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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

       Jenseits des Formalismus

 Dienstag, 1. April 2014

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 15, 11. April 2014

 

Auf die vielen Verletzten im großen »Feldlazarett, Symbol der Kirche« muss man ohne geistliche Trägheit und ohne Formalismen zugehen. Dies empfahl Papst Franziskus in der heiligen Messe am Dienstag, 1. April, die er wie gewöhnlich morgens in der Kapelle der Casa Santa Marta feierte. Er lud die Christen ebenfalls dazu ein, nicht »unter Anästhesie« zu leben sowie den Versuchungen »der Entmutigung, der Traurigkeit« und des »Nicht-Einmischens« nicht nachzugeben. »In der heutigen Liturgie«, so erläuterte er in seinem Kommentar zu den Schriftlesungen, »ist das Wasser das Symbol: jenes heilende Wasser, jenes Wasser, das Gesundheit verleiht«. Dabei bezog er sich vor allem auf den Abschnitt aus dem Johannesevangelium (5,1-16): Es ist »die Geschichte jenes Mannes, der seit 38 Jahren gelähmt war« und sich in der Hoffnung, geheilt zu werden, mit vielen anderen beim Teich in Jerusalem befand. Und so »fragt Jesus, als er jenen Mann sieht: Willst du gesund werden?« Er antworte, ohne zu zögern: »"›Sicher Herr, deswegen bin ich hier! Aber ich habe keinen Menschen, der mich, sobald das Wasser aufwallt, in den Teich trägt. Während ich mich hinschleppe, steigt schon ein anderer vor mir hinein.‹« Man habe sich in der Tat vorgestellt, dass, wenn das Wasser aufwalle, der Engel des Herrn käme, um zu heilen. Die Reaktion Jesu sei ein Befehl: »Steh auf, nimm deine Bahre und geh!« Und jener Mann war geheilt.

Dann, so fuhr der Papst fort, »ändert der Apostel den Tonfall der Erzählung und erinnert daran, dass jener Tag ein Sabbat war«. Und er berichtet von den Reaktionen derer, die den geheilten Mann tadeln, weil er am Sabbat trotz des Verbots seine Bahre getragen hatte. Eine Verhaltensweise, so der Papst, die »auch an unsere Haltung gegenüber den vielen physischen und geistlichen Krankheiten der Menschen« erinnere. Und insbesondere, so bemerkte er, »sehe ich hier« das Bild für »zwei schwere geistliche Krankheiten«, über die »etwas nachzudenken uns gut tun wird«.

Die »erste Krankheit« sei die, die den Gelähmten heimsuche und der sich mittlerweile »damit abgefunden hatte« und vielleicht »zu sich selbst sage: ›Das Leben ist ungerecht, die anderen haben mehr Glück als ich!‹« Seine Art zu sprechen »weist ein adagio lamentoso auf: er hatte sich damit abgefunden, aber er war auch verbittert«. Eine Verhaltensweise, so offenbarte der Papst, die auch an »zahlreiche Katholiken« denken lasse, »die keinen Enthusiasmus mehr haben und verbittert sind« und die »sich selbst« immer wieder vorsagen: »›Ich gehe jeden Sonntag in die Messe, aber es ist besser, sich nicht einzumischen! Ich habe den Glauben für mein Heil, verspüre aber keinerlei Bedürfnis, ihn an andere weiterzugeben: jeder bleibt für sich, in aller Ruhe‹«, schon deshalb, weil »man dich tadelt, wenn du im Leben etwas tust: es ist besser, nichts zu riskieren!« Genau das sei »die Krankheit der Acedia, der Trägheit, der Christen«, eine »Einstellung, die den apostolischen Eifer lähmt« und »die dafür sorgt, dass die Christen stillstehende, ruhige Menschen werden, aber nicht im positiven Sinne des Wortes: Menschen, die sich nicht darum bemühen, hinauszugehen, um das Evangelium zu verkünden.

