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 OFFIZIELLER BESUCH DES ITALIENISCHEN STAATSPRÄSIDENTEN GIORGIO NAPOLITANO
 

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS

Samstag, 8. Juni 2013

   

Herr Präsident der Republik!

Ich möchte Ihnen aufrichtig danken für Ihren willkommenen Besuch, der mir die Gelegenheit gibt, meinen herzlichen Gruß an Sie und das ganze italienische Volk zu richten, deren Vertreter Sie kürzlich für ein neues Mandat im höchsten Amt des Staates gewählt haben. Mein Gruß und mein Dank gelten ebenso allen Mitgliedern der hochrangigen Delegation, die Sie begleitet.

Ihr Besuch, Herr Präsident, reiht sich ein in eine nunmehr lange Geschichte der Beziehungen und bestätigt – nach auch schwierigen und schmerzhaften Vorfällen – einmal mehr die Normalität und Vortrefflichkeit der Beziehungen zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl. Diese Beziehungen haben sich besonders nach der Versöhnung und der Aufnahme der Lateranverträge in die italienische Verfassung entwickelt sowie unter neuer Perspektive nach dem Zweiten Ökumenischen Vatikanischen Konzil und der Übereinkunft zur Revision des Konkordats. Von beiden Seiten wurde mehrfach mit vollem Recht unterstrichen, dass der Dialog zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl das Wohl des italienischen Volkes zum Hauptziel hat und als geistigen Hintergrund seine historisch einmalige Rolle in Europa und der Welt. In dieser Hinsicht kann Italien wirklich ein Vorbild in der Gemeinschaft der Völker sein, wie es mehrfach von sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten anerkannt wurde und in letzter Zeit auch klar zu erkennen war aus den intensiven Beziehungen der Wertschätzung und Freundschaft zwischen Ihnen, Herr Präsident, und Seiner Heiligkeit Benedikt XVI.

In Italien verwirklicht sich die immer am Interesse des Volkes und der Gesellschaft ausgerichtete Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche in den täglichen Beziehungen zwischen den zivilen Behörden und den Instanzen der katholischen Gemeinschaft, repräsentiert durch die Bischöfe und ihre Einrichtungen, und in ganz besonderer Weise vom Bischof von Rom. So kann auch dieser erste Besuch des Präsidenten beim Papst – nach Ihrer Teilnahme an der heiligen Messe zum Pontifikatsbeginn – zum Ausdruck gebracht werden mit dem Bild der beiden Hügel, des Quirinals und des Vatikans, die mit Wertschätzung und Sympathie aufeinander blicken.

In diesem Jahr 2013 wird das 1700-Jahr-Jubiläum des Mailänder Ediktes begangen, das von vielen Seiten als Symbol der ersten Bestätigung des Prinzips der Religionsfreiheit angesehen wird. Vor einhundert Jahren bildeten die Gedenkfeiern dieses Anlasses eine Etappe im historischen Prozess, der die Bewusstwerdung und den Beitrag der Katholiken für den Aufbau der italienischen Gesellschaft begünstigte, ein Beitrag, der für den Weg der Nation weiterhin wichtig ist.

In der Welt von heute wird die Religionsfreiheit häufiger behauptet als verwirklicht. Denn sie ist heute Bedrohungen verschiedener Art ausgesetzt und wird nicht selten verletzt. Die schwerwiegenden Verletzungen dieses Grundrechtes sind Anlass zu ernster Sorge und müssen eine einmütige Reaktion der Länder der Welt zur Folge haben, mit der gegen jeden Angriff die unverletzliche Würde der menschlichen Person bekräftigt wird. Es ist die Pflicht aller, die Religionsfreiheit zu verteidigen und sie jedem zu ermöglichen. Im gemeinsamen Schutz dieses sittlichen Gutes liegt darüber hinaus auch eine Gewähr für das Wachstum und die Entwicklung der gesamten Gemeinschaft. Der historische Augenblick, den wir erleben, ist auch in Italien wie in vielen anderen Ländern von einer tiefen und anhaltenden globalen Krise gezeichnet, welche die wirtschaftlichen und sozialen Probleme verschärft und vor allem auf dem schwächsten Teil der Gesellschaft lastet. Besorgniserregend sind vor allem Phänomene wie die Schwächung der Familie und der sozialen Bindungen, der demographische Wandel mit seinen sinkenden Bevölkerungszahlen, das Vorherrschen einer Logik, die den Profit gegenüber der Arbeit bevorzugt, die mangelnde Aufmerksamkeit für die jüngeren Generationen und ihre Erziehung und Ausbildung, auch im Hinblick auf eine glückliche und sichere Zukunft.

