JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 12. Februar 1986
Liebe Brüder und Schwestern,
1. Bevor ich einige Gedanken darlege, die uns die heutige Aschermittwochsliturgie bietet, möchte ich meine lebhafte Dankbarkeit gegenüber Gott bekunden, der meine Schritte auf den Straßen der edlen indischen Nation geleitet und mir gewährt hat, in 14 Städten jenes riesigen asiatischen Landes so viele Brüder und Schwestern im Glauben zu besuchen und zugleich den Dialog mit den nichtchristlichen Religionen des Landes zu stärken.
Ich danke den Bischöfen, den Priestern und Ordensleuten für den Eifer, mit dem sie die Christen auf diese Begegnung des Glaubens und der Freude vorbereitet haben. Mein ehrbietiger Dank gilt auch den staatlichen Behörden. Dankbar bin ich darüber hinaus den Vertretern der anderen Religionen für die liebenswürdige Aufnahme. Insbesondere danke ich dem lieben indischen Volk, dessen traditionellen Sinn für Gastfreundschaft und Religiosität ich sehr schätze.
Ich behalte mir vor, bei der nächsten Generalaudienz nach der Exerzitienwoche auf dieses Thema zurückzukommen.
2. Der Aschermittwoch ist traditionsgemäß durch zwei Bräuche gekennzeichnet, die der christlichen Frömmigkeit am Herzen liegen: die Auflegung der Asche und das Fasten – zwei Handlungen, die den Körper betreffen, aber den Geist erreichen. Zwei vielsagende Handlungen, die eine innere Wirklichkeit darstellen.
Sich der Speise enthalten, uns der Leidenschaften enthalten, uns der Nichtigkeiten der vergänglichen Welt enthalten, um uns unserer Lage als Sünder und gottbedürftige Geschöpfe klarer bewusst zu werden: Geschöpfe, die sich zu ihm bekehren müssen, der unsere wahre Freude ist – Gott, das unendliche, unvergängliche Gut.
Die Fastenzeit ist darum eine „heilsame Zeit“, in der wir aufgefordert werden, in unserem Innern Einkehr zu halten, um die wahren Werte neu zu entdecken, auf die sich unser Leben gründen soll.
Es ist eine Zeit des Nachdenkens und der Vertiefung, in der ein jeder mutig sein Leben überprüfen soll, sodass er sich der verschiedenen Punkte bewusst wird, in denen sein Verhalten nicht im Einklang mit dem Evangelium steht. Der Zweck ist schließlich, dem eigenen Leben dadurch einen mehr christlichen Stempel aufzuprägen, dass aufs Neue der Vorrang des Geistes gegenüber einer oft allzu aufdringlichen Materie betont wird.
Die heute beginnende Fastenzeit fordert uns im besonderen dazu auf, in Demut die strengen Worte des Apostels Jakobus anzuhören: „Reinigt die Hände, ihr Sünder, läutert euer Herz, ihr Menschen mit zwei Seelen! Klagt und trauert und weint! Euer Lachen verwandle sich in Trauer, eure Freude in Betrübnis. Demütigt euch vor dem Herrn; dann wird er euch erhöhen“ (Jak 4,8-10). Entziehen wir uns diesem Aufruf nicht! Wir sind alle betroffen. Ja, wir werden dem Herrn um so willkommener sein, je mehr wir diesen Aufruf als an uns gerichtet betrachten.
Die Fastenzeit fordert uns auf, besonders über unsere Hinfälligkeit, über unser „Staub sein“ und über die Vergänglichkeit jener irdischen Güter nachzudenken, auf die unser Glück gründen zu wollen vergeblich wäre; dieses unser Glück liegt im Gegenteil einzig und allein in unserer aufrichtigen, freundschaftlichen Beziehung zu Gott, dem wahrhaft höchsten und absoluten Gut.
