den Erdkreis erfüllt“[104]: Das Zweite Vatikanische Konzil besagt, dass die Kirche bereit sein muss, in den „Ereignissen, Notwendigkeiten und Bestrebungen“ der heutigen Welt wahrzunehmen, was wahrlich Zeichen des Wirkens des Geistes sein können.[105] „Zur Erfüllung dieses ihres Auftrags obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten. So kann sie dann in einer jeweils einer Generation angemessenen Weise auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben. Es gilt also, die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen.“[106]

52. Da alle Christen ihr tägliches Leben in der Welt im Glauben leben, begegnen sie der Herausforderung, die Ereignisse und Krisen zu interpretieren, die sich in menschlichen Angelegenheiten ergeben; alle nehmen an Debatten und Gesprächen teil, in denen unvermeidlich der Glaube infrage gestellt wird und eine Antwort notwendig ist. „Die ganze Kirche lebt im Bereich zwischen dem Evangelium und dem täglichen Leben, welches im Fortschreiten der Geschichte auch die Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft ist, weil die Geschichte weitergeht. Die Kirche befindet sich ständig im Dialog und in Bewegung; innerhalb der Gemeinschaft der Getauften, die alle dynamisch auf diesem Weg engagiert sind, haben Bischöfe und Theologen besondere Verantwortlichkeiten, wie das Konzil betont. Es ist jedoch Aufgabe des ganzen Gottesvolkes, vor allem auch der Seelsorger und Theologen, unter dem Beistand des Heiligen Geistes auf die verschiedenen Sprachen unserer Zeit zu hören, sie zu unterscheiden, zu deuten und im Licht des Gotteswortes zu beurteilen, damit die geoffenbarte Wahrheit immer tiefer erfasst, besser verstanden und passender verkündet werden kann.“[107]

53. Die Theologie hat in dieser Hinsicht eine besondere Kompetenz und Verantwortung. Durch ihren ständigen Dialog mit den gesellschaftlichen, religiösen und kulturellen Strömungen der Zeit und ihre Offenheit gegenüber anderen Wissenschaften, die diese Entwicklungen mit ihren eigenen Methoden untersuchen, kann die Theologie den Glaubenden und dem Lehramt helfen, die Bedeutung von Entwicklungen, Ereignissen und Strömungen in der menschlichen Geschichte zu verstehen und Wege zu erkennen und zu deuten, auf denen durch sie der Heilige Geist zur Kirche und zur Welt sprechen kann.

54. Die „Zeichen der Zeit“ können als solche Ereignisse und Phänomene in der Geschichte der Menschheit beschrieben werden, die – wegen ihrer Bedeutung und Tragweite – das Gesicht einer Zeit prägen und bestimmte Bedrängnisse und Wünsche der Menschen dieser Zeit zum Ausdruck bringen. Der Gebrauch des Ausdrucks „Zeichen der Zeit“ beim Konzil zeigt, dass es die Historizität nicht nur der Welt erkennt, sondern auch der Kirche, die in der Welt (vgl. Joh 17,11.15.18), wenngleich von der Welt ist (vgl. Joh 17,14.16). Was im Großen, Guten und Schlechten in der Welt passiert, kann die Kirche nicht gleichgültig lassen. Die Welt ist der Ort, an dem die Kirche, den Spuren Jesu folgend, das Evangelium verkündet, Zeugnis gibt von der Gerechtigkeit und der Gnade Gottes und am Drama des menschlichen Lebens teilhat.

55. Die letzten Jahrhunderte haben große gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen gesehen. Man denke nur an die Entdeckung der Geschichtlichkeit, an Bewegungen wie die Aufklärung und die Französische Revolution (mit ihren Idealen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit), Emanzipationsbewegungen, an den Fortschritt bei den Rechten von Frauen, Fan die Bewegungen für Frieden und Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie und an die ökologische Bewegung. Die Ambivalenz in der Geschichte der Menschheit hat die Kirche in der Vergangenheit dazu geführt, im Umgang mit solchen Bewegungen über die Maßen vorsichtig zu sein und nur die möglichen Spannungen zur christlichen Lehre und zum christlichen Glauben zu sehen, ihre Bedeutung aber zu leugnen. Jedoch haben sich solche Einstellungen allmählich dank des sensus fidei des Gottesvolkes, dank der klaren Sicht einzelner prophetischer Gläubiger, dank des geduldigen Dialogs der Theologen mit den sie umgebenden Kulturen geändert. Es hat eine bessere Unterscheidung im Licht des Evangeliums stattgefunden, mit einer größeren Bereitschaft, wahrzunehmen, wie der Geist Gottes in solchen Ereignissen sprechen kann. In all diesen Fällen müssen sogfältig solche Elemente, die mit dem Evangelium vereinbar sind, von denjenigen, die ihm entgegenstehen unterschieden werden, zwischen positiven Beiträgen und ideologischen Aspekten; aber ein noch so genaues Verständnis der Welt darf nicht fehl gehen, eine tiefere Wertschätzung Christi, des Herrn, und des Evangeliums herbeizuführen[108], da Christus der Erlöser der Welt ist.

56. Während die Welt der menschlichen Kultur vom Handeln der Kirche profitiert, profitiert die Kirche ebenso von „der Geschichte und Entwicklung der Menschheit“.„Die Erfahrung der geschichtlichen Vergangenheit, der Fortschritt der Wissenschaften, die Reichtümer, die in den verschiedenen Formen der menschlichen Kultur liegen, durch die die Menschennatur immer klarer zur Erscheinung kommt und neue Wege zur Wahrheit aufgetan werden, gereichen auch der Kirche zum Vorteil.“[109] Die sorgfältige Arbeit, nützliche Verbindungen mit anderen Disziplinen, Wissenschaften und Kulturen herzustellen, um deren Licht zu vergrößern und deren Zugänge zu erweitern, ist die besondere Aufgabe der Theologen. Das Erkennen der Zeichen der Zeit bietet große Chancen für theologische Bemühungen, ungeachtet der komplexen hermeneutischen Herausforderungen, die sich daraus ergeben. Dank der Arbeit vieler Theologen war das Zweite Vatikanische Konzil in der Lage, verschiedene Zeichen der Zeit in Verbindung mit den eigenen Lehren zu erkennen.[110]

57. Auf Gottes letztes Wort in Christus achtend, sind die Christen offen, das Echo seiner Stimme in anderen Personen, Orten und Kulturen zu vernehmen (vgl. Apg 14,15-17; 17,24-28; Röm 1,19-20). Das Konzil drängt darauf, dass die Gläubigen „mit ihren nationalen und religiösen Traditionen“ vertraut sind und „mit Freude und Ehrfurcht … die Saatkörner des Wortes aufspüren, die in ihnen verborgen sind.“[111] Es lehr insbesondere, dass die Katholische Kirche nichts von dem ablehnt, was „wahr und heilig“ in nicht-christlichen Religionen ist, deren Gebote und Lehren „doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.“[112] Die Entdeckung solcher Samen und die Wahrnehmung solcher Lichtstrahlen ist wiederum in besonderem Maße eine Aufgabe der Theologen, die einen wichtigen Beitrag im inter-religiösen Dialog zu leisten haben.

58. Ein Kriterium Katholischer Theologie ist, dass sie im ständigen Dialog mit der Welt steht. Sie muss der Kirche helfen, die Zeichen der Zeit zu lesen, die durch das Licht der göttlichen Offenbarung erleuchtet werden, und davon in ihrem Leben und ihrer Sendung zu profitieren.

Kapitel 3:
Für die Wahrheit Gottes Zeugnis ablegen

59. Das Wort Gottes, gläubig aufgenommen, erhellt den Verstand und das Verständnis des Gläubigen. Die Offenbarung wird vom menschlichen Verstand nicht nur passiv aufgenommen. Im Gegenteil, der gläubige Verstand nimmt die geoffenbarte Wahrheit aktiv auf.[113] Durch Liebe unterstützt, ist der Verstand bemüht, dieses Wort in sich aufzunehmen, weil dieses Wort auf seine eigenen tiefsten Fragen antwortet. Ohne je in Anspruch zu nehmen, den Reichtum der Offenbarung zu erschöpfen, ist der Verstand darum bemüht, die Verständlichkeit des Wortes Gottes zu schätzen und zu entdecken – fides quaerens intellectum – und vernünftig Rechenschaft von der Wahrheit Gottes abzulegen. Mit anderen Worten: Er versucht, die Wahrheit Gottes in einer rationalen und wissenschaftlichen Weise auszudrücken, die dem menschlichen Verstand angemessen ist.

60. In drei Schritten bedenkt dieses Kapitel wesentliche Aspekte der Theologie als rationales, menschliches Streben, das seine eigene authentische und unersetzliche Position inmitten allen intellektuellen Nachforschens hat.

·        Erstens ist die Theologie ein Werk des Verstandes, der durch den Glauben erhellt wird (ratio fide illustrata); sie versucht, das Wort Gottes, das in der Offenbarung ausgedrückt ist, in den wissenschaftlichen Diskurs zu übersetzen.

·        Zweitens bleiben die Vielfalt der rationalen Methoden, die sie entfaltet und die Vielzahl der spezialisierten theologischen Disziplinen, die daraus resultieren, mit der fundamentalen Einheit der Theologie als Diskurs über Gott im Licht der Offenbarung kompatibel.

·        Drittens ist die Theologie eng mit der spirituellen Erfahrung verknüpft, die sie erhellt und von der sie im Gegenzug genährt wird; sie öffnet sich von ihrem Wesen her einet authentischen Weisheit mit einem lebendigen Sinn für die Transzendenz des Gottes Jesu Christi.

1.   Die Wahrheit Gottes und die Rationalität der Theologie

61. Dieser Abschnitt betrachtet einige Aspekte der Geschichte der Theologie – von den Herausforderungen der ersten Tage bis zu denen heute, bezogen auf die Wissenschaftlichkeit der Theologie. Wir sind dazu da, Gott zu erkennen, seine Wahrheit. „Das ist das ewige Leben: Dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (Joh 17,3). Jesus kam, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen (vgl. Joh 18,37) und offenbarte sich als „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Diese Wahrheit ist ein Geschenk, das von oben kommt „vom Vater der Gestirne“ (Jak 1,17). Gott, der Vater hat diese Erkenntnis geschaffen (vgl. Gal 4,4-7), und er selbst wird sie vollenden (vgl. Offb 21,5-7). Der Heilige Geist ist sowohl der Paraklet, der die Gläubigen tröstet, als auch der „Geist der Wahrheit“ (Joh 14,16-17), der inspiriert und die Wahrheit erleuchtet und die Gläubigen „in die ganze Wahrheit“ führt (Joh 16,13). Die letzte Offenbarung der Fülle der Wahrheit Gottes wird die letzte Erfüllung der Menschheit und der Schöpfung sein (vgl. 1Kor 15,28). Entsprechend muss das Geheimnis der Trinität im Zentrum der theologischen Betrachtung stehen.

