JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 11. April 1984
1. „Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt“ (Eph 4,15).
Meine Lieben, das Bußsakrament ist im Plan Gottes ein besonders wirksames Mittel bei jenem Bemühen um geistliches Wachstum, von dem der Apostel Paulus gesprochen hat. Es ist aufgrund göttlicher Verfügung – zumindest in dem aufrichtigen Verlangen, es zu empfangen – ein unerlässliches Mittel für den Gläubigen, der nach einer schweren Sünde in das Leben Gottes zurückzukehren wünscht. Die Kirche jedoch, die durch die Jahrhunderte den Willen Christi auslegt, hat die Gläubigen immer ermahnt, dieses Sakrament häufig zu empfangen (vgl. Catechismo Romano del Concilio di Trento, Vatikanstadt, 1946, S. 239, 242), auch damit die bloß lässlichen Sünden vergeben werden.
Diese Entwicklung in der Vergangenheit ist, wie mein Vorgänger Pius XII. sagte, nicht ohne den Beistand des Heiligen Geistes erfolgt (vgl. Enzyklika Mystici corporis, 1943, AAS 35, 1943, S. 235). Das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt dann, dass „das Bußsakrament sehr viel dazu beiträgt, das christliche Leben zu fördern“ (Christus Dominus, Nr. 30). Und wo von den Priestern die Rede ist, führt es aus: „Die Diener der sakramentalen Gnade einen sich Christus, dem Erlöser und Hirten, aufs Innigste durch den würdigen Empfang der Sakramente, vor allem durch die häufig geübte sakramentale Buße; durch die tägliche Gewissenserforschung vorbereitet, fördert diese die notwendige Hinwendung des Herzens zur Liebe des Vaters der Erbarmungen gar sehr“ (Presbyterorum ordinis, Nr. 18).
In der Einleitung zum neuen Bußritus aber heißt es: „Auch für die lässlichen Sünden ist der eifrige und häufige Empfang des Bußsakraments sehr nützlich. Es handelt sich tatsächlich nicht um eine bloße rituelle Wiederholung, noch um eine Art psychologischer Übung; es ist vielmehr ein ständiges und immer wieder neues Bemühen, die Gnade der Taufe zu vervollkommnen, damit an uns, während wir das Todesleiden Jesu Christi an unserem Leib tragen, immer deutlicher sein Leben sichtbar werde“ (vgl. 2 Kor 4,10) (Bußritus, Einleitung, Nr. 7). Daher ist für meinen Vorgänger Paul VI. „die häufige Beichte eine bevorzugte Quelle der Heiligkeit, des Friedens und der Freude“ (Apostol. Schreiben Gaudete in Domino, in: Wort und Weisung, 1975, S. 528).
2. Sicher kann der Nachlass der lässlichen Sünden auch durch andere sakramentale oder nicht-sakramentale Mittel erfolgen. Denn die lässliche Sünde ist ein Akt ungeordneter Anhänglichkeit an die geschaffenen Güter, der nicht mit voller Erkenntnis und nicht in einer schweren Sache begangen wurde, sodass die Freundschaft mit Gott in der Person weiterbesteht, auch wenn sie bis zu einem gewissen Grad befleckt wird. Man darf jedoch nicht vergessen, dass die lässlichen Sünden dem Sünder gefährliche Wunden zufügen können.
Im Licht dieser Hinweise versteht man, wie sehr es angebracht ist, dass solche Sünden auch durch das Bußsakrament vergeben werden. Die Beichte solcher Sünden, damit wir die sakramentale Vergebung erhalten, hilft uns tatsächlich in einzigartiger Weise, uns unseres Zustandes als Sünder vor Gott bewusst zu werden, um uns zu bessern. Sie drängt uns dazu, auf ganz persönliche Weise die Mittlerfunktion der Kirche wiederzuentdecken, die als Werkzeug des in ihr für unsere Erlösung gegenwärtigen Christus wirkt. Sie bietet uns die sakramentale Gnade an, das heißt eine besondere Gleichgestaltung mit Jesus, dem Sieger über die Sünde in allen ihren Erscheinungsformen, und dazu eine Hilfe, damit der Beichtende in sich geht und die Kraft aufbringt, voll und ganz die ethischen Ausrichtungen zu verwirklichen, die Gott ihm ins Herz geschrieben hat. So orientiert sich der Beichtende an dem „vollkommenen Menschen, der Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellt“ (vgl. Eph 4,13); darüber hinaus wird er sich, „von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten“ und dazu angespornt fühlen, „in allem zu wachsen, bis er ihn erreicht hat. Er, Christus, ist das Haupt“ (Eph 4,15).
