JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 31. Mai 1989
1. „Und ich werde die Gabe, die mein Vater verheißen hat, zu euch herabsenden“ (Lk 24,49). Nach den Ankündigungen, die Jesus den Aposteln am Tag vor seinem Leiden und Tod machte, berichtet jetzt das Lukasevangelium von der Verheißung der kurz bevorstehenden Erfüllung. In den vorhergehenden Katechesen haben wir uns vor allem auf den Text der Abschiedsrede im Johannesevangelium gestützt und das analysiert, was Jesus beim letzten Abendmahl über den Beistand und dessen Kommen sagt: ein grundlegender Text, weil er die Ankündigung und Verheißung Jesu wiedergibt, die am Vorabend seines Todes die Herabkunft des Heiligen Geistes mit seinem „Weggehen“ verbindet und sogar unterstreicht, dass es „um den Preis“ seines Fortgangs geschieht. Denn Jesus sagt: „Es ist gut für euch, dass ich fortgehe“ (Joh 16,7).
Auch das Lukasevangelium gibt in seinem Schlussteil zu dieser Frage bedeutsame Bekräftigungen Jesu nach der Auferstehung wieder. Er sagt: „Und ich werde die Gabe, die mein Vater verheißen hat, zu euch herabsenden. Bleibt in der Stadt, bis ihr mit der Kraft aus der Höhe erfüllt werdet“ (Lk 24,49). Der Evangelist wiederholt dieselbe Aufforderung am Anfang der Apostelgeschichte, deren Verfasser er auch ist: „Beim gemeinsamen Mahl gebot er ihnen: Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt“ (Apg 1,4).
2. Indem er von der „Verheißung des Vaters“ spricht, weist Jesus auf das Kommen des Heiligen Geistes hin, das bereits im Alten Testament angekündigt wird. In der Tat lesen wir im Buch des Propheten Joel: „Danach aber wird es geschehen, dass ich meinen Geist ausgieße über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure Alten werden Träume haben, und eure jungen Männer werden Visionen haben. Auch über Knechte und Mägde werde ich meinen Geist ausgießen in jenen Tagen“ (Joel 3,1-2). Auf eben diesen Text des Propheten Joel bezieht sich Petrus in der ersten Pfingstrede, wie wir später noch sehen werden.
Auch Jesus, als er von der „Verheißung des Vaters“ spricht, beruft sich auf die Ankündigung der Propheten, die allgemein bedeutsam ist. Die Ankündigungen Jesu beim letzten Abendmahl waren deutlich und direkt. Wenn er sich jetzt nach der Auferstehung auf das Alte Testament bezieht, ist das ein Zeichen, dass er die Kontinuität der pneumatologischen Wahrheit in der ganzen Offenbarung herausstellen will. Das heißt, dass Christus die von Gott bereits im Alten Bund gemachten Verheißungen erfüllt.
3. Diese Verheißungen fanden besonders beim Propheten Ezechiel (vgl. 36,22-28) Ausdruck. Gott kündigt durch den Propheten die Offenbarung der eigenen Heiligkeit an, die von den Sündern des auserwählten Volkes und vor allem durch die Anbetung falscher Götter beleidigt wurde. Er kündigt auch an, dass er Israel wieder sammeln und von jeder Schuld reinigen wird. Und dann verspricht er: „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch. Ich lege meinen Geist in euch und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt und auf meine Gebote achtet und sie erfüllt … Ihr werdet mein Volk sein, und ich werde euer Gott sein“ (Ez 36,26-28).
Die Weissagung des Ezechiel verdeutlichte durch die Verheißung des Geschenkes des Geistes die bekannte Prophezeiung des Jeremias über den neuen Bund: „Seht, es werden Tage kommen – Spruch des Herrn –, in denen ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen neuen Bund schließen werde … Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein“ (Jer 31,31.33). In diesem Text unterstreicht der Prophet, dass dieser „neue Bund“ verschieden sein wird von dem früheren, das heißt von dem, der mit der Befreiung Israels von der Knechtschaft in Ägypten verknüpft war.
