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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 17. Mai 1989

DE  - ES  - IT

1. Wir haben mehrmals die Worte Jesu zitiert, der in der an die Apostel gerichteten Abschiedsrede im Abendmahlssaal das Kommen des Heiligen Geistes als neuen und endgültigen Beistand und Tröster verheißt: „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt“ (Joh 14,16–17). Diese Abschiedsrede, eingebettet in den feierlichen Bericht vom letzten Abendmahl (vgl. Joh 13,2), ist eine Quelle von vorrangiger Bedeutung für die Pneumatologie, das heißt für die theologische Disziplin, die den Heiligen Geist betrifft. Jesus spricht von ihm als dem Beistand, der vom Vater „ausgeht“ und den der Vater den Aposteln und der Kirche „im Namen des Sohnes senden wird“, wenn der Sohn selbst „um den Preis“ des Opfertodes am Kreuz „fortgehen wird“.

Wir müssen die Tatsache in Betracht ziehen, dass Jesus den Beistand „Geist der Wahrheit“ nennt. Auch in anderen Augenblicken hat er ihn so genannt (vgl. Joh 15,26; Joh 16,13).

2. Halten wir uns vor Augen, dass Jesus in der gleichen Abschiedsrede, als er die Frage des Apostels Thomas nach seiner Identität beantwortet, von sich sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Aus dieser zweifachen Bezugnahme auf die Wahrheit, die Jesus macht, um sowohl sich selbst als auch den Heiligen Geist zu definieren, schließen wir, dass, wenn der Beistand von ihm „Geist der Wahrheit“ genannt wird, dies bedeutet, dass der Heilige Geist derjenige ist, der nach dem Fortgang Christi unter den Jüngern dieselbe Wahrheit bewahren wird, die er verkündet und geoffenbart hat, ja die er selbst ist. In der Tat ist der Beistand die Wahrheit, wie Christus sie ist. Dies sagt Johannes in seinem ersten Brief: „Der Geist ist es, der Zeugnis ablegt; denn der Geist ist die Wahrheit“ (1 Joh 5,6). In demselben Brief schreibt der Apostel auch: „Wir aber sind aus Gott. Wer Gott erkennt, hört auf uns; wer nicht aus Gott ist, hört nicht auf uns. Daran erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist des Irrtums“ (1 Joh 4,6). Die Sendung des Sohnes und die des Heiligen Geistes begegnen sich, sind miteinander verbunden und ergänzen einander in der Bekräftigung der Wahrheit und in der Überwindung des Irrtums. Das Tätigkeitsfeld, in dem sie wirken, sind der menschliche Geist und die Geschichte der Welt. Die Unterscheidung zwischen der Wahrheit und dem Irrtum ist der erste Moment dieser Wirksamkeit.

3. In der Wahrheit bleiben und in der Wahrheit wirken, ist die wesentliche Aufgabe für die Apostel und für die Jünger Christi zu Beginn der Kirche wie auch für die Generationen der nachfolgenden Jahrhunderte. Von diesem Gesichtspunkt aus hat die Ankündigung des Geistes der Wahrheit eine Schlüsselbedeutung. Jesus sagt im Abendmahlssaal: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen“ (Joh 16,12). In Wahrheit dauerte die messianische Sendung Jesu nur kurze Zeit, zu kurz, um den Jüngern alle Inhalte der Offenbarung zu enthüllen. Und nicht nur die verfügbare Zeit war kurz, sondern auch die Bildung und Intelligenz der Zuhörer waren begrenzt. Mehrmals wird gesagt, dass die Apostel selbst „bestürzt und außer sich waren“ (vgl. Mk 6,51) und „nicht verstanden“ (vgl. zum Beispiel Mk 8,21), oder sie missverstanden die Worte und die Werke Christi (vgl. zum Beispiel Mt 16,6–11).

So erklären sich die Worte des Meisters in ihrer ganzen Fülle und Bedeutung: „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen“ (Joh 16,13).

4. Die erste Bestätigung dieser Verheißung Jesu erhält man an Pfingsten und in den darauf folgenden Tagen, wie die Apostelgeschichte bestätigt. Aber die Verheißung betrifft nicht nur die Apostel und ihre unmittelbaren Gefährten in der Evangelisierung, sondern auch die kommenden Generationen der Jünger und Bekenner Christi. Denn das Evangelium ist für alle Nationen und die immer wieder neuen Generationen bestimmt, die sich im Kontext der verschiedenen Kulturen und des vielfachen Fortschritts der menschlichen Gesellschaft entwickeln.

Mit Blick auf den ganzen Umkreis der Geschichte sagt Jesus: „Der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, wird Zeugnis für mich ablegen“ (vgl. Joh 15,26). „Er wird Zeugnis ablegen“, das heißt, er wird den wahren Sinn des Evangeliums im Innern der Kirche aufzeigen, damit sie ihn in authentischer Weise der ganzen Welt verkünden kann. Immer und an allen Orten, auch in dem langen Schicksalsablauf der Dinge, die sich im Leben der Menschheit wandeln und entwickeln, wird der „Geist der Wahrheit“ die Kirche „in die ganze Wahrheit führen“ (Joh 16,13).

