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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 14. April 1982

Liebe Brüder und Schwestern!

Das Osterfest, das wir soeben gefeiert haben, erfüllt diese Woche noch unsere Herzen und soll sie die ganze Osterzeit hindurch weiter erfüllen mit jener Freude, die aus dem Gedenken an die glorreiche Auferstehung Christi erwächst. Wir haben den qualvollen Weg seines Leidens, vom letzten Abendmahl bis zur Todesangst und zum Kreuzestod, begleitet; und wir haben dann in der großen Stille des Karsamstags auf das festliche Glockengeläut der Osternacht gewartet.

Ostern darf nicht nur Emotion und Erinnerung bleiben; es muss eine Spur hinterlassen, es muss ständig Einfluss nehmen auf unser Leben, es muss für uns jeden Tag Ermutigung zu konsequentem Zeugnisgeben sein.

Ostern bedeutet für den Christen die Aufforderung, „als neuer Mensch“ zu leben (vgl. Röm 6, 4): „Ihr seid mit Christus auferweckt; darum strebt nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt. Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische!“ (Kol 3, 1–2).

In den freudigen wie in den traurigen Ereignissen des Lebens, in Arbeit, Beruf und Schule muss der Christ davon Zeugnis geben, dass Christus wahrhaftig auferstanden ist, ihm voll Mut und Liebe folgen und auf ihn alles Vertrauen und alle Hoffnung setzen.

Ich wünsche euch allen von Herzen, dass euch der Gedanke an das Osterfest begleitet und euch die freudenvolle Gegenwart des auferstandenen Christus spüren lässt.

1. Wir setzen nun die Überlegungen der vergangenen Wochen zu den Worten über die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ fort, die nach dem Matthäusevangelium (19, 10–12) Christus an seine Jünger gerichtet hat.

Wir betonen erneut, dass diese Worte bei all ihrer Knappheit wunderbar reich und genau sind, reich an lehrhaftem wie pastoralem Inhalt; zugleich deuten sie eine berechtigte Grenze an. So bleibt also jede manichäische Auslegung entschieden ausgeschlossen, ebenso wie nach den Worten Christi in der Bergpredigt das begehrliche Verlangen „im Herzen“ (vgl. Mt 5,27–28) ausgeschlossen bleibt.

In den Worten Christi über die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ findet sich keinerlei Anspielung auf eine „Minderwertigkeit“ der Ehe in Bezug auf den „Leib“, das heißt im Hinblick auf das Wesentliche der Ehe; dieses besteht ja darin, dass Mann und Frau sich in ihr derart vereinigen, dass sie „ein Fleisch“ werden (vgl. Gen 2, 24: „Beide werden ein Fleisch“). Die bei Matthäus 19,11–12 wiedergegebenen Worte Christi (wie auch die Worte des Paulus im ersten Korintherbrief, Kap. 7) liefern weder einen Grund dafür, die „Minderwertigkeit“ der Ehe zu behaupten, noch dafür, die „Überlegenheit“ der Ehelosigkeit zu vertreten, weil diese ihrer Natur nach darin besteht, sich der ehelichen leiblichen Vereinigung zu enthalten. Hier sind die Worte Christi völlig klar. Er stellt seinen Jüngern das Ideal der Ehelosigkeit und die Berufung zu ihr vor Augen und rät ihnen dazu nicht aus Missachtung oder in Abwertung der ehelichen leiblichen Vereinigung, sondern einzig und allein „um des Himmelreiches“ willen.

