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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Die Gleichung der Barmherzigkeit

Dienstag, 1. März 2016

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 10, 11. März 2016

 

Die »Achse«, um die sich die liturgischen Lesungen des 1. März drehen, ist die Barmherzigkeit. Es sei das »am häufigsten wiederholte Wort«, auf das auch Papst Franziskus in der heiligen Messe im Gästehaus Santa Marta seine Aufmerksamkeit richtete. Der Begriff der Barmherzigkeit klinge im gesamten Wortgottesdienst an, so der Papst zu Beginn. Der Antwortpsalm laute: »Denk an dein Erbarmen, o Herr!« Und das sei, als würde man sagen: »Gedenke deines Namens, Herr: dein Name ist Barmherzigkeit!«

Ebenso stehe die Bitte um Erbarmen im Mittelpunkt der ersten Lesung aus dem Propheten Daniel (3,25.34-43). Dort werde das Gebet des Asarja wiedergegeben, »einer von den drei jungen Männern, die in den Feuerofen geworfen worden waren, weil sie das goldene Götzenbild nicht anbeten wollten«. Asarja bitte »um Erbarmen für ihn und für das Volk, er bittet Gott um Vergebung«, und zwar nicht um »eine oberflächliche Vergebung«, so wie ein Fleck beseitigt wird, »wenn wir ein Kleid in die Reinigung bringen«. Papst Franziskus unterstrich, dass der junge Mann »von Herzen um Vergebung« bitte, und wenn diese Vergebung von Gott komme, »dann ist es immer Barmherzigkeit«. Asarja »bittet demütig: ›Um deines Namens willen, Herr […] deinem Freund Abraham zuliebe, deinem Knecht Isaak und Israel‹«. Das heißt er »erinnert Gott an all seine Verheißungen«, erkennt aber auch die Notwendigkeit der Vergebung: »›Wir sind geringer geworden als alle Völker. […] Wir haben in dieser Zeit weder Vorsteher noch Propheten und keinen, der uns anführt, weder Brandopfer noch Schlachtopfer‹ wegen unserer Sünden.«

Franziskus wies darauf hin, dass hier das zweite Schlüsselwort ins Spiel komme: »Vergebung «. Die Dynamik sei folgende: »Ich wende mich an Gott, erinnere ihn an seine Barmherzigkeit und bitte ihn um Vergebung«, aber »um eine Vergebung, wie Gott sie gewährt «. Der Papst richtete seine Aufmerksamkeit auf ein Merkmal dieser Vergebung Gottes, deren Vollkommenheit – so dass er sogar unsere Sünden »vergisst« – für uns Menschen so schwer verständlich sei. »Wenn Gott vergibt, dann ist seine Vergebung so groß, als würde er ›vergessen‹.« Wenn »wir dann mit Gott im Frieden sind, weil er barmherzig ist« und den Herrn fragen würden: »Erinnerst du dich an das Schlimme, das ich getan habe?«, dann könnte die Antwort lauten: »Was? Ich erinnere mich nicht…«

Das sei »genau das Gegenteil von dem, was wir tun« und was häufig im »Klatsch und Tratsch« zum Ausdruck komme: »Aber der hat das getan und dies und jenes…« Wir »vergessen nicht«, und von vielen Menschen behalten wir »die antike, mittelalterliche und zeitgenössische Geschichte«. Und der Grund dafür sei die Tatsache, dass »wir kein barmherziges Herz haben«. An Gott gewandt könne jedoch Asarja »an seine Barmherzigkeit appellieren, auf dass er uns Vergebung und Heil schenke und unsere Sünden vergesse«. Deshalb bitte er: »Handle an uns nach deiner Milde, nach deinem überreichen Erbarmen! Errette uns!« Dasselbe Gebet kehre auch im Antwortpsalm wieder: »Denk an dein Erbarmen, o Herr!«

Der in der Liturgie verlesene Abschnitt aus dem Matthäusevangelium (18,21-25) behandle dasselbe Thema. Der Protagonist sei Petrus, der »schon so oft gehört hatte, wie der Herr über Vergebung, über Barmherzigkeit sprach«. Offenbar habe der Apostel, der ein einfacher Mann war – »er hatte nicht viel studiert, hatte keinen Doktortitel: er war ein Fischer« –, die Bedeutung jener Worte nicht ganz verstanden. Daher sei er zu Jesus gekommen und habe ihn gefragt: »Herr, sag mir, wenn mein Bruder sich gegen mich versündigt, wie oft muss ich ihm vergeben? Bis zu siebenmal meinst du?« Siebenmal schien ihm vielleicht geradezu »großherzig« zu sein. Aber Jesus »sagte zu ihm: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal.«

