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BOTSCHAFT VON PAPST FRANZISKUS
ZUM WELTERNÄHRUNGSTAG 2016

 

An Prof. José Graziano da Silva
Generaldirektor der FAO

Sehr geehrter Herr Generaldirektor!

1. Die FAO hat den diesjährigen Welternährungstag dem Thema »Das Klima ändert sich, und ebenso müssen sich Ernährung und Landwirtschaft ändern« gewidmet, und dies führt uns zum Nachdenken über die Tatsache, dass der Kampf gegen den Hunger erschwert wird durch das Vorhandensein eines komplexen Phänomens: den Klimawandel. Im Hinblick auf das Ziel, die Herausforderungen zu bewältigen, die die Natur dem Menschen stellt und die der Mensch der Natur stellt (vgl. Enzyklika Laudato si’, 25), erlaube ich mir der FAO, ihren Mitgliedsstaaten und allen an ihrer Aktivität Beteiligten einige Reflexionen zur Erwägung zu unterbreiten. Worauf ist der aktuelle Klimawandel zurückzuführen?

Wir müssen uns der Frage nach unserer individuellen und gemeinschaftlichen Verantwortung stellen, ohne auf oberflächliche Sophismen zurückzugreifen, die sich hinter statistischen Daten oder widersprüchlichen Prognosen verbergen. Es geht nicht darum, wissenschaftliche Erkenntnisse zu ignorieren, die notwendiger denn je sind, sondern es gilt, über die bloße Feststellung des Phänomens oder die Aufzählung der vielfältigen Auswirkungen hinauszugehen. Unsere Situation als Menschen, die zwangsläufig miteinander in Beziehung stehen, und unsere Verantwortung als Hüter der Schöpfung und ihrer Ordnung verpflichten uns, zu den Ursachen der aktuellen Veränderungen und zwar bis zu deren Wurzel vorzudringen. Vor allem müssen wir zugeben, dass die Ursachen verschiedener negativer Auswirkungen auf das Klima im alltäglichen Verhalten von Einzelpersonen, Gemeinschaften, Völkern und Staaten liegen. Wenn uns dies bewusst ist, dann wird die bloße Bewertung unter ethischen und moralischen Gesichtspunkten nicht ausreichen. Politisches Eingreifen ist notwendig, und das heißt die notwendigen Entscheidungen zu treffen; es heißt, von bestimmten Verhaltensweisen und Lebensstilen abzuraten, andere wiederum, die den jungen und den zukünftigen Generationen zugute kommen, zu fördern. Nur so werden wir die Erde erhalten können.

Die zu ergreifenden Maßnahmen müssen angemessen geplant werden und dürfen nicht von Emotionen oder von kurzfristigen Beweggründen bestimmt sein. Es ist wichtig, sie zu planen. Bei dieser Aufgabe spielen die zur Zusammenarbeit aufgerufenen Institutionen eine entscheidende Rolle, da das Agieren Einzelner zwar notwendig ist, aber nur wirksam sein kann, wenn es in ein Netz aus Personen, öffentlichen und privaten Einrichtungen, nationalen und internationalen Strukturen eingefügt ist. Dieses Netz darf aber nicht anonym bleiben. Dieses Netz trägt den Namen der Brüderlichkeit und muss seiner grundsätzlichen Solidarität gemäß handeln.

2. Wer auf dem Acker, in der Viehzucht, in der Kleinfischerei, in den Wäldern arbeitet oder in ländlichen Gebieten in direktem Kontakt mit den Auswirkungen des Klimawandels lebt, macht die Erfahrung, dass sich auch sein Leben ändert, wenn sich das Klima ändert. Der Alltag wird betroffen von schwierigen, zuweilen dramatischen Situationen, die Zukunft wird immer unsicherer und so bricht sich die Idee Bahn, Haus und Heimat zu verlassen. Diese Menschen fühlen sich im Stich gelassen, vergessen von den Institutionen, sowohl der Hilfe beraubt, die die Technik leisten könnte, als auch ohne die angemessene Beachtung von uns allen, denen ihre Arbeit zugute kommt.

