JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 27. Mai 1992
1. Als Zeugin des Lebens von und in Christus ist die Kirche, wie wir in der vorhergehenden Katechese gesehen haben, zugleich Zeugin der Hoffnung: jener evangelischen Hoffnung, die in Christus ihren Ursprung hat. Tatsächlich sagt das II. Vatikanische Konzil in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes über Christus: „Der Herr ist das Ziel der menschlichen Geschichte, … der Mittelpunkt der Menschheit, die Freude aller Herzen und die Erfüllung ihrer Sehnsüchte” (Gaudium et spes, Nr. 45). In diesem Text zitiert das Konzil die Worte Pauls VI., der in einer Ansprache gesagt hatte, dass Christus „der Brennpunkt der Sehnsüchte der Geschichte und der Gesellschaft” ist (Ansprache vom 3. Februar 1965). Wie man sieht, hat die von der Kirche bezeugte Hoffnung sehr weite Dimensionen, ja, wir können sagen, dass sie unermesslich ist.
2. Es handelt sich vor allem um die Hoffnung auf das ewige Leben. Diese Hoffnung entspricht dem Wunsch nach Unsterblichkeit, den der Mensch in seinem Herzen trägt, kraft der geistigen Beschaffenheit der Seele. Die Kirche verkündet, dass das Leben auf Erden der „Durchgang” zu einem anderen Leben ist: zum Leben in Gott, wo „der Tod nicht mehr sein wird” (vgl. Offb 21,4). Durch Christus, der – wie Paulus sagt – „der Erstgeborene der Toten” ist (Kol 1,18; vgl. 1 Kor 15,20), und durch seine Auferstehung kann der Mensch leben mit der Aussicht auf das von ihm angekündigte und herbeigeführte ewige Leben.
3. Es handelt sich um die Hoffnung auf die Glückseligkeit in Gott. Zu dieser Glückseligkeit sind wir alle berufen, wie uns der Auftrag Jesu deutlich macht: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!” (Mk 16,15). Ein anderes Mal versichert Jesus seinen Jüngern: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen” (Joh 14,2), und während er sie auf Erden verlässt, fährt er zum Himmel auf, „um einen Platz für [sie] vorzubereiten” (ebd.), „damit auch ihr dort seid, wo ich bin” (Joh 14,3).
4. Es handelt sich um die Hoffnung, nach dem Tod bei Christus „im Haus des Vaters” zu sein. Der Apostel Paulus war von dieser Hoffnung so sehr erfüllt, dass er sagte: „Ich sehne mich danach, aufzubrechen und bei Christus zu sein – um wie viel besser wäre das!” (Phil 1,23). „Weil wir aber zuversichtlich sind, ziehen wir es vor, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein” (2 Kor 5,8). Die christliche Hoffnung versichert uns außerdem, dass das „Auswandern aus dem Leib” nicht auf die Dauer sein wird, sondern dass unsere Glückseligkeit beim Herrn mit der Auferstehung des Leibes am Ende der Welt ihre Fülle erreichen wird. Jesus gibt uns dafür die Gewissheit; er setzt sie in Beziehung zur Eucharistie: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag” (Joh 6,54). Es ist eine wahre und wirkliche Auferstehung des Leibes mit der vollen Eingliederung der Einzelpersonen in das neue Leben des Himmels und nicht eine Reinkarnation, verstanden als Rückkehr zum Leben auf derselben Erde in einem anderen Leib. In der Offenbarung Christi, die von der Kirche verkündet und bezeugt wird, steht die Hoffnung auf die Auferstehung im Kontext „eines neuen Himmels und einer neuen Erde” (vgl. Offb 21,1), in dem das „neue Leben”, das den Menschen vom fleischgewordenen Wort geschenkt wurde, seine volle Verwirklichung findet.
