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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 2. April 1986

DE  - ES  - IT

1. Die Schöpfung, über deren Zweck wir in der letzten Katechese unter dem Gesichtspunkt der transzendentalen Dimension nachgedacht haben, erfordert auch eine Betrachtung vom Standpunkt der der Schöpfung immanenten Dimension her. Das erweist sich heutzutage als besonders notwendig wegen des Fortschritts von Wissenschaft und Technik, der im Denken vieler Menschen unserer Zeit beachtliche Veränderungen eingeleitet hat. „Viele unserer Zeitgenossen“ – so lesen wir in der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche in der Welt von heute, Gaudium et spes – „scheinen zu befürchten, dass durch eine engere Verbindung des menschlichen Schaffens mit der Religion die Autonomie des Menschen, der Gesellschaften und der Wissenschaften bedroht werde“ (GS 36).

Das Konzil hat sich diesem Problem, das eng mit der Glaubenswahrheit über die Schöpfung und ihren Zweck verbunden ist, gestellt und eine klare und überzeugende Erklärung vorgelegt. Hören wir sie uns an.

2. „Wenn wir unter Autonomie der irdischen Wirklichkeiten verstehen, dass die geschaffenen Dinge und auch die Gesellschaften ihre eigenen Gesetze und Werte haben, die der Mensch schrittweise erkennen, gebrauchen und gestalten muss, dann ist es durchaus berechtigt, diese Autonomie zu fordern.

Das ist nicht nur eine Forderung des Menschen unserer Zeit, sondern entspricht auch dem Willen des Schöpfers. Durch ihr Geschaffensein selber nämlich haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Güte sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methode achten muss. Vorausgesetzt, dass die methodische Forschung in allen Wissenschaftsbereichen in einer wirklich wissenschaftlichen Weise und gemäß den Normen der Sittlichkeit vorgeht, wird sie niemals in einen echten Konflikt mit dem Glauben kommen, weil die Wirklichkeiten des profanen Bereichs und die des Glaubens in demselben Gott ihren Ursprung haben.

Ja, wer bescheiden und ausdauernd die Geheimnisse der Wirklichkeit zu erforschen versucht, wird, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist, von dem Gott an der Hand geführt, der alle Wirklichkeit trägt und in sein Eigensein einsetzt. Deshalb sind gewisse Geisteshaltungen, die einst auch unter Christen wegen eines unzulänglichen Verständnisses für die legitime Autonomie der Wissenschaft vorkamen, zu bedauern. Durch die dadurch entfachten Streitigkeiten und Auseinandersetzungen schufen sie in der Mentalität vieler die Überzeugung von einem Widerspruch zwischen Glauben und Wissenschaft.

Wird aber mit den Worten „Autonomie der zeitlichen Dinge“ gemeint, dass die geschaffenen Dinge nicht von Gott abhängen und der Mensch sie ohne Bezug auf den Schöpfer gebrauchen könnte, so spürt jeder, der Gott anerkennt, wie falsch eine solche Auffassung ist. Denn das Geschöpf sinkt ohne den Schöpfer ins Nichts. Zudem haben alle Glaubenden, gleich welcher Religion sie zugehören, die Stimme und Bekundung Gottes immer durch die Sprache der Geschöpfe vernommen. Überdies wird das Geschöpf selbst durch das Vergessen Gottes unverständlich“ (GS 36).

3. Soweit der Konzilstext. Er stellt eine Entfaltung der vom Glauben angebotenen Lehre über die Schöpfung dar und vollzieht eine erhellende Gegenüberstellung zwischen dieser Glaubenswahrheit und der Denkweise der Menschen unserer Zeit, die stark abhängig ist von der Entwicklung der Naturwissenschaften und dem Fortschritt der Technik.

