JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 23. Mai 1990
1. Im Glaubensbekenntnis bekennen wir, dass der Sohn, eines Wesens mit dem Vater, Fleisch angenommen hat durch den Heiligen Geist. In der Enzyklika Dominum et vivificantem schrieb ich: „Empfängnis und Geburt Jesu Christi sind das größte vom Heiligen Geist in der Schöpfungs- und Heilsgeschichte vollbrachte Werk: die höchste Gnade – die ,Gnade der Einigung’ als Quelle jeder anderen Gnade, wie der heilige Thomas erklärt… Der ,Fülle der Zeit’ entspricht in der Tat eine besondere Fülle der Selbstmitteilung des dreieinigen Gottes im Heiligen Geist. ,Durch das Wirken des Heiligen Geistes’ vollzieht sich das Geheimnis der ,hypostatischen Union’, das heißt der Vereinigung der göttlichen mit der menschlichen Natur, der Gottheit mit der Menschheit in der einzigen Person des Ewigen Wortes und Sohnes“ (Nr. 50).
2. Es handelt sich um das Geheimnis der Menschwerdung, mit deren Offenbarung zu Beginn des Neuen Bundes sich die des Heiligen Geistes verbunden hat. Wir haben das in den vorangegangenen Katechesen gesehen, die uns erlaubten, diese Wahrheit unter ihren verschiedenen Aspekten darzustellen, angefangen von der Empfängnis Jesu Christi durch die Jungfrau, wie wir im Lukastext über die Verkündigung lesen (vgl. Lk 1,26-38). Die Herkunft dieses Textes ist schwer zu erklären, wenn man nicht an eine Erzählung Marias denkt, die allein das, was in ihr im Augenblick der Empfängnis Jesu geschah, mitteilen konnte. Die vorgelegten Übereinstimmungen zwischen diesem Text und anderen Berichten des Altertums und besonders der alttestamentlichen Schriften betreffen nie den wichtigsten und entscheidendsten Punkt, das heißt die jungfräuliche Empfängnis durch das Wirken des Heiligen Geistes. Sie ist wahrhaftig eine absolute Neuheit.
Es ist wahr, dass wir auf der entsprechenden Seite bei Matthäus lesen: „Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben“ (Mt 1,22-23). Aber die Erfüllung übersteigt immer die Erwartungen. Denn das Ereignis umfasst neue Elemente, die in der Prophezeiung nicht ausgesprochen waren. So blieb in dem Fall, der uns beschäftigt, der Orakelspruch des Jesaja über die Jungfrau, die empfangen wird (vgl. Jes 7,14), unvollständig und folglich unterschiedlichen Interpretationen ausgesetzt. Er wird durch das Geschehen der Menschwerdung mit einer Genauigkeit „erfüllt“, die nicht vorauszusehen war: eine wirklich jungfräuliche Empfängnis wird durch den Heiligen Geist bewirkt, und der geborene Sohn ist deshalb wahrhaftig der „Gott mit uns“. Es handelt sich nicht mehr nur um einen Bund mit Gott, sondern um die wirkliche Gegenwart Gottes unter den Menschen kraft der Menschwerdung des ewigen Sohnes Gottes: eine absolute Neuheit.
3. Die jungfräuliche Empfängnis ist deshalb wesentlicher Teil des Geheimnisses der Menschwerdung. Der Leib Jesu, von Maria auf jungfräuliche Weise empfangen, gehört zur Person des ewigen Wortes Gottes. Das wirkt der Heilige Geist, indem er auf die Jungfrau von Nazaret herabkommt. Er bewirkt, dass der von ihr empfangene Mensch (der Menschensohn) wirklich der wahre Sohn Gottes ist – aus dem Vater geboren vor aller Zeit, eines Wesens mit dem Vater –, dessen einziger Vater der ewige Vater ist. Wenn auch als Mensch aus der Jungfrau Maria geboren, bleibt er weiterhin der Sohn desselben Vaters, aus dem er vor aller Zeit geboren ist.
