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APOSTOLISCHE REISE NACH GROSSBRITANNIEN
(16.-19. SEPTEMBER 2010)

 BEGEGNUNG MIT KLERIKERN UND LAIENVERTRETERN
ANDERER RELIGIONEN

GRUSSWORT UND ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.

Waldegrave Drawing Room
des "St Mary’s University College" in Twickenham
(London Borough of Richmond)
Freitag, 17. September 2010

(Video)

    

Sehr geehrte Gäste, liebe Freunde!

Es ist für mich eine große Freude, Ihnen, den Vertretern der verschiedenen Religionsgemeinschaften in Großbritannien, begegnen zu können. Ich grüße sowohl die geistlichen Amtsträger als auch jene, die in Politik, Wirtschaft und Industrie tätig sind. Ich danke Dr. Azzam und Oberrabbiner Lord Sacks für die Grußworte, die sie in Ihrer aller Namen gesprochen haben. Ich begrüße Sie ebenso und wünsche bei dieser Gelegenheit der jüdischen Gemeinde in Großbritannien und auf der ganzen Welt ein frohes und gesegnetes Jom-Kippur-Fest.

Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich die Wertschätzung der Katholischen Kirche für das wichtige Zeugnis zum Ausdruck bringen, das Sie alle als gläubige Menschen in einer Zeit ablegen, in der religiöse Überzeugungen nicht immer verstanden und geschätzt werden. Die Präsenz von engagierten Gläubigen in den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens zeigt klar auf, daß die geistliche Dimension unseres Lebens eine grundlegende Bedeutung für unsere menschliche Identität hat, daß – anders gesagt – der Mensch nicht vom Brot allein lebt (vgl. Deut 8,3). Für uns Angehörige verschiedener religiöser Traditionen, die sich gemeinsam für das Wohl der gesamten Gesellschaft einsetzen, hat dieses Arbeiten „Seite an Seite“ eine große Wichtigkeit und ergänzt die Gespräche „von Angesicht zu Angesicht“ in unserem fortlaufenden Dialog.

Auf geistlicher Ebene sind wir alle auf unterschiedliche Weisen persönlich auf einem Weg, der eine Antwort auf die wichtigste aller Fragen gibt – die Frage nach dem letzten Sinn des menschlichen Daseins. Die Suche nach dem Heiligen ist das Streben nach dem einen Notwendigen, das allein das Verlangen des menschlichen Herzens stillen kann. Im fünften Jahrhundert hat der heilige Augustinus diese Suche mit folgenden Worten beschrieben: „Auf dich hin hast und uns geschaffen, Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir“ (Bekenntnisse I, 1). Wenn wir uns auf dieses Abenteuer einlassen, wird uns immer mehr bewußt, daß die Initiative nicht bei uns liegt, sondern beim Herrn: Es sind nicht so sehr wir, die ihn suchen, sondern vielmehr er, der uns sucht und der ja dieses Verlangen nach ihm tief in unser Herz gelegt hat.

Ihre Präsenz und Ihr Zeugnis in der Welt verweisen auf die grundlegende Bedeutung dieser geistlichen Suche, auf die wir uns eingelassen haben, für das Leben der Menschen. Innerhalb ihres jeweiligen Fachbereichs vermitteln uns die Human- und Naturwissenschaften ein wertvolles Verständnis verschiedener Aspekte unseres Lebens und helfen uns, das Zusammenspiel der Kräfte in der materiellen Welt tiefer zu erfassen, so daß diese dann mit großem Gewinn für die Menschheitsfamilie genutzt werden können. Diese Wissenschaften beantworten jedoch nicht die grundlegende Frage und können dies auch nicht tun, da sie sich allesamt auf einer anderen Ebene bewegen. Sie können das tiefste Verlangen des menschlichen Herzens nicht stillen, sie können uns unseren Ursprung und unsere Bestimmung letztlich nicht erklären und uns nicht sagen, warum und mit welchem Ziel wir existieren, noch können sie eine umfassende Antwort auf die Frage liefern, warum überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts.

Die Suche nach dem Heiligen nimmt den anderen Bereichen des menschlichen Forschens nicht ihren Wert. Im Gegenteil, sie stellt sie in einen Zusammenhang, der ihnen größere Bedeutung verleiht als Weisen, wie wir verantwortungsvoll für die Schöpfung sorgen können. In der Bibel lesen wir, daß Gott am Ende des Schöpfungswerks unsere Ureltern segnete und zu ihnen sprach: „Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch“ (Gen 1,28). Er vertraute uns die Aufgabe an, die Geheimnisse der Natur zu erforschen und sie uns nutzbar zu machen, um so einem höheren Gut zu dienen. Was ist dieses höhere Gut? Im christlichen Glauben wird es als Liebe zu Gott und Liebe zu unserem Nächsten formuliert. Daher sind wir aus ganzem Herzen und voll Begeisterung in der Welt tätig, aber stets mit dem Blick auf den Dienst an diesem höheren Gut, da wir sonst die Schönheit der Schöpfung entstellen würden, indem wir sie für egoistische Zwecke ausbeuten.

