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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN EINEN JESUITENKONGRESS IN ROM

Clementina-Saal
Donnerstag, 7. November 2019

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Guten Tag und herzlich willkommen!

Die Gesellschaft Jesu, das wissen wir alle, ist von Anfang an zum Dienst an den Armen berufen, eine Berufung, die der heilige Ignatius in die »Formula« von 1550 aufgenommen hat. Die Jesuiten sollten tätig sein in der »Verteidigung und Verbreitung des Glaubens« und für den »Fortschritt der Seelen in Leben und christlicher Lehre« und sich der »Versöhnung von Zerstrittenen « ebenso annehmen wie der »frommen Unterstützung und dem Dienst für die, die sich in Kerkern oder Spitälern befinden, und der Durchführung der übrigen Liebeswerke« (Formula Instituti, 21. Juni 1550, approbiert und bestätigt von Papst Julius III.). Das war keine Absichtserklärung, sondern ein Lebensstil, dessen Erfahrung sie bereits gemacht hatten, der sie mit Trost erfüllte und zu dem sie sich vom Herrn gesandt fühlten.

Diese ursprüngliche ignatianische Tradition ist bis in unsere Tage gelangt. Pater Arrupe hatte sich vorgenommen, sie zu stärken. Am Ursprung seiner Berufung stand die Erfahrung des Kontakts zum menschlichen Leid. Jahre später schrieb er: »Ich habe die große Nähe (Gottes) zu den Leidenden, den Weinenden gesehen, zu denen, die Schiffbruch erleiden in diesem Leben der Verlassenheit, so dass in mir der brennende Wunsch geweckt wurde, Ihn nachzuahmen in dieser freiwilligen Nähe zu den Ausgestoßenen der Welt, die die Gesellschaft verachtet« (Este Japón increible. Memoria del P. Arrupe, 4. Auflage, Mensajero, Bilbao 1991, S. 19).

Heutzutage verwenden wir das Wort »Ausgegrenzte «, nicht wahr? Wir sprechen von Wegwerfkultur, diese große Mehrheit von Menschen, die zurückgelassen werden. Was mich an diesem Text tief beeindruckt ist der Ursprung, von wo er kommt. Aus dem Gebet, nicht wahr? Arrupe war ein Mann des Gebets, ein Mann, der jeden Tag mit Gott rang, und von dort kommt dieses Starke. Pater Pedro war immer überzeugt, dass der Dienst am Glauben und die Förderung der Gerechtigkeit untrennbar seien: sie waren grundsätzlich vereint. Für ihn sollten alle Dienste der Gesellschaft Jesu eine Antwort auf die Herausforderung sein, den Glauben zu verkünden und zugleich die Gerechtigkeit zu fördern. Was bislang die Aufgabe einiger Jesuiten gewesen war, sollte ein Anliegen aller werden.

Jahr für Jahr lädt uns die Liturgie ein, Gott im Glanz eines ausgegrenzten Kindes zu betrachten, das zu den Seinen kam, aber nicht aufgenommen wurde (vgl. Joh 1,11). Dem heiligen Ignatius zufolge hilft eine Magd – eine Magd, eine Person, eine junge Frau, die dient – der Heiligen Familie (vgl. Geistliche Übungen, Nr. 111-114). Ignatius fordert uns auf, gemeinsam mit ihr dort zu sein: »Ich mache mich dabei zu einem kleinen Armen und einem unwürdigen Knechtlein, indem ich sie anschaue, sie betrachte und ihnen in ihren Nöten diene« (ebd.). Das ist weder Poesie noch Werbung, das fühlte Ignatius. Und das lebte er. Diese aktive Kontemplation Gottes, des ausgegrenzten Gottes, hilft uns, die Schönheit eines jeden an den Rand gedrängten Menschen zu entdecken. Kein Dienst kann es ersetzen, »den Armen in seinem besonderen Wert zu schätzen, mit seiner Wesensart, mit seiner Kultur und mit seiner Art, den Glauben zu leben« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 199). In den Armen habt ihr einen bevorzugten Ort der Begegnung mit Christus gefunden. Das ist ein besonderes Geschenk im Leben eines Menschen, der Christus nachfolgt: das Geschenk zu empfangen, ihm in den Opfern und den Armen zu begegnen. Die Begegnung mit Christus inmitten seiner von ihm mit bevorzugter Liebe Geliebten verfeinert unseren Glauben. Das war der Fall bei der Gesellschaft Jesu, deren Erfahrung mit den Letzten den Glauben vertieft und gestärkt hat: »Unser Glaube ist österlicher geworden, mitleidsvoller, zarter, mehr dem Evangelium in seiner Einfachheit entsprechend« (34. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu, 1995, d. 2, n. 1), insbesondere im Dienst an den Armen.