62. Gottes Wahrheit, im Glauben angenommen, trifft auf den Verstand des Menschen. Als Ebenbild Gottes geschaffen und ihm ähnlich (Gen 1,26-27), ist der Mensch in der Lage, im Licht des Verstandes hinter die Erscheinungen zur tiefen Wahrheit der Dinge vorzudringen und sich dadurch einer universalen Wirklichkeit zu öffnen. Der allgemeine Bezug zur Wahrheit, die objektiv und universal ist, macht den authentischen Dialog zwischen Menschen möglich. Der menschliche Geist ist sowohl intuitiv als auch rational. Er ist insoweit intuitiv, als er spontan die ersten Prinzipien der Wirklichkeit und des Denkens begreift. Er ist insofern rational, als er – beginnend bei jenen ersten Grundsätzen – fortschreitend Wahrheiten entdeckt, die vorher unbekannt waren. Dafür benutzt er genaue Analyse- und Forschungsverfahren; er bringt sie in eine logische Ordnung. „Wissenschaft“ ist die höchste Form, die rationales Bewusstsein annimmt. Sie bezeichnet eine Form von Wissen, das in der Lage ist, zu erklären, wie und warum die Dinge so sind, wie sie sind. Der menschliche Verstand, selbst ein Teil der geschaffenen Realität, projiziert nicht einfach auf die Realität in ihrem Reichtum und ihrer Komplexität einen Rahmen der Intelligibilität, sondern passt sich selbst der intrinsischen Intelligibilität der Realität an. In Übereinstimmung mit seinem Gegenstand, das heißt mit dem speziellen Aspekt der Realität, mit dem er sich beschäftigt, wendet der Verstand verschiedene Methoden an, die dem Gegenstand selbst angepasst sind. Es gibt deshalb nur eine Rationalität; aber die nimmt eine Vielfalt von Formen an; alle können geeignete Mittel darstellen, die Intelligibilität der Realität zu begreifen. Ebenso hat die Wissenschaft mehrere Formen; jede Wissenschaft hat ihren eigenen Gegenstand und ihre eigene Methode. Die Moderne neigt zwar dazu, den Begriff „Wissenschaft“ nur den sog. „harten“ Wissenschaften zuzuerkennen (wie Mathematik, Physik etc.) und alles das als irrationales und reines Meinungswissen zu disqualifizieren, das nicht den Kriterien dieser Wissenschaften entspreche; diese Sicht der Wissenschaft und Rationalität ist aber einseitig und unangemessen.

63. Die geoffenbarte Wahrheit Gottes erfordert den Verstand des Glaubenden und regt ihn an. Einerseits muss die Wahrheit des Wortes Gottes von den Gläubigen bedacht und geprüft werden – so beginnt der intellectus fidei, im Folgenden verstanden als Wunsch des Glaubenden, Gott zu sehen.[114] Sein Ziel ist keineswegs, den Glauben zu ersetzen;[115] vielmehr entwickelt er sich auf natürliche Weise aus dem Akt des Glaubens und kann diejenigen unterstützen, deren Glauben angesichts von Feindschaft schwankt.[116] Das Ergebnis rationaler Reflexion des Glaubenden ist, dass er Wahrheiten des Glaubens versteht. Durch den Gebrauch seines Verstandes erfasst der Glaubende die tiefen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Stadien der Heilsgeschichte und zwischen den verschiedenen Geheimnissen des Glaubens, die sich gegenseitig erhellen. Einerseits regt der Glaube den Verstand an und erweitert seine Grenzen. Andererseits wird der Verstand angeregt, Wege zu entdecken, die er aus sich selbst heraus nicht einzuschlagen erwartet hätte. Diese Begegnung mit dem Wort Gottes hinterlässt die Vernunft bereichert, weil sie neue, unerwartete Horizonte öffnet.[117]

64. Der Dialog zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Theologie und Philosophie wird daher nicht nur vom Glauben, sondern auch von der Vernunft gefordert, wie Papst Johannes Paul in Fides et Ratio erklärt.[118] Der Dialog ist notwendig, weil ein Glaube, der den Verstand verwirft oder verachtet, riskiert, in Aberglauben oder Fanatismus zu verfallen, während der Verstand, wenn er sich entschieden dem Glauben verschließt, darin fehlt, die volle Höhe der Erkenntnis zu erreichen, auch wenn er große Fortschritte machen kann. Dieser Dialog ist möglich wegen der Einheit der Wahrheit in der Vielfalt ihrer Aspekte. Die Wahrheiten, die im Glauben angenommen werden, und die Wahrheiten, die vom Verstand entdeckt werden, können sich letztendlich nicht widersprechen, weil sie derselben Quelle entspringen, aus der Wahrheit Gottes, der die Vernunft erschafft und den Glauben schenkt.[119] In Wahrheit unterstützen und erhellen sich Glaube und Vernunft gegenseitig: „Geht die Vernunft in der rechten Weise voran, so weist sie die Grundlagen des Glaubens auf und baut, durch dessen Licht erleuchtet, die theologische Wissenschaft weiter aus. Der Glaube hingegen befreit und bewahrt die Vernunft vor Irrtümern und bereichert sie mit mannigfachen Erkenntnissen.“[120]

65. Dies ist der tiefe Grund dafür, dass der christliche Glaube Religion und Philosophie in einer weiten Sicht miteinander in Einklang gebracht hat, obwohl sie im Denken der Vergangenheit oft im Gegensatz zueinander gestanden haben. Während das Christentum die Form einer Religion annahm, sah es sich selbst nicht als eine neue Religion, sondern eher als die wahre Philosophie,[121] die jetzt in den Besitz der endgültigen Wahrheit gelangen kann. Das Christentum beansprucht, sowohl die Wahrheit über Gott als auch über die menschliche Existenz zu lehren. Deshalb haben die Kirchenväter in ihrer Verpflichtung der Wahrheit gegenüber ihre eigene Theologie absichtlich von der „mythischen“ und „politischen“ Theologie abgegrenzt, so wie sie zu jener Zeit verstanden wurden. Die mythische Theologie erzählt Geschichten von Göttern in einer Art, die die Transzendenz des Göttlichen nicht achtet; die politische Theologie war eine rein soziologische und utilitaristische Annäherung an Religion, die sich nicht um die Wahrheit scherte. Die Kirchenväter ordneten das Christentum in der Nähe der „natürlichen Theologie“ ein, die für sich beanspruchte, eine rationale Aufklärung über die „Natur“ der Götter zu liefern.[122] Allerdings hat das Christentum, indem es lehrte, dass der Logos, der Ursprung aller Dinge, ein menschliches Wesen mit einem Gesicht und einem Namen ist und dass er Freundschaft mit der Menschheit sucht, die philosophische Idee von Gott gereinigt und verwandelt und in sie die dynamische Kraft der Liebe (agape) eingeführt.

66. Große Theologen des Ostens nutzten die Begegnung zwischen Christentum und der griechischen Philosophie als providentielle Gelegenheit, die Wahrheit der Offenbarung zu reflektieren, z.B. die Wahrheit des logos. Um die Geheimnisse des Glaubens zu verteidigen und zu erhellen, (Konsubstantialität der Personen der Trinität, die hypostatische Union, etc.), nahmen sie bereitwillig, aber kritisch philosophische Ansichten auf und stellten sie in den Dienst des Glaubensverständnisses. Sie bestanden jedoch auch mit Nachdruck auf der apophatischen Dimension der Theologie: Theologie darf niemals das Geheimnis reduzieren.[123] Im Westen, am Ende der patristischen Zeit, eröffnete Boethius einen Weg, Theologie zu treiben, der die wissenschaftliche Natur des intellectus fidei betonte. In seinen opuscula sacra stellte er alle Ressourcen der Philosophie in den Dienst, die christliche Lehre zu erklären, und bot dadurch eine systematische und axiomatische Erklärung des Glaubens an.[124] Diese neue theologische Methode, die verfeinerte philosophische Werkzeuge verwendete und auf eine gewisse Systematisierung zielte, wurde zu einem gewissen Grad auch im Osten entwickelt, z.B. von Johannes von Damaskus.

67. Durch das Mittelalter hindurch, besonders mit der Gründung von Universitäten und der Entwicklung der scholastischen Methode, wurde die Theologie stetig differenzierter, wenn auch nicht notwendigerweise getrennt von anderen Formen des intellectus fidei (z.B. der lectio divina oder der Predigt). Sie konstituierte sich als eine Wissenschaft in Übereinstimmung mit den aristotelischen Kriterien, wie sie sich speziell in den Posteriora analyticorum zeigen, das heißt: Durch Erörterung ist zu zeigen, warum etwas so und nicht anders ist, und durch Überlegung können Schlussfolgerungen aus Prinzipien gezogen werden. Die scholastischen Theologen versuchten, den intelligiblen Gehalt des christlichen Glaubens in Form einer rationalen und wissenschaftlichen Synthese darzustellen. Um das zu erreichen, betrachteten sie die Glaubensartikel als Prinzipien in der Wissenschaft der Theologie. Dann gebrauchten die Theologen den Verstand, um die verborgene Wahrheit genau zu beschreiben und zu verteidigen, indem sie zeigten, dass sie der Vernunft nicht entgegensteht, oder indem sie ihre innere Verständlichkeit aufwiesen. Im letzteren Fall formulierten sie eine Hierarchie (ordo) der Wahrheiten, indem sie danach suchten, welche die grundlegendsten und daher die erhellendsten für die anderen sind.[125] Sie artikulierten die erkennbaren Zusammenhänge zwischen den Mysterien (nexus mysteriorum) und die Synthesen, die sie erhielten, legten den verständlichen Inhalt des Wortes Gottes in einer wissenschaftlichen Art und Weise aus, in Übereinstimmung mit den Erfordernissen und Fähigkeiten des menschlichen Verstandes. Dieses wissenschaftliche Ideal nahm jedoch niemals die Form eines rationalistischen, hypothetisch-deduktiven Systems an. Vielmehr war sie immer geformt nach der Wirklichkeit, die betrachtet werden sollte, was bei weitem die Möglichkeiten des menschlichen Verstandes übersteigt. Obwohl sie verschiedene Versuche unternahmen und literarische Genres verwendeten, die sich von Schriftkommentaren unterschieden, war die Bibel eine lebendige Quelle der Inspiration für die scholastischen Theologen. Die Theologie zielte genau auf ein besseres Verständnis des Wortes ab; Bonaventura und Thomas von Aquin sahen sich selbst in erster Linie als magistri in sacra pagina. Die Rolle, die das „Argument von der Einpassung“ spielte, war entscheidend. Der Theologe erörtert nicht a priori, sondern hört auf die Offenbarung und sucht nach den weisen Wegen, die Gott in seinem Plan der Liebe frei gewählt hat. Fest gegründet auf dem Glauben, verstand sich die Theologie deshalb als Teilhabe des Menschen an Gottes Wissen von sich selbst und allen Dingen, „quaedam impressio divinae scientiae quae est una et simplex omnium“.[126] Dies war die erste Quelle ihrer Einheit.

68. Gegen Ende des Mittelalters begann die einheitliche Struktur der christlichen Weisheit, deren Grundpfeiler die Theologie war, aufzubrechen. Philosophie und andere säkulare Disziplinen begannen sich zunehmend von der Theologie abzuspalten; die Theologie selbst zersplitterte in Spezialdisziplinen, die manchmal ihre tiefe Verbundenheit aus den Augen verloren. Es gab eine Tendenz in der Theologie, sich vom Wort Gottes zu distanzieren, so dass sie gelegentlich zu einer rein philosophischen Reflexion, angewandt auf religiöse Fragen, wurde. Gleichzeitig, vielleicht wegen ihrer Abkehr von der Schrift, gerieten ihre theo-logische Dimension und ihre spirituelle Orientierung aus dem Blick; das spirituelle Leben begann sich abseits der vernunftgemäß erklärenden Universitäts-Theologie und sogar in Opposition zu ihr zu entwickeln.[127] Eine so zersplitterte Theologie wurde immer mehr vom tatsächlichen Leben des christlichen Volkes abgeschnitten und war schlecht ausgestattet, um die Herausforderungen der Moderne zu meistern.