5. Die Beziehung zwischen der vom Heiligen Geist mitgeteilten Offenbarung und der von Jesus ist sehr eng. Es handelt sich nicht um eine andere Offenbarung. Das kann man aus einer Besonderheit der Ausdrucksweise schließen, die Jesus in seiner Verheißung verwendet: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,26). Erinnern ist eine Tätigkeit des Gedächtnisses. Indem man sich erinnert, kehrt man zu dem zurück, was gewesen, zu dem, was gesagt und vollbracht worden ist, und so erneuert man die vergangenen Dinge im Bewusstsein und lässt sie wieder aufleben. Da es sich im Besonderen um den Heiligen Geist handelt, den Geist einer mit göttlicher Kraft erfüllten Wahrheit, erschöpft sich seine Sendung nicht im Erinnern an das Vergangene als solches: Indem er die Worte, die Werke und das ganze Heilsmysterium Christi in Erinnerung ruft, setzt der Geist der Wahrheit es in der Kirche ständig gegenwärtig und bewirkt, dass es in der Heilsgemeinschaft in eine jeweils neue „Aktualität“ gekleidet ist. Dank des Wirkens des Heiligen Geistes erinnert die Kirche nicht nur an die Wahrheit, sondern bleibt und lebt in der vom Herrn empfangenen Wahrheit. Auch auf diese Weise erfüllen sich die Worte Christi: „Der Geist der Wahrheit … wird Zeugnis für mich ablegen“ (Joh 15,26). Dieses Zeugnis des Geistes der Wahrheit ist identisch mit der Gegenwart des immer lebendigen Christus, mit der Wirkkraft des Evangeliums, mit der wachsenden Verwirklichung der Erlösung und einem fortdauernden Erscheinungsbild der Wahrheit und Tugend. Auf diese Weise „führt“ der Heilige Geist die Kirche „in die ganze Wahrheit“.

6. Diese Wahrheit ist im Evangelium gegenwärtig, wenigstens mit einbegriffen. Was der Heilige Geist offenbaren wird, ist bereits von Christus gesagt worden. Er sagt es selbst, als er vom Heiligen Geist spricht und betont: „Er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern wird sagen, was er hört … Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden“ (Joh 16,13–14). Der vom Geist der Wahrheit verherrlichte Christus ist vor allem derselbe gekreuzigte Christus, der sich für das Heil der Welt ganz „entäußerte“ und in seiner Menschheit zutiefst „erniedrigte“. Gerade durch das Werk des Heiligen Geistes musste das „Wort des Kreuzes“ von den Jüngern angenommen werden, zu denen der Meister gesagt hatte: „Ihr könnt es jetzt nicht tragen“ (Joh 16,12). Vor diesen einfachen Männern richtete sich das Hindernis des Kreuzes auf. Es bedurfte einer tiefgreifenden Wirkung, um ihren Geist und ihr Herz zu befähigen, die „Herrlichkeit der Erlösung“ zu entdecken, die sich gerade im Kreuz erfüllt hatte. Es war ein göttlicher Eingriff notwendig, um jeden von ihnen zu überzeugen und innerlich umzuwandeln, vor allem in Vorbereitung auf den Pfingsttag und dann auf die apostolische Sendung in der Welt. Und Jesus weist sie darauf hin, dass der Heilige Geist „mich verherrlichen wird; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden“. Nur der Geist, der nach Paulus (1 Kor 2,10) „die Tiefen Gottes ergründet“, kennt das Geheimnis des Sohnes, des Wortes, in seiner Beziehung als Sohn zum Vater und in seiner Heilsbeziehung zu den Menschen aller Zeiten. Er allein, der Geist der Wahrheit, kann die menschlichen Geister und Herzen öffnen und befähigen, das unergründliche Geheimnis Gottes und seines fleischgewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, anzunehmen.

7. Jesus sagt weiter: „Der Geist der Wahrheit … wird euch verkünden, was kommen wird“ (Joh 16,13). Was bedeutet dieser prophetische und eschatologische Ausblick, mit dem Jesus die ganze Zukunft der Kirche, den ganzen geschichtlichen Weg, zu dessen Erfüllung sie in den Jahrhunderten berufen ist, unter den Lichtstrahl des Heiligen Geistes stellt? Es bedeutet ein Zugehen auf den verherrlichten Christus, auf den sie mit dem vom Heiligen Geist inspirierten Ruf hinstrebt: „Komm, Herr Jesus!“ (Offb 22,17.20). Der Heilige Geist führt die Kirche zu einem ständigen Fortschritt im Verständnis der offenbarten Wahrheit. Er wacht über die Lehre dieser Wahrheit, über ihre Bewahrung und ihre Anwendung auf die veränderlichen geschichtlichen Situationen. Er bewirkt und führt zur Entfaltung all dessen, was zur Erkenntnis und Verbreitung dieser Wahrheit dient, insbesondere der Exegese der Heiligen Schrift und der theologischen Forschung, die man nie von der Führung des Geistes der Wahrheit noch vom Lehramt der Kirche, in dem der Geist immer am Werk ist, trennen kann.

