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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 7. Januar 1987

DE  - ES  - IT

1. Ein Text des hl. Augustinus gibt uns den Schlüssel zum Verständnis der Wunder Christi als Zeichen seiner Heilsvollmacht: „Die Menschwerdung für uns hat viel mehr zu unserer Rettung beigetragen als die Wunder, die er unter uns vollbracht hat; und die Seele von den Übeln geheilt zu haben, ist wichtiger als die Heilung der Krankheiten des Leibes, der bestimmt ist zu sterben“ (Augustinus, In Io. Ev. Tr., 17,1). In Bezug auf dieses Heil der Seele und die Erlösung der gesamten Welt hat Jesus auch die Wunder in der körperlichen Ordnung vollbracht. Deshalb ist das Thema der heutigen Katechese folgendes: durch „machtvolle Taten, Wunder und Zeichen“, die er gewirkt hat, hat Jesus Christus seine Vollmacht kundgetan, den Menschen vor dem Bösen zu retten, das die unsterbliche Seele und ihre Berufung zur Vereinigung mit Gott gefährdet.

2. Das wird in besonderer Weise bei der Heilung des Gelähmten in Kafarnaum offenbar. Da die Leute, die ihn hingetragen haben, das Haus, in dem Jesus lehrt, nicht durch die Tür betreten können, lassen sie den Kranken durch eine Dachöffnung hinab, so dass der Arme sich zu Füßen des Meisters wiederfindet. „Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“ Diese Worte erwecken in einigen Anwesenden den Verdacht der Gotteslästerung: „Er lästert Gott. Wer kann Sünden vergeben außer dem einen Gott?“ Sozusagen als Antwort für jene, die so dachten, wendet sich Jesus an die Anwesenden: „Ist es leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh umher? Ihr sollt aber erkennen, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben. Und er sagte zu dem Gelähmten: Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh nach Hause! Der Mann stand sofort auf, nahm seine Tragbahre und ging vor aller Augen weg“ (vgl. Mk 2,1-12; analog Mt 9,1-8; Lk 5,18-26: „Er ging heim, Gott lobend und preisend“: Lk 5,25).

Jesus selbst macht in diesem Fall klar, dass das Wunder der Heilung des Gelähmten Zeichen für die Heilsvollmacht ist, weshalb er die Sünden vergibt. Jesus vollbringt dieses Zeichen, um kundzutun, dass er als Erlöser der Welt gekommen ist, dessen Hauptaufgabe es ist, den Menschen vom geistigen Übel, der Sünde, zu befreien, denn sie trennt den Menschen von Gott und verhindert das Heil in Gott.

3. Mit demselben Schlüssel kann man die besondere Kategorie der Wunder Christi erklären, die die „Dämonenaustreibung“ ist. „Verlass diesen Mann, du unreiner Geist!“, befiehlt Jesus, nach dem Markusevangelium, als er einem Besessenen bei Gerasa begegnet (vgl. Mk 5,8). Bei dieser Gelegenheit werden wir Zeugen eines ungewöhnlichen Zwiegesprächs. Als der „unreine Geist“ sich von Christus bedroht fühlt, schreit er ihm entgegen: „Was habe ich mit dir zu tun, Jesus, Sohn des höchsten Gottes? Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht!“ Jesus fragte ihn: „Wie heißt du?“ Er antwortete: „Mein Name ist Legion; denn wir sind viele“ (Mk 5,7-9). Wir stehen hier an der Schwelle einer dunklen Welt, wo physische und psychische Faktoren mitspielen, die zweifellos ihr Gewicht haben in der Verursachung pathologischer Zustände. In ihnen tritt die dämonische Wirklichkeit zutage, die in der menschlichen Sprache vielfach dargestellt und beschrieben wird, die aber Gott als entschieden feindlich gegenübersteht. Damit steht sie auch gegen den Menschen und gegen Christus, der gekommen ist, den Menschen von dieser Macht des Bösen zu befreien. Aber auch der „unreine Geist“ bricht beim Zusammenprall mit der „anderen Gegenwart“ in das Geständnis aus, das aus einem entarteten, aber klaren Intellekt kommt: „Sohn des höchsten Gottes!“

