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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 27. März 1985

DE  - ES  - IT

1. Der Ausgangspunkt unserer Katechese über den sich offenbarenden Gott bleibt stets der Text des Zweiten Vatikanischen Konzils: „Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun (vgl. Eph 1,9): dass die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur (vgl. Eph 2,18; 2 Petr 1,4). In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott (vgl. Kol 1,15; 1 Tim 1,17) aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14–15) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3,38), „um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen“ (Dei Verbum, Nr. 2).

Doch wir haben bereits die Möglichkeit erwogen, Gott mit der Fähigkeit der bloßen menschlichen Vernunft zu erkennen. Nach der beständigen Lehre der Kirche, wie sie besonders vom Ersten Vatikanischen Konzil (Dei Filius, Nr. 2) formuliert und vom Zweiten Vatikanischen Konzil (Dei Verbum, Nr. 6) wieder aufgegriffen wurde, besitzt die menschliche Vernunft diese Fähigkeit und Möglichkeit: „Gott, aller Dinge Ursprung und Ziel“, heißt es dort, „kann mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen sicher erkannt werden“ (vgl. Röm 1,20), auch wenn es der göttlichen Offenbarung bedarf, damit „was im Bereich des Göttlichen der menschlichen Vernunft an sich nicht unzugänglich ist, auch in der gegenwärtigen Lage des Menschengeschlechtes von allen leicht, mit sicherer Gewissheit und ohne Beimischung von Irrtum erkannt werden kann“.

Diese Erkenntnis Gottes mit Hilfe der Vernunft, die „von den geschaffenen Dingen aus“ zu ihm emporsteigt, entspricht der vernunftbegabten Natur des Menschen. Es entspricht auch dem ursprünglichen Plan Gottes, der den Menschen mit diesem Wesen ausstattet, um von ihm erkannt werden zu können. „Gott, der durch das Wort alles erschafft (vgl. Joh 1,3) und erhält, gibt den Menschen jederzeit in den geschaffenen Dingen Zeugnis von sich“ (vgl. Röm 1,19–20; Dei Verbum, Nr. 3). Dieses Zeugnis wird dem Menschen als Geschenk gewährt und zugleich der menschlichen Vernunft als Objekt des Studiums überlassen. Indem sie aufmerksam und unaufhörlich das Zeugnis der geschaffenen Dinge betrachtet, wendet sich die menschliche Vernunft Gott zu und nähert sich ihm. Das ist gewissermaßen der aufsteigende Weg: Auf der Stufenleiter der Geschöpfe erhebt sich der Mensch zu Gott, indem er das Zeugnis des Seins, der Wahrheit, des Guten und des Schönen liest, das die Geschöpfe in sich tragen.

2. Dieser Weg der Erkenntnis, der in gewissem Sinn im Menschen und seinem Geist beginnt, erlaubt dem Geschöpf den Aufstieg zum Schöpfer. Wir können ihn als den Weg des Wissens bezeichnen. Es gibt noch einen zweiten Weg, den des Glaubens, der ausschließlich von Gott ausgeht. Diese beiden Wege sind voneinander verschieden, aber sie begegnen einander im Menschen selbst, ergänzen sich gewissermaßen und helfen sich gegenseitig.

Im Unterschied zur Erkenntnis durch die Vernunft, die „von den Geschöpfen“ ausgeht, die nur indirekt zu Gott führen, gewinnen wir die Erkenntnis durch den Glauben aus der Offenbarung, in der Gott sich selbst direkt „zu erkennen gibt“. Gott offenbart sich, d. h. er gibt sich selbst zu erkennen, indem er der Menschheit „das Geheimnis seines Willens“ kundtut (Eph 1,9). Gottes Wille ist, dass die Menschen durch Christus, das menschgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und der göttlichen Natur teilhaftig werden. Gott offenbart also dem Menschen „sich selbst“, indem er ihm gleichzeitig seinen Heilsplan für den Menschen enthüllt.

Dieser geheimnisvolle Heilsplan Gottes ist der bloßen Kraft der menschlichen Vernunft nicht zugänglich. Deshalb ist auch das scharfsinnigste Ergründen des Zeugnisses Gottes in der Schöpfung nicht imstande, dem menschlichen Geist diese übernatürlichen Horizonte zu enthüllen. Sie eröffnet dem Menschen nicht „den Weg des übernatürlichen Heiles“ (wie sich die Konstitution Dei Verbum, Nr. 3 ausdrückt), ein Weg, der eng mit der „Selbsthingabe Gottes“ an den Menschen verbunden ist. In der Offenbarung seiner selbst „lädt Gott den Menschen ein und nimmt ihn in seine Gemeinschaft auf“ (vgl. ebd., Nr. 2).

3. Nur wenn wir das alles vor Augen haben, können wir verstehen, was der Glaube wirklich ist: was der Inhalt des Satzes „Ich glaube“ ausmacht. Wenn es zutrifft, dass der Glaube darin besteht, als wahr anzunehmen, was Gott geoffenbart hat, so hat das Zweite Vatikanische Konzil in passender Weise hervorgehoben, dass er auch eine Antwort des ganzen Menschen ist, und seine existentielle und personalistische Dimension des Glaubens unterstrichen. Denn wenn Gott „sich selbst offenbart“ und dem Menschen das heilbringende „Geheimnis seines Willens“ kundtut, ist es recht, dem sich offenbarenden Gott einen „Gehorsam des Glaubens“ zu leisten, durch den sich der Mensch aus freien Stücken ganz Gott überlässt, indem er sich ihm „mit Verstand und Willen voll unterwirft“ (I. Vaticanum) und „seiner Offenbarung willig zustimmt“ (Dei Verbum, Nr. 5).