69. Die scholastische Theologie ist während der Reformation dafür kritisiert worden, zu viel Wert auf die Rationalität der Glaubens gelegt zu haben und zu wenig auf den Schaden, den die Sünde dem Verstand zufügt. Die Katholische Theologie antwortet darauf, indem sie die Anthropologie des Ebenbildes Gottes (imago dei) hochschätzte sowie die Fähigkeit und Verantwortlichkeit des Verstandes, der von der Sünde zwar verwundet, aber nicht zerstört ist; sie hebt die Kirche als den Ort hervor, in dem Gott wahrhaft erkannt und die Wissenschaft des Glaubens wirklich entwickelt werden kann. Auf diese Weise hält sich die Katholische Kirche die Möglichkeit offen, mit der Philosophie, der Philologie, der Geschichtswissenschaft und den Naturwissenschaften in Dialog zu treten.

70. Die Kritik, die während der Aufklärung an Glaube und Theologie geäußert wurde, war jedoch viel radikaler. In mancher Hinsicht hatte die Aufklärung zwar einen religiösen Antrieb. Da sich die Denker der Aufklärung jedoch am Deismus ausrichteten, sahen sie eine unüberbrückbare Differenz zwischen zufälligen Geschichtswahrheiten und notwendigen Vernunftwahrheiten. Für sie war die Wahrheit nicht in der Geschichte zu finden, und die Offenbarung als historisches Ereignis konnte dem Menschen nicht länger als verlässliche Quelle der Erkenntnis gelten. In vielen Fällen reagierte die Katholische Theologie defensiv auf die Herausforderungen des aufklärerischen Denkens. Sie gab der Apologetik den Vorzug vor weisheitlichen Dimensionen des Glaubens, sie trennte zu sehr die natürliche Ordnung des Verstandes von der übernatürlichen Ordnung des Glaubens; sie maß der „natürlichen Theologie“ zu viel, dem intellectus fidei, dem Verständnis der Geheimnisse des Glaubens, aber zu wenig Bedeutung bei. Die Katholische Theologie nahm in dieser Begegnung in verschiedener Hinsicht durch ihre eigene Strategie Schaden. Im besten Fall suchte die Katholische Theologie den konstruktiven Dialog mit der Aufklärung und mit der philosophischen Kritik. In Bezug auf die Schrift und die Lehre der Kirche wurde eine „Instruktionstheorie“ der Offenbarung theologisch kritisiert; das Konzept der Offenbarung wurde im Sinn der Selbst-Offenbarung Gottes in Jesus Christus neu gestaltet, so dass die Geschichte nach wir vor als Ort für Gottes rettende Taten verstanden werden konnte.

71. Heute gibt es neue Herausforderungen. Die Katholische Theologie hat sich einer postmodernen Krise der klassischen Vernunft zu stellen, der ernsthafte Konsequenzen für den intellectus fidei mit sich bringt. Die Idee der „Wahrheit“ erscheint sehr problematisch. Gibt es überhaupt so etwas wie „Wahrheit“? Gibt es nur eine Wahrheit? Führt ein solcher Gedanke zu Intoleranz und Gewalt? Die Katholische Theologie arbeitet traditionell mit einem starken Begriff der Möglichkeit, die die Vernunft hat, über den äußeren Schein hinauszugehen und die Wirklichkeit und Wahrheit hinter den Dingen zu erkennen. Heute wird die Vernunft oft als schwach angesehen, als im Prinzip unfähig, zur „Wirklichkeit“ zu gelangen. Daraus ergibt sich das Problem, dass die metaphysische Orientierung der Philosophie, die für frühere Modelle der Katholischen Theologie wichtig war, in einer tiefen Krise steckt. Die Theologie kann dabei helfen, die Krise zu überwinden und eine authentische Metaphysik wieder zum Leben zu erwecken. Nichtsdestoweniger hat die Katholische Theologie ein Interesse daran, den Dialog über die Gottesfrage und Wahrheit mit allen zeitgenössischen Philosophien zu führen.

72. In Fides et Ratio hat Papst Johannes Paul II sowohl den philosophischen Skeptizismus als auch den Fideismus zurückgewiesen und eine Erneuerung der Beziehung zwischen Theologie und Philosophie gefordert. Er hat die Philosophie als autonome Wissenschaft und als einen entscheidenden Gesprächspartner der Theologie anerkannt. Er hat darauf bestanden, dass die Theologie sich notwendigerweise auf die Philosophie beziehen muss: Ohne Philosophie kann die Theologie weder angemessen die Gültigkeit ihrer Aussagen kritisieren noch ihre Ideen erklären noch angemessen die verschiedenen Schulen des Denkens verstehen.[128] Die „Quelle und der Ausgangspunkt“ der Theologie ist das Wort Gottes, das in der Geschichte geoffenbart wurde; die Theologie versucht, dieses Wort zu verstehen. Dennoch: Gottes Wort ist Wahrheit (vgl. Joh 17,17); daraus folgt, dass Philosophie, „die menschliche Suche nach Wahrheit“, helfen kann, Gottes Wort zu verstehen.[129]

73. Ein Kriterium Katholischer Theologie ist, dass sie bestrebt ist, eine wissenschaftlich und rational erörterte Darstellung des christlichen Glaubens zu liefern. Dazu muss sie sich des Verstandes bedienen und die enge Verknüpfung zwischen Glaube und Vernunft erkennen, zuallererst philosophischer Vernunft, um sowohl den Fideismus als auch den Rationalismus zu überwinden.[130]

2.   Die Einheit der Theologie in der Vielfalt der Methoden und Disziplinen

74. Dieser Abschnitt betrachtet die Beziehung zwischen der Theologie und den Theologien, aber auch die Beziehung der Theologie zu anderen Wissenschaften. Die Katholische Theologie, mit Augustinus als „Nachdenken und Gespräch über Gott“[131] verstanden, ist ihrem Wesen nach eine und hat ihre eigenen unverwechselbaren Kennzeichen als Wissenschaft: Ihr eigentlicher Gegenstand ist der eine und einzige Gott; sie untersucht ihren Gegenstand der ihr eigenen Weise, nämlich durch den Gebrauch des Verstandes, der durch die Offenbarung erleuchtet wird. Ganz am Anfang der Summa theologiae erklärt Thomas von Aquin, dass alles in der Theologie in Bezug auf Gott verstanden wird: sub ratione Dei.[132] Die große Bandbreite an Themen, die der Theologe bedenken muss, findet ihre Einheit im letzten Bezug auf Gott. Alle „Geheimnisse“, die in den verschiedenen theologischen Abhandlungen erfasst sind, beziehen sich auf das einzige absolute Geheimnis im genauesten Sinn, nämlich das Geheimnis Gottes. Der Bezug auf dieses Geheimnis eint die Theologie in der riesigen Bandbreite der Themen und Kontexten. Die Idee der reductio in mysterium kann als Ausdruck der Dynamik nützlich sein, die die theologischen Thesen zutiefst vereint. Da das Geheimnis Gottes in Christus durch die Kraft des Heiligen Geistes geoffenbart wird, hat das Zweite Vatikanische Konzil den Weg gewiesen, dass alle theologischen Abhandlungen „aus einem lebendigeren Kontakt mit dem Geheimnis Christi und der Heilsgeschichte neu gefasst werden“[133] müssen.

75. Die Kirchenväter kannten das Wort „Theologie“ nur im Singular. Für sie war „Theologie“ kein „Mythos“, sondern der Logos Gottes selbst. Insoweit der Geist des Menschen durch die Offenbarung des Logos vom Geist Gottes inspiriert ist und gehalten ist, das unendliche Mysterium seines Wesens und Tuns zu ergründen, ist der Mensch auch in der Lage, Theologie zu treiben. In der scholastischen Theologie konnte die Vielfalt der Fragen, die von der Theologie erforscht werden, den Gebrauch unterschiedlicher Methoden rechtfertigen; aber sie stellte niemals die fundamentale Einheit der Theologie in Frage. Gegen Ende des Mittelalters gab es jedoch eine Tendenz, scholastische und mystische Theologie, spekulative und positive Theologie usw. zu unterscheiden und sogar voneinander zu trennen. In der Moderne gibt es eine wachsende Neigung, das Wort „Theologie“ im Plural zu verwenden. Man spricht von den „Theologien“ verschiedener Autoren, Epochen und Kulturen. Man meint damit die charakteristischen Konzepte, die kennzeichnenden Themen und spezifischen Sichtweisen jener „Theologien“.

76. Zu dieser modernen Pluralität von „Theologien“ haben verschiedene Faktoren beigetragen.

·        Innerhalb der Theologie gibt es zunehmend eine interne Spezialisierung in verschiedenen Disziplinen, z.B. Biblische Theologie, Liturgiewissenschaft, Patristik, Kirchengeschichte, Fundamentaltheologie, Systematische Theologie, Moraltheologie, Pastoraltheologie, Spiritualität, Katechetik und Kanonisches Recht. Diese Entwicklung ist unvermeidbar; sie erklärt sich aus der wissenschaftlichen Natur der Theologie und aus den Erfordernissen der Forschung.

·        Aufgrund des von außen kommenden Einflusses anderer Wissenschaften, wie z.B. Philosophie, Geschichte, Sozial-, Natur- und Lebenswissenschaft, gibt es eine Vielfalt theologischer Stile. Infolgedessen koexistieren heute in zentralen Bereichen der Katholischen Theologie viele verschiedene Formen des Denkens, z.B. transzendentale Theologie, heilsgeschichtliche Theologie, analytische Theologie, neuscholastische und metaphysische Theologie, politische Theologie und Befreiungstheologie.

·        Mit Bezug auf die Praxis der Theologie gibt es eine ständig wachsende Vielfalt an Gegenständen, Orten, Institutionen, Intentionen, Kontexten und Interessen und eine neue Wertschätzung der Pluralität und Unterschiedlichkeit der Kulturen.[134]

77. Die Vielfalt der Theologien ist zweifellos notwendig und gerechtfertigt.[135] Sie resultiert in erster Linie aus dem Überfluss göttlicher Wahrheit selbst, die der Mensch immer nur unter bestimmten Aspekten erfassen kann, aber niemals als Ganzes und niemals endgültig, sondern mit immer neuen Augen. Wegen der Vielfalt der Gegenstände, die sie betrachtet und interpretiert (z.B. Gott, Menschen, historische Ereignisse, Texte), und der großen Vielfalt der Fragestellungen des Menschen muss die Theologie unvermeidlich auf eine Vielfalt von Methoden und Disziplinen zurückgreifen können,[136] gemäß der Natur der Gegenstände, die untersucht werden sollen. Die Pluralität der Theologien spiegelt tatsächlich die Katholizität der Kirche wider, deren Ziel es ist, dem Volk das eine Evangelium überall und unter allen Umständen zu verkünden.

