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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 31. August 1988

DE  - ES  - IT

1. Jesus Christus ist der Erlöser. Was der Mittel- und Höhepunkt seiner Sendung ist, das heißt das Werk der Erlösung, umfasst auch diesen Aspekt: Er ist das vollkommene Vorbild der heilbringenden Umwandlung des Menschen geworden. Um die Wahrheit zu sagen, haben alle voraufgegangenen Katechesen dieses Zyklus ihren Bezugspunkt in der Erlösung. Wir haben gesehen, dass Jesus das Evangelium vom Reich Gottes verkündet, aber wir haben von ihm auch vernommen, dass nur in der Erlösung durch das Kreuz und die Auferstehung das Reich endgültig in die Geschichte des Menschen eintritt. Deshalb „übergibt“ er dieses Reich den Aposteln, damit es in der Geschichte der Welt durch die Kirche fortdauert und sich entfaltet. Die Erlösung bringt nämlich die messianische „Befreiung“ des Menschen mit sich, die von der Knechtschaft der Sünde zum Leben in der Freiheit der Kinder Gottes führt.

2. Jesus Christus ist das vollkommenste Modell dieses Lebens, wie wir aus den Schriften der Apostel gehört haben, die in den vorhergehenden Katechesen zitiert wurden. Er, der Sohn eines Wesens mit dem Vater, eins mit ihm in der Gottheit („Ich und der Vater sind eins“ [Joh 10,30]), ist durch alles, was er „tut und lehrt“ (vgl. Apg 1,1), in seiner Art das einzige Lebensmodell kindlicher Ausrichtung und Verbundenheit mit dem Vater. Indem wir uns auf dieses Modell beziehen, es in unserem Bewusstsein und unserem Verhalten widerspiegeln, können wir in uns eine solche Lebensform und -ausrichtung der „Christus-Ähnlichkeit“ entwickeln, in der die wahre „Freiheit der Kinder Gottes“ (vgl. Röm 8,21) zum Ausdruck kommt und verwirklicht wird.

3. Tatsächlich war das ganze Leben Jesu von Nazaret, wie wir mehrmals betont haben, auf den Vater ausgerichtet. Das erscheint bereits in der Antwort, die der zwölfjährige Jesus den Eltern bei der „Wiederauffindung im Tempel“ gibt: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2,49). Gegen Ende seines Lebens, am Vortag des Leidens, als er „wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen“ (Joh 13,1), sagte derselbe Jesus zu den Aposteln: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen … Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin“ (Joh 14,2-3).

4. Vom Anfang bis zum Ende ist diese theozentrische Ausrichtung des Lebens und Handelns Jesu klar und eindeutig. Er führt die Seinen „zum Vater“, indem er ein klares, auf den Vater hin ausgerichtetes Lebensmodell schafft. „Ich habe das Gebot meines Vaters befolgt und bleibe in seiner Liebe.“ Und Jesus betrachtet dieses „Bleiben in der Liebe des Vaters“, also die Erfüllung seines Willens, als seine „Speise“: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu Ende zu führen“ (Joh 4,34). So spricht er zu seinen Jüngern beim Jakobsbrunnen in Sychar. Und schon zuvor, im Gespräch mit der samaritischen Frau, hat er darauf hingewiesen, dass dieselbe „Speise“ das geistliche Erbe seiner Jünger und Begleiter sein wird: „Aber die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden“ (Joh 4,23).

5. Die „wahren Beter“ sind vor allem diejenigen, die Christus in dem, was er tut, nachahmen. Und alles, was er tut, tut er in Nachahmung des Vaters: „Die Werke, die mein Vater mir übertragen hat, damit ich sie zu Ende führe, diese Werke, die ich vollbringe, legen Zeugnis dafür ab, dass mich der Vater gesandt hat“ (Joh 5,36). Ja, „der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht. Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn“ (Joh 5,19).