Versuchen wir, die Hauptgedanken, die in Nummer 36 der Konstitution Gaudium et spes enthalten sind, in einer organischen Synthese zu erfassen.

a) Im Licht der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils ist die Wahrheit über die Schöpfung nicht nur eine Glaubenswahrheit, die sich auf die Offenbarung des Alten und des Neuen Testaments stützt. Sie ist auch eine Wahrheit, die alle glaubenden Menschen verbindet, „gleich welcher Religion sie zugehören“, also alle, die „durch die Sprache der Geschöpfe die Stimme und Bekundung des Schöpfers vernehmen“.

b) Diese Wahrheit, die in der Offenbarung voll zum Ausdruck kommt, ist schon an sich der menschlichen Vernunft zugänglich. Das lässt sich aus der Beweisführung des Konzilstextes insgesamt und im Besonderen aus den Sätzen ableiten: „Das Geschöpf sinkt ohne den Schöpfer ins Nichts“, „das Geschöpf selbst wird durch das Vergessen Gottes unverständlich“. Diese Formulierungen weisen (zumindest indirekt) darauf hin, dass die Welt der Geschöpfe notwendig des letzten Grundes der ersten Ursache bedarf. Aufgrund der ihnen eigenen Natur brauchen die kontingenten (d. h. zufälligen) Wesen, um ins Dasein zu treten, um zu existieren, eine Stütze im Absoluten (im notwendigen Sein), das das Sein an sich ist, das Esse subsistens (das Sein vor allem Sein). Die zufällige und vergängliche Welt „sinkt ohne den Schöpfer ins Nichts“.

c) In Bezug auf die so verstandene Wahrheit über die Schöpfung unterscheidet das Konzil grundsätzlich zwischen der „legitimen“ und der „illegitimen“ Autonomie der irdischen Dinge. Illegitim (d. h. nicht in Übereinstimmung mit der Wahrheit der Offenbarung) ist die Autonomie, die die Unabhängigkeit der geschaffenen Wirklichkeit vom Schöpfergott verkündet und behauptet, „dass die geschaffenen Dinge nicht von Gott abhängen und der Mensch sie ohne Bezug auf den Schöpfer gebrauchen könne“. Eine solche Auffassungs- und Verhaltensweise ist Leugnung und Ablehnung der Wahrheit über die Schöpfung; und in den meisten Fällen – wenn nicht sogar prinzipiell – wird diese Einstellung eben im Namen der „Autonomie“ der Welt und des Menschen in der Welt, des menschlichen Erkennens und Handelns, vertreten.

Es sei jedoch gleich hinzugefügt, dass im Zusammenhang mit einer so verstandenen „Autonomie“ in Wirklichkeit der Mensch seine eigene Autonomie gegenüber der Welt einbüßt und schließlich sogar erkennen muss, dass er der Welt unterworfen ist. Auf dieses Thema werden wir noch zurückkommen.

d) Die in dieser Weise verstandene „Autonomie der irdischen Wirklichkeiten“ ist — nach dem angeführten Text aus der Konstitution Gaudium et spes — nicht nur nicht legitim, sondern auch nutzlos. Denn die geschaffenen Dinge erfreuen sich „dem Willen des Schöpfers entsprechend“ ihrer eigenen, in ihrer Natur verwurzelten Autonomie, wie sie dem Zweck der Schöpfung (in ihrer immanenten Dimension) zukommt. „Durch ihr Geschaffensein selber nämlich haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Güte sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen.“ Diese Aussage, die sich auf alle Geschöpfe der sichtbaren Welt bezieht, bezieht sich ganz besonders auf den Menschen. Der Mensch nämlich hat nicht nur in dem Maße, in dem er die Gesetze und Werte des Kosmos konsequent „zu erkennen, zu gebrauchen und zu gestalten“ versucht, auf schöpferische Weise Anteil an der richtig verstandenen Autonomie der geschaffenen Dinge, sondern verwirklicht auf korrekte Weise die ihm eigene Autonomie. Und so begegnet er der immanenten, d. h. der Schöpfung innewohnenden, Zielrichtung und damit indirekt auch dem Schöpfer: „Er wird von dem Gott an der Hand geführt, der alle Wirklichkeit trägt und sie in sein Eigensein einsetzt!“ (GS 36).