4. Im Markusevangelium finden wir ebenfalls die Beschreibung des Ereignisses, das gewöhnlich als Heilung eines besessenen Jungen (Epileptikers) gekennzeichnet ist. In der Tat sind die vom Evangelisten beschriebenen Symptome für diese Krankheit charakteristisch („Schaum vor dem Mund, er knirscht mit den Zähnen und wird starr“). Trotzdem stellt der Vater des Epileptikers Jesus seinen Sohn als von einem bösen Geist besessen vor, der ihn mit Konvulsionen überfällt und zu Boden wirft, so dass er sich mit Schaum vor dem Mund hin und her wälzt. Es ist gut möglich, dass in einem Krankheitszustand wie diesem der Böse sich einschleicht und wirksam ist; aber man kann auch annehmen, dass es sich um einen Fall von Epilepsie handelt, von der Jesus den Jungen, den sein Vater für besessen gehalten hat, heilt. Trotzdem ist es bedeutsam, dass Jesus die Heilung bewirkt, indem er dem „stummen und tauben Geist“ befiehlt: „Verlass ihn und kehr nicht mehr in ihn zurück!“ (vgl. Mk 9,17-27). Das ist eine Bekräftigung seiner Sendung und Vollmacht, den Menschen vom Übel der Seele bis zu den Wurzeln zu befreien.

5. Jesus zeigt klar seinen Sendungsauftrag, den Menschen vom Übel und vor allem von der Sünde, dem geistigen Übel, zu befreien: eine Sendung, die mit seinem Kampf gegen den bösen Geist verbunden ist und ihn erklärt: denn dieser ist der erste Urheber des Bösen in der Geschichte des Menschen. Wie wir in den Evangelien lesen, betont Jesus mehrmals, dass dies der Sinn seines eigenen und des Wirkens seiner Apostel sei. So bei Lukas: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen. Seht, ich habe euch die Vollmacht gegeben, … die ganze Macht des Feindes zu überwinden. Nichts wird euch schaden können“ (Lk 10,18-19). Nach Lukas berichten die zweiundsiebzig Jünger Jesus nach der Rückkehr von ihrer ersten Mission: „Herr, sogar die Dämonen gehorchen uns, wenn wir deinen Namen aussprechen“ (Lk 10,17).

So offenbart sich die Macht des Menschensohnes über die Sünde und den Urheber der Sünde. Der Name Jesu, dem sich auch die Dämonen gebeugt haben, bedeutet Retter. Doch seine Heilsvollmacht findet ihre endgültige Erfüllung im Kreuzesopfer. Das Kreuz kennzeichnet den vollen Sieg über Satan und Sünde, denn der Plan des Vaters, den sein eingeborener Sohn durch seine Menschwerdung ausführt, ist: in der Schwachheit zu siegen und durch die Erniedrigung am Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung und des Lebens zu gelangen. Auch in diesem paradoxen Geschehen leuchtet seine göttliche Macht auf, die zu Recht „Macht des Kreuzes“ heißen kann.

6. Auch der Sieg über die schwerwiegende Folge der Sünde, den Tod, gehört zu dieser Vollmacht und der Mission des Retters der Welt, die sich in „machtvollen Taten, Wundern und Zeichen“ offenbart hat. Der Sieg über Sünde und Tod kennzeichnet den Weg der messianischen Sendung Jesu von Nazaret nach Golgota. Unter den „Zeichen“, die besonders auf seinen Weg zum Sieg über den Tod hinweisen, sind vor allem die Totenerweckungen: „Tote stehen auf“ (Mt 11,5), antwortet Jesus auf die Frage, ob er der Messias ist, die von den Jüngern Johannes’ des Täufers an ihn gerichtet wurde (vgl. Mt 11,3). Und unter den verschiedenen von Jesus auferweckten „Toten“ verdient Lazarus von Betanien besondere Beachtung, weil seine Auferweckung gleichsam ein „Vorspiel“ auf den Kreuzestod und die Auferstehung Christi ist, in denen sich der endgültige Sieg über Sünde und Tod erfüllt.

7. Der Evangelist Johannes hat uns eine Beschreibung des Ereignisses in allen Einzelheiten hinterlassen. Uns genügt, den Schluss zu berichten. Jesus bittet, den Stein, mit dem das Grab verschlossen ist, wegzunehmen („Nehmt den Stein weg!“). Martha, die Schwester des Lazarus, bemerkt, dass der Bruder bereits seit vier Tagen im Grab liegt und die Verwesung des Leibes sicher schon begonnen hat. Trotzdem ruft Jesus mit lauter Stimme: „Lazarus, komm heraus!“ „Da kam der Verstorbene heraus“, bestätigt der Evangelist (vgl. Joh 11,38-43). Durch dieses Ereignis kommen viele der Anwesenden zum Glauben. Andere aber gehen zu den Vertretern des Hohen Rates, um das Geschehene zu melden. Die Hohenpriester und Pharisäer sind darüber besorgt, sie denken an eine mögliche Reaktion der römischen Besatzung: „Dann werden die Römer kommen und uns die heilige Stätte und das Volk nehmen“ (Joh 11,48). Gerade da fallen auf den Hohen Rat die berühmten Worte des Kajaphas: „Ihr versteht überhaupt nichts. Ihr bedenkt nicht, dass es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht.“ Und der Evangelist merkt an: „Das sagte er nicht aus sich selbst, sondern weil er der Hohepriester jenes Jahres war, sagte er es aus prophetischer Eingebung.“ Um welche Eingebung handelt es sich? Hier gibt uns Johannes die christliche Deutung dieser Worte, die von einer unendlichen Reichweite sind: „Jesus sollte nicht nur für das Volk sterben, sondern auch, um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ (vgl. Joh 11,49-52).

8. Wie man sieht, enthält die Beschreibung des Johannes von der Auferweckung des Lazarus auch wesentliche Hinweise auf die Heilsbedeutung dieses Wunders. Es sind endgültige Hinweise, denn gerade daraufhin wird vom Hohen Rat die Entscheidung gefällt, Jesus zu töten (vgl. Joh 11,53). Es ist der heilbringende Tod „für das Volk“ und „um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“: für die Rettung der Welt. Aber Jesus hatte ja bereits gesagt, dass dieser Tod auch der endgültige Sieg über den Tod sein wird. Bei der Auferweckung des Lazarus hat er Martha versichert: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben“ (vgl. Joh 11,25-26).

9. Am Ende unserer Katechese kehren wir noch einmal zum Text des hl. Augustinus zurück: „Wenn wir jetzt die von unserem Herrn und Erlöser Jesus Christus vollbrachten Taten betrachten, sehen wir, dass die auf so wunderbare Weise sich geöffneten Augen der Blinden vom Tod wieder geschlossen wurden, und die durch das Wunder gelösten Glieder der Gelähmten durch den Tod wieder erstarrt sind; alles, was zeitweise am sterblichen Leib geheilt worden war, wurde am Ende zerstört; aber die Seele, die geglaubt hat, ging in das ewige Leben ein. Mit diesem Kranken wollte der Herr ein großes Zeichen für die Seele geben, die glauben sollte; um ihre Sünden zu vergeben, war er gekommen, und um ihre Schwachheiten zu heilen, hatte er sich erniedrigt“ (Augustinus, In Io. Ev. Tr., 17,1).

Ja, alle „machtvollen Taten, Wunder und Zeichen“ Christi sind mit seiner Offenbarung als Messias, als Sohn Gottes verbündet, der allein die Vollmacht hat, den Menschen von Sünde und Tod zu befreien. Er ist wirklich der Retter der Welt.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Unsere Überlegungen bei den Generalaudienzen gelten weiterhin Jesus Christus, dem menschgewordenen Gottessohn. Er ist in die Welt gekommen, um uns aus der Macht des Bösen zu befreien. Christus selbst unterstreicht diese seine Heilssendung durch Zeichen und Wunder. Dabei geht es ihm vor allem um die Befreiung des Menschen aus den Fesseln der Sünde, die seine unsterbliche Seele bedroht. Darum spricht Jesus dem Gelähmten von Kafarnaum, bevor er ihn von seinen körperlichen Gebrechen heilt, die Vergebung der Sünden zu: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“ (Mk 2,5). Bei verschiedenen anderen Anlässen treibt Christus aus Menschen auch direkt Dämonen und unreine Geister aus. Bei der Heilung eines besessenen Jungen gebietet er dem bösen Geist: „Verlass ihn, und kehr nicht mehr in ihn zurück!“ Und der Evangelist fährt fort: „Da zerrte der Geist den Jungen hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei“ (Mk 9,25-26). Dieselbe erlösende Vollmacht gibt Christus auch seinen Aposteln. Denn er erwählt sie, wie Markus berichtet, „damit sie predigten und mit seiner Vollmacht Dämonen austrieben“ (Mk 3,15-16).

Diese Heilsvollmacht Jesu Christi kommt zu ihrer größten Wirksamkeit und Entfaltung in seinem Kreuzesopfer. Dies ist sein endgültiger Sieg über die Sünde, die Dämonen und den Tod. Er wird schon zeichenhaft vorweggenommen durch die Wunder der Totenerweckungen, besonders deutlich bei der Erweckung des Lazarus. Christus besitzt nicht nur die Vollmacht, sondern ist selber die erlösende Macht, die die Menschen von Sünde und Tod befreit. Er sagt von sich: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Zugleich betont er, dass auch wir alle an diesem seinem endgültigen Sieg über Sünde und Tod teilhaben können, indem er fortfährt: „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben“ (Joh 11,25 ff.).

Diesen lebenspendenden, erlösenden Glauben erbitte ich euch, liebe Brüder und Schwestern. Zugleich grüße ich euch herzlich und wünsche euch schöne und fruchtbare Tage in der Ewigen Stadt. Für Gottes bleibenden Schutz und Beistand erteile ich euch und euren Lieben in der Heimat von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.