In diesem Sinne verweist uns der authentische religiöse Glaube über die gegenwärtige Zweckmäßigkeit hinaus auf die Transzendenz. Er erinnert uns an die Möglichkeit und das Gebot der moralischen Umkehr, an die Pflicht, in Frieden mit unserem Nächsten zu leben, an die Bedeutung eines rechtschaffenen Lebenswandels. Richtig verstanden, spendet der Glaube Licht; er reinigt unser Herz und regt zu edlen und großzügigen Taten an, die der gesamten Menschheitsfamilie Nutzen bringen. Er spornt uns an, ein tugendhaftes Leben zu führen und einander in Liebe zu begegnen, mit größtem Respekt für andere religiöse Traditionen.

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil betont die Katholische Kirche besonders die Wichtigkeit des Dialogs und der Zusammenarbeit mit den Angehörigen anderer Religionen. Damit dies fruchtbar werden kann, ist ein Prinzip der Gegenseitigkeit unter allen Dialogpartnern und den Angehörigen der verschiedenen Religionen erforderlich. Dabei denke ich besonders an Situationen in manchen Teilen der Welt, wo die Zusammenarbeit und der Dialog zwischen den Religionen gegenseitigen Respekt erfordern wie auch die Freiheit, seine jeweilige Religion auszuüben und öffentliche Gottesdienste zu feiern. Sie beanspruchen die Freiheit, dem eigenen Gewissen zu gehorchen, ohne deswegen ausgegrenzt oder verfolgt zu werden, auch nicht im Falle einer Konversion von einer Religionsgemeinschaft zu einer anderen. Sobald ein solcher Respekt und eine solche Offenheit bestehen, werden die Menschen aller Religionen gemeinsam wirksam für den Frieden und das gegenseitige Verständnis arbeiten und so vor der Welt ein erstrebenswertes Zeugnis geben.

Diese Art des Dialogs muß auf einer Reihe verschiedener Ebenen geführt werden und sollte sich nicht auf offizielle Gespräche beschränken. Zum gelebten Dialog gehört auch das einfache Miteinander-Leben und Voneinander-Lernen, um so im Verständnis und im Respekt füreinander zu wachsen. Der Dialog des Handelns bindet uns in konkrete Formen der Zusammenarbeit ein, indem wir unsere religiösen Erkenntnisse in den Dienst der Förderung der umfassenden Entwicklung der Menschen stellen und uns für den Frieden, die Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen. Ein solcher Dialog kann auch gemeinsame Überlegungen einschließen, wie wir das menschliche Leben in jedem Stadium schützen können und wie wir erreichen können, daß die religiöse Dimension der einzelnen und der Gruppen nicht aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wird. Auf der Ebene offizieller Gespräche bedarf es nicht nur des theologischen Austauschs, sondern wir sollen auch unseren geistlichen Reichtum miteinander teilen, indem wir von unserer Erfahrung im Gebet und in der Kontemplation sprechen und einander die Freude über unsere Begegnung mit der göttlichen Liebe zum Ausdruck bringen. In diesem Zusammenhang sehe ich mit Freude die vielen Initiativen, die in diesem Land zur Förderung des Dialogs auf verschiedenen Ebenen unternommen werden. Wie die Bischöfe von England und Wales in ihrem jüngsten Dokument Meeting God in Friend and Stranger [Gott in Freunden und Fremden begegnen] geschrieben haben, werden die Bemühungen um freundschaftliche Kontakte mit den Angehörigen anderer Religionen zunehmend zu einem vertrauten Bestandteil der Sendung dieser Ortskirche (vgl. Nr. 228) und zu einem charakteristischen Merkmal der religiösen Landschaft dieser Nation.

Liebe Freunde, zum Abschluß meiner Ausführungen darf ich Ihnen versichern, daß die Katholische Kirche den Weg der Begegnung und des Dialogs aus wahrem Respekt für Sie und Ihr religiöses Bekenntnis verfolgt. Die Katholiken in Großbritannien und auf der ganzen Welt werden sich weiter dafür einsetzen, Brücken der Freundschaft zu anderen Religionen zu bauen, Fehler und Wunden der Vergangenheit zu heilen und das Vertrauen unter den einzelnen und unter den Gemeinschaften zu fördern. Ich danke Ihnen nochmals für die gastliche Aufnahme und für die Gelegenheit, Sie in Ihrem Dialog mit Ihren christlichen Brüdern und Schwestern zu ermutigen. Für Sie alle bitte ich um reichen göttlichen Segen! Herzlichen Dank.

© Copyright 2010 - Libreria Editrice Vaticana

   



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