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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 11. September 1991

DE  - ES  - IT

1. Die Kirche, nach dem ewigen Plan des Vaters als Reich Gottes und seines Sohnes Jesus Christus, des fleischgewordenen Wortes, gewollt und grundgelegt, verwirklicht sich in der Welt als eine geschichtliche Tatsache; in ihrem Ursprung und, man kann sagen, im Laufe ihrer ganzen Geschichte ist sie zweifellos von Geheimnis umhüllt und von Wundern begleitet, dennoch gehört sie in den Bereich der feststellbaren, erfahrbaren und dokumentierbaren Tatsachen.

Unter diesem Aspekt nimmt die Kirche ihren Anfang mit der Gruppe der zwölf Jünger, die Jesus selbst unter der großen Schar seiner Anhänger auswählt (vgl. Mk 3,13-19; Joh 6,70; Apg 1,2) und die Apostel genannt werden (vgl. Mt 10,1-5; Lk 6,13). Jesus ruft sie, formt sie in besonderer Weise und sendet sie schließlich in die Welt als Zeugen und Verkünder seiner Botschaft, seines Leidens und Sterbens und seiner Auferstehung; somit sind sie Gründer der Kirche als Reich Gottes, die dennoch immer ihr Fundament in ihm, Christus, hat (vgl. 1 Kor 3,11; Eph 2,20).

Nach der Himmelfahrt schart sich eine Gruppe von Jüngern um die Apostel und Maria in Erwartung des von Jesus verheißenen Heiligen Geistes. Angesichts der „Verheißung des Vaters”, die, während sie bei Tisch saßen, wiederum von Jesus verkündet wurde – eine Verheißung, die eine „Taufe im Heiligen Geist” betraf (Apg 1,4-5) –, fragten sie den auferstandenen Meister: „Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?” (Apg 1,6). Offensichtlich wirkten sich auf ihre Psyche noch die Hoffnungen auf ein messianisches Reich aus, das in der zeitlichen Wiederherstellung des Reiches Davids bestand und von Israel erwartet wurde (vgl. Mk 11,10; Lk 1,32-33). Jesus hatte ihnen diese Erwartung ausgeredet und die Verheißung wiederholt: „Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird, und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde” (Apg 1,8).

2. Am Pfingsttag, der ursprünglich das Fest der Ernte (vgl. Ex 23,16) und für Israel auch das Fest der Bundeserneuerung geworden war (vgl. 2 Chr 15,10-13), erfüllt sich die Verheißung Christi in der bekannten Weise: Unter dem Wirken des Heiligen Geistes wird die Gruppe der Apostel und Jünger gestärkt, und um sie scharen sich die ersten, die sich durch die Verkündigung der Apostel und besonders des Petrus bekehrt hatten. So beginnt das Wachstum der ersten Christengemeinde (Apg 2,41), und die Kirche von Jerusalem wird gegründet (vgl. Apg 2,42-47); sie vergrößert sich rasch und breitet sich auch auf andere Städte, Gebiete, Nationen – bis nach Rom! – aus, sei es durch die eigene, innere Dynamik, die ihr vom Heiligen Geist eingeprägt wurde, sei es durch die Umstände, die die Christen zwingen, aus Jerusalem und Judäa zu fliehen und sich in verschiedenen Orten zu verbreiten, sei es durch den Eifer, mit dem besonders die Apostel den Sendungsauftrag Christi zur weltweiten Evangelisierung ausführen wollen.

Das ist die geschichtliche Tatsache des Anfangs, von Lukas in der Apostelgeschichte beschrieben und von anderen christlichen und nichtchristlichen Texten bestätigt, die die Verbreitung des Christentums und die Existenz der verschiedenen Kirchen im ganzen Mittelmeerraum und darüber hinaus innerhalb der letzten Jahrzehnte des ersten Jahrhunderts n. Chr. dokumentieren.

3. Im geschichtlichen Erscheinungsbild dieser Tatsache ist das geheimnisvolle Element der Kirche enthalten, von dem das II. Vatikanische Konzil spricht, wenn es schreibt: „Um den Willen des Vaters zu erfüllen, hat Christus das Reich der Himmel auf Erden begründet, uns sein Geheimnis offenbart und durch seinen Gehorsam die Erlösung gewirkt. Die Kirche, das heißt das im Mysterium schon gegenwärtige Reich Christi, wächst durch die Kraft Gottes sichtbar in der Welt” (Lumen Gentium, Nr. 3). Diese Worte sind die Zusammenfassung der vorausgegangenen Katechese über den Beginn des Reiches Gottes auf Erden, in Christus und durch Christus, und sie deuten gleichzeitig darauf hin, dass die Kirche von Christus ins Leben gerufen wurde, damit dieses Reich in ihr und durch sie fortdauere und sich entfalte im Laufe der Geschichte des Menschen auf Erden.

Jesus Christus, der vom Beginn seiner messianischen Sendung an die Bekehrung verkündete und zum Glauben aufrief: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!” (Mk 1,15), hat den Aposteln und der Kirche den Auftrag gegeben, die Menschen in der Einheit dieses Glaubens zu sammeln und sie einzuladen, in die von ihm gegründete Gemeinschaft des Glaubens einzutreten.

