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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 14. Mai 1986

DE  - ES  - IT

 

1. Auf die wiederholte und mitunter zweifelnde Frage, ob und wie Gott heute in der Welt gegenwärtig sei, antwortet der christliche Glaube mit leuchtend klarer und fester Gewissheit: „Alles, was er geschaffen hat, schützt und leitet Gott durch seine Vorsehung“ (DS 3003). Mit diesen knappen Worten formulierte das Erste Vatikanische Konzil die geoffenbarte Lehre über die göttliche Vorsehung. Nach der Offenbarung, die wir im Alten und Neuen Testament überreich ausgedrückt finden, beinhaltet der Begriff der göttlichen Vorsehung zwei Elemente: das der Fürsorge („er schützt“) und das der Autorität („er leitet“). Beide Elemente durchdringen sich gegenseitig. Gott hat als Schöpfer die oberste Herrschaft („dominium altum“) über seine ganze Schöpfung inne, wie es in Analogie zur souveränen Gewalt irdischer Herrscher heißt. Denn alles, was geschaffen wurde, gehört, eben weil es geschaffen wurde, Gott, seinem Schöpfer, und hängt infolgedessen von ihm ab. Jedes Seiende gehört gewissermaßen mehr Gott als sich selbst. Es ist zuerst Gottes Eigentum und dann erst sein eigenes Eigentum. Und das in einer radikalen und totalen Weise, die weit über sämtliche Analogien der Beziehung zwischen Herrschern und Untertanen auf Erden hinausgeht.

2. Die Oberhoheit des Schöpfers („er leitet“) kommt als liebende Sorge des Vaters („er behütet“) zum Ausdruck. In dieser zweiten Analogie ist gewissermaßen der eigentliche Kern der Wahrheit über die göttliche Vorsehung enthalten. Um diese Wahrheit zu formulieren, bedient sich die Heilige Schrift eines Gleichnisses: „Der Herr ist mein Hirte“ — sagt sie —, „nichts wird mir fehlen“ (Ps 23,1). Ein großartiges Bild! Wenn auch die alten Glaubensbekenntnisse und die christliche Überlieferung der ersten Jahrhunderte die Wahrheit über die Vorsehung mit dem Begriff Omnipotenz, dem griechischen Pantokrator entsprechend, also „Allmächtiger“, ausdrückten, so gibt dieser Ausdruck doch nicht die Fülle und Schönheit des biblischen „Hirten“ wieder, der uns die geoffenbarte Wahrheit auf so lebendige Weise vermittelt. Die göttliche Vorsehung ist ja eine „äußerst besorgte Oberhoheit“, die nach einem ewigen Plan voll Weisheit und Liebe die geschaffene Welt und insbesondere „die Wege der Menschengemeinschaft“ leitet (vgl. DH 3). Sie ist eine „fürsorgende Autorität“, voll Macht und zugleich voll Güte. Nach dem Text des Weisheitsbuches, der vom Ersten Vatikanischen Konzil aufgegriffen wurde, „entfaltet sie machtvoll (fortiter) ihre Kraft von einem Ende zum andern und durchwaltet voll Güte (suaviter) das All“ (Weish 8,1) – das heißt, sie umfängt, erhält, behütet und – nach einem anderen biblischen Bild – nährt gewissermaßen die ganze Schöpfung.

3. Das Buch Ijob drückt das so aus: „Groß ist Gott in seiner Macht. Wer ist ein Lehrer wie er? … Denn er zieht die Wassertropfen herauf, als Regen ergießen sie sich aus der Flut. Durch ihn rieseln die Wolken, träufeln nieder auf die vielen Menschen. … Denn damit richtet er die Völker, gibt Speise in reicher Fülle“ (Ijob 36,22.27–28.31). „Auch belädt er die Wolken mit Naß, streut umher die leuchtenden Wolken …, um alles, was er gebietet, zu wirken auf dem Kreis der Erde“ (Ijob 37,11 f.). Ähnlich das Buch Jesus Sirach: „Gottes Machtwort zeichnet den Blitz hin, lässt die Brandpfeile seines Gerichtes leuchten“ (Sir 43,13).

