JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 6. November 1991
1. Wir können auch diese Katechese nach dem Programm und der Methode, die wir uns vorgenommen haben, mit der Lesung eines Abschnittes aus der Konzilskonstitution Lumen Gentium beginnen, der lautet: „Gott hat es aber gefallen, die Menschen nicht einzeln, unabhängig von aller wechselseitigen Verbindung, zu heiligen und zu retten, sondern sie zu einem Volk zu machen, das ihn in Wahrheit anerkennen und ihm in Heiligkeit dienen soll. So hat er … mit ihm einen Bund geschlossen und es Stufe für Stufe unterwiesen. Dies tat er, indem er sich und seinen Heilsratschlus in dessen Geschichte offenbarte und sich dieses Volk heiligte” (Lumen Gentium, Nr. 9). Gegenstand der voraufgegangenen Katechese war dieses Gottesvolk des Alten Bundes. Aber das Konzil fügt gleich hinzu: „Dies alles aber wurde zur Vorbereitung und zum Vorausbild jenes neuen und vollkommenen Bundes, der in Christus geschlossen wurde, und der volleren Offenbarung, die durch das Wort Gottes selbst in seiner Fleischwerdung übermittelt werden sollte” (Lumen Gentium, Nr. 9). Der ganze zitierte Abschnitt aus der Konzilskonstitution über die Kirche findet sich zu Beginn des II. Kapitels unter dem Titel „Das Volk Gottes”. Denn nach der Lehre des Konzils ist die Kirche das Volk Gottes des Neuen Bundes. Es ist der bereits von Petrus an die ersten christlichen Gemeinden weitergegebene Gedanke: „Einst wart ihr nicht sein Volk, jetzt aber seid ihr Gottes Volk” (1 Petr 2,10).
2. In ihrer geschichtlichen Wirklichkeit und in ihrem theologischen Geheimnis geht die Kirche aus dem Volk Gottes des Alten Bundes hervor. Wenn auch mit dem Namen qahal (Versammlung) bezeichnet, geht aus dem Neuen Testament doch klar hervor, dass es das Volk Gottes ist, durch Christus und kraft des Heiligen Geistes in neuer Weise gebildet.
Der heilige Paulus schreibt im 2. Brief an die Korinther: „Wir sind doch der Tempel des lebendigen Gottes; denn Gott hat gesprochen: Ich will unter ihnen wohnen und mit ihnen gehen. Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein” (2 Kor 6,16). Das Volk Gottes wird auf neue Weise gebildet, denn zu ihm gehören alle an Christus Glaubenden, „ohne Unterschied” zwischen den Juden und den Nichtjuden (vgl. Apg 15,9). Petrus sagt es klar in der Apostelgeschichte und berichtet, „dass Gott selbst zuerst eingegriffen hat, um aus den Heiden ein Volk für seinen Namen zu gewinnen” (Apg 15,14). Und Jakobus erklärt: „Damit stimmen die Worte der Propheten überein” (Apg 15,15).
Eine weitere Bestätigung dieser Betrachtungsweise liefert Paulus während seines ersten Aufenthaltes in der heidnischen Stadt Korinth, als er die Worte Christi hört: „Fürchte dich nicht! Rede nur … Viel Volk nämlich gehört mir in dieser Stadt” (Apg 18,9-10). In der Geheimen Offenbarung wird am Ende verkündet: „Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein” (Offb 21,3).
Aus all dem geht das Bewusstsein hervor, das die Kirche von Anfang an in Bezug auf die Kontinuität und gleichzeitige Neuheit der eigenen Wirklichkeit als Volk Gottes hat.
3. Bereits im Alten Testament hatte Israel es einer Erwählung und einer göttlichen Initiative zu verdanken, dass es das Volk Gottes war. Es war jedoch auf eine einzige Nation beschränkt. Das neue Volk Gottes übersteigt diese Grenze. Es umfasst Menschen aller Nationen, Sprachen und Rassen. Es hat universalen, das heißt katholischen Charakter. Das Konzil sagt: „Diesen neuen Bund hat Christus gestiftet, das Neue Testament nämlich in seinem Blut (vgl. 1 Kor 11,25). So hat er sich aus Juden und Heiden ein Volk berufen, das nicht dem Fleische nach, sondern im Geiste zur Einheit zusammenwachsen und das neue Gottesvolk bilden sollte” (Lumen Gentium, Nr. 9). Das Fundament dieser Neuheit, die Universalität, ist die von Christus gewirkte Erlösung. Er hat, „um durch sein eigenes Blut das Volk zu heiligen, außerhalb des Tores gelitten” (Hebr 13,12). „Darum musste er in allem seinen Brüdern gleich sein, um ein barmherziger und treuer Hoherpriester vor Gott zu sein und die Sünden des Volkes zu sühnen” (Hebr 2,17).
4. So bildete sich das Volk des Neuen Bundes. Dieser Bund war von den Propheten des Alten Testaments angekündigt worden, insbesondere von Jeremia und Ezechiel. Wir lesen bei Jeremia: „Seht, es werden Tage kommen - Spruch des Herrn -, in denen ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen neuen Bund schließen werde” (Jer 31,31). „Denn das wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließen werde - Spruch des Herrn: Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein” (Jer 31,33).