4. Die Gemeinschaft des Glaubens ist zugleich eine Gemeinschaft des Heils. Jesus wiederholte mehrmals: „Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist” (Lk 19,10). Er wusste und erklärte von Anfang an, dass es seine Sendung war, „den Armen eine gute Nachricht zu bringen, den Gefangenen die Entlassung zu verkünden und den Blinden das Augenlicht” (vgl. Lk 4,18). Er wusste und sagte, dass er vom Vater als der Retter gesandt worden war (vgl. Joh 3,17; 12,47). Von daher kommt seine besondere Sorge um die Armen und die Sünder.

Folglich sollte auch seine Kirche als eine Gemeinschaft des Heils entstehen und sich entwickeln. Dies unterstreicht das II. Vatikanische Konzil im Dekret Ad gentes: „Was aber vom Herrn ein für allemal verkündet oder in ihm für das Heil des Menschengeschlechts getan worden ist, muss ausgerufen und ausgesät werden bis ans Ende der Erde (Apg 1,8), beginnend von Jerusalem aus (vgl. Lk 24,47). So soll, was einmal für alle zum Heil vollzogen worden ist, in allen im Ablauf der Zeiten seine Wirkung erlangen” (Ad gentes, Nr. 3). Auf dieser Notwendigkeit der Heilsausdehnung, die im Evangelium und in der Apostelgeschichte zum Ausdruck kommt, beruhen die Sendung und die Missionen der Kirche in der gesamten Welt.

5. Die Apostelgeschichte bestätigt uns, dass in der Urkirche, der Gemeinde von Jerusalem, ein eifriges Gebetsleben herrschte und dass die Christen sich zum „Brechen des Brotes” versammelten (Apg 2,42 f.): ein Wort, das im christlichen Sprachgebrauch die Bedeutung einer anfänglichen Eucharistiefeier hatte (vgl. 1 Kor 10,16; 11,24; Lk 22,19; usw.).

Tatsächlich hatte Jesus gewollt, dass seine Kirche die Gemeinschaft des Gottesdienstes im Geist und in der Wahrheit ist. Dies war die neue Bedeutung des von ihm gelehrten Gottesdienstes: „Aber die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden” (Joh 4,23). Das hatte Jesus im Gespräch mit der Samariterin gesagt. Aber dieser Gottesdienst im Geist und in der Wahrheit schloss den sichtbaren Aspekt nicht aus, schloss folglich die liturgischen Zeichen und Riten nicht aus, zu denen sich die ersten Christen sowohl im Tempel (vgl. Apg 2,46) als auch in den Häusern (vgl. Apg 2,46; 12,12) versammelten. Jesus selbst hatte im Gespräch mit Nikodemus auf den Taufritus angespielt: „Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen” (Joh 3,5). Es war das erste Sakrament der neuen Gemeinschaft, in der die Wiedergeburt aus dem Heiligen Geist und der Eintritt in das Reich Gottes erfolgte, unter dem Zeichen des sichtbaren Ritus der Waschung mit Wasser (vgl. Apg 2,38.41).

6. Der Höhepunkt des neuen Gottesdienstes – im Geist und in der Wahrheit – war die Eucharistie. Die Einsetzung dieses Sakramentes war der Kernpunkt in der Formung der Kirche. In Bezug auf das Paschamahl Israels hatte Jesus es als ein Mahl vorgefasst und verwirklicht, in dem er sich unter den Gestalten von Speise und Trank – Brot und Wein – schenkte, den Zeichen des Mitteilens seines göttlichen Lebens, des ewigen Lebens, mit den Mahlteilnehmern. Der heilige Paulus bringt den kirchlichen Aspekt der Teilhabe an der Eucharistie gut zum Ausdruck, als er an die Korinther schreibt: „Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot” (1 Kor 10,16-17).

Die Kirche verstand von Anfang an, dass die Einsetzung des Sakramentes beim letzten Abendmahl die Einführung der Christen in die Mitte des Reiches Gottes selbst bedeutete, das Christus durch seine erlösende Menschwerdung in der Geschichte des Menschen begonnen und errichtet hatte. Die Christen wussten von Anfang an, dass dieses Reich in der Kirche besonders durch die Eucharistie andauert. Und sie war und ist als Sakrament der Kirche auch der Höhepunkt jenes Gottesdienstes im Geist und in der Wahrheit, den Jesus im Gespräch mit der Samariterin erwähnt hatte. Das Sakrament der Eucharistie war und ist gleichzeitig ein Ritus, den Jesus eingesetzt hatte, damit er von der Kirche gefeiert wird. Denn beim letzten Abendmahl hatte er gesagt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis” (Lk 22,19; vgl. 1 Kor 11,24-25). Es sind Worte, die am Vorabend des Leidens und Sterbens am Kreuz gesprochen wurden, im Laufe einer Rede an die Apostel, in der Jesus sie unterwies und auf seinen Opfertod vorbereitete. Sie verstanden seine Worte in diesem Sinn. Die Kirche zog daraus die Lehre und Praxis der Eucharistie als unblutige Erneuerung des Kreuzesopfers. Dieser grundlegende Aspekt des eucharistischen Sakramentes wurde vom heiligen Thomas von Aquin in der bekannten Antiphon ausgedrückt: „O sacrum convivium, in quo Christus sumitur, recolitur memoria passionis eius” („O heiliges Gastmahl, in dem Christus empfangen wird, Erinnerung an das Leiden!”); und er fügte hinzu, was die Eucharistie in den Teilnehmern des heiligen Mahls bewirkt, entsprechend der Verkündigung Jesu über das ewige Leben: „mens impletur gratia, et futurae gloriae nobis pignus datur” („Die Seele wird mit Gnade erfüllt, und uns wird das Unterpfand künftiger Herrlichkeit gegeben!”).