Ihr habt eine echte persönliche und gemeinschaftliche Wandlung durchlaufen in der stillen Betrachtung des Schmerzes eurer Brüder. Eine Wandlung, die eine Umkehr ist, eine Rückkehr zur Betrachtung des Antlitzes des Gekreuzigten, der uns Tag für Tag einlädt, an seiner Seite zu bleiben und ihn vom Kreuz abzunehmen. Unterlasst es nicht, den besonders Schutzbedürftigen diese Vertrautheit anzubieten. Unsere zerbrochene und geteilte Welt braucht den Bau von Brücken, damit die menschliche Begegnung einem jeden von uns erlaube, in den Letzten das schöne Antlitz des Bruders zu entdecken, in dem wir uns wiedererkennen und dessen wenn auch wortlose Gegenwart in seiner Bedürftigkeit unsere Sorge und unsere Solidarität erfordert.

Jesus hatte »keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann« (Mt 8,20), weil er sich vollkommen seiner Sendung widmete, »das Evangelium vom Reich« zu verkünden und »alle Krankheiten und Leiden« zu heilen (Mt 4,23). Heute drängt uns sein Geist, der unter uns lebendig ist, ihm im Dienst an den Gekreuzigten unserer Zeit nachzufolgen. Momentan gibt es zahlreiche Situationen der Ungerechtigkeit und des menschlichen Schmerzes, die wir alle gut kennen. »Heute kann man vielleicht von einem dritten Krieg reden, der ›in Abschnitten‹ ausgefochten wird, mit Verbrechen, Massakern, Zerstörungen…« (Predigt, Redipuglia, 13. September 2014). Weiterhin gibt es den Menschenhandel, es gibt zahlreiche Formen der Xenophobie und des egoistischen Strebens nach dem nationalen Interesse, es gibt die Ungleichheit zwischen den Ländern, und auch innerhalb der Länder wächst sie, ohne dass Abhilfe geschaffen wird. Und das mit geometrischer Progression, würde ich sagen.

Auf der anderen Seite »haben wir unser gemeinsames Haus [niemals] so schlecht behandelt und verletzt wie in den letzten beiden Jahrhunderten « (Enzyklika Laudato si’, 53). Es überrascht nicht, dass erneut »der Verfall der Umwelt und der der Gesellschaft in besonderer Weise die Schwächsten des Planeten [schädigen]« (ebd., 48). Jesus unter diesen Umständen nachzufolgen bringt eine Reihe von Aufgaben mit sich. Es beginnt bei der Begleitung der Opfer, um in ihnen das Antlitz unseres gekreuzigten Herrn zu betrachten. Es geht weiter mit der Aufmerksamkeit für die menschlichen Bedürfnisse, die entstehen und häufig zahllos und in ihrer Gesamtheit unerfüllbar sind. Heute ist es auch notwendig, über die Wirklichkeit der Welt nachzudenken, um ihre Übel zu demaskieren, um die besten Antworten zu finden, um ein kreatives Apostolat und die Tiefe zu erreichen, die Pater Nicolás so sehr für die Gesellschaft wünschte.

Aber unsere Antwort darf nicht dabei stehenbleiben. Wir brauchen eine echte »kulturelle Revolution « (ebd., 114), eine Wandlung unseres kollektiven Blicks, unserer Haltungen, unserer Selbstwahrnehmung und unseres Verhältnisses zur Welt. Die sozialen Übel kapseln sich oft in den Strukturen einer Gesellschaft ein, mit einem Potenzial der Auflösung und des Todes (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 59). Daraus ergibt sich, wie wichtig eine allmähliche Arbeit zur Veränderung der Strukturen durch die Teilnahme am öffentlichen Dialog ist, dort, wo die Entscheidungen getroffen werden, die das Leben der Letzten beeinflussen (vgl. Ansprache beim Welttreffen der Volksbewegungen in Bolivien, Santa Cruz de la Sierra, 9. Juli 2015).

