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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 23. April 1986

DE  - ES  - IT

1. „Gott schuf den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Weib schuf er sie“(Gen 1,27).
Mann und Frau, mit der gleichen personalen Würde als Einheit von Geist und Leib geschaffen, unterscheiden sich durch ihre psychisch-physiologische Struktur voneinander. Das menschliche Wesen trägt ja das Merkmal der Männlichkeit und der Weiblichkeit an sich.

2. Während es Kennzeichen der Verschiedenheit ist, zeigt es zugleich auch die Verwiesenheit aufeinander an. Das lässt sich aus der Lektüre des jahwistischen Textes folgern, wo der Mann, als er die soeben geschaffene Frau sieht, ausruft: „Das endlich ist Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch“ (Gen 2,23). Das sind Worte der Zufriedenheit und auch der Begeisterung des Mannes, als er ein ihm wesenhaft gleiches Geschöpf erblickt. Die Verschiedenheit und die gegenseitige psychophysische Ergänzung stehen am Ursprung des besonderen Reichtums des Menschseins, der den Nachkommen Adams in ihrer ganzen Geschichte eigen ist. Von hierher entsteht die Ehe, die vom Schöpfer bereits „im Anfang“ eingesetzt wurde: „Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch“ (Gen 2,24).

3. Diesem Text von Genesis 2,24 entspricht der Segen der Fruchtbarkeit, von der in Genesis 1,28 berichtet wird: „Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch..." Die Einsetzung von Ehe und Familie, die im Geheimnis der Erschaffung des Menschen inbegriffen ist, muss man wohl mit dem Auftrag, die Erde zu „unterwerfen“, verbinden, der dem ersten Menschenpaar vom Schöpfer anvertraut worden ist. Der Mensch, der aufgerufen ist, sich „die Erde zu unterwerfen“ – man beachte: „sie zu unterwerfen“, nicht sie zu zerstören, denn die Schöpfung ist ein Geschenk Gottes und verdient als solches Achtung —, dieser Mensch ist Gottes Abbild nicht nur als Mann und Frau, sondern auch aufgrund der gegenseitigen Beziehung der beiden Geschlechter. Diese gegenseitige Beziehung ist die Seele der personalen Gemeinschaft, die in der Ehe begründet wird und eine gewisse Ähnlichkeit mit der Einheit der drei göttlichen Personen darstellt.

4. In diesem Zusammenhang sagt uns das Zweite Vatikanische Konzil:
„Gott aber hat den Menschen nicht allein geschaffen: denn von Anfang an hat er ihn ,als Mann und Frau geschaffen“ (Gen 1,27); ihre Verbindung schafft die erste Form personaler Gemeinschaft. Der Mensch ist nämlich aus seiner innersten Natur ein gesellschaftliches Wesen; ohne Beziehung zu den anderen kann er weder leben noch seine Anlagen zur Entfaltung bringen“ (GS 12).
Die Schöpfung schließt somit für den Menschen sowohl die Beziehung zur Welt ein als auch zum anderen Menschen (die Beziehung zwischen Mann und Frau) sowie auch die Beziehung zu den Mitmenschen. Das „Unterwerfen der Erde“ umreißt den Beziehungscharakter der menschlichen Existenz. Die Dimensionen des Mit-, Zu- und Füreinander, die zur Person des Menschen als Abbild Gottes gehören, legen von Anfang an den Platz des Menschen unter den Geschöpfen fest. Zu diesem Zweck wird der Mensch als Subjekt (als konkretes Ich) ins Leben gerufen, ausgestattet mit Verstand und Freiheitsbewusstsein.

5. Die Fähigkeit der intellektuellen Erkenntnis unterscheidet den Menschen radikal von der gesamten Tierwelt, wo sich die Erkenntnisfähigkeit auf die Sinne beschränkt. Die Verstandeserkenntnis befähigt den Menschen dazu, zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu unterscheiden, wodurch sich ihm die Bereiche der Wissenschaft, des kritischen Denkens und der methodischen Erforschung der Wahrheit über die Wirklichkeit eröffnen. Der Mensch trägt eine Wesensbeziehung zur Wahrheit in sich, die seine Natur als transzendentales Wesen bestimmt.
Die Erkenntnis der Wahrheit durchdringt sämtliche Beziehungen des Menschen zur Welt und zu den Mitmenschen und bildet die unerlässliche Voraussetzung für jede Art von Kultur.

6. Mit der Verstandeserkenntnis und ihrer Beziehung zur Wahrheit hängt die Freiheit des menschlichen Willens zusammen, die innerlich mit dem Guten verbunden ist. Die menschlichen Handlungen tragen das Zeichen der Selbstbestimmung (des Wollens) und der Wahl an sich. Daraus ergibt sich der ganze Bereich der Moral: der Mensch ist ja fähig, zwischen Gut und Böse zu wählen, wobei er von der Stimme des Gewissens unterstützt wird, die ihn zum Guten anspornt und vom Bösen abhält.
Wie die Erkenntnis der Wahrheit, so durchdringt auch die Fähigkeit zur Wahl – also der freie Wille – sämtliche Beziehungen des Menschen zur Welt, insbesondere zu den Mitmenschen, und geht sogar darüber hinaus.

