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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS 
NACH ZYPERN UND GRIECHENLAND
(2.-6. DEZEMBER 2021)

HEILIGE MESSE

PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS 

“GSP Stadion” in Nicosia
Freitag, 3. Dezember 2021

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Als Jesus vorbeikommt, schreien zwei Blinde ihm ihre Not und ihre Hoffnung entgegen: »Hab Erbarmen mit uns, Sohn Davids!« (Mt 9,27). „Sohn Davids“ war ein Titel, der dem Messias zugeschrieben wurde, den die Prophezeiungen als aus dem Geschlecht Davids stammend ankündigten. Die beiden Protagonisten des heutigen Evangeliums sind also blind, und doch sehen sie das, was zählt: Sie erkennen Jesus als den Messias, der in die Welt gekommen ist. Lasst uns auf drei Passagen dieser Begegnung näher eingehen. Sie können uns helfen, auf diesem Weg des Advents unsererseits den kommenden Herrn zu empfangen, den Herrn, der kommt.

Der erste Schritt: zu Jesus gehen, um Heilung zu erlangen. Im Text heißt es, dass die beiden Blinden zum Herrn riefen, während sie ihm folgten (vgl. V. 27). Sie sehen ihn nicht, aber sie hören seine Stimme und folgen seinen Schritten. Sie suchen in Christus das, was die Propheten vorausgesagt hatten, nämlich die Zeichen der Heilung und des Erbarmens Gottes in der Mitte seines Volkes. In diesem Zusammenhang hatte Jesaja geschrieben: »Dann werden die Augen der Blinden aufgetan« (35,5). Und eine weitere Prophezeiung, die in der heutigen Ersten Lesung enthalten ist, sagt: »Aus Dunkel und Finsternis werden die Augen der Blinden sehen« (29,18). Die beiden Männer im Evangelium vertrauen Jesus und folgen ihm, um ihr Augenlicht zu finden.

Und warum, liebe Brüder und Schwestern, vertrauen diese beiden Menschen Jesus? Weil sie erkennen, dass Er im Dunkel der Geschichte das Licht ist, das die Nächte des Herzens und der Welt erhellt, das die Finsternis besiegt und alle Blindheit überwindet. Wir wissen, dass es auch in unserem Herzen blinde Flecken gibt. Wie die beiden Blinden sind auch wir Wanderer inmitten der Dunkelheit des Lebens. Das erste, was zu tun ist, ist, zu Jesus zu gehen, so wie er selbst sagt: »Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken« (Mt 11,28). Wer von uns ist nicht in irgendeiner Weise müde und beladen? Alle. Aber wir weigern uns, auf Jesus zuzugehen; oft ziehen wir es vor, in uns selbst verschlossen zu bleiben, mit unserer Dunkelheit allein zu sein, uns ein wenig selbst zu bemitleiden und die schlechte Gesellschaft der Traurigkeit zu akzeptieren. Jesus ist der Arzt: Nur er, das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet (vgl. Joh 1,9), er schenkt uns die Fülle des Lichtes, der Wärme und der Liebe. Er allein befreit das Herz von allem Übel. Wir können uns fragen: Schließe ich mich in der Dunkelheit der Melancholie ein, die die Quellen der Freude versiegen lässt, oder gehe ich zu Jesus und bringe ihm mein Leben? Folge ich Jesus nach, „jage“ ich ihm nach, schreie ich ihm meine Not entgegen, übergebe ich ihm meine Bitterkeit? Lasst uns das tun, geben wir Jesus Gelegenheit, unsere Herzen zu heilen. Dies ist der erste Schritt; die innere Heilung erfordert zwei weitere Schritte.

