Index   Back Top Print

[ AR  - DE  - EN  - ES  - FR  - HR  - IT  - PL  - PT ]

PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Audienzhalle
Mittwoch, 1. August 2018

[Multimedia]


 

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Wir haben das erste Gebot des Dekalogs gehört: »Du sollst neben mir keine anderen Götter haben« (Ex 20,3). Es ist gut, über das Thema des Götzendienstes zu sprechen, das von großer Tragweite und Aktualität ist. Das Gebot verbietet, Götzen[1] oder Bilder[2] jeglicher Gestalt herzustellen:  [3] Denn alles kann als Götze gebraucht werden. Es geht um eine menschliche Neigung, die weder Gläubige noch Atheisten verschont. Wir Christen können uns zum Beispiel fragen: Was ist wirklich mein Gott? Ist es die dreieinige Liebe, oder ist es mein Bild, mein persönlicher Erfolg, vielleicht sogar innerhalb der Kirche? »Götzendienst kommt nicht nur in den falschen Kulten des Heidentums vor. Er bleibt auch für den Glauben eine beständige Versuchung. Es ist Götzendienst, wenn der Mensch anstelle Gottes etwas Geschaffenes ehrt und verehrt« (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2113).

Was ist ein »Gott« auf existentieller Ebene? Es ist das, was im Mittelpunkt des eigenen Lebens steht und von dem das abhängt, was man tut und denkt.[4] Man kann in einer nominell christlichen Familie aufwachsen, die aber in Wirklichkeit auf Bezugspunkte ausgerichtet ist, die dem Evangelium fremd sind.[5] Der Mensch lebt nicht, ohne sich auf etwas auszurichten. Daher bietet die Welt den »Supermarkt« der Götzen an, die Gegenstände, Bilder, Ideen, Rollen sein können.

Zum Beispiel auch das Gebet. Wir sollen zu Gott, unserem Vater, beten. Ich erinnere mich, dass ich einmal in eine Pfarrei in der Diözese Buenos Aires gegangen bin, um eine heilige Messe zu feiern, und anschließend die Firmungen in einer anderen Pfarrei vornehmen sollte, die einen Kilometer entfernt lag. Ich ging zu Fuß dorthin und kam durch einen schönen Park. Aber in dem Park standen über 50 kleine Tische, an denen jeweils zwei Stühle standen, und die Menschen saßen einander gegenüber. Was geschah dort? Es wurden Tarotkarten gelegt. Sie gingen dorthin, um zum Götzen zu »beten«. Anstatt zu Gott zu beten, der die Vorsehung der Zukunft ist, gingen sie dorthin, um sich die Karten lesen zu lassen und in die Zukunft zu schauen. Das ist ein Götzendienst unserer Zeit. Ich frage euch: Wie viele von euch haben sich schon die Karten legen lassen, um in die Zukunft zu schauen? Wie viele von euch haben sich zum Beispiel die Hand lesen lassen, um in die Zukunft zu schauen, statt zum Herrn zu beten? Das ist der Unterschied: Der Herr lebt; die anderen sind Götzen, ein Götzendienst, der zu nichts nütze ist.

Wie entwickelt sich ein Götzendienst? Das Gebot beschreibt die einzelnen Phasen: »Du sollst dir kein Kultbild machen und keine Gestalt […]. Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen und ihnen nicht dienen« (Ex 20,4-5). Das Wort »Götze« kommt im Griechischen vom Verb »sehen «.[6] Ein Götze ist eine »Vision«, die zu einer fixen Idee, einer Besessenheit wird. Der Götze ist in Wirklichkeit eine Projektion der eigenen Person auf Gegenstände oder Pläne. Dieser Dynamik bedient sich zum Beispiel die Werbung: Ich sehe nicht den Gegenstand an sich, sondern ich nehme jenes Auto, jenes Smartphone, jene Rolle – oder andere Dinge – als Mittel wahr, mich selbst zu verwirklichen und meine Grundbedürfnisse zu erfüllen. Und ich strebe danach, spreche darüber, denke daran. Die Vorstellung, jenen Gegenstand zu besitzen, jenen Plan zu verwirklichen oder jene Position zu erlangen, scheint ein wunderbarer Weg zum Glück zu sein: ein Turm, um zum Himmel zu gelangen (vgl. Gen 11,1-9), und alles wird diesem Ziel untergeordnet.

Dann tritt man in die zweite Phase ein: »Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen.« Götzen fordern einen Kult, Rituale; man wirft sich vor ihnen nieder und opfert ihnen alles. In der Antike wurden den Götzen Menschenopfer dargebracht, aber auch heute: Der Karriere werden die Kinder geopfert, indem man sie vernachlässigt oder einfach nicht in die Welt setzt. Die Schönheit fordert menschliche Opfer. Wie viele Stunden verbringen Menschen vor dem Spiegel! Wie viel geben gewisse Menschen, gewisse Frauen aus, um sich zu schminken? Auch das ist ein Götzendienst.

Es ist nicht schlecht, sich zu schminken; aber es muss auf normale Weise geschehen, nicht um zu einer Göttin zu werden. Die Schönheit verlangt Menschenopfer. Die Berühmtheit verlangt die Aufopferung seiner selbst, der eigenen Unschuld und Authentizität. Das Geld raubt das Leben, und der Genuss führt zur Einsamkeit. Die wirtschaftlichen Strukturen opfern Menschenleben für größere Gewinne. Denken wir an all die Menschen ohne Arbeit. Warum? Weil es manchmal geschieht, dass die Betreiber jenes Unternehmens, jener Firma beschlossen haben, Menschen zu entlassen, um mehr Geld zu verdienen.

