JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 5. Dezember 1990
1. Wenn der Heilige Geist die Seele der Kirche ist entsprechend der christlichen, in der Lehre Christi und der Apostel gründenden Überlieferung, wie wir in den vorhergegangenen Katechesen gesehen haben, müssen wir sogleich hinzufügen, daß der heilige Paulus, wenn er die Kirche mit dem menschlichen Leib vergleicht, mit Nachdruck betont: „Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen … und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt“ (1 Kor 12,13). Wenn die Kirche wie ein Leib und der Heilige Geist gleichsam dessen Seele ist, das heißt der Ursprung seines göttlichen Lebens, und wenn der Geist andererseits am Pfingsttag den Anfang der Kirche wirkte, indem er auf die Urgemeinde in Jerusalem (vgl. Apg 1,13) herabkam, so ist er von jenem Tag an und für die neuen, späteren Generationen, die sich in die Kirche eingliedern, Ursprung und Quelle der Einheit, wie es die Seele im menschlichen Leib ist.
2. Sagen wir gleich, daß es sich gemäß den Texten des Evangeliums und des heiligen Paulus um eine Einheit in der Vielfalt handelt. Der Apostel bringt das im ersten Brief an die Korinther klar zum Ausdruck: „Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: so ist es auch mit Christus“ (1 Kor 12,12).
Nach dieser ontologischen Einleitung über die Einheit des Corpus Christi versteht man die Mahnung, die wir im Brief an die Epheser finden: „Bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden“ (Eph 4,3). Wie man sieht, handelt es sich nicht um eine mechanische Einheit, ebenso wenig um eine rein organische (wie die eines Lebewesens), sondern um eine geistliche Einheit, die eine ethische Verpflichtung mit sich bringt. Tatsächlich ist nach Paulus der Frieden die Frucht der Versöhnung durch das Kreuz Christi: „Durch ihn haben wir beide in dem einen Geist Zugang zum Vater“ (Eph 2,18). Der Ausdruck „beide“ in diesem Text bezieht sich auf die bekehrten Juden und Heiden, deren Versöhnung mit Gott der Apostel hervorhebt und ausführlich beschreibt, denn Gott machte alle zu einem Volk und einem Leib in einem Geist (vgl. Eph 2,11-18). Aber die Worte gelten für alle Völker, Nationen und Kulturen, aus denen die an Christus Glaubenden kommen. Von allen kann man mit dem heiligen Paulus das sagen, was man weiter in diesem Text liest: „Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Schlußstein ist Christus Jesus selbst. Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. Durch ihn werdet auch ihr im Geist zu einer Wohnung Gottes erbaut“ (Eph 2,19-22).
3. „Durch ihn [Christus] wird der ganze Bau zusammengehalten.“ Es gibt also eine Dynamik der Einheit der Kirche, die auf eine immer vollere Teilhabe an der trinitarischen Einheit Gottes selbst abzielt. Die Einheit der kirchlichen Gemeinschaft ähnelt der trinitarischen Gemeinschaft, dem unendlichen Höhepunkt, der zu allen Zeiten anzustreben ist. Zu Beginn der Messfeier werden die Gläubigen in der nach dem Konzil erneuerten Liturgie mit den Worten des Paulus begrüßt: „Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen“ (2 Kor 13,13). Sie schließen die Wahrheit der Einheit im Heiligen Geist als Einheit der Kirche ein, die der heilige Augustinus so kommentierte: „Die Gemeinschaft der Einheit der Kirche … ist beinahe ein eigenes Werk des Heiligen Geistes unter der Mitbeteiligung des Vaters und des Sohnes, denn der Geist selbst ist in gewisser Weise die Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes (…). Der Vater und der Sohn besitzen gemeinsam den Heiligen Geist, denn der Geist ist von beiden“ (Sermo 71, 20.33: PL 38, 463-464).