7. Denn dank seiner Geistnatur, der Fähigkeit der Verstandeserkenntnis, der Wahl- und Handlungsfreiheit befindet sich der Mensch von Anfang an in einer besonderen Beziehung zu Gott. Der Schöpfungsbericht (Gen 1–3) ermöglicht uns festzustellen, dass das Abbild Gottes sich vor allem in der Beziehung des menschlichen Ich zum göttlichen Du zeigt. Der Mensch erkennt Gott; sein Herz und sein Wille sind imstande, sich mit Gott zu verbinden (homo est capax Dei). Der Mensch kann zu Gott ja sagen, aber er kann auch nein zu ihm sagen. Er besitzt die Fähigkeit, Gott und seinen heiligen Willen anzunehmen, aber auch die Fähigkeit, sich ihm zu widersetzen.

8. Das alles gehört zur Bedeutung des „Abbildes Gottes“, wie sie uns unter anderem das Buch Jesus Sirach vorlegt: „Der Herr hat die Menschen aus Erde geschaffen und lässt sie wieder zu ihr zurückkehren... Nach seiner Ähnlichkeit hat er sie (= die Menschen) mit Kraft bekleidet und sie nach seinem Bild erschaffen. Auf alle Wesen legte er die Furcht vor ihnen, über Tiere und Vögel sollten sie herrschen. Er bildete ihnen Mund und Zunge, Auge und Ohr und ein Herz zum Denken. Mit kluger Einsicht erfüllte er sie, und lehrte sie, Gutes und Böses zu erkennen. Er zeigte ihnen die Größe seiner Werke, um die Furcht vor ihm in ihr Herz zu pflanzen“ — man beachte die Ausdrucksweise — ... „Er hat ihnen Weisheit geschenkt und das Gesetz des Lebens gegeben. Einen ewigen Bund hat er mit ihnen geschlossen und ihnen seine Gebote mitgeteilt“ (Sir 17,1.3–8.11 f.).
Das sind gehaltvolle und tiefe Worte, die uns zum Nachdenken anregen.

9. Das Zweite Vatikanische Konzil drückt dieselbe Wahrheit über den Menschen in einer Sprache aus, die zugleich zeitlos und modern ist: „Nur frei kann der Mensch sich zum Guten hinwenden… Die Würde des Menschen verlangt daher, dass er in bewusster und freier Wahl handle…“ (GS 17). „In seiner Innerlichkeit übersteigt er die Gesamtheit der Dinge. In diese Tiefe geht er zurück, wenn er in sein Herz einkehrt, wo Gott ihn erwartet, der die Herzen durchforscht, und wo er selbst unter den Augen Gottes über sein eigenes Geschick entscheidet“ (GS 14). „Die wahre Freiheit… ist ein erhabenes Kennzeichen des Bildes Gottes im Menschen“ (GS 17). Die wahre Freiheit ist die von Anfang an in die Wirklichkeit des „Ebenbildes Gottes“ eingeschriebene Freiheit in der Wahrheit.

10. Kraft dieser Ebenbildlichkeit ist der Mensch, als mit Erkenntnis und Freiheit ausgestattetes Wesen, nicht nur dazu berufen, die Welt entsprechend seinen berechtigten Bedürfnissen umzugestalten; er ist nicht nur zu der der Ehe eigenen Personengemeinschaft (communio personarum), in der die Familie und infolgedessen jede Gesellschaft ihren Ursprung hat, berufen, sondern auch zum Bund mit Gott. Denn er ist nicht nur Geschöpf seines Schöpfers, sondern auch Abbild seines Gottes. Er ist Geschöpf als Bild Gottes und Bild Gottes als Geschöpf. Bereits der Schöpfungsbericht in Genesis 1–3 ist mit dem Bericht vom ersten Bund Gottes mit dem Menschen verknüpft. Dieser Bund ist (wie die Schöpfung) eine ganz vollkommen souveräne Initiative des Schöpfergottes und sollte die Heilsgeschichte hindurch unverändert bleiben, bis zu dem endgültigen und ewigen Bund, den Gott mit der Menschheit in Jesus Christus schließen würde.

11. Der Mensch ist das für den Bund geeignete Wesen, weil er als Abbild Gottes geschaffen wurde und die Fähigkeit zur Erkenntnis und zur Freiheit besitzt. Das christliche Denken hat in der Gleichnishaftigkeit des Menschen mit Gott die Grundlage für dessen Berufung erblickt, teilzuhaben am inneren Leben Gottes: seine Offenheit für das Übernatürliche.

So enthält also die geoffenbarte Wahrheit über den Menschen, der in der Schöpfung „als Abbild und Gleichnis Gottes“ geschaffen wurde, nicht nur alles, was in ihm menschlich (humanum) und damit für sein Menschsein wesentlich ist, sondern potentiell auch das, was göttlich (divinum) und daher ungeschuldet ist. Sie enthält also auch das, was Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist – in der Tat für den Menschen als übernatürliche Dimension seiner Existenz vorgesehen hat, ohne die der Mensch die ganze ihm vom Schöpfer zugedachte Fülle nicht zu erreichen vermag.