7. Das II. Vatikanische Konzil fasst die Lehre der Kirche über diesen Punkt wie folgt zusammen: „Sooft das Kreuzesopfer, in dem Christus, unser Osterlamm, dahingegeben wurde (1 Kor 5,7), auf dem Altar gefeiert wird, vollzieht sich das Werk unserer Erlösung. Zugleich wird durch das Sakrament des eucharistischen Brotes die Einheit der Gläubigen, die einen Leib in Christus bilden, dargestellt und verwirklicht (1 Kor 10,17)” (Lumen Gentium, Nr. 3).

Wie das Konzil lehrt, ist das letzte Abendmahl der Augenblick, in dem Christus durch die Vorwegnahme seines Kreuzestodes und seiner Auferstehung den Anfang der Kirche setzt: Die Kirche wird mit der Eucharistie geboren, denn sie ist „zu dieser Einheit mit Christus gerufen, der das Licht der Welt ist: Von ihm kommen wir, durch ihn leben wir, zu ihm streben wir hin” (Lumen Gentium, Nr. 3). Das ist Christus vor allem in seinem Erlösungsopfer. Da verwirklicht er voll die einmal gesprochenen Worte: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele” (Mk 10,45; Mt 20,28). Er verwirklicht dann den ewigen Plan des Vaters, nach dem Christus sterben sollte, „um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln” (Joh 11,51-52). Und deshalb ist Christus im Kreuzesopfer der Mittelpunkt der Einheit der Kirche, wie er gesagt hatte: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen” (Joh 12,32). Christus im Kreuzesopfer, das auf dem Altar erneuert wird, bleibt die ewige Mitte, die die Kirche zeugt und in der die Menschen berufen sind, an seinem ewigen Leben teilzuhaben, um eines Tages zur Teilhabe an seiner ewigen Herrlichkeit zu gelangen. „Et futurae gloriae nobis pignus datur.”

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Liebe Schwestern und Brüder!

Die Kirche ist nach dem ewigen Plan des Vaters als Reich Gottes und des in seinem Sohn Jesus Christus Fleisch gewordenen Wortes gewollt und gegründet, und dennoch bildet sie in der Welt eine geschichtliche Realität. Unter diesem Gesichtspunkt ist ihr Ursprung mit der Gruppe der zwölf Jünger verbunden, die Jesus selbst aus seinen zahlreichen Anhängern ausgewählt hat und die Apostel genannt werden. Jesus hat sie berufen, er hat sie in besonderer Weise unterwiesen und sie schließlich in die Welt gesandt als Verkünder seiner Botschaft und als Zeugen seines Leidens und Sterbens und seiner Auferstehung; so wurden sie Gründer der Kirche als Reich Gottes, die dennoch ihr Fundament in Christus selbst hat.

Am Pfingsttag erfüllt sich dann die Verheißung Jesu: „Ihr werdet den Heiligen Geist empfangen, der auf euch herabkommen wird, und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde” (Apg 1,8). Durch das Handeln des Geistes werden die Jünger gestärkt, und die ersten Bekehrten schließen sich ihnen an. So beginnt das Wachstum der Kirche, die sich über Jerusalem hinaus ausweitet, durch ihre innere Kraft und vor allem durch den Eifer der Apostel, die den von Christus empfangenen Auftrag zur Evangelisierung aller Völker erfüllen. Durch sie verbreitet sich der Ruf Jesu Christi, der von Beginn seiner messianischen Sendung an zu Umkehr und zum Glauben aufgerufen hat: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium” (Mk 1,15). Den Aposteln und der ganzen Kirche hat der Herr die Aufgabe anvertraut, die Menschen in der Einheit dieses Glaubens zusammenzuführen und sie einzuladen, in die von ihm gegründete Gemeinschaft des Glaubens einzutreten.

Mit dieser kurzen Betrachtung richte ich einen herzlichen Willkommensgruß an die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Mein besonderer Gruß gilt der Gruppe der Pfarrbrief-Redakteure aus der Erzdiözese Köln sowie den Schülern des Katholischen Clara Fey-Gymnasiums in Bonn.

Euch allen, Euren lieben Angehörigen daheim sowie den uns über Radio Vatikan und Fernsehen verbundenen Gläubigen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.