4. Bevor er zum Vater ging, kurz vor dem, was am Pfingsttag geschehen sollte, beruft sich Jesus auf die prophetischen Verheißungen. Er denkt insbesondere an die so aussagekräftigen Texte von Ezechiel und Jeremia, in denen deutlich auf den „neuen Bund“ Bezug genommen wird. Diese prophetische Ankündigung und Verheißung: „Ich lege einen neuen Geist in euch,“ richtet sich an das „Herz“, das innere, geistliche Wesen des Menschen. Frucht dieses Einpflanzens eines neuen Geistes wird das Hineinlegen des Gesetzes Gottes in das Innere des Menschen (in „ihr Herz“) und damit ein tiefes Band geistlicher und moralischer Natur sein. Darin besteht das Wesen des neuen Gesetzes, das in die Herzen eingegeben (indita) wird, wie der heilige Thomas sagt (vgl. I-II, q.106, a.1), indem er sich, dem heiligen Augustinus folgend, auf den Propheten Jeremia und den heiligen Paulus bezieht (vgl. De Spiritu et littera, cc.17,21,24: PL 44,218,224,225).
Gemäß der Verheißung Ezechiels wird es sich nicht nur um das in die Seele des Menschen eingeschriebene Gesetz Gottes handeln, sondern um das Geschenk des Geistes Gottes. Jesus kündigt die kommende Erfüllung dieser herrlichen Verheißung an: der Heilige Geist, der Urheber des neuen Gesetzes und selbst neues Gesetz, wird in den Herzen gegenwärtig und wirksam sein: „Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird“ (Joh 14,17). Bereits am Abend des Auferstehungstages, als er sich den im Abendmahlssaal versammelten Aposteln vorstellt, sagt Christus zu ihnen: „Empfangt den Heiligen Geist“ (Joh 20,22).
5. Die „Ausgießung des Geistes“ bringt also nicht nur das Hineinlegen, das Einschreiben des göttlichen Gesetzes in das Innere des geistlichen Wesens des Menschen mit sich. Sie verwirklicht auch, kraft der österlichen Erlösung durch Christus, das Geschenk einer göttlichen Person: Der Heilige Geist selbst wird den Aposteln „gegeben“ (vgl. Joh 14,16), damit er in ihnen „bleibt“ (vgl. Joh 14,17). Es ist ein Geschenk, in dem Gott sich selbst dem Menschen mitteilt**,** im innersten Geheimnis der eigenen Gottheit, damit dieser durch die Teilhabe an der göttlichen Natur und dem dreifaltigen Leben geistliche Frucht bringt. Es ist also das Geschenk, das allen übernatürlichen Gaben zugrunde liegt, so erklärt der heilige Thomas (vgl. I, q. 38, a.2). Es ist die Wurzel der heiligmachenden Gnade, die eben durch die Teilhabe an der göttlichen Natur (vgl. 2 Petr 1,4) „heiligt“. Es ist klar, dass diese Heiligung eine Umwandlung des menschlichen Herzens im moralischen Sinn mit sich bringt. Und so wird das, was in der Ankündigung der Propheten als ein „Hineinlegen“ des Gesetzes Gottes in das „Herz“ genannt wurde, bekräftigt und inhaltlich verdeutlicht und bereichert in der neuen Dimension der „Ausgießung des Geistes“. Auf den Lippen Jesu und in den Texten der Evangelisten erlangt die Verheißung ihre volle Bedeutung: das Geschenk der Person des Geistes, des Beistandes selbst.
6. Diese „Ausgießung“, dieses Geschenk des Geistes, zielt auch auf die Festigung der Sendung der Apostel hin, als die Kirche erstmals in der Geschichte hervortritt und später im ganzen Ablauf ihrer apostolischen Sendung. In der Tat, als er von den Aposteln Abschied nimmt, sagt Jesus zu ihnen: Ihr werdet „mit der Kraft aus der Höhe erfüllt“ (Lk 24,49); „ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8).
„Ihr werdet meine Zeugen sein.“ Die Apostel hatten das schon während der Abschiedsrede gehört (vgl. Joh 15,27). In derselben Rede hatte Jesus ihr menschliches und geschichtliches Augenzeugnis von ihm mit dem Zeugnis des Heiligen Geistes verbunden: „Er wird Zeugnis für mich ablegen“ (Joh 15,26). Deshalb soll „im Zeugnis des Geistes der Wahrheit das menschliche Zeugnis der Apostel seine stärkste Stütze finden. Und später soll es darin auch das verborgene Fundament seiner Kontinuität zwischen den Generationen von Jüngern und Bekennern Christi finden, die im Laufe der Jahrhunderte aufeinander folgen werden“ (Dominum et vivificantem, Nr. 5).
