JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 14. Dezember 1983
1. „Deus in adiutorium meum intende … Gott, merk auf meine Hilfe. Herr, eile mir zu helfen!“
Die Adventszeit, die wir gerade erleben, lässt unwillkürlich diesen Ruf nach Heil auf unsere Lippen kommen, in dem die flehende Erwartung neu lebendig wird, die das ganze Alte Testament durchzieht und sich im Neuen Testament fortsetzt. Denn wir sind gerettet in der Hoffnung, sagt der hl. Paulus (vgl. Röm 8, 24), und „erwarten die erhoffte Gerechtigkeit kraft des Geistes und aufgrund des Glaubens“ (Gal 5, 5). Auch die Schlussworte der ganzen Heiligen Schrift, die wir gerade gehört haben, sind ein inständiger Ruf nach dem Kommen und der Offenbarung des Herrn Jesus, des Erlösers: „Komm, Herr Jesus!“ (Offb 22, 20).
Es ist die große Sehnsucht des Menschen. Die Heilige Schrift gibt auf jeder Seite davon Zeugnis und lädt ein, zu entdecken, was die wahre Erlösung für den Menschen ist und wer sein Befreier und Erlöser ist.
2. Die erste und grundlegende Heilserfahrung hatte das Volk Gottes in der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten. Die Bibel nennt das Erlösung, Loskauf, Befreiung, Heil: „Ich bin Jahwe. Ich führe euch aus dem Frondienst für die Ägypter heraus und rette euch aus der Sklaverei. Ich erlöse euch mit erhobenem Arm … Ich nehme euch als mein Volk an und werde euer Gott“ (Ex 6, 6–7).
Das war die erste Form der Erlösung, des Heils, das das Gottesvolk als Ganzes in seiner Geschichte erfahren hat. Und die Erinnerung an dieses Heil sollte zum unterscheidenden Merkmal des Glaubens Israels werden. Deshalb hat Israel das immer als Garantie für alle Heilsversprechungen angesehen, die Gott seinem Volk gemacht hat, und die erste christliche Gemeinde hat es sogleich mit der Person und dem Werk Christi in Zusammenhang gebracht. Er wird der große Befreier, der neue Moses sein, der die Kinder Gottes aus der Knechtschaft zur Freiheit, aus dem Tod in das Leben, aus der Sünde zur Versöhnung und zur Fülle des göttlichen Erbarmens führt.
Das zweite große Heilsereignis in der Bibel ist die Befreiung der nach Babylon deportierten Israeliten: Diese beiden Ereignisse – die Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens und Babylons – werden von den Propheten miteinander verknüpft und das eine mit dem anderen in Verbindung gebracht. Es handelt sich um eine zweite Befreiung oder, besser, um eine Weiterführung und eine Erfüllung der ersten, und der Urheber ist wiederum Gott, der Heilige Israels, der Befreier und Erlöser seines Volkes.
„Seht, Tage werden kommen – sagt Jeremias –, da erfülle ich das Heilswort, das ich über das Haus Israel und über das Haus Juda gesprochen habe“ (Jer 33, 14).
Die Anrede Gottes als Retter und Erlöser ist in der Theologie der Propheten vorherrschend, für die die Erfahrung der bereits erfolgten Erlösung zum Unterpfand und zur sicheren Garantie der künftigen Rettung wird, die noch aussteht. Darum ruft Israel immer dann, wenn es sich in einer kritischen Situation befindet, zu Gott, um sein befreiendes Eingreifen zu erflehen. Israel weiß, dass es außer Gott keinen Retter gibt (Jes 43, 11; 47, 15; Jer 4, 4; Hos 13, 4); es ruft zu ihm mit dem großen Gebet Davids:
„Ich will dich rühmen, Herr, meine Stärke, Herr, du mein Fels, meine Burg, mein Retter, mein Gott, meine Feste, in der ich mich berge, mein Schild und sicheres Heil, meine Zuflucht“ (Ps 18, 2–3).