4. Es muss noch angefügt werden, dass mit dem Problem der „legitimen Autonomie der zeitlichen Dinge“ auch das heute vielfach stark bewusst gewordene Problem der Ökologie, also der Sorge für den Schutz und die Erhaltung von Natur und Umwelt, zusammenhängt.

Der ökologische Raubbau, der immer eine Form des gemeinschaftsfeindlichen Egoismus voraussetzt, entsteht aus einem willkürlichen – und schließlich schädlichen – Gebrauch der Schöpfung, indem man deren Gesetze und natürliche Ordnung übersieht und verletzt und die dem Schöpfungswerk immanente Zielrichtung missachtet. Auch ein solches Verhalten rührt von einem falschen Verständnis der Autonomie der irdischen Dinge her. Wenn der Mensch diese Dinge „ohne Bezug auf den Schöpfer“ gebraucht – um noch einmal die Worte der Konzilskonstitution zu verwenden –, fügt er auch sich selbst unabsehbaren Schaden zu. Die Lösung des Problems der ökologischen Umweltbedrohung steht in engem Zusammenhang mit den Grundsätzen der „legitimen Autonomie der irdischen Wirklichkeiten“ – das heißt letzten Endes mit der Wahrheit über die Schöpfung und über den Schöpfer der Welt.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Grundlegend für unseren christlichen Glauben ist das Bekenntnis, dass Gott der Schöpfer aller Dinge und auch des Menschen ist: Von ihm empfängt alles letztlich das Sein; er garantiert das Fortbestehen der Dinge; auf ihn muss sich darum alles stets beziehen, wenn es dem eigenen Wesen gerecht werden will.

Hier aber entsteht gerade für den heutigen Menschen ein Problem, und das II. Vatikanische Konzil hat es in seiner Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute deutlich ausgesprochen. Dort heißt es:

„Viele unserer Zeitgenossen scheinen zu befürchten, dass durch eine engere Verbindung des menschlichen Schaffens mit der Religion die Autonomie des Menschen, der Gesellschaften und der Wissenschaften bedroht werde“ (GS 36).

Das ist also die Frage: Gibt es für den Christen und seinen Schöpfungsglauben auch eine recht verstandene Autonomie der Dinge, eine gewisse Selbständigkeit und Eigengesetzlichkeit? Hört hierzu die Antwort des Konzils:

„Wenn wir unter Autonomie der irdischen Wirklichkeiten verstehen, dass die geschaffenen Dinge und auch die Gesellschaften ihre eigenen Gesetze und Werte haben, die der Mensch schrittweise erkennen, gebrauchen und gestalten muss, dann ist es durchaus berechtigt, diese Autonomie zu fordern. Das ist nicht eine Forderung der Menschen unserer Zeit, sondern entspricht auch dem Willen des Schöpfers. Durch ihr Geschaffensein selber nämlich haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Güte sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methode achten muss“ (GS 36).

Es gibt jedoch leider auch eine falsch verstandene, zerstörerische Autonomie. Diese umschreibt das Konzil so:

„Wird aber mit den Worten „Autonomie der zeitlichen Dinge“ gemeint, dass die geschaffenen Dinge nicht von Gott abhängen und der Mensch sie ohne Bezug auf den Schöpfer gebrauchen könne, so spürt jeder, der Gott anerkennt, wie falsch eine solche Auffassung ist. Denn das Geschöpf sinkt ohne den Schöpfer ins Nichts … Überdies wird das Geschöpf selbst durch das Vergessen Gottes unverständlich“ (GS 36).

