JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 19. August 1987
1. Die Katechesen über Jesus Christus haben ihren Kern in dem zentralen Thema, das der Offenbarung entnommen ist: Jesus Christus, der Mensch, der von der Jungfrau Maria geboren wurde, ist der Sohn Gottes. Alle Evangelien und die anderen Bücher des Neuen Testaments dokumentieren diese grundlegende christliche Wahrheit. In den vorausgehenden Katechesen versuchten wir, sie zu beleuchten, indem wir ihre verschiedenen Aspekte darlegten. Das Zeugnis des Evangeliums liegt den feierlichen Lehraussagen der Kirche in den Konzilien zugrunde, die sich in den Glaubensbekenntnissen, vor allem im nizäno-konstantinopolitanischen, und natürlich auch im beständigen, ordentlichen Lehramt der Kirche widerspiegeln, so wie in ihrer Liturgie, im Gebet und im geistlichen Leben, das von ihr angeregt und geleitet wird.
2. Die Wahrheit über Jesus Christus, den Sohn Gottes, bildet in der Selbstoffenbarung Gottes, in der sich das unsagbare Geheimnis eines einzigen Gottes in der heiligsten Dreifaltigkeit enthüllt, den Schlüsselpunkt. In der Tat hat Gott, der – wie es im Brief an die Hebräer heißt – „in dieser Endzeit zu uns gesprochen hat durch den Sohn“ (Hebr 1,2), damit die Wirklichkeit seines innersten Lebens enthüllt, jenes Lebens, in dem er als absolute Einheit in der Gottheit gleichzeitig Dreifaltigkeit, das heißt, göttliche Gemeinschaft von drei Personen ist. Von dieser Gemeinschaft gibt der Sohn unmittelbar Zeugnis, der „vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen ist“ (vgl. Joh 16,28). Nur er. Im Alten Testament, als Gott „durch die Propheten gesprochen hat“ (vgl. Hebr 1,1), war dieses innerste Geheimnis Gottes nicht bekannt. Gewiss, einige Elemente der alttestamentlichen Offenbarung bildeten die Vorbereitung auf die Offenbarung durch das Evangelium. Dennoch konnte nur der Sohn Gottes uns in dieses Geheimnis einführen. Denn „niemand hat Gott je gesehen“: niemand hat das innerste Geheimnis seines Lebens gekannt. Nur der Sohn: „Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18).
3. Im Laufe der vorausgehenden Katechesen war es uns gegeben, die Hauptaspekte dieser Offenbarung zu erwägen, dank derer die Wahrheit über die göttliche Sohnschaft Jesu Christi in voller Klarheit vor uns aufleuchtet. Zum Abschluss dieses Zyklus unserer Meditationen ist es gut, einige Momente in Erinnerung zu rufen, in denen sich – zusammen mit der Wahrheit über die göttliche Sohnschaft des Menschensohns, des Sohnes Marias – das Geheimnis des Vaters und des Heiligen Geistes enthüllt.
In zeitlicher Reihenfolge ist das erste bereits der Augenblick der Verkündigung in Nazareth. Nach dem Wort des Engels ist ja der, der von der Jungfrau geboren werden soll, der Sohn des Höchsten, der Sohn Gottes. Mit diesen Worten wird Gott als Vater offenbart, und der Sohn Gottes wird als jener vorgestellt, der durch den Heiligen Geist geboren werden soll: „Der Heilige Geist wird über dich kommen“ (Lk 1,35). So schließt der Bericht über die Verkündigung das Geheimnis der Dreifaltigkeit ein: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Dieses Geheimnis ist auch in der Theophanie bei der Taufe Jesu im Jordan gegenwärtig, als der Vater durch eine Stimme aus der Höhe Zeugnis gibt für den geliebten Sohn und die Stimme begleitet wird vom Geist, der „wie eine Taube“ auf Jesus herabkam (Mt 3,16). Diese Gotteserscheinung ist wie eine sichtbare Bestätigung der Worte des Propheten Jesaja, auf die Jesus sich in Nazareth zu Beginn seiner messianischen Tätigkeit berief: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt …“ (Lk 4,18; vgl. Jes 61,1).
4. Später, während Jesus seinen Dienst ausübt, begegnen wir den Worten, mit denen er selbst seine Zuhörer in das Geheimnis der göttlichen Dreifaltigkeit einführt. Unter diesen ist auch die „freudvolle Erklärung“, die wir in den Evangelien von Matthäus (Mt 11,25–27) und Lukas (Lk 10,21–22) finden. Wir nennen sie freudvoll, weil Jesus, wie wir im Text lesen, „in dieser Stunde, vom Heiligen Geist erfüllt, voll Freude ausrief“ (Lk 10,21): „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Vater, nur der Sohn, und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,25–27). So werden wir also dank dieser „Freude Jesu im Heiligen Geist“ in die „Tiefen Gottes“ eingeführt, in die Tiefen, die nur der Geist erforscht; in die innerste Einheit des Lebens Gottes, in die unergründliche Gemeinschaft der Personen.
5. Diese von Matthäus und Lukas berichteten Worte stimmen vollkommen mit vielen Aussagen Jesu im Johannesevangelium überein, wie wir in den früheren Katechesen bereits gesehen haben. Über allem steht das Bekenntnis, das sein Einssein mit dem Vater offenbart: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Es wird im Hohepriesterlichen Gebet und in den Abschiedsreden insgesamt, in denen Jesus die Apostel auf sein Fortgehen im Lauf der österlichen Ereignisse vorbereitet, wieder aufgenommen und entfaltet.
