zoomText
  • A
  • A
  • A

JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Samstag, 23. Juli 1988

DE  - ES  - IT

1. „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch …“ (Joh 15,4). Diese Worte aus dem Gleichnis vom Weinstock und den Reben bringen symbolisch zum Ausdruck, was nach dem Willen Christi die Kirche ihrer inneren Struktur nach sein soll. Das Bleiben in Christus bedeutet eine lebensnotwendige Verbindung mit ihm, der Quelle göttlichen Lebens. Im Hinblick auf die Tatsache, dass Christus die Kirche ins Dasein gerufen hat, im Hinblick darauf, dass er ihr auch eine Struktur äußerer Dienste, „aufgebaut“ auf den Aposteln, gegeben hat, lässt es keinen Zweifel, dass das Dienstamt der Apostel und ihrer Nachfolger – wie das Dienen der ganzen Kirche – im Dienst des Mysteriums bleiben muss: und dieses Mysterium ist das Geheimnis des Lebens, der Teilhabe am Leben Gottes, das aus der Kirche die Gemeinschaft lebendiger Menschen macht. Zu diesem Zweck empfängt die Kirche von Christus die sakramentale Struktur, von der wir in der letzten Katechese gesprochen haben. Die Sakramente sind die Zeichen des Heilshandelns Christi, der die Mächte der Sünde und des Todes überwindet und den Menschen die Kräfte der Gnade und des Lebens einpflanzt, deren Fülle in Christus ist.

2. Diese Fülle der Gnade (vgl. Joh 1,14) und dieses überströmende Leben (vgl. Joh 10,10) sind nichts anderes als die Heiligkeit. Die Heiligkeit ist in Gott, und nur von Gott kann sie in das Geschöpf, vor allem in den Menschen, übergehen. Eine Wahrheit, die den ganzen Alten Bund durchzieht, ist diese: Gott ist der Heilige, und er beruft zur Heiligkeit. Denkwürdig sind diese Mahnungen des mosaischen Gesetzes: „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig“ (Lev 19,2). „Ihr sollt auf meine Satzungen achten und sie befolgen. Ich bin der Herr, der euch heiligt“ (Lev 20,8). Wenn diese Zitate auch dem Buch Levitikus entnommen sind, das so etwas wie ein Kodex für den Gottesdienst in Israel war, so darf doch die von Gott gebotene und empfohlene Heiligkeit nicht nur im rituellen Sinn verstanden werden, sondern auch im moralischen Sinn: Es handelt sich um das, was den Menschen im wesentlichsten Sinn Gott ähnlich macht und ihn würdig macht, im Gottesdienst sich ihm zu nahen, nämlich um die Gerechtigkeit und innere Reinheit.

3. Jesus Christus ist die lebendige Verkörperung dieser Heiligkeit. Er selbst stellt sich vor als der, „den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat“ (Joh 10,36). Von ihm sagt der Bote seiner irdischen Geburt zu Maria: „Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35). Die Apostel sind die Zeugen für diese Heiligkeit, wie Petrus anstelle aller ausruft: „Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes“ (Joh 6,69). Es ist eine Heiligkeit, die sich in seinem Leben immer mehr kundgetan hat, beginnend mit den Jahren der Kindheit (vgl. Lk 2,40.52), um den Gipfel zu erreichen in dem „für die Brüder“ dargebrachten Opfer, nach den Worten Jesu selbst: „Ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind“ (Joh 17,19), in Übereinstimmung mit einem anderen seiner Worte, in dem er erklärt: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13).

4. Die Heiligkeit Christi muss das lebendige Erbe der Kirche werden. Das ist das Ziel des Heilswerkes Jesu, wie er es selbst ausgesprochen hat: „… damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind“ (Joh 17,19). Der hl. Paulus hat es begriffen, der im Brief an die Epheser schreibt, dass Christus „die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, um sie heilig zu machen“ (Eph 5,25-26), „heilig und makellos“ (Eph 5,27).

Jesus hat sich den Aufruf zur Heiligkeit zu eigen gemacht, den Gott im Alten Bund an sein Volk gerichtet hatte: „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig.“ Mit aller Kraft hat er es unaufhörlich in seinem Wort und mit dem Beispiel seines Lebens wiederholt. Besonders in der Bergpredigt hat er seiner Kirche das Gesetz der christlichen Heiligkeit hinterlassen. Gerade auf diesen Seiten lesen wir, dass Jesus, nachdem er gesagt hat, er sei „nicht gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben, … sondern um zu erfüllen“ (Mt 5,17), seine Nachfolger zu einer Vollkommenheit ermahnt, die ihr Beispiel in Gott selbst hat: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ (Mt 5,48). Und weil der Sohn auf vollkommenste Weise diese Vollkommenheit des Vaters widerspiegelt, kann Jesus bei einer anderen Gelegenheit sagen: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9).

