JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 1. Mai 1985
1. Wir wiederholen heute noch einmal die schönen Worte aus der Konzilskonstitution Dei verbum: „So ist Gott, der einst gesprochen hat, ohne Unterlass im Gespräch mit der Braut seines geliebten Sohnes, und der Heilige Geist, durch den die lebendige Stimme des Evangeliums in der Kirche und durch sie in der Welt widerhallt, führt die Gläubigen in alle Wahrheit ein und lässt das Wort Christi in Überfülle unter ihnen wohnen (vgl. Kol 3,16)“ (Dei verbum, Nr. 8).
Gehen wir noch einmal auf das ein, was „glauben“ heißt.
Glauben im christlichen Sinn heißt genau: vom Heiligen Geist in die volle Wahrheit der göttlichen Offenbarung eingeführt werden. Das will sagen: eine Gemeinschaft von Gläubigen sein, die für das Wort des Evangeliums Christi offen sind. Das eine wie das andere ist in jeder Generation möglich, da die lebendige Weitergabe der göttlichen Offenbarung, die in der Überlieferung und der Heiligen Schrift enthalten ist, dank des besonderen Dienstes des Lehramtes im Einklang mit dem übernatürlichen Glaubenssinn des Gottesvolkes in der Kirche unversehrt fortdauert.
2. Um diese Auffassung von der Verbindung zwischen unserem katholischen Credo und seiner Quelle zu vervollständigen, ist auch die Lehre von der göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift und deren authentischer Auslegung von Bedeutung. Bei der Darlegung dieser Lehre folgen wir (wie in den vergangenen Katechesen) vor allem der Konstitution Dei verbum.
Das Konzil sagt: „Aufgrund apostolischen Glaubens gelten unserer heiligen Mutter, der Kirche, die Bücher des Alten wie des Neuen Testaments in ihrer Ganzheit mit allen ihren Teilen als heilig und kanonisch, weil sie, unter der Einwirkung des Heiligen Geistes geschrieben (vgl. Joh 20,31; 2 Tim 3,16; 2 Petr 1,19-21; 3,15-16), Gott zum Urheber haben und als solche der Kirche übergeben sind“ (Dei verbum, Nr. 11).
Gott – als unsichtbarer und transzendenter Urheber – „hat Menschen erwählt, die ihm durch den Gebrauch ihrer eigenen Fähigkeiten und Kräfte dazu dienen sollten, all das und nur das, was er … geschrieben haben wollte, als echte Verfasser schriftlich zu überliefern“ (ebd.). Zu diesem Zweck wurde der Heilige Geist in ihnen und durch sie wirksam (vgl. ebd.).
3. In Anbetracht dieses Ursprungs muss man festhalten, dass „die Bücher der Schrift sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte“ (Dei verbum, Nr. 11). Das bestätigen die Worte des hl. Paulus im Brief an Timotheus: „Jede von Gott eingegebene Schrift ist auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit; so wird der Mensch Gottes zu jedem guten Werk bereit und gerüstet sein“ (2 Tim 3,16-17).
Die Konstitution über die göttliche Offenbarung drückt, dem hl. Johannes Chrysostomus folgend, Bewunderung aus für jenes besondere „Entgegenkommen“, gleichsam eine „Herablassung“ der ewigen Weisheit. „Denn Gottes Worte, durch Menschenzungen formuliert, sind menschlicher Rede ähnlich geworden, wie einst des ewigen Vaters Wort durch die Annahme menschlich-schwachen Fleisches den Menschen ähnlich geworden ist“ (Dei verbum, Nr. 13).
4. Aus der Wahrheit über die göttliche Inspiration der Heiligen Schrift folgen logisch einige Regeln für ihre Auslegung. Die Konstitution Dei verbum fasst sie kurz zusammen:
Der erste Grundsatz lautet: „Da Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart gesprochen hat, muss der Schrifterklärer, um zu erfassen, was Gott uns mitteilen wollte, sorgfältig erforschen, was die heiligen Schriftsteller wirklich zu sagen beabsichtigten und was Gott mit ihren Worten kundtun wollte“ (Dei verbum, Nr. 12).
