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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
 

Lehrer des schönen Scheins

Dienstag, 16. Oktober 2018
 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 45, 9. November 2018)

 

Die Aufforderung, sich vor den »rigiden« und »heuchlerischen« Christen zu hüten, die sich nur darum sorgen, »in Erscheinung zu treten« und »sich die Seele zu schminken«, stand im Mittelpunkt der Predigt des Papstes bei der Messe in Santa Marta am Dienstag, 16. Oktober. Franziskus ging vom Tagesevangelium nach Lukas (11,37-41) aus und unterstrich zunächst, dass »viele Leute Jesus nachfolgten, um ihm zuzuhören, denn – so heißt es im Evangelium – die Leute sagten: ›Dieser spricht mit Vollmacht. Es gefällt uns, ihn zu hören. Er spricht nicht wie die Gesetzeslehrer.‹« Außerdem »folgten sie ihm, weil Jesus anziehend war, er rührte an die Herzen, man musste ihn gern haben«. Und schließlich »auch wegen ein wenig Interesse, um geheilt zu werden: Sie brachten die Kranken, damit er sie heile.« Jesus selbst habe einmal bemerkt: »Aber ihr kommt zu mir um des Brotes willen, weil ich euch einmal zu essen gegeben habe.«

In Wirklichkeit »folgten die Menschen Jesus, weil er die Wahrheit sagte, weil er ihr Herz berührte«. Im Gegensatz zu dem, was »diese Gesetzeslehrer taten, diese Schriftgelehrten, Sadduzäer, Pharisäer, die Jesus folgten, aber nicht als Jünger: als Richter, aus der Ferne«. In der Tat, sie »prüften ihn unter dem Vergrößerungsglas, um zu sehen, wo sie ihn bei einem Fehler, bei einem Ausrutscher, bei etwas ertappen konnten, das nicht die wahre Lehre war: die ihrige«, das heißt »sie folgten ihm mit schlechten Absichten«. Während »das Volk Jesus liebte«, hob der Papst hervor, »liebten diese Leute Jesus nicht; im Gegenteil, sie hassten Jesus«. Und doch »waren das die ›Reinen‹, die alle Formalitäten einhielten: die Formalitäten des Gesetzes, der Religion, der Liturgie«. Sie seien »wirklich als Beispiel an Formalität« betrachtet worden, aber »ihnen fehlte das Leben. Sie waren sozusagen steif. Sie waren rigide. Und Jesus kannte ihre Seele.«

»Die Dinge, die Jesus tat«, fuhr Franziskus fort, »wenn er die Sünden vergab, wenn er am Sabbat heilte, ärgerten sie. Sie zerrissen ihre Kleider: ›Ach! Was für ein Skandal! Das kommt nicht von Gott, denn man muss das tun.‹« Ihnen »lag nicht an den Leuten: ihnen lag am Gesetz, an den Vorschriften, an den Rubriken«. Das Evangelium berichte also, dass der Herr »zum Haus von einem von diesen geht, weil er ihn zum Mittagessen eingeladen hatte«. Tatsächlich, präzisierte der Papst, »haben sie ihn nicht zum Mittagessen eingeladen, weil sie ihn gern gehabt hätten«, sondern »um zu sehen, ob er ein bisschen zu viel getrunken oder ob er etwas Falsches getan und gesagt hätte, und ihn so zu ertappen.

Sie waren immer hinter ihm, um ihn auf die Probe zu stellen.« In jedem Fall »nimmt Jesus an«: Denn »er ist frei«, also »nimmt er an und geht hin. Er tritt ein und nimmt Platz.« Und wie sei die Reaktion des Pharisäers? »Dieser ›war verwundert‹ – eine Art zu sagen ›er war empört‹ –, dass Jesus die Waschungen vor dem Essen nicht vollzogen hatte«. Denn, erklärte der Papst, »diese Leute waren wohlerzogen, sie wuschen ihre Hände, ihre Füße und machten einige Waschungen vor dem Essen. Und jener Mann, der Jesus eingeladen hatte, war ›verwundert‹.«

Auf seine Überraschung hin antworte der Herr: »O ihr Pharisäer! Ihr haltet zwar Becher und Teller außen sauber, innen aber seid ihr voll Raffsucht und Bosheit!« Es sei offensichtlich, dass dies »keine schönen Worte sind«. Weiter unterstrich der Papst: »Jesus sprach klar, er war kein Heuchler. Er sprach klar.« Und so »sagt er: ›Aber warum schaut ihr auf das Äußere? Schaut nach Innen, was dort ist.‹« Bereits bei anderer Gelegenheit habe Jesus gesagt: »Ihr seid wie getünchte Gräber.« Das sei ein »tolles Kompliment «, kommentierte Franziskus ironisch. Ja, sie seien »außen schön aussehend, alle perfekt… ganz perfekt… Innen aber voller Unreinheit, also voller Raffsucht, Bosheit«. Und Jesus, der »den Schein von der inneren Wirklichkeit« zu unterscheiden wisse, entlarve »diese Herren«, die »›Lehrer des Scheins‹ sind: immer perfekt, immer. Doch im Innern, was ist da?«

Der Papst hob die heuchlerische Haltung dieser Pharisäer hervor und bezog sich dabei auch auf weitere Begebenheiten im Evangelium, angefangen beim barmherzigen Samariter. »Als einer von ihnen«, so rief er in Erinnerung, »an diesem armen und zusammengeschlagenen Mann vorüberging, der von den Räubern halb tot zurückgelassen worden war, sah er es, schaute weg und setzte seinen Weg fort. Ihm waren die Leute egal. Er war am äußeren Schein interessiert.« Und »wenn sie Almosen gaben, ließen sie die Posaune blasen, damit man es sehe«. Ebenso »wenn sie fasteten, dann schminkten sie sich sogar auf noch schlimmere Weise, damit man sehe, dass sie so traurig waren, so niedergeschlagen«.