3. In der prophetischen Verkündigung decken sich Ankündigung und Verheißung der Rettung und Erlösung immer klarer mit einer Person: Dieser Retter wird der neue David, der gute Hirt seines Volkes sein. Jeremias sagt von ihm: „Seht, es kommen Tage, da werde ich für David einen gerechten Spross erwecken. Er wird als König herrschen und weise handeln, Recht und Gerechtigkeit wird er schaffen im Land. In seinen Tagen wird Juda gerettet werden, Israel kann in Sicherheit wohnen. Man wird ihm den Namen geben: ‚Der Herr ist unsere Gerechtigkeit‘“ (Jer 23, 5–6).
In der Folge nimmt auch der Gedanke Gestalt an, dass die Erlösung vor allem ein geistliches Ereignis sein wird. Sie wird das Volk in seinem Innersten ergreifen, sie wird es läutern, sie wird seinen Geist und sein Herz verwandeln. „Ich gieße reines Wasser über euch, damit ihr rein werdet. Von allen euren Unreinheiten und all euren Götzen reinige ich euch. Ich schenke euch ein neues Herz und gebe euch einen neuen Geist …“ (Ez 36, 25–26).
Die große messianische Hoffnung drückt sich dann in Begriffen wie Erlösung, Gerechtigkeit, Gabe des Geistes, Läuterung der Herzen, Befreiung des Einzelnen und der Gemeinschaft von Sünden aus.
4. Im Laufe der Jahrhunderte ist also unter Gottes Führung die Erwartung des Volkes immer klarer in der Hoffnung auf die endgültige Befreiung zum Ausdruck gekommen – eine Hoffnung, die die tiefsten Wurzeln des Menschen zu erreichen und ihm ein neues Leben zu schenken vermag, das „Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist“ ist (Röm 14, 17).
In den Psalmen und in allen Gebeten des Gottesvolkes wird der flehende Ruf um diese Rettung zur täglichen Erfahrung. Das Heil kommt von Gott; es ist nutzlos und schädlich, anmaßend, auf menschliche Kräfte zu vertrauen. Der Herr selbst ist das Heil; er wird sein Volk von allen Sünden befreien.
Ein Psalm mit dem Titel „Wallfahrtslied“ fasst in einer schönen Synthese den Erlösungsglauben und die Erlösungshoffnung des Alten Testaments zusammen und ist geradezu zum Symbol der Erlösungserwartung geworden. Es ist der Psalm De profundis. In der Kirche ist es Brauch geworden, ihn für die Verstorbenen zu beten, doch sollten auch wir als Pilger auf dem Weg zur Begegnung mit Christus ihn uns in diesem Advent des Heiligen Jahres der Erlösung als Gebet zu eigen machen:
„Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir: Herr, höre meine Stimme …“ (Ps 130).
Möge der Herr diese Stimme hören und jedem Herzen, das zu ihm ruft, den Trost der heilbringenden Allmacht seiner Liebe spüren lassen.
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Die Zeit des Advents lässt uns wieder neu nach Gott, unserem Erlöser, Ausschau halten. Die Erlösung ist die große Sehnsucht des Menschen. Schon das ganze Alte Testament ist von ihr erfüllt. Die erste grundlegende Erfahrung der Errettung durch Gott hat das Volk Israel in der Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens gemacht, eine zweite in der Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft. Es ist stets Gott, der seinem Volk zu Hilfe kommt, der es aus der Not erlöst. Diese Heilstaten Gottes werden für die Propheten zur zeichenhaften Ankündigung und Verheißung der endgültigen Befreiung durch Christus, den Moses des neuen Gottesvolkes. Christus befreit nicht nur aus äußerer Knechtschaft, sondern führt in die Freiheit der Kinder Gottes – vom Tod zum Leben, zum ewigen Leben in Gott. Öffnen wir nun in der Vorbereitung auf das bevorstehende Weihnachtsfest weit unser Herz der erlösenden Allmacht seiner göttlichen Liebe.
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Liebe Brüder und Schwestern!
Einen herzlichen Willkommensgruß richte ich an alle hier anwesenden deutschsprachigen Pilger. Mit besten Wünschen erbitte ich euch und euren Lieben in der Heimat reiche weihnachtliche Gnaden. Besonders begrüße ich die Leitung und Vertreter der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar Österreichs. Ich beglückwünsche euch zu eurem 30-jährigen Jubiläum und danke euch für die große Hilfe für die Weltmission. Ich grüße alle Sternsinger Österreichs und erteile ihnen und allen Teilnehmern dieser Audienz von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.
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