Zu diesem Zweck muss man – das ist der zweite Punkt – unter anderem auf „die literarischen Gattungen“ achten. „Denn die Wahrheit wird je anders dargelegt und ausgedrückt in Texten von in verschiedenem Sinn geschichtlicher, prophetischer oder dichterischer Art oder in anderen Redegattungen“ (ebd.). Der Sinn dessen, was der Verfasser schreibt, hängt gerade von diesen literarischen Gattungen ab, die darum vor dem Hintergrund sämtlicher Gegebenheiten einer bestimmten Zeit und einer bestimmten Kultur betrachtet werden müssen.
Deshalb der dritte Grundsatz für eine richtige Auslegung der Heiligen Schrift: „Will man richtig verstehen, was der heilige Verfasser in seiner Schrift aussagen wollte, so muss man schließlich genau auf die vorgegebenen umweltbedingten Denk-, Sprach- und Erzählformen achten, die zur Zeit des Verfassers herrschten, wie auf die Formen, die damals im menschlichen Alltagsverkehr üblich waren“ (Dei verbum, Nr. 12).
5. Diese recht detaillierten Anweisungen für die geschichtlich-literarische Auslegung fordern eine tiefere Beziehung zu den Voraussetzungen der Lehre über die göttliche Inspiration der Heiligen Schrift. Sie muss „in dem Geist gelesen und ausgelegt werden, in dem sie geschrieben wurde“ (Dei verbum, Nr. 12). Gefordert ist daher, „dass man mit nicht geringer Sorgfalt auf den Inhalt der ganzen Schrift achtet, unter Berücksichtigung der lebendigen Überlieferung der Gesamtkirche und der Analogie des Glaubens“ (ebd.).
Unter „Analogie des Glaubens“ verstehen wir den Zusammenhang der einzelnen Glaubenswahrheiten untereinander und mit dem Gesamtplan der Offenbarung und der Fülle des in ihr enthaltenen göttlichen Heilsplanes.
6. Die Aufgabe der Exegeten, d. h. der Forscher, die mit entsprechenden Methoden die Heilige Schrift studieren, ist es, nach den oben angeführten Grundsätzen zu „einer tieferen Erfassung und Auslegung des Sinnes der Heiligen Schrift“ beizutragen, „damit so gleichsam auf Grund wissenschaftlicher Vorarbeit das Urteil der Kirche reift“ (Dei verbum, Nr. 12). Da es „gottgegebener Auftrag und Dienst der Kirche ist, das Wort Gottes zu bewahren und auszulegen, untersteht alles, was die Kirche der Schrifterklärung betrifft, letztlich dem Urteil der Kirche“ (ebd.).
Diese Regel ist wichtig und entscheidend für die klare Bestimmung der Wechselbeziehung zwischen Exegese (und Theologie) und dem Lehramt der Kirche. Eine Regel, die in engster Beziehung zu dem steht, was wir früher im Zusammenhang mit der Weitergabe der göttlichen Offenbarung ausgeführt haben. Es sei noch einmal hervorgehoben, dass das Lehramt sich der Arbeit der Theologen und Exegeten bedient und gleichzeitig auf geeignete Weise über die Ergebnisse ihrer Studien wacht. Denn das Lehramt ist berufen, die volle, in der göttlichen Offenbarung enthaltene Wahrheit zu bewahren.
7. Glauben im christlichen Sinne heißt also, dieser Wahrheit anhängen, indem man die Garantie der Wahrheit nutzt, die aufgrund der Einsetzung durch Christus selbst von der Kirche kommt. Das gilt für alle Gläubigen – auch für die Theologen und Exegeten. Allen offenbart sich hier die barmherzige Vorsehung Gottes, der uns nicht nur das Geschenk seiner Selbstoffenbarung gewähren wollte, sondern auch die Garantie ihrer treuen Bewahrung, Auslegung und Erklärung, indem er sie den Händen der Kirche anvertraut hat.
__________________________
Liebe Brüder und Schwestern!
Heute begeht ein sehr wichtiger Teil der Gesellschaft, die lieben Arbeitnehmer, ihr Fest: den 1. Mai, den Tag der Arbeit.
Die Kirche ist mit den Problemen der Arbeitnehmer solidarisch, sie steht ihnen nahe, teilt ihre Ängste und Bestrebungen, ihre Freuden und Befürchtungen.
Die Kirche stellt den arbeitenden Menschen vor allem Christus im Hause Josefs, des Zimmermanns von Nazareth, vor.
