JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 22. Juni 1988
1. Wir haben in der vorangegangenen Katechese gesagt, dass die ganze Sendung Jesu von Nazareth, seine Lehre, die Wunderzeichen, die er tat, bis zu dem höchsten der Auferstehung („das Zeichen des Propheten Jona“) darauf ausgerichtet waren, die Menschen „zusammenzuholen“. Diese „Versammlung“ des neuen Volkes Gottes ist der erste Entwurf der Kirche; in ihr soll nach dem Willen Christi und der Einsetzung durch ihn das Reich Gottes, das mit der Ankunft und der messianischen Sendung Christi begonnen hat, in der Geschichte des Menschen Wirklichkeit werden und fortdauern. Jesus von Nazareth verkündete das Evangelium allen, die ihm nachfolgten, um ihn zu hören, aber gleichzeitig berief er einige in besonderer Weise, ihm zu folgen, um von ihm auf eine zukünftige Sendung vorbereitet zu werden.
Es handelt sich zum Beispiel um die Berufung des Philippus (Joh 1,43), des Simon (Lk 5,10) sowie die des Zöllners Levi: Auch an ihn wendet sich Christus mit seinem „Folge mir nach!“ (vgl. Lk 5,27–28).
2. Von besonderer Bedeutung ist für uns die Tatsache, dass Jesus unter seinen Jüngern die Zwölf ausgewählt hat: eine Erwählung, die auch institutionellen Charakter hatte. Das Markusevangelium (Mk 3,14) verwendet dazu den Ausdruck: „Er setzte ein“ (in Griechisch „epoíēsen“), ein Verb, das im griechischen Text der Siebzig auch für das Werk der Schöpfung verwendet wird; für dieses benutzt der jüdische Originaltext das Wort „bara“, für das es im Griechischen kein genau entsprechendes gibt; „bara“ bedeutet das, was nur Gott selbst „tut“, indem er aus dem Nichts erschafft. In jedem Fall ist auch der griechische Ausdruck „epoíēsen“ in Bezug auf die Zwölf bedeutsam genug. Er spricht von ihrer Einsetzung wie von einer entscheidenden Handlung Christi, die eine neue Wirklichkeit geschaffen hat. Die Funktionen, die Aufgaben, die die Zwölf erhalten, sind eine Folge dessen, was sie kraft der Einsetzung durch Christus (er setzte ein = er tat) geworden sind.
3. Bezeichnend ist auch die Weise, in der Jesus die Zwölf ausgewählt hat. Er „ging auf einen Berg, um zu beten. Und er verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott. Als es Tag wurde, rief er seine Jünger zu sich und wählte aus ihnen zwölf aus; diese nannte er auch Apostel“ (Lk 6,12–13). Es folgen die Namen der Erwählten: Simon, dem Jesus den Namen Petrus gibt, Jakobus und Johannes (Markus gibt an, dass sie Söhne des Zebedäus waren und Jesus ihnen den Beinamen „Boanerges“ gab, das heißt „Donnersöhne“), Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Thomas, Jakobus, der Sohn des Alphäus, Simon, genannt der Zelot, Judas, der Sohn des Jakobus, und Judas Iskariot, „der zum Verräter wurde“ (Lk 6,16). Die Aufzählungen der Zwölf, die sich in den drei synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte finden, stimmen miteinander überein, trotz kleiner Unterschiede.
4. Jesus selbst spricht eines Tages von dieser Erwählung der Zwölf und unterstreicht das, was ihn dazu bewegt hat: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt…“ (Joh 15,16), und er fügt hinzu: „Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt“ (Joh 15,19).
Jesus hat die Zwölf deshalb eingesetzt, weil er sie „bei sich haben und … dann aussenden wollte, damit sie predigten und mit seiner Vollmacht Dämonen austrieben“ (Mk 3,14–15). Sie wurden also für eine ganz bestimmte Sendung ausgewählt und „eingesetzt“. Es sind Sendungsaufträge (= „apostoloi“). Im Johannes-Text lesen wir auch: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt“ (Joh 15,16). Diese „Frucht“ wird an anderer Stelle mit dem Bild des „Fischfangs“ wiedergegeben, als Jesus, nach dem wunderbaren Fischfang auf dem See Gennesaret, zu Petrus, der ganz erschüttert ist durch dieses Wunder, sagt: „Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen“ (Lk 5,10).
5. Jesus setzt die Sendung der Apostel in kontinuierlichen Bezug zur eigenen Sendung, als er im hohepriesterlichen Gebet beim letzten Abendmahl zum Vater sagt: „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ (Joh 17,18). In diesem Zusammenhang werden auch andere Worte Jesu verständlich: „Darum vermache ich euch das Reich, wie es mein Vater mir vermacht hat“ (Lk 22,29). Jesus sagt zu den Aposteln nicht nur: „Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes anvertraut“ (Mk 4,11), als sei es nur erkenntnishaft „gegeben“, sondern er „vermittelt“ den Aposteln das Reich, das er selbst durch seine messianische Sendung auf Erden begonnen hat. Dieses dem Sohn vom Vater „vermachte“ Reich ist die Erfüllung der bereits im Alten Bund gegebenen Verheißungen. Selbst die Zahl der „zwölf“ Apostel entspricht in den Worten Christi den „zwölf Stämmen Israels“: „Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten“ (Mt 19,28; auch Lk 22,30). Die Apostel, „die Zwölf“, sind als Anfang des neuen Israel gleichzeitig in die eschatologische Perspektive der Berufung des ganzen Volkes Gottes gestellt.