2. In diesem Licht wird eine tiefere Erklärung des Ausdrucks „um des Himmelreiches willen“ besonders nützlich; und das wollen wir auch im Folgenden, wenigstens kurz zusammengefasst, versuchen. Was jedoch das richtige Verständnis der Beziehung zwischen Ehe und Ehelosigkeit, von der Christus spricht, sowie das Verständnis dieser Beziehung betrifft, wie sie die gesamte Überlieferung begriffen hat, sei hinzugefügt, dass die erwähnte „Überlegenheit“ und „Minderwertigkeit“ in den Grenzen der gegenseitigen Ergänzung von Ehe und Ehelosigkeit um des Reiches Gottes willen deutlich enthalten sind. Ehe und Ehelosigkeit stehen weder zueinander im Gegensatz, noch teilen sie von sich aus die menschliche (und christliche) Gemeinschaft in zwei Lager (nämlich das der aufgrund der Ehelosigkeit „Vollkommenen“ und das der aufgrund der Wirklichkeit des ehelichen Lebens „Unvollkommenen“ oder weniger Vollkommenen). Vielmehr erklären und ergänzen sich diese beiden grundlegenden Lebensformen oder, wie man gewöhnlich sagt, diese beiden „Stände“ in gewissem Sinne gegenseitig, was die Existenz und das (christliche) Leben der Gemeinschaft betrifft, die sich als Ganzes und in allen ihren Gliedern in der Dimension des Gottesreiches verwirklicht und eine diesem Reich entsprechende eschatologische Ausrichtung besitzt. Was nun diese Dimension und Ausrichtung anbelangt – an denen die ganze Gemeinschaft, das heißt alle, die zu ihr gehören, im Glauben teilhaben muss –, hat die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ für jene, die in der Ehe leben, besonderen Wert und besondere Aussagekraft. Im Übrigen ist ja bekannt, dass die Verheirateten die Mehrheit bilden.

3. Es scheint also, dass eine in diesem Sinne verstandene gegenseitige Ergänzung ihre Grundlage in den Worten Christi nach Matthäus (19, 11–12) und auch im ersten Korintherbrief, Kap. 7, findet. Hingegen gibt es dort keinerlei Grundlage für einen möglichen Gegensatz, wonach die Unvermählten allein aufgrund der Ehelosigkeit die Klasse der „Vollkommenen“ darstellen würden und die Verheirateten die Klasse der „Unvollkommenen“ (oder der „weniger Vollkommenen“). Wenn man, entsprechend einer theologischen Tradition, vom Stand der Vollkommenheit (status perfectionis) spricht, dann tut man das nicht wegen der Ehelosigkeit an sich, sondern im Hinblick auf ein Leben nach den evangelischen Räten (Armut, Keuschheit und Gehorsam), weil dieses dem Aufruf Christi zur Vollkommenheit entspricht („Wenn du vollkommen sein willst…“, Mt 19, 21). Die Vollkommenheit des christlichen Lebens hingegen wird mit dem Maß der Liebe gemessen. Daraus folgt, dass jemand, der nicht im „Stand der Vollkommenheit“ (das heißt in einem Institut, dessen Leben auf die Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams gründet) lebt, also nicht in einem Ordensinstitut, sondern in der Welt, tatsächlich einen höheren Grad der Vollkommenheit – deren Maß die Liebe ist – erlangen kann als derjenige, der zwar im „Stand der Vollkommenheit“ lebt, aber mit weniger Liebe. Die evangelischen Räte helfen jedoch ohne Zweifel, zu einer vollkommeneren Liebe zu gelangen. Jeder, der sie erreicht, gelangt, auch wenn er nicht im „Stand der Vollkommenheit“ im eigentlichen Sinn des Wortes lebt, durch die Treue zum Geist dieser Räte zu jener Vollkommenheit, die der Liebe entspringt. Diese Vollkommenheit ist für jeden Menschen, sowohl in einem Ordensinstitut wie in der Welt, möglich und erreichbar.

4. Den bei Matthäus angeführten Worten Christi scheint somit das gegenseitige Sich-Ergänzen der Ehe und der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ in ihrer Bedeutung und vielfältigen Tragweite in angemessener Weise zu entsprechen. Im Leben einer wahrhaft christlichen Gemeinschaft ergänzen die charakteristischen Haltungen und die Werte des einen und des anderen Standes – also der einen oder der anderen grundlegenden und bewussten Entscheidung als Berufung für das ganze Erdenleben und im Hinblick auf die „himmlische Kirche“ – einander und durchdringen sie in gewissem Sinne gegenseitig. Die vollkommene eheliche Liebe muss von jener Treue und von jener Hingabe an den einen Bräutigam (und auch von der Treue und der Hingabe des Bräutigams an die eine Braut) gekennzeichnet sein, auf die der Ordensberuf und der priesterliche Zölibat gegründet sind. Die eine wie die andere Liebe hat also „bräutlichen“ Charakter, das heißt, sie wird durch die völlige Selbsthingabe ausgedrückt. Die eine wie die andere Liebe ist bestrebt, jene „bräutliche“ Bedeutung des Leibes zum Ausdruck zu bringen, die der personalen Struktur des Mannes und der Frau „seit dem Anfang“ eingeprägt ist.

Dieses Thema werden wir ein andermal wieder aufnehmen.