5. Wenn die Kirche Zeugnis gibt von dieser Hoffnung – der Hoffnung auf das ewige Leben, die Auferstehung des Leibes, die ewige Glückseligkeit in Gott –, tut sie das als Antwort auf die Lehre der Apostel und besonders des heiligen Paulus, nach dem Christus selbst die Quelle und der Grund dieser Hoffnung ist. „Christus Jesus, unsere Hoffnung”, sagt der Apostel (vgl. 1 Tim 1,1); und er schreibt weiter, dass in Christus „jenes Geheimnis, das seit ewigen Zeiten und Generationen verborgen war, … seinen Heiligen offenbart [wurde]; Gott wollte ihnen zeigen, wie reich und herrlich dieses Geheimnis … ist” (Kol 1,26-27). Die prophetische Hoffnung hat also ihren Grund in Christus, und von ihm hängt das zeitliche Wachstum des „neuen Lebens” in Ihm und der Hoffnung auf das „ewige Leben” ab.
6. Aber die Hoffnung, die aus Christus erwächst, durchdringt, obwohl sie ihr letztes Ziel jenseits aller zeitlichen Grenzen hat, zugleich auch das Leben des Christen in der Zeit. Das bekräftigt der Apostel Paulus: „Durch ihn [Christus] habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr den Glauben annahmt. Der Geist ist der erste Anteil des Erbes, das wir erhalten sollen: die Erlösung, durch die wir Gottes Eigentum werden, zum Lob seiner Herrlichkeit” (Eph 1,13-14). In der Tat ist Gott derjenige, „der uns … in … Christus festigt und der uns alle gesalbt hat; er ist es auch, der uns sein Siegel aufgedrückt und als ersten Anteil (am verheißenen Heil) den Geist in unser Herz gegeben hat” (2 Kor 1,21-22).
Die Hoffnung ist also ein Geschenk des Heiligen Geistes, des Geistes Christi, durch den der Mensch in dieser Zeit schon in der Ewigkeit lebt: Er lebt in Christus als Teilhaber am ewigen Leben, das der Sohn vom Vater empfängt und seinen Jüngern mitteilt (vgl. Joh 5,26; 6,54-57; 10,28; 17,2). Paulus sagt, dass das die Hoffnung ist, die „nicht zugrunde gehen lässt” (vgl. Röm 5,5), denn sie schöpft aus der Macht der Liebe Gottes, die „in unsere Herzen ausgegossen ist durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist” (vgl. ebd.).
Zeugin dieser Hoffnung ist die Kirche, die sie verkündet und als Geschenk den einzelnen Menschen, die Christus aufnehmen und in ihm leben, und allen Menschen und Völkern insgesamt bringt, denen sie nach dem Willen Christi das „Evangelium vom Reich” (Mt 24,14) bekannt machen will und muss.
7. Auch angesichts der Schwierigkeiten des gegenwärtigen Lebens und der schmerzlichen Erfahrungen der Untreue und des Scheiterns des Menschen in der Geschichte ist die Hoffnung die Quelle des christlichen Optimismus. Gewiss kann die Kirche nicht die Augen verschließen vor dem vielfältigen Übel in der Welt. Sie weiß aber, dass sie auf die siegreiche Gegenwart Christi vertrauen kann, und diese Gewissheit inspiriert ihr langes und geduldiges Wirken, immer eingedenk der Worte, die ihr Gründer in der Abschiedsrede an die Apostel gesagt hat: „Dies habe ich zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt” (Joh 16,33). Aus der Gewissheit dieses Sieges Christi, der sich in der Geschichte tiefgehend verbreitet, schöpft die Kirche, wenn sie die Welt und das Leben betrachtet, diesen übernatürlichen Optimismus, der das Geschenk der Hoffnung in die Tat umsetzt.
Sie ist durch die Geschichte geübt, in ihrem Werk als Dienerin des gekreuzigten und auferstandenen Christus standzuhalten und es weiterzuführen. Aber durch den Heiligen Geist hofft sie, immer neue geistige Siege zu erringen, indem sie in der Welt den evangelischen Sauerteig der Gnade und der Wahrheit (vgl. Joh 16,13) in die Seelen eingießt und verbreitet.