78. Pluralität hat allerdings Grenzen. Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen dem legitimen Pluralismus der Theologie einerseits und dem Relativismus, der Heterodoxie oder Häresie andererseits. Der Pluralismus selbst ist dann problematisch, wenn keine Kommunikation zwischen den theologischen Disziplinen stattfindet oder wenn es keine allgemein anerkannten Kriterien gibt, mit Hilfe derer die verschiedenen Formen der Theologie jeweils als Katholische Theologie verstanden werden – für sie selbst und für andere. Um die Probleme vermeiden und lösen zu können, ist eine allgemeine und grundlegende Anerkennung der Theologie als rationales Unterfangen, als scientia fidei und scientia Dei, notwendig, so dass jede Theologie in Bezug auf die allgemeine universale Wahrheit evaluiert werden kann.

79. Die Suche nach Einheit in der Vielfalt der Theologien nimmt heute eine Reihe von Formen an; wesentlich ist es, auf den Bezug zu der gemeinsamen kirchlichen Tradition der Theologie zu bestehen, die Dialog und Interdisziplinarität praktiziert und darauf achtet, die anderen Disziplinen, mit denen sie sich beschäftigt, daran zu hindern, ihr eigenes „Lehramt“ der Theologie aufzudrängen. Die Existenz einer gemeinsamen theologischen Tradition in der Kirche (die von der Überlieferung selbst unterschieden werden muss, aber nicht von ihr getrennt werden darf[137]) ist ein wichtiger Faktor für der Einheit der Theologie. Es gibt ein gemeinsames Gedächtnis in der Theologie, wie z.B. bestimmte Leistungen in der Geschichte (z.B. die Schriften der Kirchenväter, im Osten wie im Westen, und die Synthesen des Thomas v. Aquin, Doctor communis[138] ), die als Bezugspunkte für die Theologie heute bestehen bleiben. Zwar können und müssen bestimmte Aspekte früherer theologischer Tradition manchmal abgeschafft werden, aber die Arbeit des Theologen kann niemals auf einen kritischen Bezug zu der vorhergehenden Tradition verzichten.

80. Die verschiedenen Formen der Theologie, die heute grundsätzlich unterschieden werden können (z.B. Biblische,Historische Theologie, Fundamentaltheologie, systematische, praktische Theologie, Moraltheologie), sind durch ihre verschiedenen Quellen, Methoden und Aufgabenstellungen charakterisiert und alle fundamental durch das Streben nach der wahren Erkenntnis Gottes und des Heilsplanes Gottes miteinander vereint. Deshalb muss es unter ihnen eine intensive Kommunikation und Zusammenarbeit geben. Dialog und interdisziplinäre Zusammenarbeit sind unverzichtbare Mittel, um die Einheit der Theologie sicherzustellen und auszudrücken. Der Singular „Theologie“ deutet keinesfalls auf eine Uniformität der Stile und Konzepte hin; vielmehr trägt er dazu bei, auf eine gemeinsame Suche nach der Wahrheit hinzuweisen, auf den gemeinsamen Dienst am Leib Christi und auf die gemeinsame Verehrung des einen Gottes.

81. Seit langem arbeitet die Theologie mit der Philosophie partnerschaftlich zusammen. Während diese Partnerschaft grundlegend bleibt, haben sich in jüngster Zeit aber auch weitere Partner für die Theologie gefunden. Biblische Studien und Kirchengeschichte erfahren durch die Entwicklung neuer Methoden der Textanalyse und -interpretation, aber auch neuer Techniken Unterstützung, die die historische Gültigkeit von Quellen prüfen und gesellschaftliche wie kulturelle Entwicklungen beschreiben.[139] Systematische Theologie, Fundamental- und Moraltheologie haben von einer Verbindung mit Naturwissenschaft, der Wirtschaftswissenschaft und der Medizin profitiert. Die praktische Theologie hat von der Begegnung mit der Soziologie, der Psychologie und der Pädagogik profitiert. In all diesen Verbindungen muss die Katholische Theologie die Folgerichtigkeit der angewandten Methoden und Wissenschaften respektieren, aber auch im Licht des Glaubens kritisch betrachten, der Teil der eigenen Identität und Motivation des Theologen ist.[140] Teilergebnisse, die durch Methoden erzielt worden sind, die von anderen Disziplinen entliehen wurden, können nicht bestimmend sein für die Arbeit des Theologen und müssen kritisch in die Aufgabe und die Argumentation der Theologie integriert werden.[141] Ein unzureichend kritischer Gebrauch des Wissens und der Methoden anderer Wissenschaften wird wahrscheinlich die Arbeit der Theologie verzerren und zerstückeln. Eine übereilte Verschmelzung zwischen Glauben und Philosophie ist bereits von den Kirchenvätern als Quelle der Häresie aufgedeckt worden.[142] Kurz gesagt, es darf anderen Disziplinen nicht gestattet werden, ihr eigenes „Lehramt“ der Theologie aufzudrängen. Der Theologe sollte vielmehr die Daten, die ihr von anderen Wissenschaften zur Verfügung gestellt werden, aufnehmen und sie nutzen, aber im Licht der eigenen Prinzipien und Methoden der Theologie.

82. Bei der kritischen Aneignung und Integration von Fakten anderer Wissenschaften durch die Theologie kommt der Philosophie eine vermittelnde Rolle zu. Es ist Aufgabe der Philosophie als vernünftiger Weisheit, die Ergebnisse, die verschiedene Wissenschaften erzielt haben, in eine umfassendere Sicht einzufügen. Mit Hilfe der Philosophie in dieser vermittelnden Rolle kann die Theologie wissenschaftliche Daten mit angemessener Sorgfalt verwenden. So muss z.B. die wissenschaftliche Erkenntnis, die in Bezug auf die Evolution des Lebens gewonnen wurde, im Licht der Philosophie interpretiert werden, so dass ihr Wert und ihre Bedeutung bestimmt werden können, bevor sie von der Theologie in Betracht gezogen werden kann.[143] Die Philosophie ist den Wissenschaftlern ebenfalls behilflich, nicht der Versuchung zu erliegen, einseitig die Methoden und Ergebnisse ihrer Forschungen auf religiöse Fragen anzuwenden, die einen anderen Denkansatz erfordern.

83. Von besonderem Interesse ist das Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft (z.B. Religionsphilosophie und Religionssoziologie). Die Religionswissenschaft befasst sich auch mit Texten, Institutionen und Phänomenen der christlichen Tradition; aber aufgrund ihrer methodischen Prinzipien findet dies von außen her statt; die Frage nach dem Wahrheitsgehalt dessen, was sie untersuchen, bleibt unberührt; für die Theologie sind die Kirche und ihr Glaube lediglich Forschungsgegenstände wie andere Gegenstände auch. Im 19. Jahrhundert gab es grundsätzliche Debatten zwischen der Theologie und der Religionswissenschaft. Auf der einen Seite wurde behauptet, die Theologie sei, weil sie den Glauben voraussetzt keine Wissenschaft; nur die Religionswissenschaft könne „objektiv“ sein. Auf der anderen Seite wurde gesagt, die Religionswissenschaft sei anti-theologisch, weil sie den Glauben leugne. Heutzutage tauchen diese alten Kontroversen gelegentlich immer noch auf; die Voraussetzungen für einen fruchtbaren Dialog beider Seiten sind jedoch besser geworden. Die Religionswissenschaft ist in das System theologischer Methoden integriert, weil es nicht nur für die Exegese und die Kirchengeschichte, sondern auch für die Pastoral- und Fundamentaltheologie notwendig ist, die Geschichte, die Struktur und die Phänomenologie von religiösen Ideen, Gegenständen, Riten etc. zu erforschen. Die Naturwissenschaften und die zeitgenössische Erkenntnistheorie haben ganz allgemein gezeigt, dass es niemals einen neutralen Ausgangspunkt gibt, von dem aus die Wahrheit erforscht wird; der Forscher bringt immer besondere Perspektiven, Einsichten und Voraussetzungen mit, die sich auf seine Untersuchungen auswirken. Es bleibt jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen Theologie und Religionswissenschaften bestehen: Die Theologie hat die Wahrheit Gottes zum Gegenstand und reflektiert diesen Gegenstand mit Glauben und im Licht Gottes, während die Religionswissenschaft religiöse Phänomene zum Gegenstand hat, denen sie sich ihnen mit kulturellen Interessen annähert, während sie methodisch von der Wahrheit des christlichen Glaubens absieht. Die Theologie geht über die Religionswissenschaft hinaus, indem sie die Kirche und ihren Glauben von innen her betrachtet; aber die Theologie kann von den Forschungen profitieren, die die Religionswissenschaft von außen anstellen.

84. Die Katholische Theologie anerkennt die besondere Autonomie anderer Wissenschaften und deren professionelle Kompetenz, ihr Streben nach Erkenntnis an und hat selbst die Entwicklung in manchen Wissenschaften vorangetrieben. Die Theologie eröffnet anderen Wissenschaften einen Weg, sich mit religiösen Themen zu befassen. Durch konstruktive Kritik hilft sie anderen Wissenschaften, sich von anti-theologischen Elementen zu befreien, die sie unter dem Einfluss des Rationalismus angezogen haben. Indem sie die Theologie aus dem Haus der Wissenschaften geworfen haben, verkleinerten der Rationalismus und der Positivismus die Reichweite und die Macht der Wissenschaften selbst. Die Katholische Theologie kritisiert jede Form der Selbstverabsolutierung der Wissenschaften als Selbst-Reduktion und Verarmung.[144] Die Anwesenheit der Theologie und der Theologen im Herzen des universitären Lebens und des Dialogs mit anderen Disziplinen, den diese Präsenz ermöglicht, trägt dazu bei, eine weite, analoge und ganzheitliche Sicht des menschlichen Lebens zu verbreiten. Als scientia Dei und scientia fidei spielt die Theologie eine wichtige Rolle im Zusammenspiel der Wissenschaften und beansprucht so einen angemessenen Platz in der akademischen Welt.

85. Ein Kriterium Katholischer Theologie ist, dass sie bestrebt ist, eine Vielfalt von Fragestellungen und Methoden in das eine Projekt des intellectus fidei zu integrieren und auf der Einheit des Glaubens und damit auf der grundlegenden Einheit der Theologie selbst zu bestehen. Die Katholische Theologie anerkennt die spezifischen Methoden anderer Wissenschaften und gebraucht sie kritisch in ihrer eigenen Forschung. Sie isoliert sich nicht von der Kritik und heißt den wissenschaftlichen Dialog willkommen.

3.   Wissenschaft und Weisheit

86. Dieser letzte Abschnitt betrachtet die Tatsache, dass die Theologie nicht nur eine Wissenschaft ist, sondern Weisheit. Sie spielt eine besondere Rolle in der Beziehung zwischen menschlicher Erkenntnis und dem Geheimnis Gottes. Der Mensch gibt sich nicht mit Teil-Wahrheiten zufrieden, sondern versucht, die einzelnen Teile und Gebiete der Erkenntnis zu einem Verständnis der letzten Wahrheit aller Dinge und des menschlichen Lebens selbst zusammenzufügen. Diese Suche nach Weisheit, die ohne Zweifel die Theologie selbst beseelt, vermittelt der Theologie eine enge Beziehung zu geistlicher Erfahrung und zur Weisheit der Heiligen. Weiter gefasst, lädt die Katholische Theologie jeden ein, die Transzendenz der letzten Wahrheit zu erkennen, die niemals voll erfasst oder beherrscht werden kann. Die Theologie ist nicht nur eine Weisheit in sich selbst, sondern auch eine Einladung an die Weisheit der anderen Wissenschaften. Die Präsenz der Theologie in den wissenschaftlichen Debatten und in der Universität hat potentiell den wohltuenden Effekt, dass jeder an die Berufung des menschlichen Verstandes zur Weisheit erinnert wird und an die Frage, die Jesus in seiner ersten Äußerung im Johannesevangelium tut: „Was suchst ihr?“ (Joh 1,38 - Lutherbibel).