4. Dieser Begriff der trinitarischen Einheit im Heiligen Geist ist eine Grundlage der Ekklesiologie als Quelle der Einheit der Kirche in Form der „Gemeinschaft“, wie das Zweite Vatikanische Konzil wiederholt bekräftigt. Wir zitieren hier die abschließenden Worte von Nr. 4 der Konstitution Lumen Gentium, die dem heiligmachenden Geist der Kirche gewidmet ist, wo ein bekannter Text des heiligen Cyprian von Karthago (De Orat. Dominica, 23: PL 4, 536) wiederholt wird: „So erscheint die ganze Kirche als ,das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk’“ (Lumen Gentium, Nr. 4; vgl. 9; Gaudium et Spes, Nr. 24; Unitatis redintegratio, Nr. 2).
5. Man muß betonen, daß die kirchliche „Gemeinschaft“ durch das unmittelbare und ständige „Bleiben in der Einheit“ zum Ausdruck kommt, gemäß der Empfehlung von Paulus, die wir gehört haben, unabhängig von der vielfältigen Pluralität und Unterschiedlichkeit zwischen den Menschen, ethnischen Gruppen, Nationen und Kulturen. Der Heilige Geist, Quelle dieser Einheit, lehrt gegenseitiges Verständnis und Verzeihen (oder wenigstens Toleranz), indem er allen den geistlichen Reichtum des einzelnen zeigt; er lehrt die gegenseitige Austeilung der jeweiligen geistlichen Gaben, deren Ziel es ist, die Menschen zu einen und nicht untereinander zu entzweien. Der Apostel sagt: „Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“ (Eph 4,4-5). Auf geistlicher und ethischer Ebene, aber mit tiefem Widerschein auf die psychologische und gesellschaftliche Ebene, ist die einende Kraft vor allem die ungeteilte und nach dem Gebot Christi geübte Liebe: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34; 15,12). Nach dem heiligen Paulus ist diese Liebe die höchste Gabe des Heiligen Geistes (vgl. 1 Kor 13,13).
6. Leider wird diese Einheit im und vom Heiligen Geist, die dem Leib Christi eigen ist, durch die Sünde angefochten. So geschah es, daß im Laufe der Jahrhunderte die Christen nicht wenige Spaltungen erfahren haben, darunter einige sehr schwere und andauernde. Diese Spaltungen lassen sich erklären, aber nicht rechtfertigen**,** durch die Schwächen und Beschränkungen, die der verletzten menschlichen Natur innewohnen, die bestehen bleibt und sich auch in den Gliedern der Kirche und in ihren Häuptern selbst deutlich zeigt. Es ist die vom Zweiten Vatikanischen Konzil im Dekret Unitatis redintegratio über den Ökumenismus ausgesprochene Überzeugung, die erkennt: „Unter dem Wehen der Gnade des Heiligen Geistes gibt es heute in vielen Ländern auf Erden Bestrebungen, durch Gebet, Wort und Werk zu jener Fülle der Einheit zu gelangen, die Jesus Christus will“ (Unitatis redintegratio, Nr. 4). Unum corpus, unus Spiritus. Das ehrliche Streben nach dieser Einheit im Leib Christi entspringt dem Heiligen Geist und kann nur durch sein Werk zur vollen Verwirklichung des Ideals der Einheit führen.