Der zweite besteht darin, die Wunden gemeinsam zu tragen. In dieser Erzählung des Evangeliums gibt es keine Heilung eines einzelnen Blinden, wie z.B. bei Bartimäus (vgl. Mk 10,46-52) oder dem Blindgeborenen (vgl. Joh 9,1-41). Hier ist von zwei Blinden die Rede. Sie sind gemeinsam unterwegs. Gemeinsam leiden sie an ihrem Zustand, gemeinsam sehnen sie sich nach einem Licht, das ihre Dunkelheit erhellen kann. Im Text, den wir gehört haben, steht alles im Plural, denn die beiden tun alles gemeinsam: beide folgen Jesus, beide rufen zu ihm und bitten um Heilung; nicht jeder für sich, sondern gemeinsam. Es ist bezeichnend, dass sie zu Christus sagen: Hab Erbarmen mit uns. Sie verwenden das Wort „uns“, sie sagen nicht „mir“. Sie denken nicht nur an ihre eigene Blindheit, sondern bitten gemeinsam um Hilfe. Das ist Ausdruck des christlichen Lebens, das ist das charakteristische Merkmal einer kirchlichen Gesinnung: als „wir“ zu denken, zu sprechen und zu handeln und dabei den Individualismus und die Anmaßung der Selbstgenügsamkeit hinter sich zu lassen, die das Herz krank machen.

Die beiden blinden Männer lehren uns mit ihrem gemeinsam getragenen Leiden und ihrer brüderlichen Freundschaft viel. Jeder von uns ist in gewisser Weise blind aufgrund der Sünde, die uns daran hindert, Gott als Vater und die anderen als Brüder und Schwestern zu „sehen“. Das ist es, was die Sünde tut, sie verzerrt die Realität: Sie bringt uns dazu, Gott als Herrscher und die anderen Menschen als Probleme anzusehen. Das ist das Werk des Versuchers, der die Dinge verfälscht und dazu bestrebt ist, sie uns in einem negativen Licht zu zeigen, um uns in Verzweiflung und Bitterkeit zu stürzen. Und die hässliche Traurigkeit, die gefährlich ist und nicht von Gott kommt, lauert in der Einsamkeit. Deshalb kann man gegen die Dunkelheit nicht allein angehen. Wenn wir unsere innere Blindheit allein tragen, sind wir überfordert. Wir müssen uns gegenseitig beistehen, unsere Wunden teilen und den Weg gemeinsam aufnehmen.

Liebe Brüder und Schwestern, angesichts aller persönlichen Dunkelheiten und der Herausforderungen, denen wir in Kirche und Gesellschaft gegenüberstehen, sind wir gerufen, die Geschwisterlichkeit zu erneuern. Wenn wir unter uns gespalten bleiben, wenn jeder nur an sich selbst oder an die Seinen denkt, wenn wir uns nicht zusammentun, nicht miteinander reden, nicht gemeinsam gehen, können wir von unserer Blindheit nicht vollständig geheilt werden. Die Heilung kommt, wenn wir unsere Wunden gemeinsam tragen, wenn wir uns unseren Problemen gemeinsam stellen, wenn wir einander zuhören und miteinander reden. Und dies ist die Gnade des Gemeinschaftslebens, die Gnade, den Wert des Zusammenseins und des In-Gemeinschaft-Seins zu verstehen. Das wünsche ich euch: Möget ihr immer zusammen sein, möget ihr immer vereint sein; möget ihr auf diese Weise und mit Freude voranschreiten: als christliche Brüder und Schwestern, Kinder des einen Vaters. Und ich wünsche mir das auch für uns.

Und nun der dritte Schritt: das Evangelium mit Freude zu verkünden. Nachdem sie gemeinsam von Jesus geheilt wurden, beginnen die beiden anonymen Protagonisten des Evangeliums, in denen wir uns wiederfinden können, die Nachricht in der ganzen Region zu verbreiten und überall davon zu sprechen. Darin liegt eine gewisse Ironie: Jesus hatte ihnen geboten, niemandem etwas zu sagen, doch sie tun genau das Gegenteil (vgl. Mt 9,30-31). Aus der Geschichte geht jedoch hervor, dass sie nicht die Absicht haben, dem Herrn ungehorsam zu sein; sie können einfach ihre Begeisterung darüber, geheilt worden zu sein, ihre Freude über das, was sie in der Begegnung mit ihm erlebt haben, nicht verbergen. Und hier begegnen wir einem weiteren Unterscheidungsmerkmal des Christlichen: die Freude des Evangeliums, die unbändig ist, »erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen« (Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium, 1); die Freude des Evangeliums befreit uns von der Gefahr eines gefühlsmäßigen, todernsten und jammernden Glaubens, und führt zur Dynamik des Glaubenszeugnisses.