Die Fastenzeit mahnt uns, betrübt zu sein und zu bereuen, dass wir uns von Gott entfernt haben. Sie mahnt uns, zu ihm zurückzukehren. Sie fordert uns auf, uns die schmerzlichen, ja tragischen Auswirkungen dieser Loslösung von ihm bewußt zu machen.
3. Die Fastenzeit legt uns Gedanken heilsamen Schmerzes nahe. Sie erinnert uns daran, dass Jesus „die Trauernden selig“ nennt (Mt 5,4) und umgekehrt allen, die jetzt „satt“ sind und „lachen“, mit der Verdammnis droht (vgl. Lk 6,25). Warum das?
Weil der als Reue und Sühne erlebte Schmerz zum Heil und zur Seligkeit führt, während die törichte Freude desjenigen, der nicht fähig ist, seinen Blick über diese Welt hinaus zu erheben, zum bitteren und untröstlichen „Heulen und Zähneklappern“ des ewigen Verderbens führt (vgl. Mt 8,12; Mt 13,42; usw.).
Die Fastenzeit ist eine günstige Gelegenheit, nach der Beschaffenheit und den Beweggründen unserer Freuden zu fragen, um klarzustellen, ob sie aus einem Hingezogensein und einer Hinkehr zu Gott kommen oder aber aus einem illusorischen Sich-Zufriedengeben und Sich-Anpassen an säkularistische und irdische Perspektiven.
Die Fastenzeit fordert uns auf zu trauern, während wir auf das Erbarmen des Vaters hoffen und uns das Erlösungswerk des Sohnes zu eigen machen. Der Schmerz wird dann durch die Hoffnung gelindert, dass wir durch das Hören des Evangeliums und die Verrichtung von Bußwerken Gottes Vergebung erlangen und die verdienten Strafen abwenden werden. Wir wenden sie ab für uns und für unseren Nächsten.
Der Christ soll, wie uns der hl. Paulus (1 Thess 5,16) mahnt, sich zu jeder Zeit freuen. Aber christliche Freude bedeutet nicht Flucht vor der eigenen Verantwortung. Sie ist keine Betäubung durch die flüchtigen Vergnügungen der Gegenwart.
Christliche Freude heißt, seine verlorengegangene Würde wiedergefunden zu haben, nachdem man in sich gegangen ist und das Wort Christi aufgenommen hat.
Die Fastenzeit ist die gesegnete Zeit, um dieses Wiedererlangen, dieses Wiederfinden unseres wahren „Ich“ zu vollziehen – ein Wiederfinden, das sich in einem ernsthaften Hören auf die Aufforderungen des Evangeliums zur Umkehr erfüllt, in dieser eifrigen Übung der Werke der Barmherzigkeit, die uns bereit machen, Barmherzigkeit zu erlangen.
4. Die geistliche Überlieferung lehrt uns, dass die Hauptwerke der Fastenzeit drei sind: Gebet, Almosen, Fasten. Das Gebet ruft uns zu einer innigeren Beziehung zu Gott auf. Das Almosengeben bedeutet hochherzigere Aufmerksamkeit gegenüber unseren bedürftigen Brüdern. Das Fasten stellt einen festeren Vorsatz zu moralischer Disziplin und innerer Läuterung dar.
Es handelt sich ganz offensichtlich um wesentliche Aspekte des christlichen Lebens, die als solche zu allen Zeiten notwendig sind. Es gibt jedoch die sogenannten „hohen“ Zeiten, die uns der Ablauf des Kirchenjahres darbietet: Zeitpunkte, zu denen wir zu einem intensiveren Engagement aufgefordert werden und zu denen uns zu diesem Zweck von den Riten und heiligen Texten größeres Licht und reichere Gnade angeboten werden.
Es sind Zeiten, zu denen wir unseren Weg beschleunigen können und auch müssen, oder die geeignet sind – falls wir von ihm abgekommen sein sollten –, ihn fruchtbar und mit guten Ergebnissen wiederaufzunehmen. Machen wir also Gebrauch von dieser „günstigen Zeit“ (vgl. 2 Kor 6,2), von dieser Zeit des Erbarmens.