7. Aber in der Kirche bewirkt der Heilige Geist außer der Einheit der Christen die universale Öffnung zur gesamten Menschheitsfamilie hin, und er ist Quelle der universalen Gemeinschaft. Dieser auserlesenen und tiefen Quelle entspringt auf religiöser Ebene die Missionstätigkeit der Kirche von der Zeit der Apostel an bis in unsere Zeiten. Die Überlieferung der Väter bestätigt, daß von den ersten Jahrhunderten an die Mission mit Aufmerksamkeit und Verständnis für jene „Samen des Wortes“ (Semina Verbi) ausgeübt wurde, die in den verschiedenen nichtchristlichen Kulturen und Religionen enthalten sind, denen das letzte Konzil ein entsprechendes Dokument gewidmet hat (Nostra aetate: vgl. besonders Nr. 2 in Bezug auf die alten Väter, unter ihnen der heilige Justinus, Apologia, 10; vgl. auch Ad gentes, Nr. 15; Gaudium et Spes, Nr. 22). Und dies, weil der Geist, der „weht, wo er will“ (vgl. Joh 3,8), Quelle der Inspiration für alles Wahre, Gute und Schöne ist, entsprechend dem herrlichen Ausspruch eines unbekannten Autors aus der Zeit Papst Damasus’ (366–384), der bestätigt: „Jede Wahrheit, von wem auch immer gesprochen, kommt vom Heiligen Geist“ (vgl. PL 191, 1651). Der heilige Thomas, der in seinen Werken diesen schönen Text mehrmals zu wiederholen liebt, kommentiert ihn in der Summa Theol.: „Welche Wahrheit auch immer, von wem auch immer gesprochen, kommt vom Heiligen Geist, der das natürliche Licht [des Verstandes] eingibt und dazu anregt, die Wahrheit zu verstehen und auszudrücken.“ Thomas von Aquin fährt fort: Der Geist tritt dann mit der Gnadengabe ein, die der Natur hinzugefügt wird, wenn es sich darum handelt, „gewisse Wahrheiten zu erkennen und auszudrücken, besonders die Glaubenswahrheit, auf die sich der Apostel bezieht, wenn er bekräftigt, daß ,keiner sagen kann: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet’ (1 Kor 12,3)“ (I-II, q. 109, a. 1, ad 1). Ihren ganzen Reichtum an Wahrheit aufzunehmen und aufscheinen zu lassen, ebenso die im Geflecht der Kulturen vorhandenen Werte, ist eine grundlegende Aufgabe der Missionstätigkeit, die in der Kirche genährt wird vom Geist der Wahrheit, der als Liebe zur volleren Erkenntnis in der Nächstenliebe führt.
8. Es ist der Heilige Geist, der sich selbst in die Kirche eingießen läßt als Liebe und heilbringende Kraft, die danach strebt, alle Menschen und die ganze Schöpfung zu erreichen.
Diese Kraft der Liebe endet damit, daß sie die Widerstände überwindet, obwohl sie - wie wir aus der Erfahrung und der Geschichte wissen - unaufhörlich gegen die Sünde ankämpfen muß, und gegen alles, was im Menschen der Liebe entgegensteht, das heißt Egoismus, Haß, Mißgunst und Zerstörung. Aber der Apostel versichert uns, daß „die Liebe aufbaut“ (vgl. 1 Kor 8,1). Von der Liebe wird auch das Aufbauen der immer neuen und immer alten Einheit abhängen.
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Liebe Brüder und Schwestern!
Gemäß ältester christlicher Überlieferung, die auf die Verkündigung Jesu selbst und die Lehre der Apostel gründet, ist der Heilige Geist die Kraft, die die Kirche in ihrem Innersten beseelt. Doch müssen wir mit Paulus, wenn er den Leib der Kirche mit einem menschlichen Körper vergleicht, sofort hinzufügen, daß wir alle durch den einen Geist in der Taufe in einen einzigen Leib aufgenommen und alle mit dem einen Geist getränkt wurden (vgl. 1 Kor 12,13).
Wenn die Kirche wie ein Körper ist und der Heilige Geist gleichsam dessen Seele, also das Prinzip seines göttlichen Lebens,, wenn der Geist am Pfingsttag den Anfang der Kirche gewirkt hat, als er auf die versammelten Apostel herabkam (vgl. Apg 1,13), so ist er seit jenem Tag und von da an für alle Zeiten das Prinzip und die Quelle der Einheit, so wie es die Seele für den Körper ist.
Freilich, so wollen wir gleich ergänzen, nach den Texten der Evangelien und des heiligen Paulus handelt es sich dabei um eine Einheit in Vielfalt. Das bringt der Apostel im ersten Korintherbrief deutlich zum Ausdruck, wenn er schreibt: „Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: so ist es auch mit Christus“ (1 Kor 12,12).