87. Im Alten Testament kommt die zentrale Botschaft der Weisheitstheologie dreimal zum Ausdruck: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit“ (Ps 111,10; vgl. Spr 1,7; 9,10). Die Basis für diesen Wahlspruch ist die Einsicht der Weisen Israels, dass Gottes Weisheit in der Schöpfung und in der Geschichte am Werk ist und dass diejenigen, die dies wertschätzen, die Bedeutung der Welt und von Ereignissen verstehen werden (vgl. Spr 7-9; Weish 7-9). „Ehrfurcht vor Gott“ ist die richtige Haltung im Angesicht Gottes (coram Deo). Weisheit ist die Kunst des Verstehens der Welt und der Orientierung des Lebens in der Hingabe an Gott. In den Büchern Kohelet und Hiob werden die Grenzen des Menschen aufgedeckt, Gottes Gedanken und Wege zu verstehen – aber nicht, um die Weisheit des Menschen zu zerstören, sondern um sie im Horizont der Weisheit Gottes zu vertiefen.

88. Jesus selbst stand in der Weisheitstradition Israels. In ihm wurde die Offenbarungstheologie des Alten Testaments verwandelt. Er betete: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und den Klugen verborgen hast, den Unmündigen aber offenbart hast“ (Mt 11,25). Diese Irritation traditioneller Weisheit steht im Evangelium im Zusammenhang der Verkündigung von etwas Neuem: „Niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Joh 11,27). Diese Äußerung geht seiner berühmten Einladung voraus: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin gütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“ (Joh 11,27-29, nach der Einheitsübersetzung). Dieses Lernen kommt aus der Jüngerschaft in der Gemeinschaft mit Jesus. Er allein erschließt die Schrift (vgl. Lk 24,25-27; Joh 5,36-40; Offb 5,5), weil in ihm die Wahrheit und die Weisheit Gottes geoffenbart worden sind.

89. Der Apostel Paulus kritisiert die „Weisheit der Welt“, die das Kreuz Jesu Christi nur als „Torheit“ (1Kor 1,18-20) ansieht. Diese Torheit verkündet er als „das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat“ (1Kor 2,7) und nun offenbart. Das Kreuz ist der entscheidende Augenblick in Gottes Heilsplan. Der gekreuzigte Christus ist „die Macht Gottes und die Weisheit Gottes“ (vgl. 1Kor 1,18-25). Diejenigen Gläubigen, die „den Geist Christi“ (1Kor 2,16) haben, empfangen seine Weisheit und erlangen so Zugang zum „Geheimnis Gottes“ (vgl. 1Kor 2,1-2). Es muss festgehalten werden, dass die paradoxale Weisheit Gottes, die sich im Kreuz manifestiert, der „Weisheit der Welt“ widerspricht. Aber sie widerspricht niemals der echten menschlichen Weisheit. Im Gegenteil: Sie transzendiert und vollendet sie in unvordenklicher Weise.

90. Der christliche Glaube begegnete sehr bald der griechischen Suche nach der Weisheit. Er lenkte die Aufmerksamkeit auf die Grenzen jener Suche, speziell den Gedanken, allein durch Erkenntnis (gnosis) erlöst zu werden. Aber der Glaube eignete sich auch authentische Einsichten der Griechen an. Weisheit ist eine Vision der Einigung. Während die Wissenschaft sich bemüht, Rechenschaft über einen bestimmten, begrenzten und eng umrissenen Aspekt der Wirklichkeit abzulegen, indem sie die Prinzipien herausstreicht, die die Eigenheiten des Forschungsgegenstandes verdeutlichen, strebt die Weisheit nach einer ganzheitlichen Sicht der gesamten Wirklichkeit. Es handelt sich um eine Erkenntnis in Übereinstimmung mit den letzten, universalen und alles erklärenden Ursachen.[145] Für die Kirchenväter war der Weise jemand, der alle Dinge im Licht Gottes und ewiger Wahrheiten beurteilt, die das Maß aller Dinge hier auf Erden sind.[146] Deshalb hat die Weisheit auch eine moralische und spirituelle Dimension.

91. Wie schon der Name sagt, versteht sich die Philosophie selbst als Weisheit oder wenigstens als liebendes Suchen nach Weisheit. Speziell die Metaphysik schlägt eine Sicht der Wirklichkeit vor, die um das fundamentale Geheimnis des Seins geeint ist; aber das Wort Gottes, das offenbart, „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat“ (1Kor 2,9), eröffnet dem Menschen den Weg zu höherer Weisheit.[147] Diese übernatürliche christliche Weisheit, die die reine menschliche Weisheit der Philosophie transzendiert, nimmt zwei Formen an, die sich gegenseitig stützen, aber nicht verwechselt werden dürfen: theologische Weisheit und mystische Weisheit.[148] Die theologische Weisheit ist das Werk der Vernunft, die vom Glauben erleuchtet wird; sie ist also eine erworbene Weisheit, obgleich sie selbstverständlich die Gabe des Glaubens voraussetzt; sie liefert eine einheitliche Erklärung der Wirklichkeit im Licht der höchsten Wahrheiten der Offenbarung und erhellt alles vom grundlegenden Geheimnis der Trinität her, sowohl für sich selbst betrachtet, als auch in ihrer Beteiligung an Schöpfung und Geschichte. Hierauf bezogen, stellte das Erste Vatikanische Konzil fest: „Die vom Glauben erleuchtete Vernunft gewinnt zwar, wenn sie mit Hingebung, aber auch voll Frömmigkeit und Besonnenheit forscht, mit Gottes Beistand einen gewissen, übrigens höchst fruchtbaren Einblick in die Glaubensgeheimnisse - teils mit Hilfe von Analogien aus dem Bereich der natürlichen Erkenntnisse, teils aus dem Zusammenhang der Geheimnisse selbst untereinander und mit dem letzten Ziel des Menschen.“[149] Die intellektuelle Betrachtung, die aus der Arbeit der Vernunft resultiert, ist daher wahrhaft Weisheit. Mystische Weisheit oder „das Wissen der Heiligen“ ist hingegen eine Gabe des Heiligen Geistes, die aus der Einheit mit Gott in der Liebe resultiert. Liebe schafft eine affektive Konnaturalität des Menschen mit Gott, der es geistigen Wesen ermöglicht, göttliche Dinge zu erkennen und sogar zu erleiden (pati divina)[150], indem sie wirklich in ihrem Leben erfahren werden. Dies ist ein nicht-begriffliches Wissen, wie es oft in der Dichtung ausgedrückt wird. Es führt zu Kontemplation und zur personalen Einheit mit Gott in Frieden und Stille.

92. Theologische Weisheit und mystische Weisheit sind formal unterschiedlich; man darf sie nicht miteinander verwechseln. Mystische Weisheit kann niemals ein Ersatz für theologische Weisheit sein. Zwar gibt es enge Verbindungen zwischen diesen beiden Formen der christlichen Weisheit, sowohl in der Person des Theologen als auch in der Gemeinschaft der Kirche. Ein intensives spirituelles Leben, das nach Heiligkeit strebt, ist ein Erfordernis für eine authentische Theologie, wie das Beispiel der Kirchenlehrer im Osten wie im Westen zeigt. Wahre Theologie setzt Glauben voraus und wird von Nächstenliebe genährt: „Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist die Liebe“ (1Joh 4,8).[151] Der Verstand stattet die Theologie mit klarsehender Vernunft aus; aber das Herz verfügt über eine eigene Weisheit, die den Verstand reinigt. Was auf alle Christen zutrifft, hat eine besondere Bedeutung für die Theologen: dass sie „berufen“ sind, „Heilige“ zu sein(1Kor 1,2). Wenn die Aufgabe der Theologie, ein wissenschaftliches Verständnis des Glaubens zu vermitteln, angemessen erfüllt wird, führt dies dazu, dass eine authentische spirituelle Erfahrung verifiziert werden kann.[152] Daher wollte Theresa von Avila, dass ihre Schwestern den Rat der Theologen suchten: „Je mehr der Herr euch Gnade im Gebet erweist, desto wichtiger ist es, dass eure Gebete und all eure Taten auf einem soliden Fundament ruhen.“[153] Mithilfe der Theologen ist es letztlich die Aufgabe des Lehramtes, festzustellen, ob ein spiritueller Anspruch authentisch christlich ist.

93. Der Gegenstand der Theologie ist der lebendige Gott; das Leben des Theologen kann nicht fehlgehen, wenn es von dem unentwegten Bemühen ergriffen ist, den lebendigen Gott zu erkennen. Der Theologe kann sein eigenes Leben nicht von dem Bestreben ausschließen, die ganze Wirklichkeit mit Bezug auf Gott zu verstehen. Gehorsam gegenüber der Wahrheit reinigt die Seele (vgl. 1Petr 1,22); „die Weisheit von oben ist erstens heilig, sodann friedlich, freundlich, gehorsam, voll Erbarmen und reich an guten Früchten, sie ist unparteiisch, sie heuchelt nicht“ (Jak 3,17). Daraus folgt, dass Theologietreiben den Verstand und das Herz des Theologen reinigen muss.[154] Dieses spezielle Merkmal theologischen Arbeitens steht dem wissenschaftlichen Charakter der Theologie in keiner Weise entgegen; im Gegenteil: Sie befindet sich mit ihr in tiefer Übereinstimmung. Daher wird die Theologie als eine distinktive Spiritualität charakterisiert. Der Spiritualität des Theologen wohnen Wahrheitsliebe, Bereitschaft zur Umkehr von Herz und Verstand, Streben nach Heiligkeit und eine Bindung an die kirchliche Gemeinschaft und Sendung inne.[155]

94. Die Theologen haben eine besondere Berufung zum Dienst am Leib Christi. Durch Berufung und Begabung haben sie eine besondere Beziehung zum Leib und all seinen Gliedern. Da sie in der „Gemeinschaft des Heiligen Geistes“ (2Kor 13,13) leben, müssen sie danach streben, gemeinsam mit ihren Brüdern und Schwestern in ihrem Leben mit dem Geheimnis der Eucharistie konform zu werden, „aus der die Kirche immerfort lebt und wächst“.[156] Da sie berufen sind, das Geheimnis des Glaubens zu erklären, müssen sie besonders der Eucharistie verbunden sein, denn sie „enthält ja das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle, Christus selbst, unser Osterlamm und lebendiges Brot“; sein Fleisch ist lebendig geworden und macht lebendig durch den Heiligen Geist.[157] Da die Eucharistie die „Quelle und der Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ ist[158] und „Quelle und Höhepunkt aller Evangelisation“[159], so ist sie auch Quelle und Höhepunkt jeder Theologie. In diesem Sinne kann die Theologie als essentiell und profund „mystisch“ verstanden werden.