3. Diesen theologischen Begründungen möchte ich eine weitere pastorale hinzufügen.
Sicher kann die Seelenführung (oder die geistliche Beratung bzw. der geistliche Dialog, wie man manchmal lieber sagt) außerhalb des Bußsakramentes und auch von jemandem, der nicht die Priesterweihe empfangen hat, geboten werden. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass diese Funktion – die unzureichend ist, wenn sie nur innerhalb einer Gruppe, ohne persönlichen Bezug, ausgeübt wird – in der Tat häufig und glücklicherweise mit dem Sakrament der Versöhnung verbunden ist und von einem Meister des geistlichen Lebens (vgl. Eph 4,11), von einem „spiritualis senior“ (Benediktusregel, c. 4,50–51), von einem „Arzt“ (vgl. Summa Theologica, Supplementum, q. 18), von einem „Führer in Gottesdingen“ (ebd., q. 36, a. 1) wahrgenommen wird, nämlich vom Priester, der durch „eine einzigartige Gnadengabe“ zu besonderen Aufgaben „in der Kirche“ befähigt ist (ebd., q. 35, a. 1).
Auf diese Weise überwindet der Beichtende die Gefahr der Willkür und erfährt Hilfe, um seine Berufung im Licht Gottes zu erkennen und sich dementsprechend zu entscheiden.
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Liebe Brüder und Schwestern!
„Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt“ (Eph 4,15). Nach dem Plan Gottes ist das Sakrament der Buße ein besonders wirksames Mittel für ein solches geistliches Wachsen, von dem der Apostel Paulus hier spricht. Für den Gläubigen, der in eine schwere Sünde gefallen ist, ist die Beichte unerlässlich, um in den Stand der Gnade zurückzukehren. Im Lauf der Jahrhunderte hat die Kirche die Gläubigen im Namen Christi immer wieder dazu ermahnt, möglichst häufig und fruchtbar das Bußsakrament zu empfangen, in welchem bekanntlich auch die lässlichen Sünden Vergebung finden.
Auch das letzte Konzil hat deutlich unterstrichen, dass „das Bußsakrament sehr viel dazu beiträgt, das christliche Leben zu fördern“ (Christus Dominus, Nr. 30). Zwar können lässliche Sünden auch auf andere Weise, durch die Erweckung von Reue und durch gute Werke, von Gott vergeben werden. Dennoch ist es höchst angemessen, auch diese der sakramentalen Lossprechung im Bußsakrament zu unterstellen. Das gewissenhafte Bekenntnis auch der lässlichen Sünden in der sakramentalen Beichte vermittelt dem Gläubigen reiche geistliche Früchte, vor allem, wenn der Beichtende von einer längeren geistlichen Führung durch den Beichtvater begleitet wird.
Indem ich euch, liebe Brüder und Schwestern, durch diese kurze Betrachtung zum häufigen und würdigen Empfang des Bußsakraments gerade jetzt in der Fasten- und Osterzeit einlade, grüße ich euch alle sehr herzlich zur heutigen Jubiläumsaudienz des Heiligen Jahres. Ich freue mich über euer so zahlreiches Kommen: über die vielen genannten Pilgergruppen aus des Pfarrgemeinden, von Vereinigungen und Berufsverbänden, vor allem über die große Zahl von Jugendlichen. Einen besonderen Willkommensgruß richte ich an die Teilnehmer der Romwallfahrt der Kolpingfamilie im Bistum Münster sowie die Gruppe von Schülern katholischer Schulen in derselben Diözese mit ihren Lehrern und Eltern. Ebenso möchte ich noch namentlich erwähnen und begrüßen die Pilgergruppe ”Rom im Rollstuhl“ mit Kranken aus den deutschprachigen Diözesen der Schweiz. Euch allen erbitte ich reiche Gnaden des Jubiläumsjahres der Erlösung und erteile euch von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.
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