6. Und gerade hier, im Blick auf dieses Fortgehen, spricht Jesus die Worte, die das Geheimnis des Heiligen Geistes und die Beziehung, in der er zum Vater und zum Sohn steht, in endgültiger Weise offenbaren. Christus, der sagt: „Ich bin im Vater und der Vater ist in mir“, kündigt den Aposteln gleichzeitig das Kommen des Heiligen Geistes an und bestätigt: Dieser ist „der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht“ (Joh 15,26). Jesus fügt hinzu, er werde „den Vater bitten“, dass dieser Geist der Wahrheit den Jüngern gegeben wird, damit er „für immer als Beistand bei ihnen bleibt“ (vgl. Joh 14,16). Und er versichert den Aposteln: „Der Vater wird den Heiligen Geist in meinem Namen senden“ (vgl. Joh 14,26). Das alles, so sagt Jesus abschließend, wird geschehen nach seinem Fortgehen in den österlichen Ereignissen von Kreuz und Auferstehung: „… gehe ich, so werde ich ihn zu euch senden“ (Joh 16,17).
7. „An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich im Vater bin …“, versichert Jesus weiter, das heißt, durch den Heiligen Geist wird das Geheimnis der Einheit des Vaters und des Sohnes voll aufgehellt werden: „Ich im Vater — und der Vater in mir.“ In dieses Geheimnis kann in der Tat nur „der Geist“ Klarheit bringen, „der die Tiefen Gottes ergründet“ (vgl. 1 Kor 2,10), jene Tiefen, in denen in der Gemeinschaft der Personen die Einheit des göttlichen Lebens in Gott begründet ist. So fällt auch Licht in das Geheimnis der Menschwerdung des Sohnes in seiner Beziehung zu den Gläubigen und zur Kirche – auch dies durch den Heiligen Geist. Jesus sagt ja: „An jenem Tag (wenn die Apostel den Geist der Wahrheit empfangen werden) werdet ihr erkennen: (nicht nur) Ich bin in meinem Vater, (sondern auch) ihr seid in mir, und ich bin in euch“ (Joh 14,20). Die Menschwerdung ist daher das Fundament unserer göttlichen Sohnschaft durch Christus und die Grundlage des Geheimnisses der Kirche als Leib Christi.
8. An dieser Stelle ist es aber wichtig zu betonen, dass die Menschwerdung, auch wenn sie unmittelbar den Sohn betrifft, das Werk des einen und dreieinen Gottes ist (4. Laterankonzil). Das bezeugt schon der Inhalt der Verkündigung selbst (vgl. Lk 1,26–36). Und dann hat Jesus während seiner ganzen Lehrtätigkeit „Horizonte aufgerissen, die der menschlichen Vernunft unerreichbar sind“, wie wir in der Konstitution Gaudium et spes lesen (Nr. 24), jene nämlich des inneren Lebens des einen Gottes in der Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Schließlich erfüllte Jesus nach Vollendung seiner messianischen Sendung, als er die Apostel am vierzigsten Tag nach der Auferstehung endgültig verließ, ganz und gar das, was er schon mit den Worten angekündigt hatte: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). Denn er sagte zu ihnen: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19).
Mit diesen Schlussworten des Evangeliums übergab Jesus Christus der Kirche, ehe sie ihren Weg in die Welt antrat, die höchste Wahrheit seiner Offenbarung: die Wahrheit der unteilbaren Einheit in der Dreifaltigkeit.
Und seitdem kann die Kirche in tief innerer Bewegung staunend und anbetend mit dem Evangelisten Johannes bekennen, wie er es am Ende des Prologs zum vierten Evangelium tat: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18).
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Liebe Brüder und Schwestern!
In den Evangelien, den heiligen Schriften der Kirche, offenbart uns Jesus von Nazaret auf vielfältige Weise, dass die Wurzeln seiner Person in Gott selbst liegen, dass er von Gott, dem Vater, ausgegangen ist und mit ihm fortwährend tief und einmalig verbunden bleibt. All das ist gemeint, wenn die Kirche Jesus Christus als den Sohn Gottes bekennt und hiermit den Kern ihres Glaubens angibt. Diese Offenbarung der göttlichen Sohnschaft Jesu enthält zugleich den Hinweis auf das Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit: Der eine und einzige wahre Gott lebt in der ewigen Gemeinschaft von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Beim Evangelisten Lukas heißt es hierzu: „In dieser Stunde rief Jesus, vom Heiligen Geist erfüllt, aus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast … Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater, und niemand weiß, wer der Vater ist, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Lk 10,21 f.).
Mit dieser und vielen weiteren Aussagen hat uns der Herr in die unendliche Tiefe des dreifältigen Lebens Gottes schauen lassen, deren ganze Dimension nur der Heilige Geist selbst erfassen kann. Im Johannesevangelium steht dann das alles überragende Wort Jesu: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Aus der Kraft dieser innigen Einheit sendet der auferstandene Herr den Aposteln und der ganzen Kirche seinen Heiligen Geist, der sie im Laufe ihres geschichtlichen Weges in alle Wahrheit tiefer einführen soll.
Voller Staunen und Dankbarkeit kann so die Kirche zu allen Zeiten mit den Worten des Evangelisten Johannes bekennen: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18). Möchten diese kurzen Darlegungen in euch allen das gleiche Staunen und eine ähnliche Dankbarkeit bewirken für diese Offenbarung des dreifältigen Lebens Gottes. Hierfür gelten euch mein Gebet und mein Segen. Gelobt sei Jesus Christus!
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