Jesus »qualifiziert deshalb diese Menschen mit einem Wort: ›Heuchler‹. ›Du bist ein Heuchler‹, denn von außen siehst du so sauber, so vollkommen aus, aber deine Seele ist eine zerknitterte, faltige, schmutzige Seele voller Fäulnis; hier redet er von ›Raffsucht‹«. So eine Seele ist sogar »fähig, zu töten, wie sie es mit Jesus gemacht haben. Und fähig, für Töten und schlechte Nachrede zu zahlen.« Auch heute, merkte der Papst an, »tut man das: man zahlt dafür, um schlechte Nachrichten zu verbreiten, Nachrichten, um den anderen beschmutzen«. So »waren diese Leute«. Und die Warnung Jesu – »Schaut auf das Innere!« – sei nicht nur an sie gewandt, sondern auch an die Christen unserer Zeit.

Um diese Weise des Handelns »mit einem Adjektiv « zusammenzufassen, schlug der Papst den Begriff »rigide« vor. Und er erklärte, dass »etwas Rigides sich nicht ändert, sich nicht öffnet. Dieser da ist rigide, und er ändert sich nicht, er ist so. Er ist blockiert.« Auch die Pharisäer »hatten ein rigides Leben«. Doch Franziskus machte aufmerksam: »Immer gibt es da hinter oder unter dieser Rigidität Probleme. Schwere Probleme. Hinter dem Schein eines guten Christen, hinter dem Anschein, damit das klar ist, hinter einem Menschen, der immer danach trachtet, in Erscheinung zu treten, sich die Seele zu schminken: da stecken immer Probleme.« Denn »da ist nicht Jesus«, sondern »da ist der Geist der Welt«.

Also fragte sich der Papst: »Was ist der Rat Jesu? ›Ihr Unverständigen‹, sagt er, gebt lieber Almosen, und ihr werdet sehen, dass alles rein sein wird!‹« Die Ermahnung des Herrn ist klar: »Reiß dein Herz auf mit dem Almosen! Gib! Öffne! Lass die Luft rein, lass die Gnade eintreten!« Jene seien in der Tat »rigide, weil sie nicht geglaubt haben, dass die Gnade, dass das Heil unentgeltlich ist, eine unentgeltliche Gabe Gottes«. Denn »keiner rettet sich selbst, keiner. Keiner rettet sich selbst, auch nicht mit den Praktiken dieser Leute. Nein. Das Heil ist eine Gabe des Herrn.« Diese Menschen, bekräftigte der Papst, »waren rigide, weil sie nicht wussten, dass sie frei waren«, während »die Unentgeltlichkeit des Heils in Jesus uns frei macht«, wie auch Paulus in seinem Brief an die Galater (5,1-6) in der ersten Lesung betone.

Es sei lehrreich, sich anzusehen, wie sich Jesus verhalte. Auf der einen Seite, so Franziskus, sei da »das Volk, das ihm folgt, weil es ihn liebt, weil es ihm gerne zuhört«. Natürlich, räumte er ein, gebe es da »auch ein kleines Interesse, dass er die Leute heile und ihnen ein wenig zu essen gebe … Ja, das stimmt.« Das Evangelium »zeigt, wer das Volk ist, das Jesus nachfolgt. Und Jesus liebt es.« Auf der anderen Seite dagegen befänden sich »diese Leute, die immer auf Distanz gehen, die alles beurteilen und sich so perfekt präsentieren «. Und »diese verurteilt Jesus, für die Rigidität, für den Mangel an Liebe, für den Mangel an Freiheit. Gott kann in diese Rigidität nicht eintreten.«

Daher die Warnung des Papstes: »Hütet euch vor den Rigiden und seid vorsichtig! Seid vorsichtig bei den Christen – seien es Laien, Priester oder Bischöfe –, die so ›perfekt‹, so rigide auftreten. Hütet euch!« In diesen Personen »ist nicht der Geist Gottes. Es fehlt der Geist der Freiheit.« Und es sei auch notwendig, »auf uns selbst aufzupassen, denn das muss uns dazu führen, über unser Leben nachzudenken: Versuche ich, allein auf den Anschein zu achten, und ändere ich mein Herz nicht? Öffne ich mein Herz nicht für das Gebet, für die Freiheit des Gebets, für die Freiheit des Almosens, für die Freiheit der Werke der Barmherzigkeit?«

Abschließend riet der Papst den Gläubigen, dafür zu beten, dass »der Herr uns diese Predigt Jesu über die Unentgeltlichkeit des Heils, über die innere Freiheit und über die Heuchelei derjenigen verstehen lasse, die sich immer mit vollkommenen äußeren Formen präsentieren, aber in ihrem Innern so viel Schlechtigkeit haben«.

 



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