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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 17. Februar 1988

DE  - ES  - IT

1. „Seht, da ist der Mensch!“ (Joh 19,5). In der voraufgegangenen Katechese haben wir an diese Worte erinnert, die Pilatus sprach, als er Jesus den Hohenpriestern und den Wachsoldaten vorführen ließ, nachdem er ihn hatte geißeln lassen und bevor er ihn endgültig zum Tod am Kreuz verurteilte. Jesus, voller Wunden, mit Dornen gekrönt und dem purpurroten Mantel bekleidet, von den Soldaten verhöhnt und geschlagen, nunmehr dem Tode nahe, ist das Symbol der leidenden Menschheit.

„Seht, da ist der Mensch!“ Dieser Ausdruck enthält in gewissem Sinn die ganze Wahrheit über Christus, den wahren Menschen: über den, der „in allem uns gleich wurde, außer in der Sünde“; über den, der „sich gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt hat“ (vgl. Gaudium et spes, Nr. 22). Sie nannten ihn „Freund der Zöllner und Sünder“. Als Sühneopfer für die Sünde wurde er solidarisch mit allen, auch mit den „Sündern“, bis zum Tod am Kreuz. Aber gerade in diesem Zustand als Opfer, zu dem Jesus geworden ist, tritt ein letzter Aspekt seines Menschseins hervor, der bis auf den Grund im Licht des Geheimnisses seiner „Selbstentäußerung“ (Kenosis) angenommen und betrachtet werden muss. Nach den Worten des hl. Paulus war er „Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,6–8).

2. Der paulinische Text des Briefes an die Philipper führt uns in das Geheimnis der „Kenosis“ Christi ein. Um dieses Geheimnis zu beschreiben, benutzt der Apostel zunächst das Wort „entäußern“, und dieses bezieht sich vor allem auf die Wirklichkeit der Menschwerdung: „Das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14). Gottes Sohn hat die menschliche Natur angenommen, das Menschsein; er ist wahrer Mensch geworden und Gott geblieben! Die Wahrheit über den Menschen Christus muss immer im Zusammenhang mit dem Sohn Gottes betrachtet werden. Gerade auf diese ständige Beziehung weist der Text des Paulus hin. „Er entäußerte sich“ bedeutet keinesfalls, dass er aufhörte, Gott zu sein: Das wäre absurd! Es bedeutet hingegen, wie sich der Apostel in anschaulicher Weise ausdrückt, dass „er nicht daran festhielt, wie Gott zu sein“, sondern dass er, obwohl „Gott gleich“ (in forma Dei), als wahrer Sohn Gottes eine menschliche Natur annahm, bar jeden Ruhmes, dem Leiden und Tod unterworfen, in der er den Gehorsam zum Vater bis zum äußersten Selbstopfer verwirklichen konnte.

3. In diesem Zusammenhang brachte das „den Menschen gleich werden“ einen freiwilligen Verzicht mit sich, der sich sogar auf die „Vorteile“ erstreckte, die er als Mensch hätte genießen können. In der Tat wurde er „wie ein Sklave“. Er wollte nicht zu den Kategorien der Mächtigen gehören, sondern er wollte wie einer sein, der dient: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen“ (Mk 10,45).

4. In den Evangelien sehen wir, dass das Leben Christi auf Erden von Anfang an durch das Merkmal der Armut gekennzeichnet ist. Das wird bereits im Bericht über die Geburt herausgestellt, als der Evangelist Lukas betont, dass „in der Herberge kein Platz für sie (Maria und Josef) war“ und dass Jesus in einem Stall zur Welt kam und „in eine Krippe gelegt wurde“ (vgl. Lk 2,7). Von Matthäus wissen wir, dass Jesus bereits in den ersten Monaten seines Lebens das Flüchtlingsschicksal erfuhr (vgl. Mt 2,13–15). Das verborgene Leben in Nazaret spielte sich unter äußerst bescheidenen Bedingungen ab, denen der Familie eines Zimmermanns (vgl. Mt 13,55), und Jesus selbst arbeitete mit seinem Adoptivvater (vgl. Mk 6,3). Und als er zu lehren begann, begleitete ihn weiterhin äußerste Armut, wie er selbst in gewisser Weise bestätigt, indem er sich auf seine schwierigen Lebensbedingungen bezieht, die sein Dienst der Evangelisierung auferlegt. „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Lk 9,58).

5. Die messianische Sendung Jesu stieß von Anfang an auf Ablehnung und Unverständnis, trotz der „Wunderzeichen“, die er wirkte. Er stand unter Beobachtung und wurde von denen verfolgt, die die Macht ausübten und Einfluss auf das Volk hatten. Am Ende wurde er angeklagt, verurteilt und dem Kreuzestod ausgeliefert – der schändlichsten aller Todesstrafen, die nur in Fällen äußerst schwerer Verbrechen angewandt wurde, vor allem bei denen, die nicht römische Bürger waren, und jenen, die Sklaven waren. Auch deshalb kann man mit dem Apostel sagen, dass Christus „wie ein Sklave“ wurde (Phil 2,7).

6. In dieser „Selbstentäußerung“, die die Wahrheit über Christus als wahren Menschen tief kennzeichnet, wird, so können wir sagen, die Wahrheit des universalen Menschen wiederhergestellt: Sie wird wiederhergestellt, und sie wird „wiedergutgemacht“. In der Tat, wenn wir lesen, dass der Sohn „nicht daran festhielt, wie Gott zu sein“, können wir nicht umhin, in diesen Worten eine Anspielung auf die erste und ursprüngliche Versuchung zu sehen, der Mann und Frau „am Anfang“ nachgegeben hatten: „Ihr werdet wie Gott (sein) und erkennt Gut und Böse“ (Gen 3,5). Der Mensch hatte der Versuchung nachgegeben, „Gott gleich“ zu sein, obwohl er nur ein Geschöpf war. Der Sohn „hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein“. Und indem er Mensch wurde, „entäußerte er sich“ und stellte durch diese Entscheidung jeden noch so armen und entrechteten Menschen in seiner ursprünglichen Würde wieder her.

7. Aber um dieses Geheimnis der „Kenosis“ Christi auszudrücken, verwendet der hl. Paulus auch einen anderen Ausdruck: „er erniedrigte sich“. Dieses Wort wurde von ihm im Zusammenhang mit der Wirklichkeit der Erlösung eingefügt. Er schreibt nämlich, dass Jesus Christus „sich erniedrigte und gehorsam war bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (vgl. Phil 2,8). Hier wird die „Kenosis“ Christi in ihrer endgültigen Dimension beschrieben. In menschlicher Sicht ist es die Dimension der Erniedrigung durch das Leiden und den schändlichen Tod. In der Sicht Gottes ist es die Erlösung, die von der erbarmenden Liebe des Vaters durch den Sohn gewirkt wurde, der aus Liebe zum Vater und zu den Menschen, die es zu retten galt, freiwillig gehorsam war. Und in jenem Augenblick ereignete sich der Neubeginn der Herrlichkeit Gottes in der Geschichte des Menschen: die Herrlichkeit Christi, seines menschgewordenen Sohnes. In der Tat sagt der paulinische Text: „Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen“ (Phil 2,9).

8. Der hl. Athanasios kommentiert diesen Text des Philipperbriefes wie folgt: „Der Ausdruck ,er hat ihn erhöht‘ soll nicht heißen, dass das Wesen des Wortes erhöht worden sei: Letzteres war ja immer Gott gleich. Er will dagegen auf die Erhöhung der menschlichen Natur hinweisen. Deshalb sind diese Worte erst nach der Menschwerdung des Wortes gesprochen worden, damit klar aufscheint, dass Ausdrücke wie ,erniedrigt‘ und ,erhöht‘ allein auf die menschliche Dimension zu beziehen sind. Nur was tatsächlich niedrig ist, ist fähig, erhöht zu werden“ (Athanasios, Adversus Arianos Oratio I, 41). Hier fügen wir nur hinzu, dass die ganze menschliche Natur – das ganze Menschsein, in dem erbarmungswürdigen Zustand erniedrigt, zu dem die Sünde sie geführt hat, in der Erhöhung des Menschen Christus die Quelle ihrer neuen Herrlichkeit findet.

9. Wir können nicht schließen, ohne einen letzten Hinweis auf die Tatsache, dass Jesus von sich selbst mehrfach als dem „Menschensohn“ gesprochen hat (z. B. Mk 2,10.28; 14,21; Mt 8,20; 16,27; 24,27; Lk 9,22; 11,30; Joh 1,51; 8,28; 13,31 usw.). Nach dem damaligen allgemeinen Sprachverständnis konnte dieser Ausdruck auch anzeigen, dass er wahrer Mensch war wie alle anderen Menschen, und er enthält zweifellos den Hinweis auf seine wirkliche Menschheit.

Dennoch wird auch in diesem Fall die rein biblische Bedeutung bestimmt (unter Berücksichtigung des historischen Kontextes der Tradition Israels), die von der Prophezeiung Daniels ausgedrückt und beeinflusst wird, in der die Formulierung eines messianischen Begriffes ihren Ursprung hat (vgl. Dan 7,13–14). „Menschensohn“ heißt in diesem Zusammenhang nicht nur ein gewöhnlicher Mensch, der dem Menschengeschlecht zugehört, sondern bezieht sich auf eine Persönlichkeit, die von Gott eine universale, die einzelnen geschichtlichen Zeiten übersteigende Herrschaft in der eschatologischen Ära erhalten wird.

Aus dem Mund Jesu und in den Texten der Evangelisten erhält die Formel einen vollen Sinn, der Göttliches und Menschliches, Himmel und Erde, Geschichte und Eschatologie umfasst, wie Jesus selbst uns zu verstehen gibt, als er vor Kajaphas bezeugt, Sohn Gottes zu sein, und mit Betonung sagt: „Von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen“ (Mt 26,64). Im Menschensohn ist also die Macht und die Herrlichkeit Gottes immanent. Wir stehen erneut vor dem einzigen Gott-Menschen, dem wahren Menschen und wahren Gott. Die Katechese führt uns ununterbrochen auf ihn zu, damit wir glauben und im Glauben bitten und anbeten.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Jesus Christus, dem unsere gegenwärtige Glaubensunterweisung gilt, ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Er ist in allem uns gleich geworden, außer der Sünde. Im Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes vollzieht sich das Geheimnis seiner völligen Selbstentäußerung. Darum kann der hl. Paulus von Christus sagen: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“ (Phil 2,6–7).

Christus entäußerte sich bei der Menschwerdung nicht seiner Gottheit, nicht als ob er aufhörte, Gott zu sein, sondern indem er die Gestalt eines Sklaven angenommen hat. Er wurde Mensch, nicht als einer der Mächtigen dieser Erde, sondern als einer, der dient, der in allem die Lebensbedingungen der Ärmsten unter den Menschen teilt: Er wurde gleichsam heimatlos in einem Stall geboren, teilte das Los eines Flüchtlings auf der Flucht nach Ägypten, lebte in einer armen Zimmermannsfamilie in Nazaret und verlebte in äußerster Armut die drei Jahre seines öffentlichen Wirkens als Wanderprediger, sodass er von sich sagen konnte: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Lk 9,58).

Seine messianische Sendung stößt auf Unverständnis und Ablehnung – bis hin zu seinem Tod am Kreuz. In der Selbstentäußerung Jesu Christi, durch die er dem Menschen in allem gleich wurde, außer der Sünde, geschieht die Umkehrung und erlösende Überwindung der Ursünde am Anfang, durch die der Mensch in stolzem Ungehorsam „Gott gleich“ werden wollte. Christus besiegt den überheblichen Stolz des Menschen durch seinen demütigen Gehorsam bis zum schändlichen Tod am Kreuzesgalgen. „Darum hat ihn Gott auch über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen“ (Phil 2,9).

Dieses Beispiel Jesu Christi von seiner demütigen Selbstentäußerung um unseres Heiles willen soll uns, liebe Brüder und Schwestern, in die nun beginnende österliche Bußzeit begleiten. Von Herzen begrüße ich euch alle zur heutigen Audienz; unter den genannten Gruppen namentlich die Ordensschwestern verschiedener Kongregationen, die an einem theologischen Kurs am Päpstlichen Institut ” Regina Mundi “ hier in Rom teilnehmen, sowie die Gruppe Steylerschwestern, die in einem Erneuerungskurs in Nemi ihren apostolischen Einsatz in den Missionen betend und betrachtend vertiefen. Euch allen sei Christus Vorbild, der gekommen ist, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen, um sich selbst für das Heil der Menschen ganz zu verschenken. Er schenke euch und allen anwesenden Pilgern seine reiche Gnade mit meinem besonderen Apostolischen Segen!