In diesem sicherlich nicht leichten Kontext ist es von grundlegender Bedeutung, das Gesamtgefüge der demokratischen Institutionen zu garantieren und zu entwickeln, zu denen die italienischen Katholiken in den vergangenen Jahrzehnten mit Loyalität und Kreativität einen entscheidenden Beitrag geleistet haben. In einem Augenblick der Krise wie der gegenwärtigen ist es daher sehr dringlich, dass vor allem unter den jungen Menschen eine neue Wertschätzung des politischen Engagements wachsen kann und dass Gläubige und Nicht-Gläubige beim Aufbau einer Gesellschaft zusammenarbeiten, in der die Ungerechtigkeiten überwunden werden können und in der jeder Mensch angenommen wird und zum Gemeinwohl beitragen kann mit der ihm eigenen Würde und unter Einbringung der eigenen Fähigkeiten. Die Distanz zwischen Buchstabe und Geist der demokratischen Ordnungen und Institutionen muss stets erkannt werden, und es ist der Einsatz aller Beteiligten vonnöten, um ihn jedes Mal neu zu überbrücken. Auch wir Katholiken haben die Pflicht, uns immer mehr auf einem ernsthaften Weg der geistlichen Bekehrung einzusetzen, damit wir uns jeden Tag mehr dem Evangelium annähern, das uns zu einem konkreten und wirksamen Dienst an den Menschen und der Gesellschaft drängt.

Auch im weltlichen Bereich ist das wahr, was uns der Glaube versichert: man darf niemals die Hoffnung verlieren. Wie viele Beispiele haben uns in dieser Hinsicht unsere Eltern und Großeltern gegeben, wenn sie zu ihrer Zeit harte Prüfungen mit großem Mut und Opfergeist durchgestanden haben! Mehrmals hat Benedikt XVI.

bekräftigt, dass die aktuelle Krise Anlass zu einer brüderlichen Erneuerung der menschlichen Beziehungen sein muss. Auch das italienische Volk kann vertrauensvoll und kreativ aus seiner reichen christlichen Tradition schöpfen und auch aus dem Beispiel seiner heiligen Schutzpatrone Franz von Assisi und Katharina von Siena sowie zahlreicher Ordensleute und Laien und aus dem stillen Zeugnis vieler Frauen und Männer. So kann und muss es jede Art von Spaltung überwinden und in Gerechtigkeit und Frieden wachsen und damit weiterhin seine besondere Rolle im europäischen Kontext und in der Völkerfamilie spielen. Und sich einsetzen, um eine Kultur der Begegnung zu schaffen.

Herr Präsident, Ich spreche Ihnen erneut meinen Dank aus für diese sehr willkommene Begegnung. Und ich freue mich, diese Gelegenheit zu nutzen, um Ihnen und allen Italienern meine Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen für die warmherzige Zuneigung, mit der sie mich nach meiner Wahl aufgenommen haben: sie haben bewirkt, dass ich mich erneut zu Hause gefühlt habe! Danke! Möge Italien immer ein gastfreundliches Haus für alle sein! Dafür sichere ich mein Gebet zu, während ich Sie, Ihre Lieben, alle die im Dienst des Staates stehen und das ganze italienische Volk von Herzen segne. Danke.

 

 



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