In der Erkenntnis durch den Glauben nimmt der Mensch den gesamten übernatürlichen, heilbringenden Inhalt der Offenbarung als Wahrheit an; doch das führt ihn zugleich in eine zutiefst persönliche Beziehung zu dem sich offenbarenden Gott. Wenn der Inhalt der Offenbarung die heilbringende Selbstmitteilung Gottes ist, dann ist die Antwort des Glaubens in dem Maße richtig, in dem sich der Mensch — mit der Annahme jenes heilbringenden Inhaltes als Wahrheit — zugleich „ganz Gott überlässt“. Nur eine völlige Hingabe des Menschen an Gott ist eine angemessene Antwort.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Mit besonderer Freude empfange ich euch in dieser Woche wiederum so zahlreich in Audienz hier in der Petersbasilika. Wie schon in den vergangenen Jahren gehört der Petersdom am Mittwoch vor der Karwoche - fast schon traditionsmäßig - den vielen Pilgern aus den Ländern deutscher Sprache. Ich danke euch für euer Kommen, das die tiefe Verbundenheit eurer Diözesen und Gemeinden mit der Ewigen Stadt und mit dem Nachfolger Petri bekundet. Herzlich grüße ich euch alle: die einzelnen Pilger und Besucher, die Familien und die genannten Gruppen; unter diesen besonders den großen Münsteraner Diözesanpilgerzug mit Gläubigen aus Gescher anläßlich des tausendjährigen Bestehens ihrer Pfarrei Sankt Pankratius. Euch allen erbitte ich aus der Begegnung mit den Heiligen Stätten hier im Zentrum der katholischen Christenheit neue Glaubenskraft und Entschlossenheit, euch auch in den vielfältigen Aufgaben und Pflichten des Alltags als wahre Christen zu erweisen. Wer die Fastenzeit mit Ernst und Besinnung verlebt, wird auch der Freude des Osterfestes voll teilhaftig werden können.

In Fortsetzung unserer wöchentlichen Ausführungen über die katechetische Glaubensunterweisung möchte ich eure Aufmerksamkeit heute besonders auf die Frage nach der Erkenntnis Gottes lenken. Es ist die beständige Lehre der Kirche, daß wir Gott nicht nur auf Grund der Offenbarung kennen. Das II. Vatikanische Konzil bekennt feierlich, ”daß Gott, aller Dinge Ursprung und Ziel, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen sicher erkannt werden kann“ (Dei Verbum, 6). Diese sogenannte natürliche Gotteserkenntnis aus der Schöpfung entspricht der geistbegabten Natur des Menschen. Diese befähigt ihn, von den geschaffenen Dingen auf deren Urheber, vom Geschöpf auf den Schöpfer zu schließen und dadurch nicht nur die Existenz Gottes, sondern auch gewisse Eigenschaften seines Wesens zu erkennen. Dies ist der ”aufsteigende“ Weg der Gotteserkenntnis, der Weg des ”Wissens“, der beim Menschen beginnt. Daneben gibt es einen zweiten Weg, den Weg des ”Glaubens“, der ausschließlich ”von oben“, von Gott seinen Ausgang nimmt. Gemeine ist die Erkenntnis Gottes durch die Offenbarung. Gott hat sich neben dem indirekten Weg über die Schöpfung dem Menschen auch auf direkte Weise mitgeteilt. Er hat ihnen sich selbst eröffnet und der Menschheit ”das Geheimnis seines Wissens“ kundgetan (Eph. 1, 9), nämlich seinen Entschluß, den Menschen durch Christus zu erlösen und ihn im Heiligen Geist der göttlichen Natur teilhaftig zu machen. Das Wissen um diesen ewigen Heilsratschluß Gottes kann uns keine menschliche Vernunft vermitteln; wir erhalten es allein durch Gottes eigene Mitteilung und durch unsere gläubige Annahme. Im Glauben nehmen wir als wahr entgegen, was Gott uns offenbart. Beide Wege, der Weg des ”Wissens“ und der Weg des ”Glaubens“, ergänzen sich gegenseitig trotz ihrer grundlegenden Verschiedenheit. Offenbarung besagt jedoch nicht nur Mitteilung neuer, uns bisher unbekannter Wahrheiten, sondern ist vor allem Selbstmitteilung Gottes an uns. Deshalb ist der Glaube auch nicht nur ein abstraktes ”Für-wahr-halten“, sondern erfordert zutiefst unsere persönliche Hingabe an Gott. Durch den Glauben treten wir zu Gott in ein tiefes persönliches Verhältnis, in eine innige Lebensgemeinschaft mit ihm.

Ich erbitte euch, liebe Brüder und Schwestern, als Gnade eurer Rompilgerfahrt einen solch tiefen und lebendigen Glauben als eure ganz persönliche Antwort auf Gottes unendliche Güte und Liebe zu uns in Jesus Christus. Von Herzen erteile ich euch und euren Lieben in der Heimat für reiche österliche Gnaden meinen besonderen Apostolischen Segen. Euch allen ein frohes und gesegnetes Osterfest!