5. Andererseits muss die bräutliche Liebe, die ihren Ausdruck in der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ findet, in ihrer geregelten Entfaltung zu der „Vater-“ bzw. „Mutterschaft“ im geistlichen Sinne führen (das heißt zu jener „Fruchtbarkeit im Heiligen Geist“, von der wir bereits gesprochen haben), ähnlich der ehelichen Liebe, die in der leiblichen Vaterschaft und Mutterschaft reift und sich in ihnen eben als bräutliche Liebe bestätigt. Auch die leibliche Zeugung entspricht nur dann voll und ganz ihrer Bedeutung, wenn sie von der geistlichen Vaterschaft und Mutterschaft ergänzt wird. Ausdruck und Frucht dieser Vater- und Mutterschaft im geistlichen Sinn ist das gesamte Erziehungswerk der Eltern an den Kindern, die ihrer ehelichen leiblichen Vereinigung entsprungen sind.

Wie man sieht, gibt es zahlreiche Aspekte und Bereiche der Ergänzung zwischen der Berufung – im evangelischen Sinn – derer, die „heiraten“ (Lk 20, 34), und derer, die bewusst und freiwillig die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ wählen (Mt 19, 12).

In seinem ersten Brief an die Korinther (dessen Analyse wir bei einer unserer nächsten Betrachtungen vornehmen werden) schreibt der hl. Paulus über dieses Thema: „Jeder hat seine Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so“ (1 Kor 7, 7).

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Liebe Brüder und Schwestern!

Noch klingt in unseren Herzen die Freude des Osterfestes, und sie soll weiterklingen bis Pfingsten. Österliche Freude ist aber nicht nur ein Gefühl! ”Christus ist auferstanden“, das muß in unserem täglichen Leben sichtbar werden: in der Weise, wie wir unsere Arbeit verrichten oder studieren, wie wir uns freuen und auch wie wir Schweres ertragen. Ich wünsche euch von Herzen die frohe Erfahrung, daß unser auferstandener Heiland immer bei euch ist.

Die Überlegungen der vergangenen Wochen waren dem Thema der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen gewidmet. Heute geht es um ihr Verhältnis zur Ehe. Die Hochschätzung der Ehelosigkeit gründet sich für den Christen nicht auf eine Abwertung der Ehe, sondern auf die besondere Zielsetzung: ”um des Himmelreiches willen“. In der Gemeinschaft der Kirche gibt es nicht zwei ”Klassen“: die weniger vollkommenen Christen, die ”in der Welt“ leben, und die vollkommenen, die sich zu Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam entschieden haben. Das Maß der Vollkommenheit ist allein die Liebe. Und die Lebensform nach den evangelischen Räten der Armut, der Ehelosigkeit und des Gehorsams hat ihren Wert darin, daß sie den dazu Berufenen eine Hilfe zu dieser Liebe ist. Aber den Geist dieser Räte können alle Gläubigen leben, auch die ”in der Welt“.

Die Vermählten und die um des Himmelreiches willen Unvermählten deuten und ergänzen einander in ihrer Berufung: auch die Hingabe der Vermählten ist christusbezogen, und auch die Hingabe der Gottgeweihten ist bräutlich; auch die Gottgeweihten sind zu einer Vater- und Mutterschaft berufen, und auch die Elternschaft der Vermählten soll geistig und geistlich sein.

So haben in der einen Kirche die einen an der Berufung der anderen teil, und ”jeder hat“, wie Paulus sagt, ”von Gott seine Gnadengabe, der eine so, der andere so“ (1 Cor. 7, 7). Mögen wir alle uns gegenseitig helfen, unsere Berufung immer tiefer zu verstehen und immer hochherziger zu leben.

Mit besonderer Herzlichkeit und Freude begrüße ich den Pilgerzug aus dem Erzbistum Paderborn und die Pilgergruppe aus Bayern: aus den Diözesen Passau und Regensburg und aus dem Erzbistum München und Freising. Mögen euch diese österlichen Tage in Rom die unbesiegbare Gegenwart des Auferstandenen in allen Jahrhunderten der Kirche zum Erlebnis bringen, damit ihr euch mit erneuter Freude und Entschiedenheit ganz auf Ihr einlaßt, der euch als ”lebendige Steine“ in den Bau seiner Kirche einfügen will (Cfr. 1 Petr. 2, 5). Dazu erteile ich euch für eure Aufgaben in Familie, Beruf und Gemeinde von Herzen meinen Segen.



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