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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 4. März 1987

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute, am Aschermittwoch, begehen wir einen besonderen Tag im liturgischen Jahr und damit auf unserem inneren Weg auf das Reich Gottes zu. Heute beginnt nämlich die Fastenzeit, die uns auf Ostern vorbereitet. Sie lädt uns dazu ein, das Geheimnis des Kreuzes Christi tiefer zu leben, um dann auch das Geheimnis der Auferstehung besser verstehen und leben zu können. In diesem neuen Klima eines intensiveren geistlichen Bemühens wollen wir unsere „Mittwochskatechesen“ mit der Betrachtung darüber fortsetzen, wie sich die Prophezeiungen, die das Leiden und den Tod des Messias vorhersagten, in Christus erfüllt haben.

1. In den vorangegangenen Katechesen haben wir die wichtigsten Aspekte der Wahrheit über den Messias aufzuzeigen versucht, so wie sie im Alten Bund angekündigt und von der Generation der Zeitgenossen Jesu von Nazareth ererbt worden waren, die damit den neuen Abschnitt der göttlichen Offenbarung erlebte. Die Angehörigen dieser Generation, die Jesus folgten, taten das, weil sie überzeugt waren, dass sich in ihm die Wahrheit über den Messias erfüllt habe: dass gerade er der Messias, der Christus, ist. Bezeichnend sind die Worte, mit denen Andreas, der erste der von Jesus berufenen Apostel, seinem Bruder Simon verkündet: „Wir haben den Messias gefunden. Messias heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus)“ (Joh 1,41).

Man muss freilich zugeben, dass so eindeutige Feststellungen in den Evangelien eher selten sind. Das beruht auch darauf, dass in der jüdischen Gesellschaft jener Zeit ein Messiasbild verbreitet war, dem Jesus trotz des Staunens und der Bewunderung wegen all dem, was er „getan und gelehrt hat“ (Apg 1,1), seine Gestalt und sein Wirken nicht anpassen wollte.

2. Ja, wir wissen: Johannes der Täufer hat am Jordanufer Jesus als den bezeichnet, „der kommen soll“ (vgl. Joh 1,15.30); er hatte in ihm mit prophetischem Geist „das Lamm Gottes“ gesehen, das gekommen ist, um die Sünden der Welt hinwegzunehmen; er hatte die „neue Taufe“ angekündigt, die Jesus in der Kraft des Geistes erteilen würde. Als Johannes schon im Gefängnis saß, sandte er seine Jünger mit der Frage zu Jesus: „Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ (Mt 11,3).

3. Jesus lässt Johannes und seine Boten nicht ohne Antwort: „Geht und berichtet Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde sehen wieder, Lahme gehen, und Aussätzige werden rein; Taube hören, Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet“ (Lk 7,22). Mit dieser Antwort will Jesus seine messianische Sendung besonders durch Bezugnahme auf die Worte des Jesaja bekräftigen (vgl. Jes 35,4–5; 61,1). Und er sagt abschließend: „Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt!“ (Lk 7,23). Diese letzten Worte klingen wie eine direkte Mahnung an Johannes, seinen heldenhaften Vorgänger, der eine andere Vorstellung vom Messias hatte.

In seiner Verkündigung hatte Johannes nämlich die Gestalt des Messias als die eines strengen Richters geschildert. In diesem Sinne hatte er vom „kommenden Gericht“ und von der „Axt, die schon an die Wurzel der Bäume gelegt ist“, gesprochen (vgl. Lk 3,7.9), um jeden Baum, „der keine gute Frucht hervorbringt“, umzuhauen (Lk 3,9). Sicher hätte Jesus nicht gezögert, mit Festigkeit und, wenn nötig, auch mit Härte gegen die Starrköpfigkeit und Auflehnung gegen das Wort Gottes vorzugehen. Vor allem wollte er kommen, um „den Armen die frohe Botschaft zu verkünden“ und mit seinen Werken und Wundern den Heilswillen Gottes, des barmherzigen Vaters, offenbar machen.

4. Die Antwort, die Jesus dem Johannes gibt, enthält noch ein anderes interessantes Element: Er vermeidet es, sich öffentlich als Messias zu bezeichnen. Denn im Sozialgefüge der damaligen Zeit war dieser Titel sehr doppelsinnig: Die Leute interpretierten ihn gemeinhin im politischen Sinn. Jesus zieht es daher vor, auf das Zeugnis seiner Werke zu verweisen, wobei er vor allem von dem Wunsch erfüllt ist, die Menschen zu überzeugen und ihren Glauben zu wecken.

5. Es gibt in den Evangelien freilich auch Fälle besonderer Art, wie das im Johannesevangelium berichtete Gespräch mit der Samariterin. Der Frau, die zu ihm sagt: „Ich weiß, dass der Messias kommt, das ist: der Gesalbte (Christus). Wenn er kommt, wird er uns alles verkünden“, antwortet Jesus: „Ich bin es, ich, der mit dir spricht“ (Joh 4,25–26).

