JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 12. Februar 1992
1. „Der Herr sprach zu Mose: Rede zur ganzen Gemeinde der Israeliten, und sag zu ihnen: Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig.“ (Lev 19,1-2). Der Ruf zur Heiligkeit gehört bereits im Alten Testament zum Wesen des Gottesbundes mit den Menschen selbst. „Ich bin Gott, nicht ein Mensch, der Heilige in deiner Mitte.“ (Hos 11,9). Gott, der seinem Wesen nach höchste Heiligkeit, der dreimal Heilige (vgl. Jes 6,3), ist, kommt dem Menschen, dem auserwählten Volk, nahe, um es in den Bereich der Ausstrahlung dieser Heiligkeit zu bringen. Im Bund Gottes mit dem Menschen ist von Anfang an der Ruf zur Heiligkeit, ja die „Gemeinschaft” in der Heiligkeit Gottes selbst, eingeschrieben: „Ihr aber sollt mir als ein Reich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören” (Ex 19,6). In diesem Text des Exodus sind die „Gemeinschaft” in der Heiligkeit Gottes selbst und die priesterliche Eigenschaft des auserwählten Volkes miteinander verbunden. Es ist eine erste Offenbarung der Heiligkeit des Priestertums, das seine Vollendung im Neuen Bund durch das Blut Christi finden wird, wenn das „Anbeten im Geist und in der Wahrheit”, von dem Jesus zur Samariterin in Sichar gesprochen hat (vgl. Joh 4,24), Wirklichkeit wird.
2. Die Kirche als „Gemeinschaft” in Gottes Heiligkeit und folglich als „Gemeinschaft der Heiligen” ist einer der Leitgedanken des ersten Briefes des hl. Petrus. Die Quelle dieser Gemeinschaft ist Jesus Christus, aus dessen Opfertod die Weihe des Menschen und der ganzen Schöpfung erwächst. Der hl. Petrus schreibt: „Denn auch Christus ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben, er, der Gerechte, für die Ungerechten, um euch zu Gott hinzuführen; dem Fleisch nach wurde er getötet, dem Geist nach lebendig gemacht” (1 Petr 3,18). Dank des Opfers Christi, der in sich die heiligmachende Tugend des Menschen und der ganzen Schöpfung in sich birgt, kann der Apostel sagen: „Ihr wißt, daß ihr … losgekauft wurdet … mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel” (1 Petr 1,18-19). Und im gleichen Sinn: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm” (1 Petr 2,9). Kraft des Opfertodes Christi kann man teilhaben an der Heiligkeit Gottes und die „Gemeinschaft in der Heiligkeit” verwirklichen.
3. Der hl. Petrus schreibt: „Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt” (1 Petr 2,21). Den Spuren Jesu Christi folgen heißt, in uns sein heiliges Leben neu zu leben, das uns geschenkt wurde durch die in der Taufe empfangene heiligmachende Gnade und Weihe; das heißt, die „Bitte an Gott um ein reines Gewissen aufgrund der Auferstehung Jesu Christi” (1 Petr 3,21) im eigenen Leben ständig zu verwirklichen; das heißt, durch die guten Werke imstande zu sein, Gott die Ehre zu geben vor der Welt und besonders vor den Nichtglaubenden (vgl. 1 Petr 2,12; 3,1-2). Das bedeutet nach dem Apostel: „durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen” (1 Petr 2,5). Es bedeutet, daß wir uns „als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen [lassen], zu einer heiligen Priesterschaft” (1 Petr 2,5).
Die „heilige Priesterschaft” konkretisiert sich im Darbringen geistlicher Opfer, die ihre Quelle und ihr vollkommenes Vorbild im Opfer Christi selbst haben. Der Apostel fügt hinzu: „Es ist besser, für gute Taten zu leiden, wenn es Gottes Wille ist, als für böse” (1 Petr 3,17). Auf diese Weise wird die Kirche als Gemeinschaft in der Heiligkeit verwirklicht. Durch Jesus und durch den Heiligen Geist kann die Gemeinschaft des neuen Volkes Gottes dem Ruf Gottes voll entsprechen: „Seid Heilige, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig.”