Alles geschieht im Glauben und für den Glauben, unter der Wirkung des Geistes, wie es in der Enzyklika Dominum et vivificantem heißt: „Das gesamte Mysterium Christi erfordert den Glauben, weil dieser es ist, der den Menschen auf angemessene Weise in die Wirklichkeit des geoffenbarten Geheimnisses einführt. Die Einführung in die ganze Wahrheit verwirklicht sich also im Glauben und mit Hilfe des Glaubens: Sie ist das Werk des Geistes der Wahrheit und die Frucht seines Wirkens im Menschen. Der Heilige Geist muss hierbei der oberste Führer des Menschen, das Licht des menschlichen Geistes, sein.

Das gilt für die Apostel, die Augenzeugen, die nunmehr allen Menschen die Botschaft bringen sollen von dem, was Christus getan und gelehrt hat, vor allem aber von seinem Kreuz und seiner Auferstehung. In einer umfassenderen Sicht gilt das auch für alle Generationen von Jüngern und Bekennern des Meisters; denn sie sollen das Geheimnis Gottes, das in der Geschichte des Menschen am Werk ist, im Glauben annehmen und mit Freimut bekennen: das geoffenbarte Geheimnis, das den endgültigen Sinn dieser Geschichte erklärt“ (Nr. 6).

8. Auf diese Weise verkündet der „Geist der Wahrheit“ ständig das, was kommen wird. Er weist die Menschheit ununterbrochen auf diese Zukunft hin, die über und jenseits aller „zeitlichen“ Zukunft liegt, und erfüllt so die Zukunft der Welt mit ewigem Wert. Der Geist überzeugt so den Menschen und gibt ihm zu verstehen, dass er, bei allem, was er ist, was er hat und was er tut, von Gott in Christus zum Heil berufen ist. So ist der Beistand, der Geist der Wahrheit, der wahre Tröster des Menschen. So ist er der wahre Beschützer und Verteidiger. So ist er der wahre Garant des Evangeliums in der Geschichte: Unter seinem Einfluss ist die Frohe Botschaft immer dieselbe und doch immer neu, und auf immer neue Weise erhellt sie den Weg des Menschen im Ausblick auf den Himmel mit „Worten des ewigen Lebens“ (Joh 6,68).

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Liebe Brüder und Schwestern!

Die Vorsehung hat es glücklich gefügt, dass wir uns bei unserer Mittwochskatechese gerade in der Pfingstzeit mit unserem Glauben an den Heiligen Geist befassen. Bei seiner Abschiedsrede im Abendmahlssaal hat Jesus seinen Jüngern verheißen: „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit“ (Joh 14,16–17). An anderer Stelle hatte sich Jesus selbst schon als „den Weg und die Wahrheit und das Leben“ bezeichnet (vgl. Joh 14,6). Wenn er nun auch den Beistand als den „Geist der Wahrheit“ verheißt, so will er damit sagen, dass der Heilige Geist unter den Jüngern dieselbe Wahrheit vertreten und lehren wird, die schon er ihnen offenbart und verkündet hat. Darin begegnen und ergänzen sich die Sendung des Sohnes und des Heiligen Geistes.

In der Wahrheit bleiben und die Wahrheit tun, das ist der wesentliche Auftrag Jesu an seine Jünger und an alle nachfolgenden Generationen. Darum ist der Beistand des Heiligen Geistes von so großer Bedeutung. Jesus hat seinen Jüngern gesagt, dass er ihnen noch vieles mitzuteilen habe, sie es aber noch nicht fassen könnten. „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen“ (vgl. Joh 16,12–13). Diese Verheißung gilt auch für die Kirche auf ihrem Weg durch die Jahrhunderte. Der Heilige Geist führt in die ganze Wahrheit ein, indem er von Christus selbst Zeugnis gibt und ihn und seine Frohe Botschaft immer tiefer zu verstehen lehrt. Denn, so sagt Jesus, er, der Heilige Geist, „wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,26). Indem der Heilige Geist an die Botschaft und das Heilswerk Jesu Christi „erinnert“, macht er diese selbst ständig gegenwärtig in der Kirche. Durch sein Wirken bleibt Christus persönlich bei den Seinen bis zum Ende der Welt. Indem der Geist der Wahrheit auch „verkündet, was kommen wird“ (vgl. Joh 16,13), bereitet er zugleich die Wiederkunft Christi in Herrlichkeit vor.

ERFLEHEN WIR, liebe Brüder und Schwestern, der Kirche, ihren Hirten und uns selbst immer wieder diesen göttlichen Beistand des Geistes der Wahrheit. Indem ich euch diese Bitte besonders empfehle, grüße ich euch alle sehr herzlich in so großer Zahl zu der heutigen Audienz: die Gruppen und Einzelpilger, vor allem die zahlreichen Jugendlichen unter euch. Einen besonderen Glückwunsch richte ich an die Gruppe von Priesterjubilaren aus der Erzdiözese Bamberg. Für reiche Gnaden des pfingstlichen Geistes erteile ich euch allen und euren Angehörigen in der Heimat von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.