Von der Weisheit der ländlichen Dorfgemeinschaften können wir einen Lebensstil erlernen, der uns helfen kann, uns gegen die Logik des Konsums und der Produktion um jeden Preis zu wehren, eine Logik, die sich mit guten Gründen der Rechtfertigung bemäntelt, wie zum Beispiel dem Bevölkerungswachstum, die in Wirklichkeit aber nur auf steigende Gewinne abzielt. Im Bereich, in dem die FAO tätig ist, gibt es eine wachsende Anzahl von Personen, die glauben allmächtig zu sein und sich über den Zyklus der Jahreszeiten hinwegsetzen oder zu Unrecht die verschiedenen Tier- und Pflanzenarten manipulieren  zu können. Allerdings richten sie so die Artenvielfalt zugrunde, und da sie in der Natur existiert, bedeutet es, dass sie eine Funktion hat und haben muss. Arten zu kreieren, die im Labor exzellente Resultate hervorbringen, mag für einige sehr vorteilhaft sein, für andere aber verheerende Folgen haben. Und das Prinzip der Vorsicht reicht hier nicht aus, weil man sich häufig darauf beschränkt, etwas nicht zu erlauben, wogegen ein ausgewogenes und aufrichtiges Handeln notwendig wäre. Die genetische Selektion einer Pflanzenart kann aus quantitativer Sicht beeindruckende Ergebnisse erzielen. Aber haben wir auch das Land berücksichtigt, das seine Produktionskapazität einbüßen wird; die Viehzüchter, die keine Weide für ihre Tiere mehr finden werden, und die vielen Wasserressourcen, die sich als nicht mehr nutzbar erweisen werden? Und haben wir uns vor allem gefragt, ob und in welchem Maß wir zum Klimawandel beitragen werden?

Daher: Nicht Vorsicht, sondern Weisheit! Jene Weisheit, die Bauern, Fischer, Viehzüchter im Gedächtnis vieler Generationen bewahren und die heute verspottet und vergessen wird zugunsten eines Produktionsmodells, von dem nur kleine Gruppen und ein kleiner Teil der Weltbevölkerung profitieren. Bedenken wir dabei: Es handelt sich um ein Modell, das mit all seiner Weisheit zulässt, dass etwa achthundert Millionen Menschen weiterhin Hunger leiden.

3. Das Problem spiegelt sich direkt in den Notlagen wider, denen zwischenstaatliche Institutionen wie die FAO tagtäglich entgegentreten und die sie bewältigen müssen mit dem Bewusstsein, dass die klimatischen Veränderungen nicht ausschließlich dem Bereich der Meteorologie angehören. Wir dürfen nicht vergessen, dass auch das Klima dazu beiträgt, dass die menschliche Mobilität nicht aufzuhalten ist. Die neuesten Zahlen sagen uns, dass Klimamigranten immer zahlreicher werden und die Reihen jener Karawane der Letzten, der Ausgeschlossenen sowie derjenigen vermehren, denen man eine Rolle in der großen Menschheitsfamilie verweigert – eine Rolle, die von keinem Staat oder »Status« gewährt wird, sondern die jedem Menschen als Person mit ihrer Würde und ihren Rechten zukommt. Bewegt und erschüttert zu sein angesichts derer, die auf allen Breitengraden um das tägliche Brot betteln, reicht nicht aus. Entscheidungen und Taten sind notwendig. Oft haben auch wir als katholische Kirche darauf hingewiesen, dass das weltweite Produktionsniveau ausreichend ist, um die Ernährung aller Menschen zu gewährleisten, vorausgesetzt es gibt eine gerechte Verteilung. Dürfen wir weiter in diese Richtung gehen, wo die Logik des Marktes andere Wege einschlägt und sogar so weit geht, Grundnahrungsmittel als bloße Ware zu behandeln, immer mehr Nahrungsmittel für andere als Nahrungszwecke zu gebrauchen oder Nahrungsmittel zu vernichten, bloß weil es eine große Menge gibt und man mehr nach Gewinn strebt, als den Bedarf zu berücksichtigen? Wir wissen allerdings, dass der Verteilungsmechanismus bloße Theorie bleibt, wenn die Hungernden keinen realen Zugang zu den Nahrungsmitteln haben, wenn sie weiterhin von der mehr oder weniger an Bedingungen geknüpften Hilfe von außen abhängig sind, wenn keine korrekte Beziehung zwischen Nahrungsmittelbedarf und Konsum hergestellt wird und nicht zuletzt wenn man die Verschwendung nicht ausmerzt und den Nahrungsmittelverlust nicht reduziert.