Liebe Freunde, es ist schön, euch zu sehen und festzustellen, dass ihr die befreiende Botschaft des Evangeliums mit Freude lebt. Ich danke euch dafür. Es geht nicht um Proselytenmacherei – bitte kein Proselytismus! – sondern um Zeugnis; nicht um Moralismus, der verurteilt – nein, tut das nicht – sondern um Barmherzigkeit, die umarmt; nicht um äußeren Kult, sondern um gelebte Liebe. Ich ermutige euch, auf diesem Weg weiterzugehen: Wie die beiden Blinden im Evangelium wollen auch wir unsere Begegnung mit Jesus erneuern und furchtlos aus uns herausgehen, um allen, denen wir begegnen, von ihm Zeugnis zu geben! Lasst uns hinausgehen, um das Licht weiterzugeben, das wir empfangen haben, lasst uns hinausgehen, um die Nacht zu erhellen, die uns oft umgibt! Brüder und Schwestern, es braucht erleuchtete, vor allem aber leuchtende Christen, die die Blindheit ihrer Brüder und Schwestern liebevoll berühren; die mit Gesten und Worten des Trostes Lichter der Hoffnung in der Dunkelheit entzünden. Christen, die die Saat des Evangeliums in die trockenen Felder des Alltags säen, die die Einsamkeit des Leidens und der Armut mit ihrer Liebe erfüllen.

Brüder und Schwestern, unser Herr Jesus kommt zu uns, er geht auch durch unsere Straßen Zyperns, er hört den Schrei unserer Blindheit, er will unsere Augen berühren, will unsere Herzen berühren, uns zum Licht führen, uns neues Leben schenken und innerlich aufrichten. Das will Jesus tun. Und er richtet die Frage, die er den blinden Männern stellte, auch an uns: »Glaubt ihr, dass ich dies tun das kann?« (Mt 9,28). Glauben wir, dass Jesus dies tun kann? Lasst uns unser Vertrauen in ihn erneuern! Sagen wir zu ihm: Jesus, wir glauben, dass dein Licht größer ist als all unsere Dunkelheit; wir glauben, dass du uns heilen kannst, dass du unsere Geschwisterlichkeit erneuern kannst, dass du unsere Freude vermehren kannst; und mit der ganzen Kirche rufen wir zu dir, alle zusammen: Komm, Herr Jesus! [Alle wiederholen: „Komm, Herr Jesus!“] Komm, Herr Jesus! [Alle: „Komm, Herr Jesus!“] Komm, Herr Jesus! [Alle: „Komm, Herr Jesus!“]

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Liebe Brüder und Schwestern,

ich bin es, der euch allen danken will! Morgen früh werde ich Gelegenheit haben, den Herrn Staatspräsidenten zu begrüßen, der hier anwesend ist. Ich werde ihn begrüßen, wenn ich mich von diesem Land verabschiede, aber schon jetzt möchte ich euch allen von ganzem Herzen meinen Dank für die Aufnahme und die Zuneigung aussprechen, die ihr mir entgegengebracht habt. Danke!

Hier auf Zypern atme ich ein wenig von der Atmosphäre, die für das Heilige Land typisch ist, wo die Ursprünglichkeit und Vielfalt der christlichen Traditionen den Pilger bereichern. Das tut mir gut, und es tut gut, Gemeinschaften von Gläubigen zu treffen, die die Gegenwart mit Hoffnung leben, offen für die Zukunft sind und diese Haltung den Bedürftigsten zukommen lassen. Ich denke dabei insbesondere an die Migranten auf der Suche nach einem besseren Leben, mit denen ich mein letztes Treffen auf dieser Insel verbringen werde, und an die Brüder und Schwestern verschiedener christlicher Konfessionen.

Vielen Dank an alle, die an diesem Besuch mitgewirkt haben! Betet für mich. Möge der Herr euch segnen und die Mutter Gottes euch beschützen. Efcharistó! [Danke!]



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