PAPST FRANZISKUS
ANGELUS
Bibliothek des Apostolischen Palastes
Sonntag, 3. Januar 2021
Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!
An diesem zweiten Sonntag nach Weihnachten präsentiert uns das Wort Gottes keine Episode aus dem Leben Jesu, sondern es berichtet uns über ihn, bevor er geboren wurde. Es lässt uns in der Zeit zurückgehen, um uns etwas über Jesus zu offenbaren aus der Zeit, bevor er unter uns kam. Es tut dies insbesondere im Prolog des Johannesevangeliums, der folgendermaßen beginnt: »Im Anfang war das Wort« (Joh 1,1). Im Anfang: Das sind die ersten Worte der Bibel, dieselben Worte, mit denen der Schöpfungsbericht anfängt: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Gen 1,1). Heute sagt das Evangelium, dass derjenige, den wir bei seiner Geburt als Kind betrachtet haben, Jesus, schon vorher da war: vor dem Anfang der Dinge, vor dem Universum, vor allem. Er existiert vor Raum und Zeit. »In ihm war Leben« (Joh 1,4), bevor das Leben erschien.
Der heilige Johannes nennt ihn den Logos, also das Wort. Was will er uns damit sagen? Das Wort dient dazu, zu kommunizieren: man spricht nicht allein, man spricht mit jemandem. Man spricht immer mit jemandem. Wenn wir auf der Straße Leute sehen, die Selbstgespräche führen, dann sagen wir: »Bei dieser Person, da stimmt etwas nicht…«. Nein, wir reden immer mit jemandem. Nun, die Tatsache, dass Jesus von Anfang an das Wort ist, bedeutet, dass Gott von Anfang an mit uns kommunizieren will, mit uns sprechen will. Der einzige Sohn des Vaters (vgl. V. 14) will uns sagen, wie schön es ist, Kinder Gottes zu sein; er ist »das wahre Licht« (V. 9) und will uns von der Finsternis des Bösen entfernen; er ist »das Leben« (V. 4), das unsere Leben kennt und uns sagen will, dass er sie immer geliebt hat. Er liebt uns alle. Das ist die wunderbare Botschaft von heute: Jesus ist das Wort, das ewige Wort Gottes, das schon immer an uns gedacht hat und danach verlangt, mit uns zu kommunizieren.
Und um dies zu tun, ist er über die Worte hinausgegangen. Tatsächlich wird uns im zentralen Teil des heutigen Evangeliums gesagt, dass das Wort »Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat« (V. 14). Er wurde Fleisch: warum bedient sich der heilige Johannes dieses Ausdrucks: »Fleisch«? Wäre es nicht eleganter gewesen, wenn er gesagt hätte, dass er Mensch wurde? Nein, er bedient sich des Wortes Fleisch, weil es auf unser Mensch-Sein in all seiner Schwäche, in all seiner Gebrechlichkeit verweist. Es sagt uns, dass Gott gebrechlich wurde, um unsere Gebrechlichkeit hautnah zu berühren. Da der Herr also Fleisch geworden ist, ist ihm nichts an unserem Leben fremd. Es gibt nichts, das er verachten würde; wir können alles mit ihm teilen, alles. Lieber Bruder, liebe Schwester, Gott ist Fleisch geworden, um uns zu sagen, um dir zu sagen, dass er dich genau da liebt, dass er uns genau da liebt, in unserer Gebrechlichkeit, in deiner Gebrechlichkeit; genau dort, wo wir uns am allermeisten schämen, wo du dich am allermeisten schämst. Das ist kühn, Gottes Entscheidung ist kühn: er ist Fleisch geworden, gerade da, wo wir uns oft schämen; er tritt ein in unsere Scham, um unser Bruder zu werden, um unseren Lebensweg zu teilen.
