JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 27. November 1991
1. Gemäß dem II. Vatikanischen Konzil ist „die Kirche … in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit” (Lumen Gentium, Nr. 1). Diese Lehre, bereits von Anfang an in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche dargelegt, erfordert eine nähere Erläuterung, die wir in der heutigen Katechese durchführen wollen. Wir beginnen mit der Feststellung, dass der soeben zitierte Text über die Kirche als „Sakrament” in der Konstitution Lumen Gentium im ersten Kapitel steht, das den Titel trägt: „Das Mysterium der Kirche” („De Ecclesiae Mysterio”). Es ist deshalb notwendig, die Erklärung für diese Sakramentalität, die der Kirche vom Konzil zuerkannt wird, im Zusammenhang mit dem Geheimnis („mysterium”) zu suchen, wie es im ersten Kapitel der Konstitution zu verstehen ist.
2. Die Kirche ist göttliches Geheimnis, weil sich in ihr der Heilsplan Gottes für die Menschheit verwirklicht, das heißt „das Geheimnis des Reiches Gottes”, offenbart im Wort und im Dasein Christi selbst. Dieses Geheimnis wird von Jesus zuerst den Aposteln offenbart: „Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes anvertraut; denen aber, die draußen sind, wird alles in Gleichnissen gesagt” (Mk 4,11).
Die Bedeutung der Gleichnisse des Reiches, denen wir eine vorhergehende Katechese gewidmet haben, findet bereits ihren ersten grundlegenden Ausdruck in der Menschwerdung und ihre Erfüllung in der Zeitspanne von Ostern des Kreuzes und der Auferstehung Christi bis Pfingsten in Jerusalem, wo die Apostel und Mitglieder der ersten Gemeinde die Taufe des Geistes der Wahrheit erhielten, die sie befähigte, Zeugnis für Christus abzulegen. In der gleichen Zeit nahm das ewige Geheimnis des göttlichen Heilsplans für die Menschheit die sichtbare Form der Kirche, des neuen Volkes Gottes, an.
3. Die paulinischen Briefe bringen es in besonders klarer und wirksamer Weise zum Ausdruck. Denn der Apostel verkündet Christus „gemäß der Offenbarung jenes Geheimnisses, das seit ewigen Zeiten unausgesprochen war” (Rom 16,25-26); jenes Geheimnis, das seit ewigen Zeiten und Generationen verborgen war. Jetzt wurde es seinen Heiligen offenbart; Gott wollte ihnen zeigen, wie reich und herrlich dieses Geheimnis unter den Völkern ist: Christus ist unter euch, er ist die Hoffnung auf Herrlichkeit” (Kol 1,26-27): Dies ist das Geheimnis, das offenbar wurde, um die Herzen zu trösten, damit sie in der Liebe zusammenhalten und eine tiefe Einsicht und Erkenntnis seines Inhaltsreichtums erlangen (vgl. Kol 2,2). Und gleichzeitig bittet der Apostel die Kolosser, zu beten, „damit Gott uns eine Tür öffnet für das Wort und wir das Geheimnis Christi predigen können”, während er sich selbst wünscht, „dass ich es wieder offenbaren und verkündigen kann, wie es meine Pflicht ist” (Kol 4,3-4).
4. Wenn auch dieses göttliche Geheimnis, das heißt das Geheimnis vom Heil der Menschheit in Christus, vor allem das Geheimnis Christi ist, ist es doch „für die Menschen” bestimmt. Denn wir lesen im Brief an die Epheser: „Den Menschen früherer Generationen war es nicht bekannt; jetzt aber ist es seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist offenbart worden: dass nämlich die Heiden Miterben sind, zu demselben Leib gehören und an derselben Verheißung in Christus Jesus teilhaben durch das Evangelium. Ihm diene ich dank der Gnade, die mir durch Gottes mächtiges Wirken geschenkt wurde” (Eph 3,5-7).
5. Diese Lehre des Apostels Paulus wird vom II. Vatikanischen Konzil aufgegriffen und neu dargelegt: „Christus hat, von der Erde erhöht, alle an sich gezogen (vgl. Joh 12,32 [griech.]). Auferstanden von den Toten (vgl. Rom 6,6), hat er seinen lebendigmachenden Geist den Jüngern mitgeteilt und durch ihn seinen Leib, die Kirche, zum allumfassenden Heilssakrament gemacht” (Lumen Gentium, Nr. 48). Und weiter: „Gott hat die Versammlung derer, die zu Christus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens glaubend aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und gestiftet, damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei” (Lumen Gentium, Nr. 9).
Die ewige Initiative des Vaters also, die den der Menschheit in Christus offenbarten und verwirklichten Heilsplan fasst, bildet das Fundament des Geheimnisses der Kirche; in ihr wird das Geheimnis den Menschen, angefangen von den Aposteln, durch den Heiligen Geist mitgeteilt. Durch diese Teilhabe am Geheimnis Christi ist die Kirche der Leib Christi. Das paulinische Bild und Verständnis vom „Leib Christi” drückt zugleich die Wahrheit des Geheimnisses der Kirche und die Wahrheit ihrer sichtbaren Gestalt in der Welt und in der Menschheitsgeschichte aus.
