PASTORALBESUCH IN AREZZO, LA VERNA UND SANSEPOLCRO
(13. MAI 2012)
EUCHARISTIEFEIER
PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
Park "Il Prato", Arezzo
Sonntag, 13. Mai 2012
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Liebe Brüder und Schwestern!
Es ist für mich eine große Freude, mit euch das Brot des Wortes Gottes und der Eucharistie zu brechen. Ich begrüße euch alle von Herzen und danke euch für den herzlichen Empfang! Ich begrüße euren Hirten, Bischof Riccardo Fontana, dem ich für die freundlichen Willkommensworte danke, die anderen Bischöfe, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen, die Vertreter der Vereinigungen und kirchlichen Bewegungen. Ein ehrerbietiger Gruß geht an den Bürgermeister Giuseppe Fanfani, verbunden mit dem Dank für seine Begrüßung, den Ministerpräsidenten Mario Monti und alle weiteren zivilen und militärischen Amtsträger. Ein besonderer Dank gilt all denjenigen, die großherzig zur Verwirklichung meines Pastoralbesuchs beigetragen haben.
Heute empfängt mich eine altehrwürdige Ortskirche, reich an Erfahrung auf dem Feld der Beziehungen und verdienstvoll im jahrhundertelangen Einsatz, den Staat der Menschen als Abbild des Gottesstaates zu errichten. Denn in der Region Toskana hat sich die Gemeinde von Arezzo viele Male in der Geschichte durch ihr Freiheitsbewußtsein und die Fähigkeit zum Dialog zwischen unterschiedlichen sozialen Komponenten ausgezeichnet. Nun bin ich zum ersten Mal zu euch gekommen und wünsche, daß die Stadt dieses kostbare Erbe immer Frucht tragen lasse.
In den vergangenen Jahrhunderten wurde die Kirche in Arezzo von vielfältigen Ausdrucksformen des christlichen Glaubens bereichert und beseelt, deren größte die der Heiligen ist. Ich denke insbesondere an den hl. Donatus, euren Schutzpatron, dessen Lebenszeugnis, das die Christenheit des Mittelalters beeindruckt hat, immer noch aktuell ist. Er war ein unerschrockener Verkünder des Evangeliums, damit alle sich von den heidnischen Gebräuchen befreien und im Wort Gottes die Kraft zur Bejahung der Würde jedes Menschen und zur Bekräftigung des wahren Sinns der Freiheit zu finden. Durch seine Verkündigung führte er die Völker, deren Bischof er war, zurück zur Einheit des Gebets und der Eucharistie.
Der zerbrochene und vom hl. Donatus wieder zusammengefügte Kelch, von dem der hl. Gregor der Große spricht (vgl. Dialoge, I,7,3), ist ein Bild für das friedensstiftende Wirken der Kirche in der Gesellschaft zugunsten des Gemeinwohls. Das bezeugt der hl. Petrus Damiani in bezug auf euch und mit ihm die große Tradition der Kamaldulenser, die seit tausend Jahren vom Casentino-Tal aus dieser Diözesankirche und der Universalkirche ihren geistlichen Reichtum anbietet.
In eurer Kathedrale ist der selige Papst Gregor X. begraben, gleichsam um in der Verschiedenheit der Zeiten und der Kulturen die Kontinuität des Dienstes zu zeigen, den die Kirche Christi der Welt leisten möchte. Unterstützt vom Licht, das von den entstehenden Bettelorden, von Theologen und Heiligen, darunter der hl. Thomas von Aquin und der hl. Bonaventura von Bagnoregio, ausging, maß er sich mit den großen Problemen seiner Zeit: der Reform der Kirche; der Überwindung des Schismas mit dem christlichen Osten, die er mit dem Konzil von Lyon zu verwirklichen suchte; der Sorge für das Heilige Land; den Frieden und den Beziehungen zwischen den Völkern – er war im Westen der erste, der einen Botschafteraustausch mit dem Kublai Khan in China pflegte.
Liebe Freunde! Die erste Lesung hat uns einen wichtigen Augenblick vor Augen gestellt, in dem sich gerade diese Universalität der christlichen Botschaft und der Kirche zeigt: der hl. Petrus tauft im Haus des Kornelius die ersten Heiden. Im Alten Testament hatte Gott gewollt, daß der Segen des jüdischen Volkes nicht exklusiv bleiben, sondern auf alle Nationen ausgeweitet werden sollte. Von der Berufung Abrahams an hatte er gesagt: »Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen« (Gen 12,3). Und so begreift Petrus, vom Himmel her inspiriert, daß »Gott nicht auf die Person sieht, sondern daß ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist« (Apg 10,34–35). Die Geste des hl. Petrus wird zum Bild der Kirche, die für die ganze Menschheit offen ist. Seid, der großen Tradition eurer Kirche und eurer Gemeinschaften folgend, authentische Zeugen der Liebe Gottes zu allen! Wie aber können wir, mit unserer Schwäche, diese Liebe zu den Menschen bringen?
Der hl. Johannes hat uns in der zweiten Lesung mit Entschiedenheit gesagt, daß die Befreiung von der Sünde und ihren Folgen nicht unsere Initiative ist, sondern von Gott ausgeht. Nicht wir haben ihn geliebt, sondern er hat uns geliebt, er hat unsere Sünde auf sich genommen und sie im Blut Christi reingewaschen. Gott hat uns zuerst geliebt, und er will, daß wir in seine Gemeinschaft der Liebe eintreten, um an seinem Heilswerk mitzuwirken.