Betäubte Menschen.« Eine geistliche Anästhesie, die zu der »negativen« Überlegung führe, »dass es besser sei, sich nicht einzumischen«, um »so in dieser geistlichen Trägheit« zu leben. »Und die Trägheit ist traurig.« So sehe das Profil der »im Grunde traurigen Christen« aus, denen es behage, die Traurigkeit so lange auszukosten, bis sie »Menschen werden, die kein Licht mehr haben, die negativ sind«. Und das, so warnte der Papst, »ist eine Krankheit, die uns Christen befällt«. Vielleicht »gehen wir jeden Sonntag zur Messe«, aber wir sagen auch: »Bitte nicht stören!« Die Christen »ohne apostolischen Eifer dienen zu nichts und tun der Kirche nicht gut«. Leider, so sagte der Papst, gebe es heutzutage viele »egoistische Christen«, die »die Sünde der Acedia, der Trägheit gegenüber dem apostolischen Eifer, begehen, gegen den Wunsch, Jesu Neuheit zu den anderen Menschen zu bringen; jene Neuheit, die ich unentgeltlich empfangen habe«.

Die zweite Sünde, die der Papst heute aufzeigte, ist »der Formalismus« der Juden. Sie nehmen Anstoß an dem Mann, den Jesus soeben geheilt hatte, weil er an einem Sabbat seine Bahre trägt. Es zähle nichts, dass er so glücklich sei, dass er fast »mitten auf der Straße zu tanzen beginnt«, weil er endlich »von der physischen Krankheit und auch von dieser Trägheit, von jener Traurigkeit « befreit sei. Die Antwort der Juden falle trocken aus: »Hier ist es so, das muss man tun!« Sie waren »nur an den Förmlichkeiten interessiert: es war Sabbat, und am Sabbat darf man keine Wunder vollbringen! Die Gnade Gottes darf am Sabbat nicht arbeiten!« Das ist dieselbe Einstellung wie die der »heuchlerischen Christen, die der Gnade Gottes keinen Platz einräumen«.

Das gehe soweit, dass »für diese Leute das christliche Leben darin besteht, alle Dokumente in Ordnung zu haben, alle Bescheinigungen!« Auf diese Art allerdings »schlagen sie der göttlichen Gnade die Türe vor der Nase zu«. Und, so fügte er hinzu, »davon haben wir in der Kirche viele!« Das also seien die beiden Sünden. Auf der einen Seite seien da »die, die an der Sünde der Trägheit leiden«, weil sie »außerstande sind, in ihrem apostolischen Eifer fortzufahren, und die beschlossen haben, in sich selbst stehenzubleiben, in ihrer eigenen Traurigkeit und ihrem Groll«. Auf der anderen Seite seien jene, »die außerstande sind, das Heil zu bringen, weil sie die Türe verschließen« und sich »einzig und allein um die Förmlichkeiten« kümmern, so dass »das darf man  nicht!« das meistgebrauchte Wort bei ihnen wird.

»Es sind Versuchungen, denen auch wir ausgesetzt sind und die wir kennen müssen, um uns gegen sie zur Wehr zu setzen.« Und »angesichts dieser beiden Versuchungen« in diesem »Feldlazarett, Symbol der Kirche von heute, in dem viele Verwundete liegen«, gebe Jesus gewiss weder der Trägheit noch dem Formalismus nach. Aber »er nähert sich jenem Mann und fragt ihn: ›Willst du geheilt werden?‹« Dem Mann, der nur Ja sagt, »schenkt er die Gnade und geht weg«. Jesus, so erläutert der Papst, »bringt nicht sein Leben in Ordnung: er schenkt ihm die Gnade, und die Gnade macht dann alles allein!« Dann, so erzähle das Evangelium, als er kurz danach im Tempel erneut diesem Mann begegne, richte er noch einmal das Wort an ihn, um zu ihm zu sagen: »›Jetzt bist du gesund, sündige nicht mehr!‹« Das, so bekräftigte der Papst, seien »die beiden christlichen Worte: ›Willst du geheilt werden?‹ – ›Sündige nicht mehr!‹« Zuerst heile Jesus den Kranken, und dann fordere er ihn auf, »nicht mehr zu sündigen«. Und gerade das »ist der christliche Weg, der Weg des apostolischen Eifers«, um sich »unzähligen verwundeten Menschen in diesem Feldlazarett zu nähern. Und oft auch Männern und Frauen der Kirche, die verwundet wurden.« Man müsse also wie ein Bruder oder eine Schwester mit ihnen sprechen, sie zur Heilung auffordern und dann dazu, »nicht mehr zu sündigen«. Und zweifellos, so schloss der Papst, »sind diese beiden Worte Jesu sehr viel schöner als die Haltungen der Trägheit und der Heuchelei.«

 



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