5. Im Licht dieser Aufforderung Jesu kann man besser verstehen, wie das II. Vatikanische Konzil die allgemeine Berufung zur Heiligkeit hervorheben wollte. Es ist eine Frage, auf die wir zu gegebener Zeit in dem der Kirche gewidmeten Zyklus der Katechesen zurückkommen wollen. Aber schon jetzt ist es gut, die Aufmerksamkeit auf ihre wesentlichen Punkte zu richten, aus denen klarer ersichtlich wird, wie die Berufung zur Heiligkeit mit der Sendung Christi in Verbindung steht, vor allem mit seinem lebendigen Beispiel. „In der Kirche sind alle – sagt das Konzil – … zur Heiligkeit berufen gemäß dem Apostelwort: ‚Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung‘ (1 Thess 4,3; vgl. Eph 1,4)“ (Lumen gentium, Nr. 39). Die Worte des Apostels sind ein getreues Echo der Lehre Christi, des Meisters, der, wie das Konzil weiter sagt, „allen den Heiligen Geist gesandt hat, damit er sie innerlich bewege, Gott aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Gemüt und aus ganzer Kraft zu lieben (vgl. Mk 12,30), und einander zu lieben, wie Christus sie geliebt hat (vgl. Joh 13,34; 15,12)“ (Lumen gentium, Nr. 40).

6. Die Berufung zur Heiligkeit betrifft also alle, „mögen sie zur Hierarchie gehören oder von ihr geleitet werden“ (Lumen gentium, Nr. 39): „Alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges sind zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen“ (Lumen gentium, Nr. 40).

Das Konzil unterstreicht auch, dass die Heiligkeit der Christen aus der Heiligkeit Christi kommt und diese offenbar macht. Es sagt nämlich: „Die Heiligkeit … drückt sich vielgestaltig in den Einzelnen aus, die in ihrer Lebensgestaltung zur Vollkommenheit der Liebe in der Erbauung anderer streben“ (Lumen gentium, Nr. 39). In dieser Vielgestaltigkeit verwirklicht sich die eine Heiligkeit bei denen, die vom Geist Gottes bewegt werden „und dem armen, demütigen, das Kreuz tragenden Christus folgen und so der Teilnahme an seiner Herrlichkeit würdig werden“ (Lumen gentium, Nr. 41).

7. Diejenigen, die Christus aufforderte, ihm zu folgen – bei den Aposteln angefangen –, waren bereit, um seinetwillen alles zu verlassen, wie Petrus ihm beteuerte: „Du weißt, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt“ (Mt 19,21). „Alles“ bedeutet in diesem Fall nicht nur die zeitlichen Güter (das Haus … den Grund und Boden), sondern auch liebe Menschen: „Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Kinder“ (vgl. Mt 19,29), also die Familie. Jesus selbst war das vollkommenste Vorbild für eine solche Entsagung. Deshalb konnte er seine Jünger zu ähnlichen Verzichten auffordern, einschließlich des der „Ehelosigkeit um des Himmelsreiches willen“ (vgl. Mt 19,12).

Christi Programm der Heiligkeit, ob es sich an Männer wendet oder an Frauen, die ihm ja auch folgten (vgl. z. B. Lk 8,1-3), findet in besonderer Weise in den evangelischen Räten seinen Ausdruck. Wie das Konzil in Erinnerung ruft, sind „die evangelischen Räte (der gottgeweihten Keuschheit, der Armut und des Gehorsams), in Wort und Beispiel des Herrn begründet, … eine göttliche Gabe, welche die Kirche von ihrem Herrn empfangen hat und in seiner Gnade immer bewahrt“ (Lumen gentium, Nr. 43).

8. Wir müssen aber gleich hinzufügen, dass die Berufung zur Heiligkeit in ihrer Allseitigkeit auch die Menschen umfasst, die in der Ehe leben (wie auch Witwer und Witwen), und jene, die ihren Besitz und die Verwaltung ihrer Güter behalten, sich mit irdischen Geschäften befassen, ihren Beruf, ihre Aufgaben und Tätigkeiten in freier Selbstverfügung nach ihrem Gewissen und der ihnen gegebenen Freiheit ausüben. Jesus hat den ihnen eigenen Weg zur Heiligkeit gewiesen schon durch die Tatsache, dass er seine messianische Tätigkeit mit der Teilnahme an der Hochzeit von Kana begann (vgl. Joh 2,1-11) und dann weiterhin die ewigen Grundsätze des göttlichen Gesetzes in Erinnerung rief, die für Männer und Frauen jeden Standes gültig sind, vor allem jene der Liebe, der Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe (vgl. Mk 10,1-12; Mt 19,1-9) und der Keuschheit (vgl. Mt 5,28-30). Darum widmet das Konzil auch, wenn es von der allgemeinen Berufung zur Heiligkeit spricht, eine besondere Stelle denen, die durch das Sakrament der Ehe gebunden sind: „Die christlichen Eheleute und Eltern müssen auf ihrem eigenen Weg in treuer Liebe das ganze Leben hindurch einander in der Gnade Halt und Stütze sein und die von Gott gern empfangenen Kinder mit den christlichen Lehren und den Anleitungen des Evangeliums erfüllen. So geben sie allen das Beispiel einer unermüdlichen und großmütigen Liebe …“ (Lumen gentium, Nr. 41).

