![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
ERÖFFNUNG DES 96. GERICHTSJAHRES DER RÖMISCHEN ROTA
ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
Sala Clementina
Freitag, 31. Januar 2025
__________________________________________
Liebe Prälaten-Auditoren!
Die Eröffnung des Gerichtsjahres des Gerichtshofes der Römischen Rota gibt mir Gelegenheit, erneut meine Anerkennung und meine Dankbarkeit für eure Arbeit zum Ausdruck zu bringen. Ich begrüße sehr herzlich Seine Exzellenz, den Dekan, sowie euch alle, die ihr an diesem Gerichtshof euren Dienst leistet.
In diesem Jahr begehen wir den zehnten Jahrestag der beiden Motu Proprio Mitis Iudex Dominus Iesus und Mitis et Misericors Iesus , mit denen ich das Verfahren für die Erklärung der Ehenichtigkeit reformiert habe. Es erscheint mir angebracht, diese traditionelle Begegnung mit euch zu nutzen, um den Geist, der diese von euch mit Fachkenntnis und Sorgfalt zugunsten aller Gläubigen angewandte Reform durchdrungen hat, in Erinnerung zu rufen.
Die Notwendigkeit, die Vorschriften bezüglich des Ehenichtigkeitsverfahrens zu verändern, war von den in der außerordentlichen Versammlung von 2014 zusammengekommenen Synodenvätern zum Ausdruck gebracht worden, die die Bitte formuliert haben, die Prozesse zugänglicher und schneller zu gestalten (vgl. Relatio Synodi 2014, 48). Die Synodenväter haben auf diese Weise die Dringlichkeit zum Ausdruck gebracht, die bereits im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium erhoffte pastorale Neuausrichtung der Strukturen (vgl. Nr. 27) zum Abschluss zu bringen.
Es war äußerst angebracht, in diese Neuausrichtung auch die Verwaltung der Rechtsprechung einzubeziehen, damit sie allen, die sich an die Kirche wenden, um Licht in ihre eigene Ehesituation zu bringen, auf beste Weise antworten kann (vgl. Ansprache an den Gerichtshof der Römischen Rota, 23. Januar 2015).
Ich wollte, dass im Mittelpunkt der Reform der Diözesanbischof steht. Denn ihm kommt die Verantwortung zu, die Rechtsprechung in der Diözese zu verwalten, sowohl als Garant der Nähe der Gerichtshöfe und der Kontrolle über sie, als auch als Richter, der in den Fällen, in denen die Nichtigkeit offensichtlich ist, »personaliter«, also durch den »processus brevior«, als Ausdruck der Fürsorge für das »salus animarum«, entscheiden muss.
Daher habe ich die Einfügung der Tätigkeit der Gerichtshöfe in die Diözesanpastoral angeregt und die Bischöfe beauftragt sicherzustellen, dass die Gläubigen Kenntnis haben über die Existenz des Verfahrens als möglichen Ausweg aus der Notsituation, in der sie sich befinden. Es macht zuweilen traurig zu wissen, dass die Gläubigen die Existenz dieses Weges nicht kennen. Außerdem ist es wichtig, »dass die Kostenfreiheit der Verfahren sichergestellt werde und die Kirche […] die unentgeltliche Liebe Christi sichtbar macht, durch die wir alle erlöst worden sind« (Mitis Iudex Dominus Iesus, Vorwort VI).
Die Fürsorge des Bischofs wird insbesondere dadurch umgesetzt, dass die Errichtung des Gerichtshofes, mit gut ausgebildeten und für diese Funktion geeigneten Menschen – Kleriker und Laien – ausgestattet, in der eigenen Diözese gesetzlich gewährleistet wird; und dass er sich versichert, dass sie ihre Arbeit gerecht und sorgfältig durchführen. Die Investition in die Ausbildung solcher Mitarbeiter – wissenschaftliche, menschliche und geistliche Ausbildung – kommt immer den Gläubigen zugute, die das Recht auf eine aufmerksame Berücksichtigung ihrer Anliegen haben, auch wenn sie eine negative Antwort erhalten sollten.
Die Sorge um das Seelenheil hat die Reform geleitet und muss ihre Anwendung leiten (vgl. Mitis Iudex Dominus Iesus, Vorwort). Der Schmerz und die Hoffnung von vielen Gläubigen, die Klarheit bezüglich der Wahrheit und ihrer persönlichen Lage und folglich der Möglichkeit einer vollumfänglichen Teilhabe am sakramentalen Leben suchen, fordern uns heraus. Für viele Menschen, die »eine unglückliche eheliche Erfahrung gemacht haben, stellt die Verifizierung von Gültigkeit oder Ungültigkeit der Ehe eine wichtige Möglichkeit dar; und diesen Menschen muss geholfen werden, damit sie diesen Weg wesentlich leichter gehen können« (Ansprache an die Teilnehmer eines vom Gericht der Römischen Rota veranstalteten Kurses, 12. März 2016).