Nach dem Zusammenhang zu urteilen, gewann Jesus die Samariterin, die er als bereitwillige Zuhörerin erkannt hatte. Denn als sie in die Stadt zurückkehrte, teilte sie den Leuten eilends mit: „Kommt her, seht, da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Messias?“ (Joh 4,29). Von ihren Worten bewegt, gingen viele Samariter Jesus entgegen, hörten ihm zu und zogen ihrerseits den Schluss: „Er ist wirklich der Retter der Welt“ (Joh 4,42).

6. Unter den Einwohnern von Jerusalem dagegen riefen die Worte und Wundertaten Jesu Fragen nach seiner Messianität hervor. Manche schlossen aus, dass er der Messias sein könnte: „Aber von dem hier wissen wir, woher er stammt; wenn jedoch der Messias kommt, weiß niemand, woher er stammt“ (Joh 7,27). Andere hingegen sagten: „Wird der Messias, wenn er kommt, mehr Zeichen tun, als dieser getan hat?“ (Joh 7,31). „Ist er etwa der Sohn Davids?“ (Mt 12,23). Auch der Hohe Rat griff ein, indem er beschloss, „jeden, der ihn als den Messias bekenne, aus der Synagoge auszustoßen“ (Joh 9,22).

7. So sind wir in der Lage, die Schlüsselstellung des Gesprächs Jesu mit den Aposteln bei Cäsarea Philippi zu begreifen. „Jesus … fragte seine Jünger: Für wen halten mich die Menschen? Sie sagten zu ihm: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für sonst einen von den Propheten. Da fragte er sie: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Simon Petrus antwortete ihm: Du bist der Messias!“ (Mk 8,27–29; vgl. auch Mt 16,13–16 und Lk 9,18–21).

8. Nach dem Matthäusevangelium gibt diese Antwort Jesus die Gelegenheit, den Primat des Petrus in der künftigen Kirche anzukündigen (vgl. Mt 16,18). Nach Markus verbietet Jesus den Aposteln nach der Antwort des Petrus mit aller Strenge, „mit jemandem über ihn zu sprechen“ (Mk 8,30). Wir können daraus schließen, dass Jesus nicht nur nicht verkündete, der Messias zu sein, sondern auch nicht wollte, dass die Apostel zum damaligen Zeitpunkt die Wahrheit über seine Identität verbreiteten. Er wollte nämlich, dass die Zeitgenossen durch das Hinsehen auf seine Werke und das Hinhören auf seine Lehre zu dieser Überzeugung gelangten. Andererseits beweist die Tatsache, dass die Apostel von dem überzeugt waren, was Petrus im Namen aller ausgesprochen hatte: „Du bist der Messias“, dass die Werke und Worte Jesu eine ausreichende Grundlage darstellten, auf der der Glaube an ihn als Messias fußen und sich entfalten konnte.

9. Aber die Fortsetzung jenes Gesprächs, die wir in den beiden Paralleltexten bei Markus und Matthäus lesen, ist noch bezeichnender dafür, wie Jesus über seine Messianität dachte (vgl. Mk 8,31–33; Mt 16,21–23). Fast in engem Zusammenhang mit dem Glaubensbekenntnis der Apostel begann nämlich Jesus, „sie darüber zu belehren, dass der Menschensohn vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden müsse; er werde getötet, aber nach drei Tagen werde er auferstehen“ (Mk 8,32). Der Evangelist Markus bemerkt: „Jesus redete ganz offen darüber“ (Mk 8,32). Markus sagt: „Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe“ (ebd.). Nach Matthäus lautete der Vorwurf des Petrus wie folgt: „Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen!“ (Mt 16,22). Die Reaktion des Meisters: „Jesus wies Petrus mit den Worten zurecht: ,Weg mit dir, Satan! Geh mir aus den Augen! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen‘“ (Mk 8,33; vgl. Mt 16,23).

10. In diesem Vorwurf des Meisters kann man so etwas wie ein fernes Echo jener Versuchung in der Wüste erkennen, die Jesus zu Beginn seiner messianischen Tätigkeit bestanden hat (vgl. Lk 4,1–13), als Satan ihn davon abbringen wollte, den Willen des Vaters bis zum Ende zu erfüllen. Den Aposteln – und insbesondere Petrus –, die zwar ihren Glauben an die messianische Sendung Jesu bekannt hatten: „Du bist der Messias“, gelang es nicht, sich völlig von der allzu menschlichen und irdischen Messias-Vorstellung zu befreien und die Aussicht auf einen Messias, der leiden und sterben würde, zu akzeptieren. Noch im Augenblick der Aufnahme Jesu in den Himmel sollten sie ihn fragen: „Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?“ (Apg 1,6).