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Liebe Brüder und Schwestern!

„Was ist der Mensch wert?“ Gegen alle pessimistischen Antworten auf diese Grundfrage unseres Lebens stellen wir Christen jene staunenswerte Antwort von den ersten Seiten der Heiligen Schrift: „Gott schuf den Menschen als sein Abbild; als Gottes Abbild schuf er ihn“ (Gen 1,27). Und sogleich fügt derselbe Text eine wichtige Aussage hinzu, um uns ein erstes Element dieser „Abbildlichkeit“ des Menschen vor Gott zu nennen: „Als Mann und Frau schuf er sie“. Der grundsätzliche Bezug auf Ehe und Familie gehört also zum Entwurf Gottes vom Menschen, ebenso dessen Bezug als Herrscher, Schützer und Förderer der ganzen Schöpfung und aller ihrer Geschöpfe. Gott sendet den Menschen mitten unter die Geschöpfe: Mit ihnen und für sie soll er leben. Hierin erweist sich, ob er sich wirklich als „Abbild Gottes“ erkennt und annimmt.

Für diesen Prozess der Selbstwerdung hat der Schöpfer den Menschen mit Verstand und freiem Willen ausgestattet. Mit dem Verstand scheidet der Mensch das Wahre vom Falschen, das Echte von der Lüge; er durchdringt den Kosmos geistig und erfasst dessen innere Ordnung und Sinngebung; er folgt damit gleichsam den Spuren des Schöpfers. So können Wissenschaft und Kultur, Technik und Kunst entstehen. Zugleich vermag sich der Mensch durch diesen geistigen Einsatz dem Zwang der Dinge und Verhältnisse zu entziehen; er erringt eine grundsätzliche Freiheit, um das Gute bewusst zu bejahen und das Böse überzeugt zurückzuweisen. Vor allem aber gelingt es dem Menschen, als bewusster und freier Person, das Antlitz Gottes zu entdecken und dessen liebende Zuwendung in Jesus Christus mit Herz und Verstand, mit Leib und Seele zu erwidern. „Homo est capax Dei“ – „Der Mensch ist Gottes fähig“. Das ist die Spitze der Möglichkeiten, die dem Menschen in seiner „Abbildlichkeit“ geschenkt ist.

Liebe Brüder und Schwestern! Diese wenigen Worte umreißen auch eure große Berufung. Jeder einzelne von euch ist ein solches ”Abbild Gottes“: das ist euer innerer Reichtum. Haltet ihn in Ehren; achtet ihn in euch selbst und bei jedem anderen Menschen, der vor euch tritt. Zusammen mit dieser ernsten Bitte, die mir mein Amt und mein Herz eingeben, begrüße ich heute neben vielen Einzelbesuchern und kleineren Gruppen besonders die Priester und Gläubigen der Diözesanwallfahrt von Mainz, die zusammen mit ihrem Bischof die Gräber der heiligen Petrus und Paulus besuchen und damit erneut deren Lebenszeugnis von der Auferstehung des Herrn eindringlich erfahren. Ich Grüße sodann die Jabreswallfabrt der Marianischen Burgersodalitat aus Trier, die in so verdienstvoller Weise ihre große Erfahrung im Besuch der heiligen Städten Roms so vielen aufgeschlossenen Pilgern zur Verfügung stellt. Einen herzlichen Gruß schließlich auch den katholischen Frauen aus Jenbach in /Österreich, die sich in der Heimat für einen vielfältigen apostolischen Dienst an ihren Mitchristen ehrenamtlich einsetzen.

Euch allen erbitte ich wahre innere Freude über eure christliche Berufung und weiterhin den nötigen Freimut zu einem katholischen Glaubenszeugnis in Wahrheit und Liebe, nach dem Maßstab des Herrn. Gelobt sei Jesus Christus!

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Mit tiefem Schmerz habe ich von den beiden schweren Unfällen erfahren: In Sri Lanka hat ein Dammbruch Zerstörung und Tod zur Folge gehabt, während in Bangladesch infolge eines heftigen Gewitters ein Schiff mit ca. 1000 Personen kenterte, sodass ein Großteil von ihnen den Tod fand. Indem ich meine lebhafte Anteilnahme am Schmerz der von diesen traurigen Ereignissen betroffenen Personen zum Ausdruck bringe, richte ich mein Gebet für die zahlreichen Opfer zu Gott. Zugleich bitte ich Gott um Trost für die Leidenden, für die über den Verlust ihrer Angehörigen trauernden Familien und für alle, die an ihrem Arbeitsplatz oder im Freundeskreis schmerzlich getroffen wurden.

Ich hoffe, dass auch bei dieser Gelegenheit die mitmenschliche Solidarität in der von diesen Katastrophen hervorgerufenen Notlage wirksam wird und die Kraft der Nächstenliebe echte Abhilfe für die aufgetretenen Bedürfnisse sowie für das traurige Übel schafft, von dem unsere Brüder und Schwestern heimgesucht wurden.