Auf diese Weise finden wir eine perfekte Grundlage für die Worte des Apostels, nach denen wir berufen sind, Christus nachzuahmen (vgl. 1 Kor 11,1; 1 Thess 1,6), und folglich Gott selbst: „Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder“ (Eph 5,1). Das „Christus ähnliche“ Leben ist gleichzeitig ein Leben, das Gott im wahrsten Sinne des Wortes ähnlich ist.

6. Der Begriff der „Speise“ Christi, die während seines Lebens die Erfüllung des Willens des Vaters war, führt uns in das Geheimnis seines Gehorsams ein, der bis zum Tod am Kreuz geht. Es war also eine bittere Speise, wie es vor allem beim Gebet in Getsemani und dann während des ganzen Leidens und Sterbens am Kreuz aufscheint: „Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst“ (Mk 14,36). Um diesen Gehorsam zu verstehen und auch um zu verstehen, warum diese „Speise“ so bitter sein musste, muss man die ganze Geschichte des Menschen auf Erden betrachten, die von der Sünde, also vom Ungehorsam gegenüber Gott, dem Schöpfer und Vater, gekennzeichnet ist. „Der Sohn, der befreit“ (vgl. Joh 8,36), befreit also durch seinen Gehorsam bis zum Tod. Und er tut es, indem er bis zum Ende seine von Liebe erfüllte Hingabe offenbart: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46). In dieser Selbsthingabe, in dieser vollen „Selbstaufgabe“ an den Vater behauptet sich über die ganze Geschichte des menschlichen Ungehorsams hinweg die gleichzeitige göttliche Einheit des Sohnes mit dem Vater: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Und hier kommt zum Ausdruck, was wir als das Hauptprofil der Nachahmung bezeichnen können, zu der der Mensch in Christus berufen ist: „Wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ (Mt 12,50; auch Mk 3,35).

7. In dem voll „auf den Vater“ ausgerichteten und mit ihm tief verbundenen Leben ist Jesus Christus auch Vorbild für unsere Gebete, für unser geistiges und sprachliches Gebetsleben. Er hat uns nicht nur beten gelehrt, hauptsächlich im Vaterunser (vgl. Mt 6,9 ff.), sondern das Beispiel seines Gebetes bietet sich uns dar als ein wesentlicher Augenblick der Offenbarung seiner Verbindung und seiner Einheit mit dem Vater. Man kann sagen, dass in seinen Gebeten ganz besonders die Tatsache bekräftigt wird, dass „nur der Vater den Sohn kennt“ … „und nur der Sohn den Vater kennt“ (vgl. Mt 11,27; Lk 10,22).

Erinnern wir uns an die bedeutendsten Augenblicke seines Gebetslebens. Jesus verbringt viel Zeit im Gebet (z. B. Lk 6,12; 11,1), besonders in den Nachtstunden, und er sucht geeignete Orte dazu auf (z. B. Mk 1,35; Mt 14,23; Lk 6,12). Betend bereitet er sich auf die Taufe im Jordan vor (vgl. Lk 3,21) und auf die Wahl der zwölf Apostel (vgl. Lk 6,12-13). Durch das Gebet in Getsemani macht er sich bereit, Leiden und Kreuzestod auf sich zu nehmen (vgl. Lk 22,42). Das Sterben auf Golgota ist ganz vom Gebet durchdrungen, von Psalm 22,1 an: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ bis „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46). Ja, im Leben und im Tod ist Jesus ein Vorbild des Gebetes.

