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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER AM GENERALKAPITEL DER UNBESCHUHTEN KARMELITEN 

Clementina-Saal
Samstag, 11. September 2021

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Liebe Brüder,

gerne heiße ich Euch willkommen, die Ihr aus den verschiedenen Teilen der Welt zu Eurem Generalkapitel versammelt seid und ca. 4.000 Brüder Eures Ordens repräsentiert. Mein Gruß gilt auch ihnen, aber auch den Schwestern und allen Mitgliedern der karmelitanischen Familie, die in diesen Tagen Eure Arbeit mit ihren Gebeten begleiten. Ich danke dem neuen P. General für seine Begrüßungsworte und dem scheidenden für seinen Dienst. Danke.

Ihr habt Euer Generalkapitel mit drei bezeichnenden Worten aus der Hl. Schrift begonnen. Erstens: Hören auf das, was der Geist sagt (vgl. Off 2,7); zweitens: die Zeichen der Zeit unterscheiden (vgl. Mt 16,3); drittens: Zeugen sein bis an die Grenzen der Erde (vgl. Apg 1,8).

Hören ist eine Grundhaltung des Jüngers, also des Menschen, der sich in die Schule Jesu begibt und auf das antworten möchte, was er in dieser schwierigen, aber immer auch schönen Zeit von uns möchte, denn es ist immer die Zeit Gottes. Hören auf den Geist, um zu erkennen, was vom Herrn kommt und was ihm widerspricht, und auf diese Weise, ausgehend vom Evangelium, auf die Zeichen der Zeit zu antworten, durch die der Herr der Geschichte zu uns spricht und sich uns offenbart. Hören und Unterscheiden sind wichtig für das Zeugnis der Verkündigung des Evangeliums in der sowohl mit Worten, aber vor allem mit dem Leben vollbrachten Mission.

Jetzt, da die Pandemie uns vor viele Fragen gestellt und viele Sicherheiten hat einstürzen lassen, seid ihr als Söhne der hl. Teresa berufen, die immerwährenden Werte Eures Charismas in Treue zu pflegen. Wenn diese Krise etwas Gutes an sich hat, und das hat sie sicher, dann besteht das ganz gewiss darin, dass sie uns auf das Wesentliche verweist, damit wir uns nicht von falschen Sicherheiten blenden lassen. So ist dieser historische Augenblick auch geeignet, darüber nachzudenken, wie gesund Euer Orden ist, und die Glut der Anfänge wieder zu entfachen.

Manchmal wird nach der Zukunft des geweihten Lebens gefragt, und manchen Meinungsmachern zufolge wird es eine kurze Zukunft sein, da das geweihte Leben dem Ende entgegengehe. Diese pessimistischen Vorhersagen, liebe Brüder, werden mit Sicherheit Lügen gestraft werden, genauso wie die, die dasselbe von der Kirche sagen, denn das geweihte Leben ist ein integrierender Bestandteil der Kirche, ihres eschatologischen Charakters; es ist ein authentisches Leben nach dem Evangelium. Das geweihte Leben macht einen Teil der Kirche aus, so wie Jesus sie gewollt hat und der Geist sie immer wieder hervorbringt. Deshalb dürfen wir nicht der Versuchung erliegen, uns ständig um sein Überleben Sorgen zu machen, statt die Gnade des Augenblicks anzunehmen und voll zu leben, einschließlich der Risiken, die das mit sich bringt.