Wir alle sind aufgerufen, zu dieser Kurskorrektur beizutragen: die verantwortlichen Politiker, die Produzenten, diejenigen, die auf dem Feld, im Fischfang und in den Wäldern arbeiten und alle Bürger. Sicherlich, jeder in seinem Verantwortungsbereich, aber alle in derselben Rolle als Akteure, die eine Ordnung in den Nationen sowie eine internationale Ordnung errichten, die weder zulässt, dass der Fortschritt ein Privileg weniger ist, noch dass die Güter der Schöpfung Eigentum der Mächtigen sind. Es fehlt nicht an Möglichkeiten, und die positiven Beispiele, die bewährten Praktiken stellen uns Erfahrungen zur Verfügung, denen man folgen kann, die man teilen und verbreiten kann.

4. Der Wille zur Umsetzung darf nicht von den sich daraus ergebenden Vorteilen abhängen, sondern er ist eine Notwendigkeit, geknüpft an die Bedürfnisse, die sich im Leben der Menschen und der gesamten Menschheitsfamilie zeigen: materielle und spirituelle, aber reale Bedürfnisse, die nicht Ergebnis der Entscheidungen von wenigen Akteuren, momentanen Moden oder Lebensmodellen sind, die aus dem Menschen ein Objekt machen, aus dem menschlichen Leben ein Mittel und sogar einen Versuchsgegenstand und aus der Nahrungsmittelproduktion eine rein wirtschaftliche Angelegenheit, der man selbst die verfügbaren Nahrungsmittel opfern darf, deren natürlicher Zweck es wäre, sicherzustellen, dass jeder täglich über ausreichend gesunde Nahrung verfügt. Wir stehen kurz vor der neuen Phase, die die Vertragsstaaten der Konvention über Klimaänderungen in Marrakesch zusammenrufen wird, um deren Verpflichtungen umzusetzen. Ich denke, ich spreche den Wunsch vieler aus, wenn ich hoffe, dass die in der Vereinbarung von Paris umrissenen Ziele nicht nur schöne Worte bleiben, sondern in mutige Entscheidungen umgesetzt werden, damit Solidarität nicht nur eine Tugend sei, sondern auch ein wirksames Modell der Wirtschaft, und die Geschwisterlichkeit nicht nur eine Sehnsucht sei, sondern vielmehr ein Kriterium der nationalen und internationalen Governance.

Dies, Herr Generaldirektor, sind einige Reflexionen, die ich Ihnen in diesem Augenblick zukommen lassen möchte, in dem Sorgen, Erschütterungen und Spannungen zutage treten, die auch von der Klimafrage hervorgerufen werden, die in unserem Alltag immer mehr präsent ist und vor allem die Lebensbedingungen vieler unserer schutzlosesten und ausgegrenzten Brüder und Schwestern belastet. Möge der Allmächtige ihre Anstrengungen im Dienste der ganzen Menschheit segnen.

Aus dem Vatikan, am 14. Oktober 2016

 FRANZISKUS

 



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