6. Nach der Auferstehung, bevor er die Apostel endgültig in alle Welt aussendet, verbindet Christus mit ihrem Dienst die Spendung der Sakramente der Taufe (vgl. Mt 28,18–20), der Eucharistie (vgl. Mk 14,22–24 und parallel) und der Buße und Versöhnung (vgl. Joh 20,22–23), die von ihm als Heilszeichen der Gnade eingesetzt worden sind. Die Apostel werden so mit priesterlicher und pastoraler Vollmacht in der Kirche ausgestattet.
Über die Einsetzung der sakramentalen Struktur der Kirche sprechen wir in der nächsten Katechese. Heute wollen wir die Einsetzung des Dienstamtes herausstellen, das an die Apostel und später an die apostolische Nachfolge in der Kirche gebunden ist. In diesem Zusammenhang müssen wir auch an die Worte erinnern, mit denen Jesus das besondere Dienstamt des Petrus umschrieben und dann festgelegt hat: „Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 16,18–19). Alles Bilder, die die Idee der Kirche als Reich Gottes erfassen lassen, das mit einer Amtsstruktur ausgestattet ist, wie Jesus sie sich gedacht hat.
7. Die Fragen des Dienstamtes und gleichzeitig des hierarchischen Systems der Kirche werden im nachfolgenden Zyklus der ekklesiologischen Katechesen noch im Einzelnen vertieft. Hier ist es notwendig, nur auf eine bedeutsame Einzelheit hinzuweisen, die die schmerzliche Erfahrung des Leidens und des Kreuzestodes Christi betrifft. In der Voraussicht, dass er von Petrus verleugnet würde, sagt Jesus zu den Aposteln: „Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder“ (Lk 22,32). Später, als er nach der Auferstehung das dreimalige Bekenntnis der Liebe von Seiten des Petrus erhalten hatte („Herr, du weißt, dass ich dich liebe“), bekräftigt Jesus die endgültige weltweite pastorale Sendung für ihn: „Weide meine Lämmer …“ (vgl. Joh 21,15–17).
8. Wir können deshalb sagen, dass die entsprechenden Stellen im Evangelium klar darauf hinweisen, dass Jesus Christus den Aposteln „das Reich“ und „die Sendung“ vermittelt, die er selbst vom Vater empfangen hat, und dass er gleichzeitig die Grundstruktur seiner Kirche errichtet, in der dieses Reich Gottes durch die Kontinuität der messianischen Sendung Christi unter allen Nationen der Welt als messianische und eschatologische Erfüllung der ewigen Verheißungen Gottes Wirklichkeit werden soll. Die letzten Worte, die Jesus vor seiner Rückkehr zum Vater an die Apostel richtet, drücken in endgültiger Weise die Wirklichkeit und die Dimensionen dieser Institution aus: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,18–20; auch Mk 16,15–18 und Lk 24,47–48).
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Liebe Brüder und Schwestern!
Beim Abschied vor seiner Himmelfahrt sagt Jesus seinen Jüngern: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,18–20).
Mit diesen Worten des auferstandenen Herrn erhalten die Apostel den weltweiten Auftrag, das Evangelium zu verkünden und die Gemeinschaft der Jünger Jesu über die ganze Erde hin auszubreiten. Damit begann die Kirche ihren Weg in die Welt und durch die Geschichte.
Aber nicht erst der auferstandene Herr, sondern bereits der irdische Jesus hat Anhänger und Jünger um sich versammelt, aus denen er zwölf auswählt und sie zu Aposteln einsetzt (Mk 3,14; vgl. Lk 6,12–13). Diese sendet er aus, zu predigen und mit seiner Vollmacht Dämonen auszutreiben. Ihnen gelten auch die Worte: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt“ (Joh 15,16).
Ja, Jesus verbindet die Sendung der Apostel mit seiner eigenen, wie er im hohepriesterlichen Gebet an den Vater bekundet: „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ (Joh 17,18). Nach seiner Auferstehung beauftragt Jesus die Apostel, zu taufen, die Eucharistie zu feiern (vgl. Mk 14,22–24) und Sünden zu vergeben (vgl. Joh 20,22–23). Die Apostel sollen jene Zeichen der Gnade und der Barmherzigkeit Gottes wirken, die Jesus selber zum Heil der Menschen eingesetzt hat.
Innerhalb des Apostelkollegiums überträgt Jesus dem Simon Petrus noch das besondere Amt der Binde- und Lösegewalt: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 16,18–19).
Zusammenfassend können wir sagen: Jesus selber hat den Aposteln das Amt des Priesters und Hirten in der Kirche übertragen und sie und ihre Nachfolger beauftragt, das Volk Gottes in seiner Liebe, in der Liebe des Guten Hirten, zu führen und zu leiten.
MIT DIESEN KURZEN Erinnerung an die Anfänge der Kirche und ihres Priester und Hirtenamtes grüße ich herzlich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher, insbesondere eine Gruppe von Schwestern verschiedener Gemeinschaften, die zu einem geistlichen Kurs in La Storta weilen, sowie der Schönstätter Familien-Liga, Deutschland. Euch allen erbitte ich mit dem Apostolischen Segen von Herzen Gottes steten Schutz und Beistand auf dem weiteren Lebensweg.
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