JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 6. April 1988
Liebe Brüder und Schwestern!
1. Ich freue mich, euch alle, die ihr bei dieser Generalaudienz anwesend seid, zu begrüßen. Die Audienz heute ist von besonderer Bedeutung, sei es durch die Atmosphäre geistlicher Freude, die dem am vergangenen Sonntag gefeierten Fest eigen ist, sei es durch die Anzahl der Teilnehmer.
Insbesondere wende ich mich an die Pilger aus den verschiedenen Ländern, mit denen ich Ostern am Grab des hl. Petrus gefeiert habe und es auch während der ganzen Oktav feiern will. Eure Romwallfahrt stehe unter dem österlichen Zeichen, das unseren Seelen weiterhin das einzigartige Ereignis vor Augen stellt, das der Angelpunkt der ganzen menschlichen Geschichte und der Bestimmung jedes Einzelnen von uns ist: Dieses Ereignis ist die Auferstehung Christi. Die Freude der Christen, die im Gesang des Halleluja Ausdruck findet, gründet auf der Tatsache, dass Jesus, der grausam gegeißelt wurde, am Kreuz starb und begraben wurde, am Morgen des dritten Tages von den Toten auferstanden ist.
„Das ist der Tag, den der Herr gemacht hat“, haben wir in der Ostersonntagsliturgie gesungen. Aber der Ostertag dauert fort, ja, er nimmt kein Ende. Er ist der Tag des endgültigen Sieges Christi über das Böse, die Sünde und den Tod; der Tag, der über den Ablauf der Zeit hinaus die unendliche Perspektive des ewigen Lebens öffnet, wo das Opferlamm immer noch und weiterhin sich dem Vater für uns, aus Liebe zu uns, darbietet.
Deshalb feiert die Liturgie die ganze Oktav hindurch immer denselben Ostertag: Im Geheimnis der „Ogdonde“, der Oktav, so kommentierten die Hirten und Lehrer der alten Kirche wunderbar, ist das ganze Heilsmysterium zusammengefasst; in ihm ist der Strom enthalten, der die Zeit in die Ewigkeit überführt, das Vergängliche in die Unvergänglichkeit, das Sterbliche in die Unsterblichkeit. Alles ist neu, alles ist heilig, weil Christus, unser Osterlamm, geopfert ist. In diesem Heute von Ostern wird das ewige Heute des Himmelreiches vorweggenommen.
Diese Begriffe sind in wunderbarer, poetischer Weise in den alten Stichirà der byzantinischen Liturgie ausgedrückt, die im 9. Jahrhundert auch in Rom von dem Papst am Osterfest gesungen wurden und in diesem Jahr in der Vatikanbasilika wieder erklungen sind: „Heute hat sich uns ein göttliches Ostern offenbart, ein neues, heiliges Ostern, ein geheimnisvolles Ostern, ein erhabenes Ostern. Das Osterlamm, Christus, der Erlöser, das unbefleckte Osterlamm, das einzigartige Osterlamm, das Osterlamm der Glaubenden. Das Osterlamm, das uns die Pforten des Himmels öffnet.“
2. In der Osterzeit betrachtet die Kirche in ihren Gedanken, ihrer Reflexion und vor allem in ihrem Gebet dieses unvergleichliche Geheimnis. Ja, sie kommt an jedem Sonntag des Jahres darauf zurück, weil jeder Sonntag ein kleines Ostern ist, das den Tod und die Auferstehung Jesu in Erinnerung ruft und wieder gegenwärtig setzt. Deshalb ist Ostern nicht ein abgegrenztes Ereignis, sondern es ist mit unserer Bestimmung und unserem Heil verbunden. Ostern ist das Fest, das uns im tiefsten Innern betrifft und berührt, denn, so sagt der hl. Paulus: „Wegen unserer Verfehlungen wurde er hingegeben, wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt“ (Röm 4,25). So wird das Los Christi unser Los, sein Leiden zu unserem und seine Auferstehung unsere Auferstehung.
3. Diese wunderbare Wirklichkeit wird von uns Glaubenden durch die Sakramente der Einführung in das Christentum erlebt. Sie beginnt mit der Taufe, die wir in der Osternachtsfeier in Erinnerung gerufen haben: das Sakrament der Wiedergeburt (vgl. Joh 3,3), das Sakrament, das in jedem Glaubenden den Tod und die Auferstehung des Herrn geheimnisvoll vollzieht, wie der hl. Paulus selbst schreibt: „Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben“ (Röm 6,4). Deshalb haben wir während der Feier der Osternacht das Taufversprechen erneuert.
4. Die Firmung macht uns dann zu seinen Zeugen, indem sie das Band, das uns mit Christus, unserem Erlöser, vereint, enger knüpft. Wie die Apostel die Zeugen der Auferstehung sind und die Kirche von ihrem Zeugnis lebt, so sind die Christen gerufen, im Licht von Ostern zu leben. Jesus, der den Aposteln den Heiligen Geist am gleichen Abend des Sonntags der Auferstehung einhaucht, schenkt uns weiterhin seinen Geist, den er uns durch das Geschenk der Firmung in Fülle eingegeben hat.
Wir müssen deshalb Zeugen der Wirklichkeit sein, die von Ostern auf uns zukommt. Als Jesus von seinen Jüngern Abschied nahm und das Kommen des Heiligen Geistes ankündigte, sagte er zu ihnen: „… ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8). Das erste Zeugnis, das die Jünger ablegten, war gerade das vom Ereignis der Auferstehung. In den ersten Reden der Apostel ist der Hauptteil immer dem Zeugnis über den Tod und die Auferstehung Christi gewidmet. Auch ihr legt dieses Zeugnis in euren christlichen Gemeinden ab und haltet euch die verherrlichte Gestalt des auferstandenen Christus vor Augen, während ihr beim Gottesdienst den Gesang des österlichen Halleluja wiederholt.
5. Dann, in der Eucharistie, ist es wiederum Jesus, der, wie im Haus von Emmaus, das Brot mit uns bricht und uns beim heiligen Opfer seinen Leib und sein Blut zur Speise gibt, bei uns verweilt und unseren Lebensalltag durch seine Gegenwart verwandelt. Die Eucharistie verbindet uns mit Christus und unseren Brüdern, sie macht uns zu einer einzigen Familie, sie veranlasst uns, uns selbst zu vergessen und uns den anderen zu widmen; sie erinnert uns konkret an die Leidenden, die Kranken, die Menschen in Not, an die Brüder, die unter Krieg, Hunger, Terrorismus und dem Mangel an wesentlichen Freiheiten leiden, darunter an erster Stelle an jene, ihren Glauben zu bekennen. Deshalb wurde in der byzantinischen Liturgie noch gesungen: „Das ist der Tag der Auferstehung! Strahlen wir diese Festesfreude aus, umarmen wir einander, nennen wir Brüder auch jene, die uns hassen, verzeihen wir alles um der Auferstehung willen.“
Deshalb soll die Osterzeit auch uns wie schon die Jünger von Emmaus zu einem erneuerten Glaubensweg mit dem Auferstandenen anspornen, der dorthin führt, wo sich der Herr beim Brotbrechen offenbart: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn“, schreibt der Evangelist Lukas (Lk 24,31). Diese Zeit ist deshalb in besonderer Weise von einem verstärkten Einsatz gekennzeichnet, das Leben in Christus, das Leben in der Gnade, zu vertiefen; es ist die Zeit, in der die Christen aufgerufen sind, noch mehr die Neuheit und die Freude, die Ausgewogenheit und den Ernst des christlichen Lebens zu verspüren, seinen Anspruch auf Echtheit, Treue und Konsequenz. Das Geheimnis des Auferstandenen zu leben, erfordert von uns, dass wir ihm im Denken und Handeln ähnlich werden. Daran erinnert uns der hl. Paulus, wenn er an die Bewohner von Kolossä schreibt: „Ihr seid mit Christus auferweckt; darum strebt nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt. Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische!“ (Kol 3,1–2).
6. Liebe Brüder und Schwestern! An diesem Osterfest des Marianischen Jahres geht uns die heilige Jungfrau, die die Freude des Osterereignisses am stärksten empfunden hat, auf dem Weg des Glaubens an den auferstandenen Christus voran. Sie wurde uns unter dem Kreuz als Mutter gegeben: „Sie geht aus der endgültigen Vollendung des österlichen Geheimnisses des Erlösers hervor. Die Mutter Christi, die in der unmittelbaren Reichweite dieses Geheimnisses steht, das den Menschen, jeden Einzelnen und alle, umfasst, wird diesem, jedem Einzelnen und allen, als Mutter gegeben“ (Redemptoris Mater, Nr. 23).
O Mutter des gekreuzigten und auferstandenen Erlösers, du bist in dem Augenblick, als Christus durch seinen Tod den höchsten Akt seiner Liebe für die Menschen erfüllte, unsere Mutter geworden, hilf uns! Bitte für uns! Wir haben es nötig, mit dir als Auferstandene zu leben. Wir müssen und wollen jeden entwürdigenden Kompromiss mit der Sünde ablegen. Wir müssen und wollen mit dir Christus nachfolgen. „Succurre cadenti surgere qui curat populo!“ – „Komm zu Hilfe dem gefallenen Volke, das sich zu erheben sucht!“ Die alte Advents-Antiphon verbindet sich heute mit der von Ostern: „Resurrexit sicut dixit, alleluia! Ora pro nobis Deum, alleluia.“ – „Er ist erstanden, wie er sagte. Halleluja. Bitte Gott für uns, Maria. Halleluja.“
Dein Sohn ist auferstanden, bitte für uns bei deinem Sohn. Auch wir sind mit ihm auferstanden; auch wir wollen als Auferstandene leben. Stütze uns in dieser „unaufhörlichen Herausforderung an das menschliche Gewissen … der Herausforderung, den Weg des ,Nicht-Fallens‘ auf immer zugleich alte und neue Weise zu gehen und den Weg des Aufstehens zu beschreiten, wenn man gefallen ist“ (Redemptoris Mater, Nr. 52).
Ora pro nobis Deum! Bitte Gott für uns! An dieser Wende zum dritten christlichen Jahrtausend bitte Gott für uns! Rette uns vor dem Bösen, vor Krieg, Hass, Falschheit, gegenseitigem Unverständnis, Genusssucht, Unreinheit, Egoismus und Herzenshärte. Rette uns! Ora pro nobis Deum! Halleluja. Bitte Gott für uns! Halleluja.
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Liebe Brüder und Schwestern!
Eure zahlreiche Anwesenheit bei dieser Generalaudienz ist mir ein gutes Zeichen dafür, dass ihr nicht nur auf der Suche nach der italienischen Sonne seid, sondern auch als Christen an der Freude der römischen Kirche und ihrer Gäste aus aller Welt teilnehmen wollt – an der Freude über das Osterfest, das Fest der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus.
Als Pilatus den misshandelten Jesus der Volksmenge vorführte, hatte er dazu gesagt: „Ecce, homo“ – „Seht, den Menschen!“ Ohne es zu ahnen, hatte er damit eine tiefe Wahrheit berührt: Jesus von Nazareth ist durch seine einmalige Treue zu Gott, dem Vater, auch im Leiden und Sterben das Modell des neuen und wahren Menschen geworden; und Gott hat dieses Modell mit dem Geschenk der Auferstehung zu neuem Leben bekräftigt und besiegelt.
Damit sind aber Jesu Tod am Kreuz und seine Auferstehung kein isoliertes, längst vergangenes Geschehen, sondern sie betreffen das Leben aller Menschen, ganz gleich, in welchem Jahrhundert und auf welchem Kontinent sie leben und sterben. Das Ostergeheimnis hat entscheidende Bedeutung für Sinn und Ziel auch jedes Einzelnen von uns, die wir hier beisammen sind. Der Apostel Paulus hat diese Wahrheit im Brief an die Römer wie folgt zusammengefasst: „Wegen unserer Verfehlungen wurde Jesus hingegeben; wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt“ (Röm 4,25).
In unserer Taufe, für die meisten von uns am Anfang ihres irdischen Lebensweges, sind wir zum ersten Mal mit der Lebenskraft und der Erlöserliebe Christi verbunden worden. Unser ganzes Leben hindurch sollten wir uns dieses Gnadengeschenk immer tiefer bewusst machen und versuchen, ihm in all unseren Lebensbereichen zu entsprechen: zunächst in einem zuversichtlichen Glauben, dann aber auch in einer eindeutigen, konsequenten Lebensführung, die bereit ist, jeden Tag und jede Stunde aus dem Blickwinkel Gottes und nach dem Maßstab des neuen Menschen zu gestalten, wie ihn Jesus Christus nun darstellt. Auf diese Weise können wir alle – ein jeder in seinem Lebensraum – zu glaubwürdigen Zeugen der Auferstehung werden, gleich den ersten Frauen am Grab und gleich den Aposteln, die mit Maria im Abendmahlssaal versammelt waren.
Das ist mein Osterwunsch auch an alle Besucher deutscher Sprache: Möge das Geschenk, Christ zu sein, das euch eure Eltern in der Taufe damals vermittelt haben, von euch selbst nun durch eine bewusste und aufrichtige Entscheidung angenommen werden, die alle Halbheiten möglichst vermeidet. Für eine solche Glaubensentscheidung, die den wirklich erwachsenen Christen zum Ziel hat, ist es nie zu spät. Maria, die Mutter Christi, geht uns auf allen Glaubenswegen voran; sie wird auch eure guten Bemühungen gerade in diesem Marianischen Jahr mit ihrer Fürsprache gern begleiten.
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