11. Gerade auf diese Haltung reagiert Jesus mit großer Entschiedenheit und Strenge. In ihm entsprach das Bewusstsein von seiner messianischen Sendung den Liedern vom Gottesknecht bei Jesaja und insbesondere dem, was Jesaja über den leidenden Knecht gesagt hatte: „Vor den Augen des Herrn wuchs er auf wie ein junger Spross, wie der Trieb einer Wurzel aus trockenem Boden. Er hatte keine schöne und edle Gestalt … Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit der Krankheit vertraut. Wie ein Mensch, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er bei uns verfemt und verachtet. Aber er hat unsere Krankheiten getragen und unsere Schmerzen auf sich genommen … Er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden misshandelt“ (Jes 53,2–5).

Jesus verteidigt diese Wahrheit über den Messias mit Nachdruck in der Absicht, sie an sich bis zum Äußersten zu verwirklichen, weil in ihr der Heilswille des Vaters zum Ausdruck kommt: „Mein Knecht ist gerecht, darum macht er viele gerecht“ (Jes 53,11). Auf diese Weise bereitet er sich und die Seinen auf das Geschehen vor, in dem das Messias-Geheimnis seine volle Erfüllung finden wird: das Pascha seines Todes und seiner Auferstehung.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute, am Aschermittwoch, begehen wir einen besonderen Tag im liturgischen Jahr, der seine große Bedeutung hat – auch für unseren eigenen inneren Weg auf das Reich Gottes zu. Heute beginnt nämlich die Fastenzeit, die in die heilige Karwoche einmündet und das Osterfest vorbereitet. Diese Zeit lädt uns dazu ein, das Geheimnis des Kreuzes Christi tiefer in unserem Leben zu vollziehen, um dann auch das Geheimnis der Auferstehung besser zu begreifen und zu leben.

Als Jesus seine öffentliche Tätigkeit mit dem Aufruf zur Umkehr begann, weil die Zeit erfüllt und das Reich Gottes nahe sei, begannen einige seiner Zeitgenossen zu ahnen, dass sich in der Person Jesu der langersehnte Messias, der Gesalbte Gottes, zeigte. Sie achteten nun aufmerksamer auf seine Taten und bedachten sorgfältiger seine Worte. Für einige von ihnen wurde es so ganz klar: Mit dem Apostel Andreas konnten sie voller Freude ausrufen: „Wir haben den Messias gefunden.“

Andere aber zweifelten und machten Einwände; denn im Bewusstsein der damaligen Juden verband sich mit der Person des Messias eher die Vorstellung eines großen Königs und starken Befreiers – und dies vor allem im politischen Sinne. So nennt sich auch Jesus selbst nur selten „Messias“; eher verweist er, wie zum Beispiel in seiner berühmten Antwort an Johannes den Täufer, auf seine Taten und Zeichen, die besser als jener mehrdeutige Titel seine eigentliche Sendung umschrieben.

Vor allem begann er, den engsten Kreis seiner Jünger in das schwierige Geheimnis einzuführen, dass er leiden und sterben müsse – als das „Lamm Gottes“, als Opfer für Wahrheit und Gerechtigkeit im Reiche des Vaters –, um so dann in seine Herrlichkeit einzugehen. Diese Seite im Bild des Messias war damals weniger bewusst, obwohl sie beim Propheten Jesaja in der Gestalt des „leidenden Gottesknechtes“ tief und ausdrucksstark dargestellt war.

So mussten auch die Jünger Jesu zusammen mit ihrem Meister eine Fastenzeit und eine Karwoche durchschreiten, um zum vollen Licht des Ostertags zu gelangen.

Euch allen, die ihr bei dieser Audienz aus den deutschsprachigen Ländern anwesend seid, wünsche ich einen ebenso fruchtbaren Weg durch die Fastenzeit dieses Jahres zum großen Fest unserer Hoffnung in Gott. In besonderer Weise gilt dieser mein Wunsch den Ordensschwestern, die ihr geistliches und theologisches Leben gegenwärtig am Institut ”Regina Mundi“ hier in Rom vertiefen. Ihnen allen, zusammen mit den Professoren und Schwestern, die solche Vertiefung möglich machen, gilt meine Anerkennung und Ermutigung. Gleiche Hochachtung bekunde ich den Ärzten, Schwestern und Pflegern des Sankt-Josephs-Krankenhauses in Freiburg im Breisgau, die auf dieser gemeinsamen Pilgerfahrt das christliche Fundament ihres Einsatzes im Dienst am kranken Mitmenschen stärken wollen. Euch allen erbitte ich den gnädigen Schutz Gottes und seinen machtvollen Segen.