Die Vorschriften, die die Verfahrensweisen festlegen, müssen einige grundlegende Rechte und Prinzipien garantieren, in erster Linie das Recht auf Verteidigung und die Vermutung der Gültigkeit der Ehe. Ziel des Verfahrens ist es nicht, »das Leben der Gläubigen unnötig zu verkomplizieren und ebenso wenig ihre Streitlust anzufachen, sondern nur der Wahrheit zu dienen« (Benedikt XVI., Ansprache an die Römische Rota, 28. Januar 2006).
Mir kommt in den Sinn, was der heilige Paul VI. gesagt hat, nachdem er die mit dem Motu Proprio Causas matrimoniales herbeigeführte Reform zum Abschluss gebracht hat. Er sagte, dass »mit den schon eingeführten Vereinfachungen des Eheverfahrens versucht wird, diese Ausübung leichter und damit pastoraler zu gestalten, ohne damit die Kriterien der Wahrheit und der Gerechtigkeit abzuschwächen, denen ein Prozess treu unterworfen sein muss im Vertrauen darauf, dass die Verantwortung und Klugheit der Hirten hier sich gläubig und noch unmittelbarer engagieren werden« (Ansprache an die Römische Rota , 30. Januar 1975; in O.R. dt. , Nr. 20, 16. Mai 1975, S. 5).
Auch durch die kürzlich durchgeführte Reform sollte »keinesfalls die Nichtigkeit der Ehen befördert werden […], sondern die Geschwindigkeit der Prozesse und nicht minder eine gerechte Einfachheit, damit nicht wegen der verspäteten Urteilsfindung das Herz der Gläubigen, welche die Klärung des eigenen Standes erwarten, lange von den Dunkeln des Zweifels bedrückt werden« (Mitis Iudex Dominus Iesus, Vorwort). Denn um zu vermeiden, dass sich aufgrund zu komplexer Verfahrensweisen das Sprichwort »summum ius summa iniuria« (Cicero, De Officiis I,10,33) bewahrheitet, habe ich die Notwendigkeit der doppelten, übereinstimmenden Entscheidung abgeschafft und dazu ermutigt, die Verfahren, in denen die Nichtigkeit offensichtlich ist, schneller zu entscheiden, im Hinblick auf das Wohl der Gläubigen und in dem Wunsch, ihrem Gewissen Frieden zu bringen. Selbstverständlich – aber ich möchte es an dieser Stelle noch einmal betonen –, appelliert die Reform stärker an eure Klugheit in der Anwendung der Vorschriften. Und das »verlangt zwei große Tugenden: die Klugheit und die Gerechtigkeit, die von der Liebe inspiriert sein müssen. Es gibt eine enge Verbindung zwischen Klugheit und Gerechtigkeit, denn die Ausübung der ›prudentia iuris‹ zielt auf die Erkenntnis dessen ab, was im konkreten Fall gerecht ist« (Ansprache an die Römische Rota, 25. Januar 2024).
Jeder Protagonist des Verfahrens nähert sich der ehelichen und familiären Wirklichkeit mit Ehrfurcht an, denn die Familie ist der lebendige Abglanz der Gemeinschaft der Liebe, die der dreifaltige Gott ist (vgl. Amoris laetitia, 11). Außerdem haben die in der Ehe vereinten Eheleute das Geschenk der Unauflöslichkeit empfangen, das kein aus eigener Kraft zu erlangendes Ziel und schon gar keine Einschränkung ihrer Freiheit ist, sondern eine Verheißung Gottes, dessen Treue die der Menschen möglich macht. Eure Tätigkeit der Entscheidungsfindung darüber, ob eine gültige Ehe existiert oder nicht, ist ein Dienst am »salus animarum«, da er den Gläubigen gestattet, die Wahrheit über die eigene persönliche Wirklichkeit zu erkennen und anzunehmen. Denn »jedes gerechte Urteil über die Gültigkeit oder Nichtigkeit der Ehe ist ein Beitrag zur Kultur der Unauflöslichkeit sowohl in der Kirche als auch in der Welt« (Hl. Johannes Paul II., Ansprache an die Römische Rota, 29. Januar 2002).
Liebe Brüder, die Kirche vertraut euch eine Aufgabe großer Verantwortung, in erster Linie jedoch großer Schönheit an: dazu beizutragen, die zwischenmenschlichen Beziehungen zu reinigen und wiederherzustellen. Der Kontext des Heiligen Jahres, in dem wir uns befinden, erfüllt eure Arbeit mit Hoffnung, mit der Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt (vgl. Röm 5,5). Ich rufe auf euch alle, »peregrinantes in spem«, die Gnade einer freudigen Umkehr und das Licht herab, um die Gläubigen auf dem Weg zu Christus zu begleiten, der der milde und barmherzige Richter ist. Ich segne euch von Herzen, und ich bitte euch, für mich zu beten. Danke!
Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana