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In dem Abschnitt aus der Apostelgeschichte, der soeben verlesen wurde, haben wir den Bericht über das grundlegende Ereignis im Leben der Kirche gehört, das Pfingsten bedeutet. Die Herabkunft des Heiligen Geistes auf Maria und die Apostel im Abendmahlssaal war die öffentliche Geburtsstunde der Kirche und ihres Auftretens vor der Welt.

Zur Vorbereitung auf diesen entscheidenden Moment, den wir am kommenden Sonntag wieder erleben, bitten wir den göttlichen Geist, dass er die Herzen der Gläubigen bereite, voll Freude eine neue Ausspendung seiner Gaben anzunehmen. Durchdrungen vom Feuer seiner Liebe, werden sie befähigt, mutige Zeugen des Evangeliums zu sein, indem sie auch unserer Generation die Botschaft Christi, des Erlösers, bringen.

Fahren wir nun in dem Thema der Mittwochsaudienzen fort.

1. Auch heute setzen wir unsere Überlegungen zum Hohenlied fort, um das sakramentale Zeichen der Ehe besser zu verstehen.

Die Wahrheit der Liebe, wie sie vom Hohenlied verkündet wird, lässt sich nicht von der Sprache des Leibes trennen. Die Wahrheit der Liebe bewirkt, dass diese Sprache des Leibes in der Wahrheit neu verstanden wird. Das ist auch die Wahrheit der zunehmenden gegenseitigen Annäherung der Brautleute, die durch die Liebe wächst: und Nähe bedeutet zugleich Vertrautwerden mit dem Geheimnis der Person, ohne es zu verletzen (vgl. Hld 1,13–14.16).

Die Wahrheit der wachsenden Vertrautheit der Brautleute durch die Liebe entfaltet sich in der subjektiven Dimension des Herzens, der Zuneigung und des Gefühls, die den anderen im eigenen Innern als Geschenk entdecken und ihn dort gewissermaßen „verkosten“ lässt (vgl. Hld 2,3–6).

Durch diese Nähe erlebt der Bräutigam tiefer die Erfahrung jenes Geschenks, die sich von Seiten des weiblichen Ich mit dem bräutlichen Ausdruck und der bräutlichen Bedeutung des Leibes verbindet. Die Worte des Mannes (vgl. Hld 7,1–8) enthalten nicht nur eine poetische Beschreibung der Geliebten, ihrer weiblichen Schönheit, in der sich die Sinne ergehen, sondern sie sprechen vom Geschenk und von der Hingabe der Person.

Die Braut weiß, dass der Bräutigam nach ihr „verlangt“, und sie geht ihm mit der Bereitschaft entgegen, sich an ihn zu verschenken (vgl. Hld 7,9–10.11–13), weil die Liebe, die beide verbindet, zugleich geistiger und sinnlicher Natur ist. Und aufgrund dieser Liebe vollzieht sich in Wahrheit das neue Verständnis der Bedeutung des Leibes, denn Mann und Frau müssen gemeinsam jenes Zeichen des gegenseitigen Sich-Schenkens darstellen, das ihrem ganzen Leben sein Siegel aufprägt.

2. Im Hohenlied der Liebe wird die Sprache des Leibes einbezogen in die einzigartige Entfaltung der gegenseitigen Anziehungskraft, die Mann und Frau aufeinander ausüben und die in den häufigen Kehrreimen Ausdruck findet, welche von sehnsuchtsvollem Suchen, von zärtlicher Sorge (vgl. Hld 2,7) und dem Wiederfinden der Brautleute sprechen (vgl. Hld 5,2). Das bringt ihnen Freude und Ruhe und scheint sie zu einem dauernden Suchen anzuhalten. Man hat den Eindruck, dass sie, während sie einander begegnen und sich finden, ihre Nähe erleben und unaufhörlich weiter nach etwas streben: Sie möchten dem Ruf von etwas nachgeben, das den Inhalt des Augenblicks und die Grenzen des Eros übersteigt, wie sie in den Worten der Sprache des Leibes zu lesen sind (vgl. Hld 1,7–8; 2,17).

Dieses Suchen hat seine innere Dimension: „Das Herz wacht“ sogar im Schlaf. Diese aus der Liebe geborene Sehnsucht, die in der Sprache des Leibes gegründet ist, ist ein Suchen nach dem umfassend Schönen, nach der Reinheit, die frei von jedem Makel ist: Es ist ein Suchen nach jener Vollkommenheit, die, sozusagen, die Synthese der menschlichen Schönheit, der Schönheit der Seele und des Leibes, umschließt.

Im Hohenlied zeigt der menschliche Eros das Antlitz einer Liebe, die immer auf der Suche ist und fast nie befriedigt wird. Der Widerhall dieser Unruhe durchzieht die Strophen des Gedichtes:

„Ich öffnete meinem Geliebten: Doch der Geliebte war fort, verschwunden. Mir stockte der Atem: Er war weg. Ich suchte ihn, ich fand ihn nicht. Ich rief ihn, er antwortete nicht“ (Hld 5,6).

„Ich beschwöre euch, Jerusalems Töchter, wenn ihr meinen Geliebten findet, sagt ihm, ich bin krank vor Liebe!“ (Hld 5,8).

3. Einige Strophen des Hohenliedes stellen also den Eros als jene Form menschlicher Liebe vor, in der die Kräfte des Verlangens wirksam sind. In ihnen wurzelt das Bewusstsein bzw. die subjektive Gewissheit, dass Braut und Bräutigam in Treue und Ausschließlichkeit einander gehören. Zugleich jedoch zwingen uns viele andere Strophen des Gedichts, über die Ursache des Suchens und der Unruhe nachzudenken, die das Bewusstsein, einander zu gehören, begleiten. Gehört auch diese Unruhe zum Wesen des Eros? Wäre es so, würde diese Unruhe auch auf die Notwendigkeit, über sich selbst hinauszuschreiten, hinweisen. Die Wahrheit der Liebe drückt sich im Bewusstsein der gegenseitigen Zugehörigkeit aus, die Frucht der Sehnsucht und der gegenseitigen Suche ist, und in der Notwendigkeit von Sehnsucht und Suche, dem Ergebnis der gegenseitigen Zugehörigkeit.

In dieser inneren Notwendigkeit, in dieser Dynamik der Liebe zeigt sich indirekt die praktische Unmöglichkeit, dass ein Mensch sich den anderen aneignet und ihn in Besitz nehmen kann. Die Person übersteigt alle Maße der Aneignung und des Beherrschtseins, des Besitzes und der Befriedigung, die der Sprache des Leibes entspringen. Wenn Braut und Bräutigam diese Sprache in der vollen Wahrheit der Person und der Liebe neu verstehen, gelangen sie zur immer tieferen Überzeugung, dass die Fülle ihrer Zugehörigkeit jenes gegenseitige Sich-Schenken darstellt, in dem sich die Liebe als „stark wie der Tod“ offenbart, das heißt, bis an die letzten Grenzen der Sprache des Leibes reicht, um sie zu übersteigen. Die Wahrheit der inneren Liebe und die Wahrheit des Sich-Schenkens rufen gewissermaßen Braut und Bräutigam – durch die Ausdrucksmittel der gegenseitigen Zugehörigkeit und sogar durch Loslösung von jenen Mitteln – ständig dazu auf, das zu erreichen, was den Kern der gegenseitigen Hingabe der Person darstellt.

4. Wenn wir den Spuren der Worte folgen, die von den Strophen des Hohenliedes vorgezeichnet sind, scheinen wir uns der Dimension zu nähern, in der der Eros noch durch eine andere Wahrheit der Liebe zur Fülle gelangt. Jahrhunderte später verkündet Paulus von Tarsus im Licht des Todes und der Auferstehung Christi diese Wahrheit mit den Worten des ersten Korintherbriefes:

In zwei Perspektiven:

„Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf“ (1 Kor 13,4–8).

Wird die Wahrheit über die Liebe, wie sie in den Strophen des Hohenliedes zum Ausdruck kommt, durch diese Paulusworte bestätigt? Im Hohenlied lesen wir z. B. von der Liebe, deren „Leidenschaft hart ist wie die Unterwelt“ (Hld 8,6), und im Paulusbrief lesen wir, dass „die Liebe sich nicht ereifert“. In welcher Beziehung stehen diese beiden Äußerungen über die Liebe zueinander? In welcher Beziehung steht die Liebe, die nach dem Hohenlied „stark ist wie der Tod“, zu der Liebe, die nach dem Paulusbrief „niemals aufhört“? Wir wollen diese Fragen nicht erweitern und keine vergleichende Analyse anstellen.

Es scheint jedoch, dass die Liebe sich uns hier in zwei Perspektiven erschließt: so, als würde dort, wo der menschliche Eros seine Grenzen hat, durch die Worte des Paulus ein anderer Horizont der Liebe geöffnet, wo eine andere Sprache gilt; einer Liebe, die einer anderen Dimension der Person zu entspringen scheint und zu einer anderen Gemeinschaft aufruft und einlädt. Diese Liebe wird „Agape“ genannt; die Agape führt den Eros zur Vollkommenheit, indem sie ihn läutert.

Damit haben wir diese kurzen Betrachtungen über das Hohelied der Liebe abgeschlossen, die das Thema von der Sprache des Leibes weiter vertiefen sollten. Hier hat das Hohelied eine ganz einmalige Bedeutung.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Wir setzen heute unsere Überlegungen zum Hohenlied der Liebe fort, um das sakramentale Zeichen der Ehe besser zu verstehen. In der wachsenden Vertrautheit zwischen Braut und Bräutigam wächst auch ihre gegenseitige Erkenntnis. Über die geistig-körperliche Zuneigung hinaus begegnen sie beim anderen vor allem dem Geheimnis der Person, die frei über sich verfügt und sich zugleich in Liebe an den anderen zu verschenken vermag. Die gegenseitige Anziehungskraft, die Mann und Frau aufeinander ausüben, führt sie gleichzeitig über sich hinaus. Selbst in ihrer liebenden Begegnung verspüren sie noch die Sehnsucht nach etwas anderem, Größerem, das die Grenzen des Eros übersteigt: nach dem absolut Schönen und Vollkommenen.

Der menschliche Eros drängt von selbst danach, sich zu übersteigen und in etwas Umfassenderes zu integrieren, und zwar in jene höhere Liebe, die der Apostel Paulus im 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes besingt: in jene Liebe, die keine Eifersucht kennt, die nicht das Ihre sucht, sich mit der Wahrheit freut und die niemals aufhört. Diese Liebe, die den menschlichen Eros läutert und vervollkommnet, nennen wir „Agape“.

Herzlich grüße ich mit diesen kurzen Erwägungen alle anwesenden Pilger deutscher Sprache. Zum bevorstehenden Pfingstfest erbitte ich euch die reichen Gaben des Heiligen Geistes, der der Geist der göttlichen Liebe ist. Zugleich empfehle ich meine kommende Pastoralreise in die Schweiz auch besonders eurem treuen Gebet. Von Herzen erteile ich euch und euren Lieben in der Heimat meinen Apostolischen Segen.

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Ich lade euch ein, dafür zu beten, dass sich eine Friedensperspektive für den Krieg im Persischen Golf öffne.

Die einlaufenden Nachrichten werden immer besorgniserregender und berichten von wahllosen Bombardierungen der Städte und von Angriffen auf durchfahrende Schiffe, die zahlreiche Menschenleben kosten.

Gott möge die Herzen derer rühren, die in diesen schon zu lange währenden Konflikt verwickelt sind, und sie dazu veranlassen, eine Lösung der Streitpunkte zu finden, die sie auf dem Weg der Friedensverhandlungen noch trennen.