Der Psalmist preist seinerseits die „Gewalt der großen Taten“, „die große Güte“, den „herrlichen Glanz der Hoheit“ Gottes, „der seine Güte walten lässt über allen Geschöpfen“, und ruft aus: „Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen Speise zur rechten Zeit. Du öffnest deine Hand und sättigst alles, was lebt, nach deinem Gefallen“ (Ps 145,5.6.7.15 f.).

Und weiter: „Du lässt Gras wachsen für das Vieh, auch Pflanzen für den Menschen, die er anbaut, damit er Brot gewinnt von der Erde und Wein, der das Herz des Menschen erfreut; damit sein Gesicht in Öl erglänzt und Brot das Menschenherz stärkt“ (Ps 104,14 f.).

4. An vielen Stellen preist die Heilige Schrift die göttliche Vorsehung als höchste Autorität über die Welt, die sich voller Sorge für alle Geschöpfe und besonders für den Menschen der Mitwirkung der Geschöpfe als Zweitursachen bedient. Gerade darin offenbart sich die schöpferische Weisheit, von der man analog zu einer wesentlichen Eigenschaft der menschlichen Klugheit sagen kann, dass sie souverän vorsorgt. Denn Gott, der alles Geschaffene unendlich übersteigt, bewirkt zugleich, dass die Welt jene wunderbare Ordnung aufweist, die sich sowohl im Makrokosmos wie im Mikrokosmos feststellen lässt. Die Vorsehung bewirkt als transzendente Weisheit des Schöpfers, dass die Welt nicht „Chaos“ bleibt, sondern zum „Kosmos“ wird. „Du hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet“ (Weish 11,20).

5. Auch wenn die Ausdrucksweise der Bibel die Leitung der Dinge direkt Gott zuschreibt, bleibt doch der Unterschied zwischen dem Handeln des Schöpfergottes als Erstursache und dem Handeln der Geschöpfe als Zweitursachen hinreichend klar. Hier treffen wir auf eine Frage, die dem modernen Menschen sehr am Herzen liegt: die Frage nach der Autonomie des Geschaffenen und damit der Rolle des Baumeisters der Welt, die der Mensch ausüben möchte. Nun, nach katholischem Glauben bewirkt eben die transzendente Weisheit des Schöpfers, dass Gott in der Welt als Vorsehung gegenwärtig ist, und zugleich, dass die geschaffene Welt jene Autonomie besitzt, von der das Zweite Vatikanische Konzil spricht. Denn einerseits bewirkt Gott dadurch, dass er alle Dinge am Dasein erhält, dass sie sind, was sie sind: „Durch ihr Geschaffensein selber nämlich haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Gutheit sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen“ (GS 36). Andererseits befindet sich die Welt gerade aufgrund der Art und Weise, wie Gott sie leitet, in einem Zustand echter Autonomie, „die dem Willen des Schöpfers entspricht“ (GS 36).

Die göttliche Vorsehung kommt ja in dieser „Autonomie der geschaffenen Wirklichkeiten“ zum Ausdruck, in welcher sich sowohl die Macht wie die gotteigene Güte offenbaren. In ihr bestätigt sich, dass die Vorsehung des Schöpfers als transzendente und für uns immer geheimnisvolle Weisheit alles umfaßt („sie durchwaltet das All von einem Ende zum anderen“), sich in allem mit ihrer schöpferischen Macht und ihrer ordnenden Kraft (fortiter) verwirklicht und dennoch die Rolle der Geschöpfe als immanente Zweitursache in dem Dynamismus der Gestaltung und Entwicklung der Welt unberührt lässt, wie man aus jenem suaviter („voll Güte“) im Buch der Weisheit entnehmen kann.