In der Schule Christi geht es darum, treu zur Gegenwart zu stehen und zugleich, in das Geheimnis der Liebe Gottes eingetaucht, frei und offen für seinen Horizont zu sein. Das Leben im Karmel ist ein kontemplatives Leben, denn dieses Geschenk hat der Geist der Kirche durch die hl. Teresa von Jesus und den hl. Johannes vom Kreu, und dann auch durch die vielen anderen Heiligen des Karmel geschenkt. In der Treue zu diesem Geschenk erweist sich das Leben im Karmel als eine Antwort auf den Hunger des heutigen Menschen, der im Grunde ein Hunger nach Gott, nach dem Ewigen ist. Der heutige Mensch versteht das häufig nicht und sucht überall herum. Das Leben im Karmel ist gefeit gegen ungesunde Formen des Psychologisierens und Spiritualisierens und falsche Modetrends, hinter denen sich ein Geist der Verweltlichung verbirgt. Ihr kennt ja die Versuchung zum Psychologisieren und Spiritualisieren und zur Verweltlichung. Darum bitte ich Euch eindringlich: Hütet Euch vor dem Geist der Verweltlichung, denn das ist das Schlimmste, was der Kirche widerfahren kann. Als ich dies auf den letzten Seiten der Meditationen über die Kirche von P. de Lubac las – lest die letzten vier Seiten doch einmal –, konnte ich es nicht glauben. Was ist denn das jetzt – ich war damals noch in Buenos Aires –, wie kann es nur so weit kommen? Was ist dieser Geist der Verweltlichung? Er ist sehr subtil, sehr subtil; er dringt ein und wir merken es nicht einmal. Im besagten Text wird ein benediktinischer geistlicher Autor zitiert, dessen Worte P. de Lubac aufgreift, um zu sagen: „Es ist das schlimmste Übel, das der Kirche zustoßen kann, schlimmer als die Zeit der Päpste mit Konkubinen.“ Das habe ich vor ein paar Tagen auch den Claretinern gesagt. Es zeigte sich, dass sich der L’Osservatore Romano darüber entsetzt war; aber das stammt nicht von mir, sondern von P. de Lubac, und das, was er schrieb, war eigentlich noch viel schlimmer: „als die Patres mit Konkubinen.“ L’Osservatore Romano war über die Wahrheit entsetzt, und ich hoffe, dass er es richtigstellt. Der Geist der Verweltlichung ist schrecklich, er dringt in dich ein. Er begegnet uns im Evangelium, wie Jesus sagte, als er von „wohlerzogenen Dämonen“ und „wohlerzogenen Geistern“ spricht: Wenn der unreine Geist aus einem Menschen ausfährt, durchwandert er wasserlose Gegenden und „langweilt sich“ und „hat keine Arbeit“ und sagt: „Ich will in mein Haus zurückkehren und sehen, wie es war.“ Er kehrt zurück und findet alles sauber und wohl geordnet, und Jesus sagt: „Dann geht er und nimmt sieben andere Geister mit sich, die noch schlimmer sind als er und zieht dort ein. Und die letzten Dinge dieses Menschen werden schlimmer sein als er selbst“ (vgl. Mt 12,43-45). Doch wie treten diese sieben Dämonen ein? Nicht wie Einbrecher, nein, sie klingeln und sagen „Grüß Gott“ und treten nacheinander ein, einer nach dem anderen, und du merkst nicht, dass sie sich deines Hauses bemächtigt haben. So ist der Geist der Verweltlichung. Er tritt ganz langsam ein, sogar beim Beten tritt er ein. Hier ist große Vorsicht geboten. Es ist das schlimmste Übel, das der Kirche widerfahren kann, und wenn ihr es mir nicht glaubt, dann lest die letzten vier Seiten der Meditationen über die Kirche von P. de Lubac. Nehmt Euch in Acht vor dem Geist der Verweltlichung.

Erinnern wir uns daran, dass Treue zum Evangelium nicht Unbeweglichkeit ist, sondern Beweglichkeit des Herzens; sie besteht nicht in der Zurückweisung von Änderungen, sondern im Vollziehen der notwendigen Änderungen, um das zu erfüllen, was der Herr im Hier und Heute verlangt. Deshalb erfordert Treue ein entschlossenes Eintreten für die Werte des Evangeliums und des eigenen Charismas, und den Verzicht auf das, was das jeweils Beste für sich selbst, den Herrn und die anderen Menschen einschränkt.

In diesem Sinn ermutige ich Euch, die Freundschaft mit Gott, das Gemeinschaftsleben und die Sendung zusammenzuhalten, wie wir in den Vorbereitungsdokumenten Eures Generalkapitels lesen. Freundschaft mit dem Herrn ist für Teresa, in Gemeinschaft mit ihm zu leben. Es besteht nicht nur darin, seine mündlichen Gebete zu verrichten, sondern das ganze Leben zum Gebet machen, es ist – wie Eure Regel sagt – Leben „in der Gefolgschaft Jesu“, und das mit Freude. Das ist ein anderes Thema, das ich hervorheben möchte, die Freude. Es ist schrecklich, geweihte Männer und Frauen zu erleben, die mit einer Leichenbittermiene daherkommen; schrecklich ist das, wirklich schlimm. Die Freude muss von innen kommen, jene Freude, die ein Ausdruck des Friedens und der Freundschaft ist. Und noch ein Thema erwähnte ich im Mahnschreiben über die Heiligkeit: den Sinn für Humor. Vergesst doch, bitte, nicht, den Sinn für Humor. In „Gaudete und exsultate“ habe ich in diesem Kapitel ein Gebet von Thomas Morus um Humor eingefügt. Betet es, das wird Euch gut tun. Immer mit dieser Freude der Kleinen, die die normalen und alltäglichen Dinge des Lebens annehmen und in Freude zu leben. In diesem Sinn ermutige ich Euch, die Freundschaft mit Gott, das Gemeinschaftsleben und die Sendung zusammenzuhalten, wie ich gesagt habe. Die im Schweigen, in der Sammlung und im Hören auf Gottes Wort gereifte Freundschaft mit Gott ist ein Feuer, das es zu nähren und zu bewahren gilt.