Aus dieser Unterscheidung zwischen einer recht verstandenen, gottgewollten Selbständigkeit der Dinge und des Menschen und einer falsch verstandenen, gottwidrigen Eigenwilligkeit der Schöpfung ergeben sich vielerlei praktische Folgerungen für die Beziehung zwischen Glaube und Wissenschaft, zwischen Moral und Technik, zwischen dem Menschen und der ihm anvertrauten Erde. Es wird deutlich, dass hiermit auch die heute so vordringlich gewordenen Fragen der Ökologie angesprochen sind, wie weit nämlich der Mensch Luft, Erde, Wasser, Pflanzen und Tiere nutzen darf, ohne dass er dabei zugleich deren Existenz und Qualität – und damit auch sich selbst – bedroht.

Ein ökologischer Raubbau setzt immer einen gemeinschaftsfeindlichen Egoismus voraus; er entsteht aus einem willkürlichen und kurzsichtigen Gebrauch der Schöpfung, deren innere Gesetze und Ordnungen man übersieht, deren langfristige, gottgewollte Zielrichtung man verächtlich zur Seite drückt. Aber nur, wenn Mensch und Schöpfung sich gemeinsam auf Gott beziehen und seine Sinngebung ernst nehmen, kann der ökologische Friede und Ausgleich gelingen.

Mit diesen kurzen Hinweisen auf einen wichtigen Bereich unseres Glaubens und unserer heutigen Lebenspraxis bekunde ich euch allen noch einmal meine herzliche Verbundenheit und wünsche euch tiefe innere Osterfreude und christliche Zuversicht für euren weiteren Lebensweg. Der auferstandene Herr schütze und führe euch in der Kraft seines lebenschenkenden Geistes.

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Auch in den Ostertagen hat die Bevölkerung des Libanon Stunden der Ungewissheit und Angst erlebt unter dem Druck von Bombenangriffen und Kampfhandlungen, die zwischen einzelnen Gruppen im Gang waren oder auszubrechen drohten.

Meine Gedanken und mein Gebet haben ständig allen Libanesen gegolten, besonders den ärmsten und der politischen Komplikationen unkundigen Familien, die den höchsten Preis zahlen durch den Verlust ihrer Behausungen, ihrer Felder und noch mehr ihrer Söhne und Töchter, die nicht als Handelnde, sondern als Opfer von den Ereignissen mitgerissen werden. Auf diese menschliche Wirklichkeit ist die Sorge des Hl. Stuhls gerichtet mit dem Ziel, neue Zusammenstöße oder Massaker abzuwenden.

Das ist der Grund, weshalb ich zwei Wochen vor Ostern Msgr. Achille Silvestrini, Sekretär des Rats für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche, in meinem Auftrag nach Beirut und Damaskus gesandt habe. Der Besuch wollte ein Zeichen guten Willens setzen, Zeugnis geben von einer Präsenz, in der die libanesische Bevölkerung eine Ermutigung und moralische Hilfe zum Wiederaufbau sehen kann.

Man kann in der Tat nicht nachlassen in dem Bemühen, im Kontext der Völker des Mittleren Orients und der internationalen Gemeinschaft einen souveränen und unabhängigen Libanon zu bewahren, der auf einem Leben in Frieden und auf der Zusammenarbeit aller seiner Gruppen gegründet ist, unter Achtung der religiösen und kulturellen Identität jedes Einzelnen und in der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer Tradition, für die der Libanon vormals bekannt und angesehen war.

Ich glaube, dass es möglich ist, unter den Christen und zwischen ihnen und den anderen Gruppen der islamischen Überzeugung und Traditionen einen Vergleich zu treffen für ein ausgewogenes, gerechtes und stabiles nationales Übereinkommen, das dem libanesischen Staat seine interne und internationale Rolle sicherstellen kann.

Ich lade euch ein, mit mir zu beten, dass der Herr der so leidgeprüften libanesischen Nation helfe, die so langersehnte Hoffnung – unter Einsatz aller – beschleunigt Wirklichkeit werden zu lassen.