6. Was nun die immanente Gestaltung der Welt betrifft, nimmt also der Mensch, da er nach dem Abbild und Gleichnis Gottes geschaffen ist, von Anfang an und gebotenermaßen eine ganz besondere Stellung ein. Nach dem Buch Genesis wird er geschaffen, um „zu herrschen“, um „sich die Erde zu unterwerfen“ (vgl. Gen 1,28). Indem er als vernunftbegabtes und freies Wesen, aber immer auch als Geschöpf an der Herrschaft des Schöpfers über die Welt teilhat, wird der Mensch in gewissem Sinne zu seiner eigenen „Vorsehung“, wie es der hl. Thomas so treffend ausdrückt (vgl. Summa Theologica, 1,22,2 ad 4). Aus demselben Grund aber lastet auf ihm von Anbeginn eine besondere Verantwortung sowohl vor Gott als auch vor den Geschöpfen und insbesondere vor den anderen Menschen.

7. Diese Bemerkungen über die göttliche Vorsehung, die uns von der biblischen Überlieferung des Alten Testaments geboten werden, bestätigt und bereichert das Neue Testament. Unter allen Worten Jesu zu diesem Thema, die es festhält, sind die von den Evangelisten Matthäus und Lukas wiedergegebenen besonders ergreifend: „Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn um all das geht es den Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt 6,31–33; vgl. auch Lk 12,29–31).

„Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht; ihr seid mehr wert als viele Spatzen“ (Mt 10,29–31; vgl. auch Lk 21,18). „Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? … Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. Wenn aber Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wieviel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen!“ (Mt 6,26–30; vgl. Lk 12,24–28).

8. Mit diesen Worten bekräftigt unser Herr Jesus nicht nur die im Alten Testament enthaltene Lehre über die göttliche Vorsehung, sondern er vertieft auch das Gespräch im Hinblick auf den Menschen, auf jeden einzelnen Menschen, der von Gott mit der einzigartigen Zärtlichkeit eines Vaters behandelt wird.

Die Psalmenstrophen, die Gott als Zuflucht, Schutz und Trost des Menschen priesen, waren zweifellos großartig: so zum Beispiel im 91. Psalm: „Wer im Schutz des Höchsten wohnt und ruht im Schatten des Allmächtigen, der sagt zum Herrn: ,Du bist für mich Zuflucht und Burg, mein Gott, dem ich vertraue’ … Denn der Herr ist deine Zuflucht, du hast dir den Höchsten als Schutz gewählt … Weil er an mir hängt, will ich ihn retten; ich will ihn schützen, denn er kennt meinen Namen. Wenn er mich anruft, dann will ich ihn erhören. Ich bin bei ihm in der Not“ (Ps 91,1 f., 9, 14 f.).

9. Das sind sehr schöne Worte; aber die Worte Christi erreichen eine noch größere Bedeutungsfülle. Der Sohn verkündet sie und gibt, während er alles „ergründet“, was über das Thema der Vorsehung gesagt wurde, in vollkommener Weise Zeugnis vom Geheimnis seines Vaters: vom Geheimnis der Vorsehung und der väterlichen Fürsorge, die jedes Geschöpf umfängt, auch das unbedeutendste, wie das Gras des Feldes oder die Sperlinge. Um wieviel mehr dann erst den Menschen! Das ist es, was Christus vor allem betonen will. Wenn sich die göttliche Vorsehung gegenüber Geschöpfen, die weit unter dem Menschen stehen, als so hochherzig erweist, um wieviel mehr wird sie sich dann seiner annehmen! In diesem Abschnitt des Evangeliums über die Vorsehung findet man die Wahrheit von der Hierarchie der Werte nochmals, die von Anfang an im Buch Genesis, im Schöpfungsbericht, gegenwärtig ist: Der Mensch hat den Vorrang vor den Dingen. Er hat diesen Vorrang in seiner Natur und in seinem Geist, er hat ihn in der Aufmerksamkeit und Fürsorge der Vorsehung, er hat ihn im Herzen Gottes!