Die Wärme dieses Feuers hilft uns, das brüderliche Leben in Gemeinschaft zu führen. Es ist nicht etwas Nebensächliches, sondern die Hauptsache. Euer eigener Name verweist darauf: „Unbeschuhte Brüder“. Fest in eurer Beziehung mit Gott, dem dreieinigen Gott der Liebe, verwurzelt, seid ihr berufen, in einer gesunden Spannung zwischen Alleinsein und bei den anderen zu sein, in einer Gegenbewegung zum Individualismus und der Vermassung die Beziehungen mit dem Hl. Geist zu pflegen. Die hl. Mutter Teresa verweist Euch auf den „Stil der Brüderlichkeit“ und „den Stil der Geschwisterlichkeit.“ Eine in Christus geeinte Familie zu sein, ist eine Kunst, die man Tag für Tag neu lernt: „Unbeschuhte Brüder Marias“, die der Hl. Familie von Nazareth und das Apostelkollegium als Vorbild haben. Die Hl. Familie von Nazareth: Gerne erinnern wir an den hl. Josef; vergesst ihn nicht! Seinerzeit hat mir einer von Euch ein Bildchen des hl. Josef geschenkt mit einem ganz einfachen Gebet: „Nimm mich an, wie du Jesus angenommen hast!“ Ein schönes Gebet, das ich jeden Tag bete. Den hl. Josef zu bitten, dass er uns annehme und im geistlichen Leben voranschreiten lasse, und dass er unser geistlicher Vater sei, wie er der Vater Jesu und der Hl. Familie war.

Ausgehend von der Freundschaft mit Gott und dem geschwisterlichen Lebensstil seid Ihr auch berufen, mit Kreativität und einem entschiedenen apostolischen Impuls Eure Sendung zu überdenken und dabei die Welt von heute sehr genau zu beobachten. Ich möchte unterstreichen, was ich weiter oben schon gesagt habe: Die Erneuerung Eurer Sendung ist untrennbar mit der Treue zu Eurer kontemplativen Berufung verbunden; sucht nach einer Form, um das zu verwirklichen, jedoch immer beides zusammen! Ihr dürft nicht die Sendung anderer Charismen nachahmen, sondern müsst Eurem Charisma treu sein, um der Welt zu geben, was der Herr Euch zum Wohl der anderen gegeben hat, nämlich das lebendige Wasser der Kontemplation. Kontemplation ist keine Flucht vor der Realität und auch kein Rückzug in eine geschützte Oase, sondern eine Öffnung des Herzens und des Lebens auf jene Kraft hin, die die Welt wahrhaft umwandelt, nämlich die Liebe Gottes. Es war in einem langen Gebet in der Einsamkeit, wo Jesus den Impuls erhielt, aufzubrechen, um seinen Alltag mit den Menschen zu teilen. Und genauso erging es den heiligen Männern und Frauen: Ihre Selbstlosigkeit und der Mut zu ihrem Apostolat sind Früchte ihrer tiefen Gemeinschaft mit Gott.

Liebe Brüder! Das harmonische Zusammenspiel dieser drei Elemente: Freundschaft mit Gott, Geschwisterliches Leben und Sendung ist ein faszinierendes Ziel, das heute und morgen Eure Entscheidungen motivieren kann. Möge der Geist, der Harmonie schafft, Eure Schritte auf diesem Weg erleuchten. Und möge Euch die Allerseligste Jungfrau beschützen und begleiten. Ich spende Euch von Herzen meinen Segen. Und bitte, vergesst nicht, für mich zu beten, ich brauche es. Danke!



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