Es handelte sich damals und später um die Verwirklichung des Reiches Gottes, wie sie von Jesus verstanden wird. Ja, er besteht in demselben Gespräch mit den Aposteln vor seiner Himmelfahrt noch einmal darauf, dass es dieses Reich in seinem universalen und eschatologischen Sinn ist (vgl. Apg 1,3) und nicht ein nur zeitliches „Reich für Israel“ (Apg 1,6), das noch ihr Ziel war.
7. Zugleich gebietet Jesus den Aposteln, nach seiner Himmelfahrt in Jerusalem zu bleiben. Ebendort „werden sie die Kraft aus der Höhe empfangen“. Dort wird der Heilige Geist auf sie herabkommen. Ein weiteres Mal wird die Verbindung zwischen dem Alten und dem Neuen Bund und ihre Kontinuität herausgestellt. Jerusalem als Zielpunkt der Geschichte des Volkes Gottes im Alten Bund muss jetzt der Ausgangspunkt für die Geschichte des Volkes des Neuen Bundes, das heißt der Kirche, werden.
Jerusalem ist von Christus selbst auserwählt worden (vgl. Lk 9,51; Lk 13,33) als Erfüllungsort seiner messianischen Sendung, als Ort seines Todes und seiner Auferstehung („Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten“: Joh 2,19) und als Ort der Erlösung. Mit dem Ostern von Jerusalem dauert die „Zeit Christi“ in der „Zeit der Kirche“ fort: Der entscheidende Augenblick wird der Pfingsttag sein. „So steht es in der Schrift: Der Messias wird leiden und am dritten Tag von den Toten auferstehen, und in seinem Namen wird man allen Völkern, angefangen in Jerusalem, verkünden, sie sollen umkehren, damit ihre Sünden vergeben werden“ (Lk 24,46-47). Dieser „Anfang“ wird unter dem Wirken des Heiligen Geistes geschehen, der zu Beginn der Kirche als Schöpfergeist („Veni, Creator Spiritus“) das im Augenblick der ersten Schöpfung vollbrachte Werk, als der „Geist Gottes über dem Wasser schwebte“ (vgl. Gen 1,2), fortsetzt.
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Liebe Schwestern und Brüder!
In Fortsetzung unserer Katechesen über den Heiligen Geist wollen wir heute unseren Blick auch auf Aussagen des Alten Testamentes richten, besonders auf die Propheten. Bei seinen letzten Anweisungen und Belehrungen sagt der auferstandene Jesus zu seinen Jüngern: „Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt“ (Apg 1,4).
Die von Jesus hier angesprochene „Verheißung des Vaters“ meint das Kommen des Heiligen Geistes, von dem bereits das Alte Testament kündet. Beim Propheten Joel lesen wir: „Danach aber wird es geschehen, dass ich meinen Geist ausgieße über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure Alten werden Träume haben, und eure jungen Männer werden Visionen haben. Auch über Knechte und Mägde werde ich meinen Geist ausgießen in jenen Tagen“ (3,1-2).
Diese Verheißungen haben ihren besonderen Ausdruck bei Ezechiel gefunden: „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch … Ich lege meinen Geist in euch und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt … Ihr werdet mein Volk sein, und ich werde euer Gott sein“ (36,22-28).
Solche beredten Texte der Propheten hat Jesus bei seinem Reden von der Sendung des Heiligen Geistes gegenwärtig, ehe er zum Vater geht.
Das Geschenk eines neuen Herzens meint die innerste Umwandlung des Menschen, dessen Frucht ein Leben nach dem Gesetz Gottes ist. Das in das menschliche Herz eingeschriebene „Gesetz Gottes“ aber ist der Heilige Geist selbst, die dritte göttliche Person. Der Heilige Geist, der im Menschen wirkt, schafft Anteil an der göttlichen Natur, am Leben des dreifaltigen Gottes und befähigt zu guten Werken.
Die Ausgießung des Heiligen Geistes macht schließlich die Jünger zu Zeugen des Geistes. Unter seinem Beistand verkünden sie zunächst in Jerusalem das Evangelium, dann im ganzen Land und in der Welt. Unter seinem Beistand wächst die Kirche und „strebt im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen, bis sich an ihr Gottes Worte erfüllen“ (Dei Verbum, Nr. 8).
MIT DlESER KURZEN Betrachtung grüße ich alle Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. Ich wünsche Euch einen frohen Aufenthalt in der”Ewigen Stadt“und erbitte Euch und Euren Familien sowie den mit uns über Radio Vatikan verbundenen Hörerinnen und Hörern mit meinem Apostolischen Segen von Herzen Gottes steten Schutz und weise Führung.
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