95. Somit ist Gottes Wahrheit nicht etwas, was einfach durch systematische Reflexion erklärt und durch deduktive Argumentation gerechtfertigt wird. Es handelt sich vielmehr um eine lebendige Wahrheit, die durch Partizipation an Christus erfahren wird, „den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit, Heilung und Erlösung“ (1Kor 1,30). Als Weisheit ist die Theologie in der Lage, erforschte und erfahrene Aspekte des Glaubens zusammenzufügen und im Dienst an Gottes Wahrheit die Grenzen dessen zu überschreiten, die strenggenommen vom intellektuellen Standpunkt her gesetzt sind. Solch eine Wertschätzung der Theologie als Weisheit kann dabei helfen, zwei Probleme zu lösen, der sich die Theologie heute stellen muss: Erstens bietet sie eine Möglichkeit, die Kluft zwischen den Gläubigen und der reflexiven Theologie zu überbrücken; zweitens bietet sie die Möglichkeit, das Verständnis der Wahrheit Gottes auszuweiten, um die Sendung der Kirche in nicht-christlichen Kulturen, die durch verschiedene Weisheitstraditionen geprägt sind, zu erleichtern.

96. Das Sinn für das Geheimnis, das die Theologie charakterisiert, führt zu einer direkten Erkenntnis der Grenzen theologischen Wissens, im Gegensatz zu allen rationalistischen Ansprüchen, das Geheimnis Gottes zu erschöpfen. Das Vierte Laterankonzil legt grundlegend fest: „Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre“[160] Die durch den Glauben erhellte und durch Offenbarung geleitete Vernunft ist sich immer der inneren Grenzen ihres Handels bewusst. Daher kann die christliche Theologie die Form der „negativen“ oder „apophatischen“ Theologie annehmen.

97. Nichtsdestoweniger ist negative Theologie keineswegs eine Negation von Theologie. Kataphatische und apophatische Theologie dürfen nicht in Opposition zueinander gestellt werden. Die via negativa, die weit davon entfernt ist, einen intellektuellen Zugang zum Geheimnis Gottes auszuschließen, unterstreicht lediglich die Grenzen eines solchen Zugangs. Die via negativa ist eine fundamentale Dimension jeglichen authentischen theologischen Diskurses, aber sie kann nicht losgelöst von der via affirmativa und der via eminentiae gesehen werden.[161] Der menschliche Geist, der sich von den Folgen zur Ursache und von den Geschöpfen zum Schöpfer bewegt, nimmt seinen Anfang darin, dass er die Gegenwart der authentischen Vollendung in Gott bejaht, die in den Geschöpfen entdeckt wird (via affirmativa). Dann verneint der menschliche Geist, dass diese Vollendung in Gott mit der unvollendeten Weise identisch ist, in der sie in den Geschöpfen ist (via negativa). Schließlich bejaht er, dass sie in Gott auf eine wahrhaft göttliche Art und Weise sind, die jegliches menschliches Verstehen übersteigt (via eminentiae).[162] Die Theologie hat mit Recht die Absicht, vom Geheimnis Gottes zu sprechen, aber gleichzeitig ist ihr bewusst, dass ihre Kenntnis, obwohl wahr, doch unangemessen in Bezug auf die Wahrheit Gottes ist, die sie niemals ‚begreifen‘ kann. Augustinus stellte fest: „Wenn du begreifst, ist es nicht Gott“.[163]

98. Es ist wichtig, sich des Sinns der Leere und der Abwesenheit Gottes bewusst zu sein, die viele Menschen heute fühlen und die vieles in der modernen Kultur heute erfüllt. Die erste Wirklichkeit der christlichen Theologie ist allerdings die Offenbarung Gottes. Der verbindliche Bezugspunkt sind Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi. In diesen Ereignissen hat Gott definitiv durch sein fleischgewordenes Wort gesprochen. Affirmative Theologie ist als Ergebnis gehorsamen Hörens auf das Wort möglich, das in der Schöpfung und in der Geschichte gegenwärtig ist. Das Geheimnis Gottes, offenbart in Jesus Christus durch die Kraft des Heiligen Geistes, ist ein Geheimnis der ekstasis: der Liebe, der Gemeinschaft und des wechselseitigem Innewohnens der drei göttlichen Personen. Es ist ein Geheimnis der kenosis: im Loslassen der Gestalt Gottes durch Jesus in seiner Inkarnation, um die Gestalt eines Sklaven anzunehmen (vgl. Phil 2,5-11); und es ist das Geheimnis der theosis: dass die Menschen berufen sind, am Leben Gottes teilzuhaben und die „göttliche Natur“ durch Christus im Heiligen Geist zu teilen (2Petr 1,4). Wenn die Theologie von einem negativen Weg und von Sprachlosigkeit spricht, dann hat sie eine Art Ehrfurcht vor dem Geheimnis der Trinität im Sinn, in dem das Heil ist. Obgleich Worte es nicht vollständig beschreiben können, nehmen die Glaubenden durch Liebe bereits an dem Geheimnis teil. „Ihr habt ihn nicht gesehen, und dennoch liebt ihr ihn; ihr seht ihn auch jetzt nicht, aber ihr glaubt an ihn und jubelt in unsagbarer, von himmlischer Herrlichkeit verklärter Freude, da ihr das Ziel des Glaubens erreichen werdet: euer Heil“ (1Petr 1,8-9).

99. Ein Kriterium Katholischer Theologie ist, dass sie die Weisheit Gottes, die eine Torheit für die Welt ist, sucht und sich an ihr erfreut (vgl. 1Kor 1,18-25; 2,6-16). Die Katholische Theologie muss sich in der großen Weisheitstradition der Bibel gründen, sich mit den Weisheitstraditionen des Westlichen und Östlichen Christentums verbinden und bestrebt sein, eine Brücke zu allen Weisheitstraditionen zu schlagen. Da sie in ihrem Studium der Weisheit Gottes nach der wahren Weisheit strebt, erkennt die Theologie Gottes absoluten Vorrang. Sie strebt nicht danach, Gott zu besitzen, sondern von Gott besessen zu werden. Sie muss deshalb ihre Aufmerksamkeit auf das richten, was der Geist den Kirchen durch „das Wissen der Heiligen“ sagt. Theologie impliziert ein Streben nach Heiligkeit und immer tieferer Bewusstheit der Transzendenz des Geheimnisses Gottes.

Schluss

100. Wie die Theologie ein Dienst ist, der der Kirche und der Gesellschaft erwiesen wird, so will der vorliegende Text, der von Theologen verfasst wurde, unseren theologischen Kollegen nutzen und auch all denjenigen, mit denen die Theologen im Dialog stehen. Geschrieben mit Respekt gegenüber all jenen, die theologische Forschung betreiben, und mit einem tiefen Bewusstsein der Freude und des Privilegs der theologischen Berufung, will der Text Perspektiven und Prinzipien aufzeigen, die die Katholische Theologie charakterisieren, und Kriterien an die Hand geben, durch die die Theologie identifiziert werden kann. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Katholische Theologie das in Christus geoffenbarte Geheimnis Gottes untersucht und die Erfahrung des Glaubens zum Ausdruck bringt, dass all diejenigen, die in der Gemeinschaft der Kirche stehen, am Leben Gottes teilhaben, durch die Gnade des Heiligen Geistes, der die Kirche in die Wahrheit führt (vgl. Joh 16,13). Die Theologie denkt über die Unermesslichkeit der Liebe nach, durch die der Vater seinen Sohn der Welt geschenkt hat (vgl. Joh 3,16) und über die Herrlichkeit, Gnade und Wahrheit, die in ihm zu unserem Heil offenbart worden ist (vgl. Joh 1,14). Sie betont die Bedeutung der Hoffnung auf Gott und nicht auf geschaffene Dinge – eine Hoffnung, von deren Grund sie Rechenschaft gibt (vgl. 1Petr 3,15). In allem ist sie bestrebt, in Übereinstimmung mit der Verfügung des Heiligen Paulus immer „dankbar zu sein“ (Kol 3,15; 1Thess 5,18); selbst in Bedrängnis (vgl. Röm 8,31-39) ist sie wesentlich doxologisch, charakterisiert: durch Lob und Dank. Da sie das Werk Gottes zu unserer Erlösung untersucht und das alles übersteigende Wesen seiner Vollendung, sind Lob und Ehre die angemessensten Haltungen, wie Paulus nicht nur lehrt, sondern auch vorlebt: „Er aber, der durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns ausdenken können, er werde verherrlicht durch die Kirche und durch Christus Jesus in allen Generationen, für ewige Zeiten. Amen“ (Eph 3,20-21).

(Übersetzung: Christine Söding)


 

[1] II. Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 3. Die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils sind zitiert nach: Lexikon für Theologie und Kirche. Ergänzungsbände: Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg - Basel - Wien 1966.

[2] Für die beiden letzten Attribute s.u. die §§ 92-94, sowie 10 und 25-32.

[3] Henri de Lubac, Glauben aus der Liebe. Catholicisme. Übertragen und eingeleitet von Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln 1970, 263.

[5] „Katholisch“ wird hier mit Bezug auf die Katholische Kirche verstanden, in der die eine, heilige, katholische und apostolische, von Christus gegründete, Petrus und den Aposteln anvertraute Kirche verwirklicht ist; vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 8, Dekret über den Ökumenismus, Unitatis Redintegratio 4, Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis Humanae 1. Der Begriff „Theologie“ wird hier in dem Sinne gebraucht, wie ihn die Katholische Kirche versteht.

 

[6] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 2.

[7]Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche Verbum Domini (2010), 6, vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 2.6.

[8]Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche Verbum Domini, 3.

[9] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 1; vgl.Augustinus, De catechizandis rudibus 4, 8 (CCSL 46, 129).

[10] Wenn nicht anders angegeben, werden Bibelstellen nach der Einheitsübersetzung zitiert.

[11] Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche Verbum Domini 7; vgl. Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 108.

[12] Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 7.11.16

[13]Ebd., 21.

[14] Augustinus: „Deus … per hominem more hominum loquitur; quia et sic loquendo nos quaerit“ (De civitate DeI XVII, 6,2; CCSL 48,567); vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 12.

[15] Ebd., 11.

[16] Ebd., 8 (vgl. Kol 3,16).

[17]Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche Verbum Domini, 18.

[18]II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 2.

[19] Vgl. ebd., 5; vgl. auch I. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über den Katholischen Glauben Dei Filius, Kap. 3.

[20]Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,3; ebenso I. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über den Katholischen Glauben Dei Filius, Kap. 2.

[21]Vgl. auch 1Joh 4,1-6; 2Joh 7; Gal 1,6-9; 1Tim 4,1.

[22]Katechismus der Katholischen Kirche 2089.

[23] Augustinus, In Joannis Evang., XXIX, 6 (CCSL 36:287); ebenso Sermo 43, 7 (CCSL 41:511).

[24] Augustinus, Epistulae 120(CSEL 34, 2, 704): ‘Porro autem qui vera ratione jam quod tantummodo credebat intelligit, profecto praepondendus est ei qui cupit adhuc intelligere quod credit; si autem non cupit et ea quae intelligendae sunt credenda tantummodo existimat, cui rei fides prorsus ignorat’.

[25]Vgl. Augustinus, De Trinitate XIV, 1 (CCSL 50A, 424): ‘Huic scientiae tribuens … illud tantummodo quo fides saluberrima quae ad veram beatitudinem ducit gignitur, nutritur, defenditur, roboratur’.