8. Über dieses Gebet Christi lesen wir im Brief an die Hebräer: „Als er auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört und aus seiner Angst befreit worden. Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt“ (Hebr 5,7-8). Diese Bekräftigung bedeutet, dass Jesus Christus in vollkommener Weise den Willen des Vaters erfüllt hat, den ewigen Plan Gottes für die Erlösung der Welt um den Preis des äußersten Opfers aus Liebe. Nach dem Johannesevangelium war dieses Opfer nicht nur eine Verherrlichung des Vaters seitens des Sohnes, sondern auch die Verherrlichung des Sohnes gemäß den Worten des hohepriesterlichen Gebetes im Abendmahlssaal: „Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht. Denn du hast ihm die Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt“ (Joh 17,1-2). Das hat sich am Kreuz erfüllt. Die Auferstehung nach drei Tagen war die Bestätigung und der Ausdruck der Herrlichkeit, mit der „der Vater den Sohn verherrlicht hat“ (vgl. Joh 17,1). Das ganze Leben Christi im Gehorsam und in kindlicher Hingabe war mit seinem Geist verschmolzen, durch den er die endgültige Verherrlichung errang.

9. Dieser Geist liebevoller, gehorsamer und frommer Kindschaft tritt auch in der bereits erwähnten Episode hervor, als die Jünger Jesu baten, „ihnen beten zu lehren“ (vgl. Lk 11,1-2). Er vermittelte ihnen und allen Generationen seiner Jünger ein Gebet, das mit der so ausdrucksvollen Wort- und Begriffsverbindung beginnt: „Vater unser“. In diesen Worten offenbart sich der Geist Christi, der sich als Sohn an den Vater wendet und ganz von dem erfasst ist, „was dem Vater gehört“ (vgl. Lk 2,49). Indem er uns für alle Zeiten dieses Gebet gegeben hat, hat Jesus uns damit und darin ein Lebensmodell kindlicher Verbundenheit mit dem Vater vermittelt. Wenn wir uns dieses Modell in unserem Leben zu eigen machen, wenn wir insbesondere am Geheimnis der Erlösung teilhaben wollen, indem wir Christus nachahmen, ist es notwendig, dass wir nicht aufhören, den Vater zu bitten, wie er es uns gelehrt hat.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Die fast zweitausend Jahre, die uns heute vom irdischen Jesus trennen, sind eine lange Zeit. Aber immer wieder schlagen suchende Menschen die Evangelien auf, um sich in sein Leben, sein Denken und Fühlen zu vertiefen. Und sie tun recht damit; denn dieser Jesus ist und bleibt das vollkommenste Modell dafür, wie wir in inniger Freundschaft und täglicher Verbundenheit mit Gott leben können. Jesu Reden und Handeln will auch heute noch unser Bewusstsein formen, unser Verhalten bestimmen und unsere Schritte auf unser letztes Ziel ausrichten.

Ja, in der geistigen Gemeinschaft mit Christus, der unser Bruder geworden ist, können wir unsere Lebensbestimmung in Gott finden. Der Herr selbst hat es uns allen in seinen damaligen Jüngern mit folgenden Worten versprochen: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen … Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten … damit auch ihr dort seid, wo ich bin“ (Joh 14,2-3).

Und sollte dieser Weg einmal schwer und schmerzensreich werden, so dürfen wir wissen, dass der Herr uns auch in solchen Leiden vorausgegangen ist und gerade dort seine unzerstörbare Verbundenheit mit seinem ewigen Vater bewiesen hat. Das letzte, von ihm überlieferte Wort lautet: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46). So zeigt sich uns Jesus als Modell auch im Beten, auch beim Gebet in schwerer Stunde.

Ganz besonders dankbar müssen wir ihm sein, dass er uns sogar einen Gebetstext hinterlassen hat, der jedem Christen überall in der Welt vertraut ist: das Vaterunser. Wenn wir dieses Gebet mit unserer ganzen Person, mit ganzem Herzen und Geist sprechen, werden wir aufgenommen in die persönliche Einheit Christi mit seinem Vater im Himmel.

MIT DIESEN Anregungen aus der Mitte unseres Glaubens grüße ich die Besucher deutscher Sprache und wünsche ihnen Gottes weise Führung auf ihrem Lebensweg. Möge er für euch alle an sein gottgewolltes Ziel gelangen! - Gelobt sei Jesus Christus!