So stellt die Jungfräulichkeit Marias in besonderer Weise die Tatsache heraus, dass der von ihr durch den Heiligen Geist empfangene Sohn der Sohn Gottes ist. Nur Gott ist sein Vater. Das traditionelle Bild, das Maria mit dem Jesuskind im Arm und Josef nicht neben ihr darstellt, ist eine wortlose, aber beständige Bekräftigung ihrer jungfräulichen Mutterschaft und deshalb auch der Gottheit des Sohnes. Dieses Bild könnte deshalb das Bild der Gottheit Christi genannt werden. Wir finden es bereits am Ende des 2. Jahrhunderts in einem Fresko der römischen Katakomben und danach in unzähligen Wiedergaben. Besonders ausdrucksvoll wird es mit künstlerischer und gläubiger Hand auf den byzantinischen und russischen Ikonen dargestellt, die an die reinsten Quellen des Glaubens anknüpfen: die Evangelien und die Tradition der Urkirche.
4. Lukas gibt die Worte des Engels wieder, der die Geburt Jesu durch das Werk des Heiligen Geistes ankündigt: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“ (Lk 1,35). Der Geist, von dem der Evangelist spricht, ist der Geist, „der lebendig macht“. Es handelt sich nicht nur um den „Lebensatem“, der allen Lebewesen eigen ist, sondern um das Leben Gottes selbst: das göttliche Leben.
Der Heilige Geist, der in Gott als Atem der Liebe ist – absolutes (nicht geschaffenes) Geschenk der göttlichen Personen –, wirkt in der Menschwerdung des Wortes als Atem dieser Liebe zum Menschen: zu Jesus selbst, zur menschlichen Natur und zur gesamten Menschheit. In diesem Atem drückt sich die Liebe des Vaters aus, der die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn hingab (vgl. Joh 3,16). Im Sohn ist die Fülle des Geschenks des göttlichen Lebens für die Menschheit.
In der Menschwerdung des Sohnes, des Wortes, offenbart sich also in besonderer Weise der Heilige Geist als der, der „lebendig macht“.
5. In der Enzyklika Dominum et vivificantem nannte ich es „eine besondere Fülle der Selbstmitteilung des dreieinigen Gottes im Heiligen Geist“ (Nr. 50). Es ist die tiefste Bedeutung der „hypostatischen Union“, einer Formel, die das Denken der Konzilien und der Väter über das Geheimnis der Menschwerdung widerspiegelt, das heißt über Vorstellungen von Natur und Person, wie sie entwickelt und angewandt wurden aufgrund der Erfahrung der Unterscheidung zwischen Natur und Subjekt, die jeder Mensch in sich wahrnimmt. Die Vorstellung von der Personhaftigkeit wurde nie so eindeutig festgehalten und definiert, wie es durch die Konzilien geschah, nachdem die Apostel und die Evangelisten das Geschehen und Geheimnis der Menschwerdung des Wortes „durch den Heiligen Geist“ verkündet hatten.
6. Wir können deshalb sagen, dass der Heilige Geist in der Menschwerdung auch den Grund zu einer neuen Anthropologie legt, die sich an der Größe der menschlichen Natur inspiriert, wie sie in Christus aufleuchtet. Tatsächlich erreicht sie in ihm den Gipfel der Einheit mit Gott, „nachdem er durch den Heiligen Geist empfangen worden war in der Weise, dass ein und dasselbe Subjekt Gottes- und Menschensohn wurde“ (Thomas von Aquin, Summa Theol., III, q. 2, a. 12, ad 3). Für den Menschen war es weder möglich, diesen Gipfel zu übersteigen, noch liegt es im Bereich des menschlichen Denkens, eine engere Einheit mit der Gottheit zu erfassen.
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Liebe Schwestern und Brüder!
Im Glaubensbekenntnis beten wir, dass der Sohn, eines Wesens mit dem Vater, Fleisch angenommen hat durch den Heiligen Geist. Mit dem Geheimnis der Menschwerdung hat sich zu Beginn des Neuen Bundes die Offenbarung des Heiligen Geistes verbunden. Wir haben dies in den vorangegangenen Katechesen gesehen, in denen uns diese Wahrheit in ihren verschiedenen Aspekten illustriert wurde, beginnend von der jungfräulichen Empfängnis Jesu Christi, wie wir bei Lukas in der Verkündigungsgeschichte lesen (vgl. Lk 1,26-38).