[26]Johannes Paul II., Enzyklika über das Verhältnis von Glaube und Vernunft Fides et Ratio (1998), Eröffnungsworte.

[27]Anselm, Proslogion, Proemium (in S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera omnia, ed. F. S. Schmitt, t.1, p.94). Wegen des engen Bandes zwischen Glaube, Hoffnung und Liebe (vgl. oben Nr.11) kann bejaht werden, dass Theologie ebenso spes quaerens intellectum (vgl. 1Petr 3,15) und caritas quaerens intellectum ist. Der letztere Aspekt erfährt eine besondere Betonung im Christlichen Osten, weil er das Geheimnis Christi erklärt, das die Offenbarung der Liebe Gottes ist (vgl. Joh 3,16); Theologie ist Gottes Liebe in Worte gefasst.

[28]Vgl. insbesondere Melchior Cano, De locis theologicis, hg. V. Juan Belda Plans (Madrid 2006). Cano nennt zehn loci: Sacra Scriptura, traditiones Christi et apostolorum, Ecclesia Catholica, Concilia, Ecclesia Romana, sancti veteres, theologi scholastici, ratio naturalis, philosophi, humana historia.

[29]II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Offenbarung Dei Verbum, 24.

[30]Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche Verbum Domini, 35.

[31]Konzil von Trient,Decretum de libris sacris et de traditionibus recipiendis (DH 1501-1505).

[32]Päpstliche Bibelkommission, Die Interpretation der Bibel in der Kirche (1993), III, C; vgl. Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche Verbum Domini, 33.

[33]II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 12.

[34] Vgl. ebd.

[35] Vgl. Päpstliche Bibelkommission, Die Interpretation der Bibel in der Kirche, I, B-E.

[36]Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche Verbum Domini, 34.

[37] „Da die Heilige Schrift in dem Geist gelesen und ausgelegt werden muß, in dem sie geschrieben wurde, erfordert die rechte Ermittlung des Sinnes der heiligen Texte, daß man mit nicht geringerer Sorgfalt auf den Inhalt und die Einheit der ganzen Schrift achtet, unter Berücksichtigung der lebendigen Überlieferung der Gesamtkirche und der Analogie des Glaubens“ (II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 12).

[38] Vgl. Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche Verbum Domini, 39.

[39]Vgl. Päpstliche Bibelkommission, Die Interpretation der Bibel in der Kirche (1993), II, B; ebenso Katechismus der Katholischen Kirche 115-118. Die Theologie des Mittelalters sprach von den vier Bedeutungen der Schrift: Littera gesta docet, quid credas allegoria, moralis quid agas, quo tendas anagogia.

[40]Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche Verbum Domini, 34.

[41] Über den zentralen Stellenwert der Schrift in der Theologie s. Bonaventura, Breviloquium, Prolog.

[42]II. Vatikanisches Konzil,Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam Totius, 16; vgl. Thomas v. Aquin, Summa Theologiae, Ia, q.36, 1.2, ad 1: ‚de Deo dicere non debemus quod in sacra Scriptura non invenitur vel per verba, vel per sensum‘.

[43]Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche Verbum Domini, 37.

[44] Vgl. ebd., 46.

[45] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 21.

[46] Vgl. ebd., 22.

[47] Ebd., 8.

[48] Vgl. ebd., 7.

[49] Ebd., 8.

[50] Ebd., 8.

[51] Vgl. II. Vatikanisches Konzil,Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam Totius, 16.

[52] CyriLl von Alexandria präsentierte ein Dossier patristischer Auszüge dem Konzil von Ephesus; vgl. Mansi IV, 1183-1195; E. Schwartz (Hg.), Acta Conciliorum Oecumenicorum I, 1.1, S.31-44.

[53] Vgl. Augustinus, Contra duas epistulas pelagianorum, 4, 8, 20 (CSEL 60, 542-543); 4, 12, 32 (CSEL 60, 568-569); Contra Iulianum, 1, 7, 34 (PL 44, 665); 2, 10, 37 (PL 44, 700-702). Auch Vincenz von Lerins, Commonitorium 28, 6 (CCSL 64, 187): ‘Sed eorum dumtaxat patrum sententiae conferendae sunt, qui in fide et communione catholica sancte sapienter constanter viventes docentes et permanentes, vel mori in Christo fideliter vel occidi pro Christo feliciter meruerunt.’

[54] Vgl. DH 301, 1510.

[55] DH 1507. 3007.

[56] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 25.

[57] Internationale Theologenkommission, Die Interpretation der Dogmen (1990), B, III, 3; vgl. Theologischer Pluralismus, (1972), Nr. 6-8. 10-12.

[58] Vgl. Johannes XXIII., Allocutio in Concilii Vaticani inauguratione, AAS 84(1962), S.792; II. Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution ber die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes,62. Für eine detaillierte Erörterung der Frage siehe Internationale Theologenkommission, Die Interpretation der Dogmen.

[59] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 10.

[60] Ebd., 9.

[61] Ebd., 24.

[62]Johann Adam Möhler, Die Einheit in der Kirche oder das Prinzip des Katholizismus. Dargestellt im Geiste der Kirchenväter der drei ersten Jahrhunderte, herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Josef Rupert Geiselmann, Köln 1956, 51.

[63] Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche Verbum Domini,7.

[64] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 8.

[65] Ebd., 9.

[66] Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,, 8; II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 13. 14; Dekret über den Ökumenismus Unitatis Redintegratio 15, 17; Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad Gentes 22.

[67]Vgl. Yves Congar, Tradition et traditions. I Essai historique; II Essai théologique, Paris: 1960, 1963.

[68]Schrift, Überlieferung und Überlieferungen, in P. C. Rodger und Lukas Vischer (Hg.), The Fourth World Conference on Faith and Order: Montreal 1963 (New York: Association Press, 1964), Nr. 48, S.52. Genau genommen muss nach diesem Dokument die „Tradition“ (auch im Englischen großgeschrieben) und die Traditionen (im Englischen kleingeschrieben) unterscheiden. „Tradition“ „das Evangelium selbst, überliefert von Generation zu Generation und durch die Kirche selbst”, so ist Christus selbst im Leben der Kirche gegenwärtig“; die „Traditionen“ (im Englischen kleingeschrieben) erfassen den Vorgang der Überlieferung (Nr. 39, S. 50).

[69] Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über den Ökumenismus Unitatis Redintegratio, 6.

[70] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 12.

[71] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 8.

[72] Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 35.

[73] Ebd., 12.

[74] Vgl. ebd., Kap. 2-

[75] Vgl. ebd., Kap. 3.

[76] Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 8; Irenäus, Adv. Haer., IV, 26,2.

[77] Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 21. 24-25.

[78] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 10; siehe oben § 30.

[79] Augustinus, Sermo 340 A, (PL 38, 1483).

[80] Die Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen Donum Veritatis (1990) spricht von der Wahrheit, die Gott seinem Volk gibt (Nr. 2-5) und verortet „die Berufung des Theologen“ im direkten Dienst am Volk Gottes, so dass sie ein Verständnis von der Gabe des empfangenen Glaubens haben sollten (Nr. 6-7).

[81] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 10.

[82] Die Internationale Theologenkommission stellte diese Frage in ihrem Papier Thesen über die Beziehung zwischen kirchlichem Lehramt und Theologie (1975), ebenso die Kongregation für die Glaubenslehre in Donum Veritatis.

[83] Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 10.

[84] Vgl. Internationale Theologenkommission, Thesen über die Beziehung zwischen kirchlichem Lehramt und Theologie, These 2. Heute wie in der Vergangenheit bilden Bischöfe und Theologen nicht zwei klar voneinander trennbare Gruppen.

[85] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Donum Veritatis, 21.

[86] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium,21-25, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe Christus Dominus, 12, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 10.

[87] Thomas von Aquin unterscheidet das „magisterium cathedrae pastoralis“ von dem magisterium cathedrae magistralis“, ersteres bezieht sich auf die Bischöfe, letzteres auf die Theologen. In jüngster Zeit bezieht sich „Amt“ oder „kirchliches Amt“ besonders auf die erste dieser beiden Bedeutungen und wird in diesem Text in dem Sinn gebraucht (vgl. oben §§ 26,28-30.33). Während die Theologen eine lehrende Rolle haben, die von der Kirche formell rekognosziert werden kann, darf sie nicht mit derjenigen der Bischöfe verwechselt oder ihr entgegengesetzt werden; vgl. Thomas von Aquin, Contra Impugnantes, cap. 2; Quaest. Quodlibet. III, q. 4,a. 9 ad 3; In IV Sent., d. 19, q. 2, a. 3, qa. 3, ad 4; auch Donum Veritatis, Fußnote 27.

[88] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Donum Veritatis 34.

[89] Vgl. ebd. 13-20.

[90] Vgl. Internationale Theologenkommission, Die Interpretation der Dogmen,B, II, 3. Widerspruch durch theologische Thesen zu den Lehren des Magisteriums auf seinen unterschiedlichen Ebenen gibt Anlass zu entsprechend differenzierten negativen Evaluationen oder gar zur Zurückweisung solcher Thesen und möglichen Sanktionen gegen die Verantwortlichen; vgl. Johannes Paul II., Apostolischer Brief motu proprio Ad Tuendam Fidem (1998).

[91]Vgl. Internationale Theologenkommission, Thesen zum Verhältnis zwischen kirchlichem Lehramt und Theologie, These 8.

[92] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Donum Veritatis 21-41.

[93] John Henry Newman, ‚Vorwort zur Dritten Auflage’, in: The Via Media of the Anglican Church, hg. v. H.D. Wiedner (Oxford. Clarendon Press, 1990), S. 10-57, hier S. 27.

[94] „Vorwort zur Dritten Auflage“, S.29-30. „Nicht jedes Wissen passt zu jeglichem Verstand; eine These mag noch so wahr sein, doch zu einer bestimmten Zeit und an einem spezifischen Ort kann sie verwegen anstößig und skandalös für fromme Ohren sein“, obgleich sie nicht „häretisch“ und auch nicht „falsch“ ist. (S. 34).

[95] Internationale Theologenkommission, Lehramt und Theologie, These 8.

[96] Vgl. ebd., These 8.

[97] Ebd., These 8.

[98] S. u. § 83.

[99] Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 22.25.

[100] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Donum Veritatis 11.

[101] Siehe z.B. Augustinus, Epist. 82, 5, 36 (CCSL 31A: 122), wo er vorbringt, dass man in der Freiheit der Freundschaft und mit brüderlicher Liebe frei sein sollte sich gegenseitig zu korrigieren; ebenso De Trinitate, I, 3, 5 (CCSL 50:33), wo er sagt, dass er am meisten profitiert, wenn diejenigen, die nicht mit ihm einer Meinung sind, ihre Angelegenheit Nächstenliebe und Wahrheit verfolgen und es dadurch gelingt, sein eigenes Argument zu widerlegen.

[102] Vgl. Internationale Theologenkommission, Die Interpretation der Dogmen, C, III, 6.

[103] Vgl. Johannes Paul II, Enzyklika Ut Unum Sint 28.

[104] II. Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes11.

[105] Ebd. 11.

[106] Ebd. 4.

[107] Ebd. 44.

[108] Vgl. Ebd. 44.

[109] Ebd. 44.