Um dies besser verständlich zu machen, erzähle Jesus das Gleichnis vom König, »der beschloss, von seinen Dienern Rechenschaft zu verlangen «. So habe man einen Diener zum König gebracht, »der ihm zehntausend Talente schuldig war«, eine enorme Summe. »Nach dem Gesetz jener Zeit« wäre er gezwungen gewesen, sich und alles, auch Frau, Kinder und Felder, zu verkaufen«. Da habe der Schuldner »zu weinen begonnen und um Erbarmen, Vergebung gefleht«, bis der Herr »Mitleid mit dem Diener« gehabt habe. »Mitleid«, erläuterte Franziskus, ist ein weiteres Wort, das leicht mit dem Begriff der Barmherzigkeit in Verbindung gebracht werden kann. Wenn in den Evangelien von Jesus die Rede sei und seine Begegnung mit einem Kranken beschrieben werde, dann heiße es, dass »er Mitleid mit ihm hatte«.

Im Gleichnis lasse der Herr den Schuldner dann gehen und schenke ihm die Schuld, bei der es sich um eine große Summe gehandelt habe. Als der Diener dann aber »einen anderen Diener seines Herrn traf, der ihm ›etwas Kleingeld‹ schuldete «, habe er diesen »ins Gefängnis werfen« wollen. Dieser Mann habe »nicht verstanden, was  sein König für ihn getan hat«, und so habe er sich »egoistisch verhalten«. Am Schluss des Gleichnisses lasse der König den Diener, dem er die Schuld erlassen hatte, zurückrufen und werfe ihn ins Gefängnis, weil er nicht »großherzig« gewesen sei, das heißt, er hatte sich »seinem Gefährten gegenüber nicht so verhalten, wie sich Gott ihm gegenüber verhalten hatte«.

Franziskus entnahm dem eine allgemeingültige Lehre und erinnerte an den Satz des Vaterunsers, in dem es heißt: »Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. « Er unterstrich, dass es sich dabei um »eine Gleichung« handle: »Wenn du nicht fähig bist zu vergeben, wie kann dir dann Gott vergeben?« Der Herr »will dir vergeben, aber er kann es nicht, wenn du ein verschlossenes Herz hast und die Barmherzigkeit nicht eindringen kann«. Jemand könne einwenden: »Pater, ich vergebe, aber diese schlimme Sache, die er mir angetan hat, kann ich nicht vergessen…« Die Antwort sei: »Bitte den Herrn, dass er dir helfen möge zu vergessen.« Der Papst fügte hinzu: »Es ist wahr, dass man vergeben kann, aber dass es einem nicht immer gelingt zu vergessen.« Aber sicherlich könne man eine Haltung der Vergebung nicht akzeptieren, die zugleich sage: »Das wirst du teuer bezahlen.« Man müsse so »vergeben, wie Gott vergibt«, der »im höchsten Grade vergibt«.

Zum Abschluss seiner Überlegungen sprach der Papst über unsere alltäglichen Schwierigkeiten: »Es ist nicht leicht zu vergeben; das ist nicht leicht«, räumte er ein und wies auf die vielen Familien hin, »in denen es Geschwister gibt, die um das Erbe der Eltern streiten und sich niemals grüßen; viele Ehepaare streiten und der Hass wächst und wächst und schließlich ist die Familie zerstört.« Diese Menschen »können nicht vergeben. Und das ist das Übel.«

Die Fastenzeit, so Franziskus, »möge unser Herz vorbereiten, um die Vergebung Gottes zu empfangen. Aber: Sie empfangen und dann gegenüber den anderen genauso handeln und von Herzen vergeben«, das heißt eine Haltung zu haben, die uns sagen ließe: »Vielleicht wirst du mich niemals grüßen, aber ich habe dir in meinem Herzen verziehen.« Das sei der beste Weg, um »dieser großen Wahrheit näher zu kommen: Gott, der Barmherzigkeit ist«. Denn »indem wir vergeben, öffnen wir unser Herz, damit die Barmherzigkeit Gottes eindringen und uns vergeben kann«. Und wir alle hätten Grund, Gott um Vergebung zu bitten: »Wir vergeben und uns wird vergeben werden.«

 



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