9. Aus allen Geboten und Aufforderungen Jesu und der Kirche wird der Primat der Liebe ersichtlich. Die Liebe ist ja nach dem Wort des hl. Paulus „das Band, das alles vollkommen macht“ (Kol 3,14). Es ist der Wille Jesu, dass „wir einander lieben, wie er uns geliebt hat“ (Joh 15,12): mit der Liebe also, gleich der seinen, „bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). Das ist das Erbe der Heiligkeit, das Jesus seiner Kirche hinterlassen hat. Wir alle sind berufen, daran teilzuhaben und so aus der Fülle der Gnade und des Lebens zu schöpfen, die in Christus ist. Die Geschichte der christlichen Heiligkeit ist der Beweis dafür, dass im Leben nach dem Geist der Seligpreisungen des Evangeliums, die in der Bergpredigt verkündigt wurden (vgl. Mt 5,3-12), die Aufforderung Christi Wirklichkeit wird, die im Zentrum des Gleichnisses vom Weinstock und den Reben steht: „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch … Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht“ (Joh 15,4.5). Diese Worte verwirklichen sich, indem sie vielfältige Formen im Leben der einzelnen Christen annehmen und so im Lauf der Jahrhunderte den vielgestaltigen Reichtum und die Schönheit der Heiligkeit der Kirche sichtbar machen, der „Königstochter“, mit herrlichen Gewändern geschmückt (vgl. Ps 44/45,14).

____________________________

Liebe Brüder und Schwestern!

Christus, der Weinstock – wir, die Reben: Mit diesem Gleichnis veranschaulicht Christus die lebendige Verbindung, die zwischen ihm und den Gläubigen besteht. Er selbst ist für uns die Quelle des göttlichen Lebens. Die Sakramente der Kirche sind die von ihm bestimmten Mittel, diese enge Lebensgemeinschaft mit ihm herzustellen und kraftvoll zu entfalten.

Darum heißt die Grundforderung Jesu an uns: „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch“ (Joh 15,4). Darin gründet die Einladung und Berufung aller zur Heiligkeit. Heiligkeit bedeutet Teilnahme an der Fülle der Gnade und des Lebens, die Gott in höchster Vollkommenheit besitzt. Deshalb sagt der Herr schon zu Mose im Alten Bund: „Seid heilig, denn ich, der Herr, bin heilig“ (Lev 19,2). An dieser Heiligkeit Gottes hat Christus als sein menschgewordener Sohn auf vollkommenste Weise Anteil. Er ist derjenige, den der Vater selbst „geheiligt und in die Welt gesandt hat“ (Joh 10,36). Deshalb bekennen die Apostel von ihm: „Du bist der Heilige Gottes“ (Joh 6,69). Die Heiligkeit hat sich im Leben Jesu immer vollkommener offenbart, von seiner Jugend bis zu seinem vorbehaltlosen Gehorsam im Tod am Kreuz. Er sagt von sich: „Ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind“ (Joh 17,19).

Die Heiligkeit Jesu Christi ist als lebendiges Erbe auf die Kirche übergegangen. Seine Heiligkeit allen mitzuteilen, ist das Hauptziel seines ganzen Erlösungswerkes. Er hat, wie der hl. Paulus sagt, „die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben, um sie … rein und heilig zu machen“ (Eph 5,26). Darum hat auch das II. Vatikanische Konzil die Berufung aller zur Heiligkeit in besonderer Weise unterstrichen. Alle sind zur vollkommenen Nachfolge Jesu Christi berufen. Diese Berufung erfordert auch Opfer und Verzicht um des Himmelreiches willen – bis hin zu einem Leben in Ehelosigkeit und nach den evangelischen Räten. In gleicher Weise aber sind auch die Eheleute aufgefordert, ihre Pflichten in Ehe und Familie nach Gottes Willen zu erfüllen und so gemeinsam mit ihren Kindern nach Heiligkeit zu streben.

Hören wir deshalb, liebe Brüder und Schwestern, heute wieder neu die Worte Jesu, die er zu jedem von uns ganz persönlich sagt: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es euer himmlischer Vater ist“ (Mt 5,48). MIT DIESER EINLADUNG grüße ich euch alle sehr herzlich; alle Gruppen und Familien. Euch allen wünsche ich erholsame Ferientage in der Ewigen Stadt und erteile euch von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.