4. Auch in den Briefen des hl. Paulus finden wir dieselbe Lehre. Er schreibt an die Römer: „Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst” (Röm 12,1). „Stellt euch Gott zur Verfügung als Menschen, die vom Tod zum Leben gekommen sind, und stellt eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit in den Dienst Gottes” (Röm 6,13). Der Übergang vom Tod zum Leben hat sich – so der Apostel – durch das Sakrament der Taufe verwirklicht. Und es ist die Taufe „auf den Tod” Christi. Denn wir wurden „mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben” (Röm 6,4).
Wie Petrus von „lebendigen Steinen” spricht, die sich „zu einem geistigen Haus aufbauen lassen”, so verwendet auch Paulus das Bild des Aufbauens, denn er schreibt: „Ihr seid … Gottes Bau” (1 Kor 3,9), und mahnt dann: „Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?” (1 Kor 3,16); am Ende fügt er gleichsam als Antwort auf seine eigene Frage hinzu: „Gottes Tempel ist heilig, und der seid ihr” (1 Kor 3,17).
Das Bild des Tempels hebt die Teilhabe der Christen an der Heiligkeit Gottes hervor, ihre „Gemeinschaft” in der Heiligkeit, die durch den Heiligen Geist bewirkt wird.
Der Apostel spricht auch vom „Siegel des Heiligen Geistes” (vgl. Eph 1,13), das die Glaubenden empfangen haben: „Gott aber, der uns und euch in der Treue zu Christus festigt und der uns alle gesalbt hat, er ist es auch, der uns sein Siegel aufgedrückt und als ersten Anteil (am verheißenen Heil) den Geist in unser Herz gegeben hat” (2 Kor 1,21-22).
5. Nach diesen Worten der beiden Apostel bedeutet „Gemeinschaft” in Gottes Heiligkeit die vom Heiligen Geist Kraft des Opfertodes Christi in uns gewirkte Heiligung. Diese Gemeinschaft drückt sich durch das Darbringen geistlicher Opfer nach dem Beispiel Christi aus. Auf diese Weise übt sie die „heilige Priesterschaft” aus. In ihrem Dienst wird der apostolische Auftrag ausgeführt mit dem Ziel – wie der hl. Paulus schreibt –, daß die „Opfergabe” der Gläubigen „Gott gefällt, geheiligt im Heiligen Geist” (Röm 15,16). So trägt der „erste Anteil des Geistes” in der Gemeinschaft der Kirche durch den Dienst der Heiligkeit Frucht. Die „Gemeinschaft” in der Heiligkeit setzt sich für die Gläubigen in apostolischen Einsatz für das Heil der gesamten Menschheit um.
6. Die Lehre der Apostel Petrus und Paulus findet Widerhall in der Geheimen Offenbarung. Wir lesen in diesem Buch gleich am Anfang, nach dem Gruß „Gnade … und Friede” (Offb 1,4), die folgenden, an Christus gerichteten Worte: „Er liebt uns und hat uns von unseren Sünden erlöst durch sein Blut; er hat uns zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott, seinem Vater. Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit.“ (Offb 1,5-6). In diesem Lobpreis drückt sich die dankbare Liebe und Freude der Kirche über das Werk der Heiligung und Priesterweihe aus, die Christus „mit seinem Blut” vollbracht hat. Ein weiterer Abschnitt verdeutlicht, daß die Weihe Männer und Frauen „aus allen Stämmen und Sprachen, aus allen Nationen und Völkern” (Offb 5,9) erreicht; diese Schar wird dann dargestellt, während sie „vor dem Thron [Gottes] und vor dem Lamm” steht (Offb 7,9) und Gott „bei Tag und Nacht in seinem Tempel” dient (Offb 7,15).