In der Menschwerdung des Wortes und Sohnes stellt sich der Heilige Geist in besonderer Weise dar als der, „der das Leben gibt“. In der Enzyklika Dominum et vivificantem habe ich dies die „besondere Fülle der Selbstmitteilung des dreieinigen Gottes im Heiligen Geist“ (Nr. 50) genannt. Es ist die tiefste Bedeutung der „hypostatischen Union“, der Formel, die das Denken der Konzilien und der Väter über das Geheimnis der Menschwerdung widerspiegelt, das heißt über Vorstellungen von Natur und Person, wie sie ausgearbeitet und angewandt wurden aufgrund der Erfahrung der Unterscheidung zwischen Natur und Subjekt, die jeder Mensch in sich wahrnimmt. Die Vorstellung von der Personhaftigkeit wurde nie so eindeutig festgestellt und definiert wie durch die Konzilien.
Wir können also sagen, dass der Heilige Geist in der Menschwerdung auch die Grundlagen für eine neue Anthropologie legt, die sich an der Größe der menschlichen Natur zeigt, die wiederum in Christus aufleuchtet. In ihm erreicht sie in der Tat den Gipfel der Einheit mit Gott. Für den Menschen war es weder möglich, diesen Gipfel zu übersteigen, noch liegt es im Bereich des menschlichen Denkens, eine engere Einheit mit der Gottheit zu erfassen.
Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache sehr herzlich. Mein besonderer Gru gilt den Teilnehmern am zweiten Romseminar des Bistums Hildesheim für Dechanten und Mitarbeiter, einer Gruppe evangelischer Vikare der Landeskirche Württemberg, den Teilnehmern an der von der Kirchenzeitung des Erzbistums Köln organisierten Romreise sowie der Besuchergruppe der Stadtbau-Gesellschaft Amberg. Euch allen wünsche ich einen bereichernden Romaufenthalt.
In diesen Tagen vor dem Pfingstfest erbitte ich Euch die Gaben des Heiligen Geistes und erteile Euch und Euren Angehörigen in der Heimat von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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„Für die Freiheit der Kirche heute in der Welt und in Polen.“
Diese Worte wurden in Jasna Góra am Fest des 3. Mai im Jahr des Millenniums gesprochen. Sie kamen aus der Tiefe eines ungeheuren Schmerzes, aus der Mitte so vieler Leiden und Entbehrungen.
Wir können diese Worte nicht vergessen. Wir können sie jetzt nicht vergessen, während wir Zeugen der Wandlungen in Polen und auch in unseren Bruder- und Nachbarländern sind. Es sind Wandlungen zum Besseren. Die Wandlungen und Veränderungen, die in diesen Ländern vor sich gehen, werden nur von denen recht verstanden, die die Qualen, die Diskriminierungen, die Verfolgungen, den Kerker und den Gulag erlebt haben.
Gerade in jener Zeit wurden die Worte des Primas des Millenniums gesprochen, die lauteten: „Wir stellen uns als Knechte voll und ganz in deinen Dienst, Mutter, für die Freiheit der Kirche heute in der Welt und in Polen.“
Diese Worte kann man nicht vergessen. Nicht auszulöschen ist auch das Paradox: die „Knechtschaft unter der Mutter“ als Preis der menschlichen Gewissensfreiheit, als Preis der Religionsfreiheit, der Freiheit für die Kirche, die Person und die Gesellschaft.
Der Primas des Millenniums, der damals diese Worte sprach, hat ihren tiefsten Inhalt und ihre Bedeutung mit ins Grab genommen.
Indem wir nach Jasna Góra pilgern, um für all das zu danken, was sich zum Besseren wendet – das heißt, dass man verstanden hat, dass der Geist und das Gewissen der Menschen nicht versklavt werden können –, fahren wir zugleich fort, für all jene zu bitten, denen die Religionsfreiheit noch verweigert wird und die um ihrer religiösen Überzeugungen willen leiden.
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