Einige von euch und viele Jesuiten, die euch vorausgegangen sind, haben Werke im Dienst an den Ärmsten ins Leben gerufen, Werke der Erziehung und Ausbildung, der Aufmerksamkeit für die Flüchtlinge, der Verteidigung der Menschenrechte und der Sozialdienste in vielfältigen Bereichen. Setzt diesen euren kreativen Einsatz fort, der in einer Gesellschaft beschleunigten Wandels der kontinuierlichen Erneuerung bedarf. Unterstützt die Kirche bei der Unterscheidung, die wir heute auch hinsichtlich unserer Apostolate treffen müssen. Hört nicht auf, in der Vernetzung unter euch und mit anderen kirchlichen und zivilen Organisationen zusammenzuarbeiten, um ein Wort zur Verteidigung der Bedürftigsten in dieser immer mehr globalisierten Welt sagen zu können. Mit dieser Globalisierung in der Form einer Kugel, die die kulturellen Identitäten zerstört, die religiösen Identitäten, die persönlichen Identitäten, wo alles gleich ist. Die wahre Globalisierung muss polyedrisch sein. Uns vereinen, aber indem jeder die eigenen Besonderheiten beibehält. Es ist notwendig, im Schmerz unserer Geschwister und unseres bedrohten gemeinsamen Hauses das Geheimnis des Gekreuzigten zu betrachten, um in der Lage zu sein, das Leben bis zum Äußersten hinzugeben, wie dies viele Jesuiten seit 1975 getan haben. In diesem Jahr begehen wir den 30. Jahrestag des Martyriums der Jesuiten der »Universidad Centroamericana« in El Salvador, das Pater Kolvenbach so viel Schmerz bereitet hat und das ihn veranlasste, die Hilfe der Jesuiten der ganzen Gesellschaft zu erbitten. Viele haben großherzig geantwortet. Leben und Tod der Märtyrer sind eine Ermutigung für unseren Dienst an den Letzten.

Unsere Welt braucht Wandlungen, die das bedrohte Leben schützen und die Schwächsten verteidigen. Wir streben nach Veränderungen und oft wissen wir nicht, wie diese beschaffen sein müssen, oder wir fühlen uns nicht in der Lage, sie in Angriff zu nehmen, sie gehen über unsere Kräfte. Wenn wir nur der menschlichen Logik folge n, besteht die Gefahr, dass wir an den Fronten der Ausgrenzung verzweifeln. Es ist eine überraschende Tatsache, dass die Opfer dieser Welt sich häufig nicht besiegen lassen von der Versuchung aufzugeben, sondern Vertrauen haben und Hoffnung hegen. Wir alle sind Zeugen der Tatsache, dass »die Unbedeutendsten, die Ausgebeuteten, die Armen und Ausgeschlossenen« viel tun können und viel tun… Wenn die Armen sich organisieren, dann werden sie wahre »soziale Poeten: Arbeitsbeschaffer, Wohnungsbauer, Lebensmittelproduzenten – vor allem für diejenigen, die vom Weltmarkt ausgeschlossen sind« (Ansprache beim Welttreffen der Volksbewegungen in Bolivien, Santa Cruz de la Sierra, 9. Juli 2015). Gibt es das soziale Apostolat, um Probleme zu lösen? Ja, aber vor allem, um Prozesse zu fördern und Hoffnungen zu ermutigen. Prozesse, die den Menschen und Gemeinschaften helfen zu wachsen, die sie dazu führen, sich ihrer Rechte bewusst zu sein, ihre Fähigkeiten zu entfalten und ihre eigene Zukunft zu gestalten.

Ihr arbeitet für die »wahre christliche Hoffnung, die das eschatologische Reich sucht [und die] immer Geschichte [erzeugt]« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 181). Teilt eure Hoffnung dort, wo ihr euch befindet, um zu ermutigen, zu trösten, zu stärken, neu zu beleben. Bitte, öffnet Zukunft, oder um den Ausdruck eines zeitgenössischen Schriftstellers zu gebrauchen: Frequentiert die Zukunft. Eröffnet Zukunft, weckt Möglichkeiten, ruft Alternativen ins Leben, tragt dazu bei, auf andere Art und Weise zu denken und zu handeln. Pflegt eure tägliche Beziehung zum auferstandenen und verherrlichten Christus und seid Arbeiter der Nächstenliebe und Stifter von Hoffnung! Geht euren Weg singend und weinend, die Kämpfe und Sorgen für die Letzten und für die bedrohte Schöpfung sollen euch die Freude der Hoffnung nicht nehmen (vgl. Laudato si’, 244).

Ich möchte mit einem Bild schließen, denn wir Priester verteilen in den Pfarreien Heiligenbildchen, damit die Leute ein Bild mit nach Hause nehmen, ein Bild von uns, der Familie. Das Testament von Pater Arrupe dort in Thailand, im Flüchtlingslager, mit den Ausgegrenzten, mit all dem, was dieser Mann an Sympathie und Mitleid für jene Menschen besaß, mit jenen Jesuiten, die damals in diesem ganzen Apostolat gerade eine Bresche öffneten, er bittet euch um etwas: Unterlasst das Beten nicht! Das war sein Testament. An jenem Tag verließ er Thailand und auf dem Flug hatte er einen Infarkt. Möge dieses Heiligenbildchen, dieses Bild euch stets begleiten. Danke.

 

 



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