Im Abschnitt aus dem Evangelium erklang die Einladung des Herrn: »Ich habe euch dazu bestimmt, daß ihr Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt« (Joh 15,16). Dieses Wort ist in besonderer Weise an die Apostel gerichtet, aber im weiteren Sinn betrifft es alle Jünger Jesu. Die gesamte Kirche, wir alle sind in die Welt gesandt, um ihr das Evangelium und das Heil zu bringen. Aber die Initiative geht immer von Gott aus, der zu den verschiedenen Diensten beruft, damit jeder seinen eigenen Teil zum Wohl aller tut. Berufen zum Priesteramt, zum geweihten Leben, zum Eheleben, zum Einsatz in der Welt, alle sind gerufen, dem Herrn großherzig zu antworten, gestützt von seinem Wort, das uns Zuversicht schenkt: »Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt« (ebd.).
Liebe Freunde! Ich kenne den Einsatz eurer Ortskirche für die Förderung des christlichen Lebens. Seid Sauerteig in der Gesellschaft, seid aktiv präsent und konsequent! Die Stadt Arezzo umfaßt in ihrer mehrtausendjährigen Geschichte bedeutende Zeugnisse der Kultur und der Werte. Zu den Schätzen eurer Tradition gehört der Stolz einer christlichen Identität, die von vielen Zeichen und einer tief verwurzelten Frömmigkeit, wie zum Beispiel der Verehrung der »Muttergottes vom Trost«, bezeugt werden. Dieser Landstrich, in dem große Persönlichkeiten der Renaissance geboren wurden, von Petrarca bis Vasari, hat eine aktive Rolle gespielt bei der Durchsetzung jener Auffassung vom Menschen, die die Geschichte Europas entscheidend beeinflußt hat, indem sie sich auf die christlichen Werte stützte. Auch in jüngerer Zeit gehört zum ideellen Erbe der Stadt das, was einige ihrer besten Söhne in der universitären Forschung und in den Institutionen in bezug auf den Begriff der »civitas« erarbeitet haben, indem sie das christliche Ideal des Zeitalters der Kommunen in die Kategorien unserer Zeit übertragen haben. Im Kontext der Kirche in Italien, die sich in diesem Jahrzehnt mit dem Thema der Erziehung auseinandersetzt, müssen wir uns vor allem in der Region, die die Heimat der Renaissance ist, fragen, welche Sicht vom Menschen wir den jungen Generationen vorschlagen können. Das Wort Gottes, das wir gehört haben, ist eine eindringliche Aufforderung, die Liebe Gottes zu allen zu leben, und die Kultur dieses Landstrichs zählt zu den sie auszeichnenden Werten: die Solidarität, die Aufmerksamkeit für die Schwachen, die Achtung der Würde eines jeden. Die Aufnahme, die ihr in jüngster Zeit denen zu gewähren wußtet, die auf der Suche nach Freiheit und Arbeit zu euch gekommen sind, ist bekannt. Mit den Armen solidarisch zu sein heißt, den Plan des Schöpfergottes zu erkennen, der aus allen eine einzige Familie gemacht hat. Sicherlich wird auch eure Provinz stark von der Wirtschaftskrise geprüft. Die Komplexität der Probleme erschwert das Finden von schnelleren und wirksamen Lösungen, um aus der gegenwärtigen Situation herauszukommen, die vor allem die schwächeren Schichten trifft und den jungen Menschen nicht wenige Sorgen bereitet.
Die Aufmerksamkeit für die anderen hat die Kirche seit jeher veranlaßt, konkret solidarisch zu sein mit den Bedürftigen, indem sie die Ressourcen teilt, einen einfacheren Lebensstil fördert, der Kultur der Schnellebigkeit entgegentritt, die vielen falsche Hoffnungen gemacht und eine tiefe geistige Krise verursacht hat. Diese Diözesankirche, bereichert durch das leuchtende Zeugnis des »Poverello« von Assisi, möge weiterhin aufmerksam und solidarisch gegenüber den Bedürftigen sein, aber auch zur Überwindung einer rein materialistischen Logik zu erziehen wissen, von der unsere Zeit oft gekennzeichnet ist und die letztendlich den Sinn für Solidarität und Nächstenliebe trübt.
Die Liebe Gottes durch die Aufmerksamkeit für die Geringsten zu bezeugen, das ist auch mit dem Schutz des Lebens verbunden, von seinem Ursprung an bis zu seinem natürlichen Ende. In eurer Region wird die Sicherung der Würde, der Gesundheit und der Grundrechte für alle zu Recht als unverzichtbares Gut betrachtet. Die Verteidigung der Familie durch Gesetze, die gerecht und in der Lage sind, auch die Schwächsten zu schützen, möge immer ein wichtiger Aspekt sein, um die Festigkeit des gesellschaftlichen Gefüges zu erhalten und Perspektiven der Hoffnung für die Zukunft zu bieten. Wie im Mittelalter die Statuten eurer Städte ein Mittel waren, um die unveräußerlichen Rechte vieler zu garantieren, so möge auch heute der Einsatz fortgeführt werden, um eine Stadt mit einem immer menschlicheren Gesicht zu fördern. Dazu bietet die Kirche ihren Beitrag an, damit die Liebe Gottes immer von der Nächstenliebe begleitet werde.
Liebe Brüder und Schwestern! Setzt euren Dienst an Gott und dem Menschen gemäß der Lehre Jesu, dem leuchtenden Beispiel eurer Heiligen und der Tradition eures Volkes fort. Bei dieser Aufgabe begleite und stütze euch stets der mütterliche Schutz der Muttergottes vom Trost, die von euch so sehr geliebt und verehrt wird. Amen!
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