__________________________
Liebe Brüder und Schwestern!
Mit aufrichtigem Dank gegenüber Gott gedenke ich heute meiner soeben beendeten Pastoralreise nach Indien. Zugleich danke ich allen kirchlichen und staatlichen Autoritäten, die diesen in vieler Hinsicht bedeutsamen Besuch mit ihrer Hilfe ermöglicht und begleitet haben.
Der heutige Aschermittwoch ruft uns am Beginn der Fastenzeit in einer besonderen Weise zu Besinnung und Umkehr. Die Auflegung der Asche erinnert uns an die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens, an unsere Sünde und Schuld. Uns allen gilt die ernste Mahnung aus dem Jakobusbrief:
„Reinigt die Hände, ihr Sünder, läutert euer Herz, ihr Menschen mit zwei Seelen! Klagt und trauert und weint! … Demütigt euch vor dem Herrn; dann wird er euch erhöhen“ (Jak 4,8–10).
Im Licht des Glaubens sollen wir uns selbst erkennen, so wie wir sind; wir sollen die wahren Werte neu entdecken, die unserem Leben Sinn und Richtung geben. Das Eingeständnis unserer Schuld, Reue und Umkehr machen uns offen und bereit für Gottes Vergebung und verwandelnde Gnade.
Dabei helfen uns vor allem die drei wichtigen Werke, zu denen uns die Fastenzeit besonders einlädt: das Gebet, das Geben von Almosen und das Fasten. Pflegen wir also in den kommenden Wochen einen lebendigen und intensiven Umgang mit Gott durch Gebet und Opfer, bemühen wir uns, um eine größere Hilfsbereitschaft unseren notleidenden Mitmenschen gegenüber und üben wir durch Fasten unsere sittliche Selbstbeherrschung, die uns zu einer inneren Erneuerung befähigt.
Liebe Brüder und Schwestern!
Mit dieser Einladung zu einer fruchtbaren Mitfeier des Fastenzeit Grüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher dieser Audienz und erteile euch allen und euren lieben Angehörigen in der Heimat von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.
Herzlich Grüße ich die Pilgergruppe der Kirchenzeitung und des Domchores von Linz zusammen mit ihrem Oberhirten Bischof Maximilian Aichern und ihrem früheren Weihbischof Bischof Alois Wagner. Im Anschluß an die Zweihundert-Jahr-Feier der Errichtung eurer Diözese erneuert ihr durch diese Romwallfahrt die treue Verbundenheit eurer Ortskirche mit dem Nachfolger des hl. Petrus. Möge euch der Besuch und das Gebet an den Gräbern der Apostel und zahlreicher anderer Heiligen in der Ewigen Stadt in eurem Glauben ermutigen und festigen. Gebt davon dann auch Zeugnis in euren Familien und Gemeinden. Gern begleite ich euch dabei mit meinem besonderen Gebet und Segen.
Einen herzlichen Willkommensgruß richte ich sodann an die Gruppe von Ordensschwestern, die an einem theologischen Kurs in deutscher Sprache am Päpstlichen Institut “Regina Mundi” hier in Rom teilnehmen. Ich beglückwünsche euch zu dieser wertvollen Gelegenheit, auf diese Weise euer religiöses Leben vertiefen und erneuern zu können. Dafür erbitte ich euch und euren Lehrern Gottes Licht und Führung.
Schließlich Grüße ich noch besonders die anwesenden Ärzte, Schwestern und das Pflegepersonal des St. Josephskrankenhauses in Freiburg im Breisgau. Versteht euren Dienst an den Kranken vor allem als christlichen Auftrag in der Nachfolge Jesu Christi, des göttlichen barmherzigen Samariters. Euch und allen eurer Sorge und Liebe anvertrauten Bruder und Schwestern erbitte ich von Herzen Gottes besonderen Beistand und Segen.
Copyright © Dikasterium für Kommunikation