Er ist Fleisch geworden und er hat keine Kehrtwende gemacht. Er hat unser Menschsein nicht wie ein Kleidungsstück genommen, das man an- und wieder auszieht. Nein, er hat sich nie wieder von unserem Fleisch gelöst. Und er wird niemals von ihm getrennt sein: jetzt und für immer ist er im Himmel mit seinem Leib aus menschlichem Fleisch. Er hat sich für immer mit unserem Menschsein verbunden, wir könnten sagen, er hat sich mit ihm »vermählt«. Ich mag den Gedanken, dass der Herr, wenn er für uns zum Vater betet, nicht nur spricht: er zeigt ihm die Wunden des Fleisches, er zeigt ihm die Wunden, die er für uns erlitten hat. Das ist Jesus: mit seinem Fleisch ist er der Fürsprecher, er wollte auch die Zeichen des Leidens tragen. Jesus steht mit seinem Fleisch vor dem Vater. In der Tat sagt das Evangelium, dass er gekommen ist, um unter uns zu wohnen. Er ist nicht gekommen, um uns einen Besuch abzustatten und dann wieder zu gehen, er ist gekommen, um unter uns zu wohnen, um bei uns zu sein. Was also wünscht er sich von uns? Er wünscht sich eine innige Vertrautheit. Er möchte, dass wir Freud und Leid, Wünsche und Ängste, Hoffnungen und Traurigkeit, Menschen und Situationen mit ihm teilen. Lasst uns das vertrauensvoll tun: Öffnen wir ihm unser Herz, sagen wir ihm alles. Lasst uns in der Stille vor der Krippe innehalten, um die Zärtlichkeit des nahen, fleischgewordenen Gottes zu genießen. Und wir wollen uns nicht scheuen, ihn in unser Haus, in unsere Familie einladen. Und lasst ihn uns auch –wie jeder genau weiß – in unsere Gebrechlichkeit einladen. Lasst uns ihn einladen, so dass er unsere Wunden sieht. Er wird kommen und das Leben wird sich ändern.
Möge uns die heilige Mutter Gottes, in der das Wort Fleisch geworden ist, dabei helfen, Jesus aufzunehmen, der an die Tür unseres Herzens klopft, um unter uns zu wohnen.
Nach dem Angelusgebet:
Liebe Brüder und Schwestern!
Ich erneuere euch allen meine guten Wünsche für das Jahr, das soeben begonnen hat. Als Christen meiden wir eine Mentalität des Fatalismus oder des Glaubens an Zauberei: wir wissen, dass die Dinge in dem Maße besser werden, in dem wir mit Gottes Hilfe für das Gemeinwohl zusammenarbeiten und die Schwächsten und am stärksten Benachteiligten in den Mittelpunkt stellen. Wir wissen nicht, was das Jahr 2021 uns bringen wird, aber was ein jeder von uns und wir alle zusammen tun können, ist, dass wir uns ein wenig mehr für die Sorge füreinander und für die Schöpfung, unser gemeinsames Haus, einsetzen.
Es stimmt, es besteht die Versuchung, sich nur um die eigenen Interessen zu kümmern, beispielsweise weiter Krieg zu führen, sich ausschließlich auf das wirtschaftliche Profil zu konzentrieren, hedonistisch zu leben, also nur danach zu trachten, das eigene Vergnügen zu befriedigen… Es gibt sie, diese Versuchung. Ich habe in den Zeitungen etwas gelesen, das mich sehr traurig gemacht hat: in einem Land, ich weiß nicht mehr welches, sind an jenem Nachmittag über 40 Flugzeuge gestartet, um dem Lockdown zu entkommen und einen schönen Urlaub zu verbringen. Aber haben diese Leute, die gute Leute sind, nicht an diejenigen gedacht, die zu Hause geblieben sind, an die wirtschaftlichen Probleme vieler Leute, die der Lockdownzu Boden gestreckt hat, an die Kranken? Sie [denken nur daran], Urlaub zu machen und ihrem Vergnügen nachzugehen. Das hat mich sehr betrübt.
Mein besonderer Gruß gilt all denen, die das neue Jahr unter vermehrten Schwierigkeiten beginnen, den Kranken, den Arbeitslosen, all denen, die Situationen der Unterdrückung oder Ausbeutung durchleben. Und ich möchte voller Zuneigung alle Familien grüßen, besonders diejenigen, in denen kleine Kinder sind oder die eine Geburt erwarten. Eine Geburt ist immer eine Verheißung der Hoffnung. Ich bin diesen Familien nahe: möge der Herr euch segnen!
Allen wünsche ich einen schönen Sonntag, Jesu stets eingedenk, der gerade deshalb Fleisch geworden ist, um unter uns zu wohnen, in guten wie in schlechten Dingen, immer. Bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Gesegnete Mahlzeit und auf Wiedersehen!
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