Der Götze »Geld«. Man lebt in Heuchelei, tut und sagt das, was die anderen erwarten, weil der Gott des eigenen Erfolgs es auferlegt. Und man zerstört Leben, man zerstört Familien, und man überlässt junge Menschen den Fängen zerstörerischer Modelle, nur um den Profit zu mehren. Auch die Drogen sind ein Götze. Wie viele junge Menschen zerstören ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben, indem sie den Götzen »Droge« anbeten. Hier beginnt die dritte und noch tragischere Phase: »…und ihnen nicht dienen«, heißt es. Die Götzen versklaven. Sie versprechen Glück, aber schenken es nicht; und wieder lebt man für jene Sache oder jene Vision, gefangen in einem selbstzerstörerischen Abgrund, in Erwartung eines Ergebnisses, das nie eintritt.

Liebe Brüder und Schwestern, die Götzen versprechen Leben, aber in Wirklichkeit nehmen sie es weg. Der wahre Gott verlangt das Leben nicht, sondern er gibt es, schenkt es. Der wahre Gott bietet keine Projektion unseres Erfolgs an, sondern lehrt zu lieben. Der wahre Gott fordert keine Kinder, sondern er schenkt seinen Sohn für uns hin. Die Götzen projizieren Zukunftsträume und lassen uns die Gegenwart verachten. Der wahre Gott lehrt, jeden Tag in der Wirklichkeit, im Konkreten zu leben, nicht mit Illusionen über die Zukunft: heute und morgen und übermorgen unterwegs in die Zukunft. Die Konkretheit des wahren Gottes gegen die Flüchtigkeit der Götzen. Ich lade euch heute ein, darüber nachzudenken: Wie viele Götzen habe ich oder was ist mein Lieblingsgötze? Denn den eigenen Götzendienst zu erkennen ist ein Beginn der Gnade und bringt uns auf den Weg der Liebe. Die Liebe ist mit dem Götzendienst nämlich unvereinbar: Wenn etwas absolut und unantastbar wird, dann ist es wichtiger als ein Ehepartner, als ein Kind oder als eine Freundschaft. Das Hängen an einem Gegenstand oder an einer Idee macht blind für die Liebe. Und so verleugnen wir, um den Götzen, einem Götzen hinterherzulaufen, sogar den Vater, die Mutter, die Kinder, die Ehefrau, den Ehemann, die Familie…, die liebsten Dinge. Das Hängen an einem Gegenstand oder einer Idee macht blind für die Liebe. Tragt das im Herzen: Die Götzen rauben uns die Liebe, die Götzen machen uns blind für die Liebe, und um wirklich zu lieben, muss man frei sein von jedem Götzen. Wer oder was ist mein Götze? Nimm ihn weg und wirf ihn aus dem Fenster!

* * *

Einen herzlichen Gruß richte ich an die Pilger deutscher Sprache, besonders an die vielen Jugendlichen. Der Heilige Geist begleite euch in dieser Ferienzeit, damit ihr die Freude und den Frieden des Herrn zu allen bringen könnt, denen ihr auf euren Wegen begegnet. Gott segne euch und eure Familien!

 


[1]Der Begriff »pesel« bezeichnet ein göttliches Bildnis, das ursprünglich aus Holz geschnitzt, in Stein gehauen oder vor allem in Metall gegossen ist (vgl. L Koehler/W. Baumgartner, The Hebrew and Aramaic Lexicon of the Old Testament, Bd. 3, S. 949; dt.: Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum Alten Testament, Leiden 32004).

[2]Der Begriff »temunah« hat eine sehr umfassende Bedeutung, die sich auf »Ähnlichkeit, Form« zurückführen lässt. Das Verbot ist also sehr weitreichend, und diese Bilder können von jeglicher Art sein (vgl. L. Koehler/W. Baumgartner, a.a.O., Bd. 1, S. 504).

[3]Das Gebot verbietet nicht die Bilder an sich – Gott selbst wird Mose gebieten, die goldenen Cherubim aus der Sühneplatte der Arche herauszuarbeiten (vgl. Ex 25,18) und eine Schlange aus Kupfer herzustellen (vgl. Num21,8) –, aber er verbietet, sie anzubeten und ihnen zu dienen, also den gesamten Prozess der Vergöttlichung einer Sache, nicht ihre reine Reproduktion.

[4]Die hebräische Bibel benutzt für den Kanaanäischen Götzendienst den Ausdruck »Ba’al«, was »Herr, innige Beziehung, Wirklichkeit, von der man abhängt« bedeutet. Der Götze ist der, der sich als Herr aufspielt, das Herz ergreift und zum Angelpunkt des Lebens wird (vgl. Theological Lexikon of the Old Testament, Bd. 1. 247-251; dt.: Ernst Westermann/Claus Westermann (Hrg.), Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München 1971).

[5]Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2114: »Der Götzendienst ist eine Perversion des dem Menschen angeborenen religiösen Empfindens. Den Götzen dient, ›wer seinen unzerstörbaren Sinn für Gott auf etwas anderes als auf Gott richtet‹ (Origenes, Cels. 2,40).« 6Die Etymologie des griechischen Wortes »eidolon «, abgeleitet von »eidos«, stammt aus der Wurzel »ueid«, die »sehen« bedeutet (vgl. Grande Lessico dell’Antico Testamento, Brescia 1967, Bd. 3, S. 127).


 



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana