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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 23. Juni 1982

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1. Nachdem wir die Erklärung der im Matthäusevangelium (Mt 19, 10–12) überlieferten Worte Christi abgeschlossen haben, wollen wir auf die Lehre des hl. Paulus zum Thema Ehelosigkeit und Ehe übergehen.

Die Aussage Christi über die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ist prägnant und grundlegend. In der Lehre des hl. Paulus finden wir, wie uns gleich klar werden wird, eine Ergänzung zu den Worten des Meisters; die Tragweite seiner Darlegung (1 Kor 7) als Ganzes wird jedoch verschieden bewertet. Die Größe der Lehre des Paulus besteht darin, dass er der von Christus verkündeten Wahrheit, die er in ihrer ganzen Echtheit und Eigenheit vorstellt, einen besonderen Ton, gewissermaßen seine „persönliche“ Note, gibt, die sich aber vor allem aus den Erfahrungen seiner apostolischen und missionarischen Tätigkeit und vielleicht gerade aus der Notwendigkeit ergab, auf die konkreten Fragen der Menschen, an die er sich wandte, zu antworten. So begegnen wir bei Paulus dem Problem der wechselseitigen Beziehung von Ehe und Ehelosigkeit, einem Thema, das die Gemüter der ersten Generation der Christusbekenner, der Generation der Apostelschüler der ersten christlichen Gemeinden, bewegte. Das traf auf die vom Hellenismus, also vom Heidentum Bekehrten, in höherem Maße zu als auf die vom Judentum kommenden, und dies erklärt den Umstand, dass das Thema gerade in einem an die Gemeinde in Korinth gerichteten Brief, dem ersten Korintherbrief, auftaucht.

2. Der Ton der ganzen Darstellung ist zweifellos lehrhaft; doch sind Ton und Sprache auch pastoral ausgerichtet. Paulus lehrt die vom Meister an die Apostel mitgeteilte Lehre und führt sozusagen gleichzeitig ein ständiges Gespräch über das betreffende Thema mit den Adressaten seines Briefes. Er spricht wie ein klassischer Moralist, indem er Gewissensprobleme aufgreift und löst, und deshalb halten sich die Moraltheologen mit Vorliebe an die Erklärungen und Entscheidungen des ersten Korintherbriefes (Kapitel 7). Man darf freilich nicht vergessen, dass die letzte Grundlage jener Entscheidungen in Leben und Lehre Christi selber zu suchen ist.

3. Der Apostel unterstreicht klar und deutlich, dass die freiwillige Ehelosigkeit ausschließlich auf einem Rat und nicht auf einem Gebot beruht: „Was die Frage der Ehelosigkeit angeht, so habe ich kein Gebot vom Herrn. Ich gebe euch nur einen Rat.“ Paulus gibt diesen Rat „als einer, den der Herr durch sein Erbarmen vertrauenswürdig gemacht hat“ (1 Kor 7,25). Wie man aus den zitierten Worten ersieht, unterscheidet der Apostel – so wie das Evangelium (vgl. Mt 19, 11–12) – zwischen Rat und Gebot. Aufgrund des Verständnisses der lehrhaften Aussage will er den Menschen, die sich an ihn wenden, raten, ihnen persönliche Ratschläge geben. Somit hat also das Wort „Rat“ im ersten Korintherbrief (Kap. 7) klar zwei verschiedene Bedeutungen. Der Verfasser erklärt, dass die Ehelosigkeit ein Rat und kein Gebot ist; zugleich gibt er sowohl den bereits Verheirateten als auch denen, die noch eine diesbezügliche Entscheidung treffen müssen, und schließlich allen Verwitweten einen Rat. Die Problematik ist im Wesentlichen jener gleich, die wir in der ganzen von Matthäus wiedergegebenen Aussage Christi antreffen (Mt 19, 2–12): zuerst über die Ehe und ihre Unauflöslichkeit und dann über die freiwillige Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen. Der Stil dieser Problematik ist jedoch von ganz besonderer Art: Es ist der Stil des Paulus.

4. „Wer sich gegenüber seiner Jungfrau ungehörig zu verhalten glaubt, wenn sein Verlangen nach ihr zu stark ist, der soll tun, wozu es ihn drängt, wenn es so sein muss; er sündigt nicht; sie sollen heiraten. Wer aber in seinem Herzen fest bleibt, weil er sich in der Gewalt hat und seinem Trieb nicht ausgeliefert ist, wer also in seinem Herzen entschlossen ist, seine Jungfrau unberührt zu lassen, der handelt richtig. Wer seine Jungfrau heiratet, handelt also richtig; doch wer sie nicht heiratet, handelt besser“ (1 Kor 7, 36–38).

5. Der, der um Rat gefragt hatte, mag ein junger Mann gewesen sein, der sich für die Ehe entscheiden sollte, oder vielleicht ein junger Ehemann, der angesichts in Korinth vertretener asketischer Strömungen darüber nachdachte, welche Richtung er seiner Ehe geben sollte; es konnte auch ein Vater oder Vormund eines Mädchens sein, der das Problem ihrer Ehe aufgeworfen hatte. In diesem Fall würde es sich unmittelbar um die Entscheidung handeln, die mit seinen Vormundschaftsrechten im Zusammenhang stand. Paulus schreibt ja in einer Zeit, in der die Entscheidungen dieser Art im Allgemeinen mehr Sache der Eltern und Vormünder als der jungen Leute selbst waren. Wenn er auf die an ihn gerichtete Frage antwortet, versucht er daher sehr genau zu erklären, dass die Entscheidung bezüglich der Ehelosigkeit besser ist als die Ehe. Die Ausdrücke „handelt richtig“ und „handelt besser“ sind in diesem Zusammenhang völlig eindeutig.

6. Der Apostel lehrt also, dass die freiwillige Ehelosigkeit, der Verzicht des Mädchens auf die Ehe, ausschließlich ein Rat ist und dass sie bei den gegebenen Bedingungen „besser“ sei als die Ehe. All das hat nichts mit Sünde zu tun: „Bist du an eine Frau gebunden, suche dich nicht zu lösen; bist du ohne Frau, dann suche keine. Heiratest du aber, so sündigst du nicht; und heiratet eine Jungfrau, so sündigt auch sie nicht“ (1 Kor 7, 27–28). Aufgrund dieser Worte allein können wir natürlich kein Urteil darüber fällen, was der Apostel von der Ehe hielt und lehrte. Dieses Thema lässt sich zum Teil bereits aufgrund des ersten Korintherbriefes (Kap. 7) und besser aufgrund des Briefes an die Epheser (Eph 5, 21–33) erklären. In unserem Fall handelt es sich wahrscheinlich um die Antwort auf die Frage, ob die Ehe Sünde sei; man könnte auch annehmen, dass eine solche Frage den Einfluss dualistischer, frühgnostischer Strömungen wiedergibt, die dann zum „Enkratismus“ und zum Manichäismus ausarten. Paulus antwortet, dass hier absolut nicht die Frage nach der Sünde zur Diskussion stehe. Es handle sich nicht um eine Unterscheidung von „gut“ oder „böse“, sondern nur von „gut“ oder „besser“. Später begründet er dann, warum jemand, der sich für die Ehe entscheidet, „gut handelt“, und wer die freiwillige Ehelosigkeit wählt, „besser handelt“.

Mit der Beweisführung des Paulus wollen wir uns bei unserer nächsten Audienz befassen.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Herzlich grüße ich euch hier in Rom und im Vatikan. Ich wünsche euch eine tiefe Begegnung mit den Heiligen Stätten dieser geschichtsreichen Stadt und empfehle eurem Gebet besonders auch die großen Anliegen der Kirche und der vielen geprüften Menschen unserer Zeit.

Bei der heutigen Audienz kehren wir zu unseren früheren (Überlegungen über das Thema ”Ehe und Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen“ zurück. Wir wollen nun und im folgenden betrachten, was der hl. Paulus in seinen Schriften uns darüber sagt. Er verkündet, wie wir sehen werden, die schon von Christus im Evangelium vorgetragene Lehre, gibt ihr jedoch - der konkreten Lage und Problematik der ersten Christen entsprechend - eine eigene, ”persönliche“ Interpretation.

Der Apostel unterstreicht im ersten Brief an die Korinther sehr deutlich, daß der freiwillige Verzicht auf die Ehe einen Rat und nicht ein Gebot darstellt. Hinsichtlich der Ehelosigkeit habe er vom Herrn kein Gebot erhalten: ”Ich gebe nur einen Rat als einer, den der Herr durch sein Erbarmen vertrauenswürdig gemacht hat“ (1 Cor. 7, 25). Wer zu heiraten wünscht, der tut richtig, zu heiraten. Wer hingegen auf die Ehe zu verzichten vermag, tut besser, nicht zu heiraten. Der hl. Paulus sagt wörtlich: ”So handelt, wer seine Jungfrau heiratet, richtig; doch wer sie nicht heiratet, handelt besser“ (Ibid. 7, 38). Es geht also bei der Wahl zwischen Ehe und Ehelosigkeit nicht um die Unterscheidung von ”gut“ oder ”böse“ sondern von ”gut“ oder ”besser“. Der Verzicht auf die Ehe ist aber nur dann wirklich ”besser“ als die Heirat, wenn er um des Himmelreiches willen geschieht.

Von Herzen erteile ich allen hier anwesenden Pilgern und den Angehörigen in der Heimat meinen besonderen Apostolischen Segen.