Während der Brief des Petrus die „Gemeinschaft” in Gottes Heiligkeit durch Christus als grundlegenden Auftrag der Kirche auf Erden zeigt, bietet die Geheime Offenbarung uns eine eschatologische Schau der Gemeinschaft der Heiligen in Gott. Es ist das Geheimnis der Kirche im Himmel, wo die ganze Heiligkeit der Erde zusammenfließt und auf den Wegen der Reinheit und der Buße aufsteigt; diese haben als Ausgangspunkt die Taufe, die Gnade, die sie vermittelt, das Merkmal, das sie der Seele aufdrückt, indem sie sie dem Priestertum des gekreuzigten Christus gleichförmig und seiner teilhaftig macht, wie der hl. Thomas von Aquin schreibt (vgl. Summa theologiae, III, q.63, a.3). Die Gemeinschaft der Heiligen in der Kirche des Himmels wird von der Herrlichkeit des auferstandenen Christus erleuchtet.
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Liebe Schwestern und Brüder!
Die von Christus gegründete und durch den Heiligen Geist mit Leben erfüllte Gemeinde der Gläubigen ist eine Gemeinschaft in Gottes Heiligkeit. Ihr Urquell ist Jesus Christus, aus dessen Kreuzesopfer die Heiligung des Menschen und die der ganzen Schöpfung hervorgeht. Kraft seines Opfers können wir an Gottes Heiligkeit teilhaben. Im Petrusbrief lesen wir: „Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt” (1 Petr 2,21). Dies bedeutet zum einen: sein heiliges Leben in uns lebendig werden zu lassen, das uns mit der heiligmachenden Gnade in der Taufe geschenkt wurde; und zum anderen heißt das: vor der Welt und insbesondere vor den Nichtglaubenden ein rechtschaffenes Leben zu führen, damit sie durch unsere Taten zur Einsicht kommen und Gott preisen (vgl. 1 Petr 2,12; 3,1-2).
Diese Teilhabe an der Heiligkeit Gottes ist dem Apostel aber auch Auftrag, in unserem Leben um ein reines Gewissen aufgrund der Auferstehung Jesu Christi zu bitten (vgl. 1 Petr 3,21). Paulus mahnt uns auch: „Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?” (1 Kor 3,16). So besagt die Gemeinschaft in der Heiligkeit Gottes die Heiligung, die der Geist Gottes in uns wirkt.
Diese unsere Berufung und Zugehörigkeit zur „Gemeinschaft der Heiligen” möchte ich euch bewußt machen, wenn ich euch, liebe deutschsprachige Pilger und Besucher, herzlich willkommen heiße. Mein besonderer Gruß gilt dem Kirchenchor „Cantate Domino” aus der Pfarrei Königin des Friedens in Wien, dem ich für die gelungene Darbietung herzlich danke, sowie den Mitarbeitern aus den Pfarren des Dekanates Bockfließ in der Erzdiözese Wien unter Leitung von Herrn Weihbischof Florian Kuntner. Euch allen, euren lieben Angehörigen in der Heimat sowie den mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbundenen Gläubigen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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Wir bereiten uns zum Gebet, wir versuchen, uns geistig mit unseren Brüdern und Schwestern, die im asiatischen Teil leben, im Glauben an Christus zu vereinen. Anlaß bietet uns der Besuch von Msgr. Werth, Bischof von Nowosibirsk, für sie alle, nämlich für alle Christen, die Orthodoxen und dann für die katholische Gemeinde, die jetzt in diesen weiten, mehrere Millionen Quadratkilometer großen Räumen entsteht. Wir schließen alle diese unsere Brüder und Schwestern, die Priester, die Ordensfrauen, die auf diesem Erdteil leben, in unser Gebet ein und singen das „Pater noster” auf Lateinisch.
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