6. Das griechische Wort mysterion wurde ins Lateinische mit sacramentum übersetzt. In diesem Sinn verwendet es die Konzilslehre in den oben genannten Texten. In der lateinischen Kirche hat das „Sacramentum” eine in den sieben Sakramenten genauer umrissene Bedeutung angenommen. Es ist klar, dass diese Bedeutung nicht anders als in analoger Weise auf die Kirche angewandt werden kann.
Nach der Lehre des Konzils von Trient ist ein Sakrament „sinnfälliges Zeichen einer heiligen Sache und sichtbare Gestalt der unsichtbaren Gnade” (vgl. DS 1639). Zweifellos kann diese Definition dementsprechend auf die Kirche bezogen werden. Jedoch ist zu beachten, dass diese Definition nicht genügt, um das auszudrücken, was die Kirche ist. Sie ist Zeichen, aber nicht nur Zeichen; sie ist auch in sich selbst Frucht des Heilswerkes. Die Sakramente sind Mittel der Heiligung; die Kirche ist hingegen die Versammlung der geheiligten Menschen; sie ist deshalb das Ziel des Heilsgeschehens (vgl. Eph 5,25-27).
Nach diesen Klarstellungen kann die Bezeichnung „Sakrament” auf die Kirche angewandt werden. Die Kirche ist in der Tat Zeichen des Heils, von Christus vollbracht und für alle Menschen bestimmt durch das Wirken des Heiligen Geistes. Das Zeichen ist sichtbar: Die Kirche als Gemeinschaft des Volkes Gottes hat einen sichtbaren Charakter. Das Zeichen ist auch wirksam, insofern die Zugehörigkeit zur Kirche den Menschen die Verbundenheit mit Christus und alle zum Heil notwendigen Gnaden verschafft.
7. Wenn man von den Sakramenten als wirksamen Zeichen der Heilsgnade spricht, die von Christus gestiftet und in seinem Namen von der Kirche gefeiert werden, bleibt die Analogie der Sakramentalität in Bezug auf die Kirche durch das organische Band zwischen Kirche und Sakramenten bestehen, aber man muss berücksichtigen, dass es sich nicht um eine Wesensgleichheit handelt. Denn man kann dem Gesamt der Handlungen und Dienste der Kirche nicht die göttliche Einsetzung und die Wirksamkeit der sieben Sakramente zuschreiben. Außerdem gibt es in der Eucharistie eine substantielle Gegenwart Christi, die man gewiss nicht auf die ganze Kirche ausdehnen kann. Wir stellen die nähere Erläuterung dieser Unterschiede bis zu einem späteren Zeitpunkt zurück. Aber wir können diese Katechese abschließen mit der frohen Bemerkung, dass das organische Band zwischen der Kirche als Sakrament und den einzelnen Sakramenten gerade in Bezug auf die Eucharistie besonders eng und wesentlich ist. Inwieweit nämlich die Kirche (als Sakrament) die Eucharistie feiert, sofern verwirklicht die Eucharistie die Kirche und macht sie gegenwärtig. Die Kirche bringt sich in der Eucharistie zum Ausdruck, und die Eucharistie schafft Kirche. Besonders in der Eucharistie ist und wird die Kirche immer mehr das Sakrament der „innigsten Vereinigung mit Gott” (vgl. Lumen Gentium, Nr. 1).
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Liebe Schwestern und Brüder!
„Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit” (Lumen Gentium, Nr. 1). Dieser Lehraussage des Zweiten Vatikanischen Konzils wollen wir in der Reihe unserer Katechesen über die Kirche die heutige Betrachtung widmen. Ja, so lehrt das Konzil, die Kirche ist ein Geheimnis, und in ihr verwirklicht sich Gottes Heilsplan für die Menschen, wie Jesus im Evangelium sagt: „Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes anvertraut; denen aber, die draußen sind, wird alles in Gleichnissen gesagt” (Mk 4,11).
Das griechische Wort für Geheimnis, mysterion, wird im Lateinischen mit sacramentum übersetzt; ein Sakrament ist nach der Lehre des Konzils von Trient ein äußeres sichtbares Zeichen, das Heiliges und Geheimnisvolles andeutet und zugleich bewirkt.
Diese Deutung ist zwar zunächst den sieben Sakramenten eigen, doch kann man sie in analoger Weise auch auf die Kirche anwenden: Die Kirche ist ein Zeichen des von Christus vollbrachten Heiles, das durch das Wirken des Heiligen Geistes für alle Menschen bestimmt ist. Jenes Zeichen ist nach außen hin erkennbar, da die Kirche als Gemeinschaft des Gottesvolkes sichtbaren Charakter hat, und es ist zugleich wirksam, insofern die Zugehörigkeit zur Kirche die Menschen mit Christus verbindet.
Nach diesen meinen Worten begrüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich mit dem innigen Wunsch, es möge euer Glaube an die Kirche als Zeichen und Vermittlerin des Heiles erstarken. Dazu erteile ich euch, euren Angehörigen zu Hause und allen mit uns über Radio und Fernsehen verbundenen Gläubigen von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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