Die Kirche will ihren Gliedern und, wenn möglich, allen Menschen diesen christlichen Optimismus vermitteln, der aus Vertrauen, Mut und weitschauender Beharrlichkeit besteht. Sie spricht mit dem Apostel Paulus die Worte aus dem Brief an die Römer: „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und mit allem Frieden im Glauben, damit ihr reich werdet an Hoffnung in der Kraft des Heiligen Geistes” (Röm 15,13). Der Gott der Hoffnung ist „der Gott der Geduld und des Trostes” (Röm 15,5).
8. In der Tat kann sich die Kirche zu allen Zeiten die denkwürdigen Worte des heiligen Franz Xaver zu eigen machen, zu denen die Gnade ihn inspirierte, die in ihm wirkte: „Ich erinnere mich nicht, jemals so viel und so anhaltenden geistlichen Trost empfangen zu haben wie auf diesen Inseln … [Es handelt sich um die Moro-Inseln, wo der heilige Missionar unter großen Schwierigkeiten das Evangelium verkündete.] Ich bin weit gewandert auf Inseln, die von Feinden umgeben und von nicht gerade ehrlichen Freunden bevölkert waren, in Gebieten ohne jedes Heilmittel für körperliche Krankheiten und fast ohne jede menschliche Hilfe für die Lebenserhaltung. Diese Inseln sollten sich nicht ‚Moro-Inseln’, sondern ‚Inseln der Hoffnung auf Gott’ nennen!” (Epist. S. Francisci Xaverii, in: „Monumenta Missionum Societatis Jesu”, Band I, Rom 1944, S. 380).
Wir können sagen, dass die Welt, in der Christus seinen österlichen Sieg errungen hat, durch die von ihm gewirkte Erlösung zur „Insel der göttlichen Hoffnung” geworden ist.
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Liebe Schwestern und Brüder!
Die heutige Katechese wollen wir dem Gedanken der christlichen Hoffnung widmen, von der Zeugnis zu geben die Kirche als prophetische Gemeinschaft auch in unserer Zeit gerufen ist. So groß die Schwierigkeiten im gegenwärtigen Leben auch sein mögen und so schmerzvoll die menschlichen Erfahrungen häufig sind, so soll doch die Hoffnung Quelle des christlichen Optimismus sein. Gewiss kann und will die Kirche die Augen vor den vielfältigen Problemen in der Welt nicht verschließen. Doch kann das Volk Gottes auf die siegreiche Gegenwart Christi zählen, und aus diesem Vertrauen vermag es stets neu Hoffnung zu schöpfen auf seinem langen und geduldigen Weg durch die Geschichte, wie es der Herr denn auch selbst gesagt hat: „Dies habe ich zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt” (Joh 16,33). Aus der Gewissheit des Sieges Christi kann die Kirche Hoffnung schöpfen und der Welt mit übernatürlichem Zukunftsvertrauen begegnen.
Diese von der Kirche bezeugte Hoffnung erweist sich zunächst in der Hoffnung auf ewiges Leben. Derartiges Hoffen entspricht der tiefen Sehnsucht nach Unsterblichkeit, die jeder Mensch kraft der geistigen Beschaffenheit der Seele im Herzen trägt. Sie entfaltet sich sodann in der Hoffnung auf Glückseligkeit bei Gott. Jesus selbst hat seinen Jüngern versichert, dass im Hause seines Vaters viele Wohnungen sind, und er selbst ist uns vorausgegangen, um uns einen Platz zu bereiten (vgl. Joh 14,2-3). Schließlich ist der Gläubige von der Hoffnung erfüllt, nach seinem Tod mit Christus im Hause des Vaters zu wohnen und, wie Paulus schreibt, „daheim beim Herrn zu sein” (2 Kor 5,8).
Mit dieser kurzen Betrachtung grübe ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Mein besonderer Willkom mensgrub gilt der Pilgergruppe des Bischöflichen Werkes ”Missio“ Aachen sowie den Abiturienten des Gymnasium Johanneum in HomburgSaar und ihren Lehrern.
In dem Wunsch, dab Ihr stets von christlicher Hoffnung erfüllt sein möget, die ein Geschenk des Heiligen Geistes ist, erteile ich Euch, Euren lieben Angehörigen daheim sowie allen, die uns in diesem Augenblick geistlich verbunden sind, von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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