Der Prophet Ezechiel lässt noch mehr die Aussicht auf eine Ausgießung des Heiligen Geistes durchblicken, in der der Neue Bund seine Erfüllung finden wird: „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch. Ich lege meinen Geist in euch und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt und auf meine Gebote achtet und sie erfüllt” (Ez 36,26-27).
5. Das Konzil schöpft vor allem aus dem ersten Petrusbrief seine Lehre über das Volk Gottes des Neuen Bundes, das Erbe des Volkes Gottes des Alten Bundes ist: „Die an Christus glauben, werden nämlich durch das Wort des lebendigen Gottes (vgl. 1 Petr 1,23) wiedergeboren, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nicht aus dem Fleische, sondern aus dem Wasser und dem Heiligen Geist (vgl. Joh 3,5-6), schließlich gemacht zu ,einem auserwählten Geschlecht, einem königlichen Priestertum …, einem heiligen Stamm, einem Volk der Erwerbung … Die einst ein Nicht-Volk waren, sind jetzt Gottes Volk’ (1 Petr 2,9-10)” (Lumen Gentium, Nr. 9).
Wie man sieht, unterstreicht die Konzilslehre mit Petrus die Kontinuität des Volkes Gottes nach dem des Alten Bundes, hebt aber auch die in gewissem Sinne absolute Neuheit des neuen Volkes hervor, das kraft der Erlösung durch Christus gebildet und durch das Blut des Lammes gerettet (angenommen) wurde.
6. Das Konzil beschreibt diese Neuheit des „messianischen Volkes”, das „zum Haupte Christus [hat], ,der hingegeben worden ist wegen unserer Sünden und auferstanden ist um unseretwillen zur Rechtfertigung’ (Röm 4,25) und jetzt voll Herrlichkeit im Himmel herrscht, da er den Namen über allen Namen erlangt hat. Seinem Stande eignet die Würde und die Freiheit der Kinder Gottes, in deren Herzen der Heilige Geist wie in einem Tempel wohnt. Sein Gesetz ist das neue Gebot (vgl. Joh 13,34), zu lieben, wie Christus uns geliebt hat. Seine Bestimmung endlich ist das Reich Gottes, das von Gott selbst auf Erden grundgelegt wurde, das sich weiter entfalten muss, bis es am Ende der Zeiten von ihm auch vollendet wird, wenn Christus, unser Leben (vgl. Kol 3,4), erscheinen wird und ,die Schöpfung selbst von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes befreit wird’ (Röm 8,21)” (Lumen Gentium, Nr. 9).
Diesem grundlegenden und interessanten Thema werden wir die nächste Katechese widmen.
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Liebe Schwestern und Brüder!
Nach seinem Heilsplan will Gott die Menschen zu einem Volk machen, um sie auf diese Weise zu retten und zu heiligen: Diese Glaubenswahrheit bildete den Inhalt unserer letzten Katechese. Bereits im Alten Testament entstand ein Band ewigen Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel, wie es das Zweite Vatikanische Konzil lehrt und gleichzeitig betont, dass dieses Bündnis durch Christus, das menschgewordene Wort Gottes selber, seiner Vollendung entgegengeht.
Das Volk Gottes des Neuen Bundes, das die Kirche ist und dem alle an Christus Glaubenden angehören, ist nicht mehr auf eine einzige Nation begrenzt, wie Petrus in der Apostelgeschichte berichtet: „… Gott selbst hat zuerst eingegriffen, um aus den Heiden ein Volk für seinen Namen zu gewinnen” (Apg 15,14).
Gestiftet von Christus in seinem Blute (vgl. 1 Kor 11,25), schließt das neue Volk Gottes, die Kirche, alle Nationen, Sprachen und Rassen ein. Es hat einen universalen Charakter, alle umfassend – „katholisch”; in ihm wachsen alle, die an Christus glauben, nicht dem Fleische nach, sondern im Geiste zur Einheit zusammen (vgl. Joh 3,5-6).
Dieses „messianische Volk” (Lumen Gentium, Nr. 9) hat zum Haupt Christus, „der hingegeben worden ist wegen unserer Sünden und auferstanden ist um unseretwillen zur Rechtfertigung” (Röm 4,25). Seinem Stande eignet die Würde und die Freiheit der Kinder Gottes, in deren Herzen der Heilige Geist wie in einem Tempel wohnt. Sein Gesetz ist das neue Gebot (vgl. Joh 13,34), zu lieben, wie Christus uns geliebt hat; seine Bestimmung schließlich ist das Reich Gottes, „das von Gott selbst auf Erden grundgelegt wurde, das sich weiter entfalten muss, bis es am Ende der Zeiten von ihm auch vollendet wird, wenn Christus, unser Leben (vgl. Kol 3,4), erscheinen wird” (Lumen Gentium, Nr. 9).
Am Ende dieser meiner Worte möchte ich dazu einladen, aus der Kraft der göttlichen Gnade danach zu streben, daß wir nicht nur Volk Gottes heißen, sondern es in Wahrheit auch sind. Zugleich begrüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Mein besonderer Gruß gilt den Lesern der Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, den Pilgern der Militärgemeinde Brannenburg / Inn und der Gruppe von österreichischen Ärzten.
Euch allen und Euren lieben Angehörigen in der Heimat sowie den mit uns über Radio und Fernsehen verbundenen Gläubigen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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