10. Jesus verkündet außerdem mit Nachdruck, dass der Mensch, der von seinem Schöpfer so begünstigt wurde, die Pflicht hat, mit der von der Vorsehung empfangenen Gabe zusammenzuwirken. Er darf sich daher nicht allein mit den Werten der Sinne, der Materie und der Nützlichkeit zufriedengeben. Es muss ihm vor allem um „das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit“ gehen, denn „alles andere (gemeint sind die irdischen Güter) wird ihm dazugegeben“ (Mt 6,33).

Die Worte Christi lenken unsere Aufmerksamkeit auf diese besondere Dimension der Vorsehung, in deren Mittelpunkt der Mensch als vernunftbegabtes und freies Wesen steht. Auf dieses Thema werden wir in den nächsten Betrachtungen zurückkommen.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Unsere Überlegungen über das Glaubensbekenntnis verweilen zurzeit bei der Wahrheit von der göttlichen Vorsehung. Von ihr sagt das I. Vatikanische Konzil: „Alles, was Gott schuf, schützt und leitet er mit seiner Vorsehung. Nach dem Zeugnis der Offenbarung beinhaltet der Begriff von der göttlichen Vorsehung zwei Aspekte: den der Fürsorge und den der Führung. Alles Geschaffene hängt letztlich von Gott ab. Seine Oberhoheit als Schöpfer aber zeigt sich vor allem als liebende Sorge des Vaters, wie es der Psalmist ausdrückt: ‚Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen‘ (Ps 23,1). Nach dem Buch der Weisheit entfaltet die „göttliche Vorsehung“ machtvoll … „ihre Kraft von einem Ende zum anderen und durchwaltet voll Güte das All“ (Weish 8,1).

An vielen Stellen preist die Heilige Schrift die göttliche Vorsehung als höchste Macht über die Welt, die alles zum Wohl der Geschöpfe und besonders des Menschen ordnet und sich dabei auch der Mitwirkung der Geschöpfe als Zweitursache bedient. Gottes weise und gütige Vorsehung verwandelt das Chaos in den wunderbar geordneten Kosmos. Gottes Wirken als Erstursache befähigt zugleich die Geschöpfe selbst zu einer relativen Autonomie. Wie das II. Vatikanische Konzil betont, haben „durch ihr Geschaffensein … alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Gutheit sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen“ (GS 36). Nach den Worten Jesu hat der Mensch einen bevorzugten Platz nicht nur in der Schöpfung, sondern auch in Gottes Vorsehung und Fürsorge. Deshalb ermahnt er uns: „Macht euch keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? … Euch muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt 6,31–33). Darum ist auch der Mensch in einer besonderen Weise aufgerufen, in gläubigem Vertrauen mit Gottes Vorsehung mitzuwirken – zum Wohl aller anderen Geschöpfe und besonders der Mitmenschen.

Indem ich euch, liebe Brüder und Schwestern, dieser weisen und gütigen Fürsorge und Führung Gottes anempfehle, grüße ich euch alle sehr herzlich zur heutigen Audienz: alle genannten Gruppen, die anwesenden Priester und Ordensleute sowie alle Familien und Einzelpilger. Einen besonderen Willkommensgruß richte ich an die Teilnehmer der Romwallfahrt der Diözese Fulda mit ihrem Oberhirten Erzbischof Johannes Dyba. Nehmt diese beglückende Glaubensgewissheit von Gottes besonderer Gegenwart in eurem Leben und Wirken mit in euren Alltag. Gottes Güte und Fürsorge wacht über uns und ruft uns zur entschlossenen Nachfolge Jesu Christi, unseres Herrn und Erlösers. Mit besten pfingstlichen Wünschen erteile ich dazu euch allen von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.