[110]Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie, Sacrosanctum Concilium 43, Dekret über den Ökumenismus Unitatis Redintegratio 4, Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis Humanae, 15, Dekret über das Laienapostolat Apostolicam Actuositatem, 14, Dekret über den Dienst und das Leben der Priester Presbyterorum Ordinis 9.

[111] II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 11.

[112] II. Vatikanisches Konzil, Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate, 2.

[113] Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae, IIa-IIae, q. 2,a. 10.

[114]Vgl. Anselm, Proslogion, Kap. 1 (in S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera omnia, ed. F. S. Schmitt, t.1, S.100): ‘Desidero aliquatenus intelligere veritatem tuam, quam credit et amat cor meum’; also Augustinus, De Trinitate, XV, 28, 51 (CCSL 50A:534).

[115]Vgl. Anselm, Proslogion, Kap. 1 (in S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera omni, ed. F. S. Schmitt, t.1, S.100): ‘Non tento, domine, penetrare altitudinem tuam …. Neque enim quaero intelligere ut credam, sed credo ut intelligam. Nam et hoc credo: quia “nisi credidero, non intelligam”.

[116] Vgl. Origines, Contra Celsum, prol., 4 (ed. M. Boret, Sources chrétiennes, Bd.132, S. 72-73); Augustinus, De civitate Dei I (CCSL 47).

[117] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika über das Verhältnis von Glaube und Vernunft Fides et Ratio 73.

[118] Vgl. ebd., 77.

[119] Vgl. I. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über den Katholischen Glauben Dei Filius (DH 3017); ebenso Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, I, c. 7.

[120] I. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über den Katholischen Glauben Dei Filius (DH 3019).

[121]Vgl. Justin, Dialogus cum Tryphone, 8, 4 (Iustini philosophi et martyris opera quae feruntur omnia, ed. C. T. Otto, Corpus apologetarum christianorum saeculi secundi, 2, Iéna, 1877, SS.32-33); Tatian, Oratio ad Graeco 31 (Corpus apologetarum christianorum saeculi secundi, 6, Iéna, 1851, p.118); auch Johannes Paul II., Enzyklika über das Verhältnis von Glaube und Vernunft Fides et Ratio, 38.

[122] Vgl. Augustinus, De civitate Dei VI (CCSL 47:170-184).

[123] Als Reaktion auf den theologischen Rationalisimus der „radikalen Arianer“ bestanden die kapadozischen Väter und die griechische theologische Tradition auf der Unmöglichkeit der Kenntnis des göttlichen Wesens selbst (s.u.), weder durch Natur noch durch Gnade noch im Stand der Verherrlichung. Die lateinische Theologie, die davon überzeugt war, dass das Wohl des Menschen nur in der Schau Gottes, „wie er ist“, bestehen kann (vgl. 1Joh 3,2), unterschied zwischen derjenigen Kenntnis des göttlichen Wesens, die den Gesegneten verheißen wurde, und der umfassenden Kenntnis des göttlichen Wesens, das nur Gott eigen ist. In der Konstitution Benedictus Deus (1336) definierte Benedikt XII., dass der Selige das wahre Wesen Gottes schauen kann, von Angesicht zu Angesicht (DH 1000).

[124]Vgl. Thomas von Aquin, In Boethium De Trinitate, Prolog (ed. Leonine, Bd. 50, S. 76): ‘Modus autem de Trinitate tractandi duplex est, ut dicit Augustinus in I de Trinitate, scilicet per auctoritates et per rationes. Quem utrumque modum Augustinus complexus est, ut ipsemet dicit; quidam vero sanctorum patrum, ut Ambrosius et Hylarius, alterum tantum modum prosequti sunt, scilicet per actoritates; Boetius vero elegit prosequi per alium modum, scilicet per rationes, praesupponens hoc quod ab aliis per auctoritates fuerat prosequtum.’

[125] Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae, IIa-IIae, q. 1, a. 7.

[126] Thomas von Aquin, Summa theologiae, 1a, q. 1, a. 3, ad 2.

[127] Vgl. Thomas a Kempis, Imitatio Jesu Chisti, I, 3.

[128]Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika über das Verhältnis von Glaube und Vernunft Fides et Ratio,66.

[129] Vgl. ebd., 73.

[130] Vgl. I. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über den Katholischen Glauben Dei Filius (DH 3008-3009,3031-3033).

[131] Augustinus : ‘de divinitate ratio sive sermo’ (De civitate Dei VIII, 1; CCSL 47, 216-217).

[132]Vgl. Thomas v. Aquin, Summa theologiae, Ia, q.1, a.7: ‘Omnia autem pertractantur in sacra doctrina sub ratione Dei, vel quia sunt ipse Deus; vel quia habent ordinem ad Deum, ut ad principium et finem. Unde sequitur quod Deus vere sit subiectum huius scientiae.’

[133] II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam Totius, 16.

[134] Vgl. Internationale Theologenkommission, Glaube und Inkulturation (1988).

[135] Vgl. Internationale Theologenkommission, Einheit des Glaubens und theologischer Pluralismus (1972).

[136] Vgl. Internationale Theologenkommission, Die Interpretation der Dogmen (1989).

[137] S.o., Kap. 2, Abschn. 2 „Treue zur Apostolischen Tradition“.

[138] Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam Totius, 16.

[139] Vgl. Päpstliche Bibelkommission, Die Interpretation der Bibel in der Kirche. Dieser Text dient als wertvolles Paradigma, insofern er die Kapazitäten und Grenzen der verschiedenen zeitgenössischen Methoden der Exegese innerhalb des Horizontes einer Theologie der Offenbarung reflektiert, die in der Schrift selbst verwurzelt ist und im Einklang mit den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils steht.

[140]Vgl. Summa theologiae, Ia, q. 1, a. 5, ad 2, wo Thomas v. Aquin von der Theologie sagt: ‘Haec scientia accipere potest aliquid a philosophicis disciplinis, non quod ex necessitate eis indigeat, sed ad maiorem manifestationem eorum quae in hac scientia traduntur. Non enim accipit sua principia ab aliis scientiis, sed immediate a Deo per revelationem. Et ideo non accipit ab aliis scientiis tanquam a superioribus, sed utitur eis tanquam inferioribus et ancillis.’

[141] In seiner Enzyklika über einige grundlegende Fragen der Morallehre Veritatis Splendor (1993) rief Johannes Paul II. z.B. die Moraltheologen dazu auf, bei der Verwendung behaviouristischer Wissenschaften keine Unterscheidungen zu treffen (bes. Nr. 33, 111, 112).

[142] Die frühen Kirchenväter betonten, dass Häresien, besonders die verschiedenen Formen des Gnostizismus, oft von einer unzureichend kritischen Annahme bestimmter philosophischer Theorien herrührten. Siehe z. B. Tertullian, De praescriptione haereticorum 7,3 (Sources chretiennes 46, S. 96): „Ipsae denique haereses a philosophia subornantur“.

[143] Vgl. Johannes Paul II., Botschaft an die Teilnehmer der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, 22. Oktober 1996; ebenso Johannes Paul II., Enzyklika über das Verhältnis von Glaube und Vernunft Fides et Ratio,69.

[144] Benedikt XVI. beobachtet eine Pathologie der Vernunft, wenn sie sich von den Fragen der letzten Wahrheit und von der Frage nach Gott abwendet. Durch diese schmerzliche Selbstbeschränkung wird die Vernunft zum Gegenstand menschlicher Interessen; sie wird auf „instrumentelle Vernunft“ reduziert. Dadurch wird der Weg zum Relativismus gebahnt. Angesichts dieser Gefahr schlägt Benedikt mehrfach vor, dass der Glaube „eine reinigende Kraft für die Vernunft selbst“ ist: „Er befreit sie von der Perspektive Gottes her von ihren Verblendungen und hilft ihr deshalb, besser sie selbst zu sein. Er ermöglicht der Vernunft, ihr eigenes Werk besser zu tun und das ihr Eigene besser zu sehen“ (Enzyklika über die christliche Liebe Deus Caritas est [2005], 28).

[145] Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae, Ia, q.1,a.6.

[146] Vgl. Augustinus, De Trinitate, XII, 14,21-15,25 (CCSL 50:374-380).

[147] Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae, Ia, q.1, a.6.

[148] Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae, Ia, q.1, a.6, ad 3.

[149] I. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über den Katholischen Glauben Dei Filius, Kap.4 (DH 3016).

[150] Vgl. Dionyius, De divinis nominibus, Kap. 2,9 (in: Corpus Dionysiacum, I. Pseudo-Dionysius Areopagita De divinis nominibus, Herausgegeben von Beate Regina Suchla [Patristische Texte und Studien 33], S. 134).

[151] Vgl. Maximos Confessor, Four Hundred Texts on Love, 2, 26 (G.E.H. Palmer, Philip Sherrard, Kallistos Ware, trans. & ed., The Philokalia, vol.2, London/Boston, 1981, S.69): „Dem Verstand ist die Gnade der Theologie zugesagt, wenn er, getragen von den Flügeln der Liebe….in Gott aufgenommen wird und mit der Hilfe des Heiligen Geistes, soweit es für den menschlichen Verstand möglich ist, die Eigenschaften Gottes unterscheidet; auch Richard von St Victor, De praeparatione animi ad contemplationem 13 (PL 196, 10A): Ubi amor, ibi oculus; Tractatus de gradibus charitatis 3, 23 (G. Dumeige [Hg.], Textes philosophiques du Moyen Age, Bd. 3, Paris: 1955, S.71).

[152] Private Offenbarungen sind immer Gegenstand kirchlicher Beurteilung und haben, selbst wenn sie authentisch sind, nur eine Bedeutung, die „wesentlich unterschieden von der einer öffentlichen Offenbarung“ ist (vgl. Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche Verbum Domini, 14).

[153] Theresa von Avila, Wege der Vollkommenheit, Kap. 5.

[154] Vgl. Internationale Theologenkommission, Die Interpretation der Dogmen, B, III, 4: „Die theologische Auslegung der Dogmen ist nach der Lehre der Väter nicht nur ein rein intellektueller Vorgang, sondern ein zutiefst geistliches, d.h. vom Geist der Wahrheit getragenes Geschehen, das nicht ohne Reinigung der Augen des Herzens möglich ist.“

[155] Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in der Liebe und in der Wahrheit Caritas in Veritate (2009), 1.

[156] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 26; vgl. Johannes Paul II., Enzyklika über die Eucharistie in ihrer Beziehung zur Kirche Ecclesia de Eucharistia (2003), 1.

[157] II. Vatikanisches Konzil, Dekret über den Dienst und das Leben der Priester Presbyterorum Ordinis, 5.

[158] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium,11.

[159] II. Vatikanisches Konzil, Dekret über den Dienst und das Leben der Priester Presbyterorum Ordinis, 5.

[160]Viertes Laterankonzil (DH 806).

[161] Thomas von Aquin, In IV Sent., d. 35, q. 1, a. 1, ad 2: ‘Omnis negatio fundatur in aliqua affirmatione’.

[162]Vgl. Thomas v. Aquin, Quaestiones disputatae de potentia, q. 7, a. 5, ad 2, wo er die Lehren des Dionysos interpretiert.

[163]Augustinus : « De deo loquimur, quid mirum si non comprehendis? Si enim comprehendis, non est Deus » (Sermo 117, 3, 5; PL 38, 663); « Si quasi comprehendere potuisti, cogitatione tua te decepisti » (Sermo 52, 6, 16; PL 38, 360).

 

  

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