Der Heilige Geist ist es, der selbst die ganze Kirche mit heilender Kraft in Liebe durchwirkt, der alle Menschen zu erreichen sucht, ja alles Geschaffene. Diese Kraft der Liebe zielt darauf, die Widerstände zu überwinden, auch dann, wenn sie – wie wir aus der geschichtlichen Erfahrung wissen – in dauerndem Kampf stehen muß, mit der Sünde und all dem, was im Menschen der Liebe entgegensteht: Egoismus, Haß, Mißgunst und Zerstörung. Doch Paulus versichert uns, daß allein die Liebe die Kraft hat, stets neu aufzubauen (vgl. 1 Kor 8,1).
Doch Paulus versichert uns, daß allein die Liebe die Kraft hat, stets neu aufzubauen. Mit dieser Betrachtung grüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Ein besonderer Willkommensgruß gilt der Pilgergruppe aus der Pfarrei ”Zur Erhöhung des Heiligen Kreuzes“ aus Verdins in der Diözese Bozen-Brixen.
Euch, liebe Schwestern und Brüder, Euren liebe Angehörigen daheim sowie allen, die uns über Rundfunk und Fernsehen verbunden sind, erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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1. „Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden. Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt“ (Lk 3,4-6; vgl. Jes 40,3-5).
Durch die Jahrhunderte läuft dieser Ruf des Propheten Jesaja. Er kommt aus der Tiefe des Alten Bundes. Er hallt wider am Jordan, wo Johannes eine Taufe zur Umkehr predigte. Er kehrt jedes Jahr im Advent wieder, wenn wir uns auf das Kommen Gottes in der Menschwerdung vorbereiten.
„Bereitet dem Herrn den Weg.“
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2. Vor dir, liebe Frau von Jasna Góra, Mutter unseres Advents, denke ich mit meinen Landsleuten über diese prophetischen Worte nach.
Sie sind besonders aktuell für die Gesellschaft, die in sich die Spuren von fünfzig schweren Jahren trägt. Jahre, die viele Wege des menschlichen Daseins verzerrt haben. Sie lasteten auf dem Bewusstsein und Verhalten. Sie verformten auch die Gewissen.
Was heißt für uns „den Weg bereiten“? Was bedeutet, „was krumm ist, gerade machen, was uneben ist, zum ebenen Weg machen“?
Auf wie viele Bereiche unseres Lebens und unseres Zusammenlebens beziehen sich diese Worte?
3. Zu Recht schenkt man der neuen Gesetzgebung große Beachtung. Das Gesetz ist gewiß die Grundbedingung der Gesellschaftsordnung. Entsprechend der Definition von Thomas von Aquin kommt im Gesetz die Sorge um das Gemeinwohl zum Ausdruck. Das Gemeinwohl bedingt das Wohl der jeweiligen Bürger und umfaßt es zugleich im Maß des Wohls aller. Das Gesetz ist ein Ausdruck der Sorge, der aufrichtigen Sorge all jener Instanzen und Personen, denen die Gesellschaft die angemessene Gewalt anvertraut hat.
Dieses von den Menschen festgelegte Gesetz macht nur dann „gerade, was krumm ist“, wenn in ihm das moralische Gesetz zum Ausdruck kommt, das höher steht als alle menschlichen Vorschriften. Mehr noch, es entscheidet gerade über den Wert jedes Gesetzes, inwieweit es Gesetz ist.
Die dem moralischen Gesetz entgegenstehende menschliche Vorschrift verliert jede eigene Kraft. Sie gereicht sogar zum Schaden, manchmal in unberechenbarem Maß. Anstatt das, „was krumm ist, gerade zu machen“, führt sie abseits vom Weg. Deshalb ist sie verantwortlich für die Verformung der Gewissen, denn die Einzelpersonen werden gedrängt, das für „moralisch“ zu halten, was „gesetzlich“ ist.
4. Zusammen mit den Pilgern aus der Heimat bitte ich dich, Mutter von Jasna Góra, an der Schwelle unseres Advents für die polnischen Gesetzgeber um Klugheit und Unerschrockenheit und für alle Landsleute um die Liebe zum wahren Guten, das die Grundlage der gesellschaftlichen Erneuerung ist. Daß ihnen nicht die Kraft des Geistes dazu fehle, „was krumm ist, gerade zu machen“.
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