In diesem Haus hat Jesus von Josef gelernt, sich im Schweiß des Angesichts sein Brot zu verdienen.
Darum führt die Kirche den arbeitenden Menschen das Vorbild des heiligen Handwerkers Josef, des Bräutigams der seligsten Jungfrau Maria und Schutzpatrons der Gesamtkirche, vor Augen, dem von Gott die erhabene und einzigartige Sendung übertragen wurde, Jesus, das fleischgewordene Wort Gottes, mit Liebe aufzunehmen, mit liebevoller Sorge zu beschützen, durch seine Arbeit zu erhalten und ihm mit Klugheit im menschlichen Wachstum beizustehen.
Darum richte ich gleich zu Beginn dieser Audienz an alle Arbeitnehmer einen besonderen und herzlichen Gruß.
Bitten wir den hl. Josef und die Gottesmutter, welcher der heute beginnende Monat Mai geweiht ist, dass sie uns die Gnade erwirken mögen, in unserem Alltagsleben die von Christus verkündete Botschaft der Liebe und Hingabe zu verwirklichen.
__________________________
Liebe Brüder und Schwestern!
Am heutigen 1. Mai, an dem wir der Würde der menschlichen Arbeit und ihres Patrons, des hl. Josef, gedenken, heiße ich euch herzlich willkommen zu dieser Audienz. Unsere Überlegungen verweilen zurzeit bei der Frage nach der inneren Beziehung zwischen Glaube und Offenbarung. Glauben im christlichen Sinne heißt, durch den Heiligen Geist in die ganze Wahrheit der göttlichen Offenbarung eingeführt zu werden, und zwar in der Gemeinschaft der Kirche. Den Zugang zu den Quellen erschließen uns die von Gott inspirierten Bücher der Heiligen Schrift, die vom kirchlichen Lehramt verbindlich ausgelegt werden.
Es gehört zur Glaubensüberzeugung der Kirche, dass alle Bücher des Alten und Neuen Testaments unter der Eingebung des Heiligen Geistes geschrieben worden sind und deshalb letztlich Gott selbst zum Urheber haben. Er bedient sich der Mitwirkung der menschlichen Verfasser, um durch sie den Menschen „sicher, getreu und ohne Irrtum“ seine göttliche Wahrheit mitzuteilen (vgl. Dei verbum, Nr. 11). Deshalb ist es die wichtigste Aufgabe der Bibelforscher, wie das Konzil sagt: „zu erfassen, was Gott uns mitteilen wollte, sorgfältig zu erforschen, was die heiligen Schriftsteller wirklich zu sagen beabsichtigten und was Gott mit ihren Worten (uns) kundtun wollte“ (Dei verbum, Nr. 12).
Dazu hilft besonders die genaue Erforschung der literarischen Gattungen wie auch der geschichtlichen und kulturellen Bedingungen, unter denen die heiligen Bücher verfasst worden sind. Die Exegeten leisten dadurch die wissenschaftliche Vorarbeit, mit deren Hilfe dann das Lehramt der Kirche das verbindliche Urteil über den wahren Sinn der Heiligen Schrift fällt. Denn allein der Kirche wurde von Gott der Auftrag und Dienst anvertraut, „das Wort Gottes zu bewahren und auszulegen“ (Dei verbum, Nr. 12).
Herzlich grüße ich noch einmal die genannten Gruppen und auch alle einzelnen Pilger. Einen besonderen Gruß richte ich an die Pilgergruppe der „Kameradschaft der Exekutive Österreichs“. Ihnen ist in ihren verschiedenen Berufen in einer besonderen Weise die Wahrung und der Schutz der öffentlichen Ordnung anvertraut. Ich ermutige Sie, sich in Ihrem wichtigen Dienst für das Gemeinwohl stets als überzeugte Christen zu erweisen.
Einen aufrichtigen Willkommensgruß richte ich sodann an die große Romwallfahrt der „Marianischen Bürgersolidarität Trier“ unter der Leitung ihres Bischofs Spital. Ich beglückwünsche euch zur Jubiläumsfeier eurer Vereinigung. Persönliche Christusnachfolge unter der Führung Mariens ist ein für alle Zeit gültiges Lebensprogramm! Lasst es fruchtbar werden für euch, in euren Familien und Gemeinden. Euch und allen anwesenden Pilgern erteile ich von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.
Copyright © Dikasterium für Kommunikation