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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 3. Juni 1992

DE  - ES  - IT

1. Wir nehmen die dogmatische Konstitution Lumen Gentium des II. Vatikanischen Konzils zur Hand und lesen: „Das heilige Gottesvolk nimmt auch teil an dem prophetischen Amt Christi, in der Verbreitung seines lebendigen Zeugnisses, vor allem durch ein Leben in Glauben und Liebe” (Lumen Gentium, Nr. 12). Wir haben in den voraufgegangenen Katechesen vom Zeugnis des Glaubens und der Hoffnung gesprochen; heute gehen wir zum Zeugnis der Liebe über. Es ist ein besonders wichtiges Thema, denn – wie der heilige Paulus sagt – von diesen dreien, Glaube, Hoffnung, Liebe, „ist am größten die Liebe” (vgl. 1 Kor 13,13). Paulus zeigt, daß er die Bedeutung, die Christus dem Liebesgebot beigemessen hat, gut kennt. Die Kirche hat diese Lehre im Laufe der Jahrhunderte nie vergessen. Sie hat sich immer berufen gefühlt, Zeugnis vom Evangelium der Liebe in Wort und Tat nach dem Beispiel Christi zu geben, der, wie in der Apostelgeschichte zu lesen ist, „umherzog, Gutes tat und alle heilte” (Apg 10,38).

Jesus hat die zentrale Bedeutung des Gebotes der Liebe unterstrichen, als er es „sein Gebot” nannte: „Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe” (Joh 15,12). Es ist nicht nur die vom Alten Testament gebotene Nächstenliebe, sondern „ein neues Gebot” (Joh 13,34). Es ist „neu”, weil das Vorbild die Liebe Christi ist („wie ich euch geliebt habe”), der vollkommene menschliche Ausdruck der Liebe Gottes zu den Menschen. Genauer gesagt, es ist die Liebe Christi in ihrem höchsten Ausdruck der Hingabe: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt” (Joh 15,13).

So hat die Kirche die Aufgabe, die Liebe Christi zu den Menschen, die zum Opfer bereite Liebe, zu bezeugen. Die Liebe ist nicht nur Ausdruck menschlicher Solidarität, sie ist Teilhabe an der göttlichen Liebe selbst.

2. Jesus sagt: „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt” (Joh 13,35). Die von Christus in Wort und Beispiel gelehrte Liebe ist das Merkmal, das seine Jünger kennzeichnen muss. Er bekundet den lebhaften Wunsch seines Herzens, als er bekennt: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!” (Lk 12,49). Das Feuer bedeutet die Intensität und Kraft der Liebe. Jesus fordert von seinen Jüngern, daß sie sich erkennbar machen durch diese Form der Liebe. Die Kirche weiß, daß die Liebe unter dieser Form Zeugnis für Christus wird. Die Kirche ist fähig, dieses Zeugnis zu geben, denn während sie das Leben Christi empfängt, empfängt sie seine Liebe. Christus hat in den Herzen das Feuer der Liebe entfacht (vgl. Lk 12,49), und er entfacht es weiter, immer und allerorts. Die Kirche ist verantwortlich für die Ausbreitung dieses Feuers in der Welt. Jedes echte Zeugnis für Christus enthält Liebe; es erfordert den Willen, jeden Verstoß gegen die Liebe zu vermeiden. So macht sich auch die ganze Kirche durch die Liebe erkennbar.

3. Die von Christus in der Welt entzündete Liebe ist eine weltweite Liebe ohne Grenzen. Die Kirche bezeugt diese Liebe, die jede Trennung unter Einzelpersonen, sozialen Schichten, Völkern und Nationen übersteigt. Sie widersetzt sich nationalen Parteilichkeiten, die die Liebe auf die Grenzen eines Volkes beschränken möchten. Durch ihre Liebe zu allen zeigt die Kirche, daß der Mensch von Christus gerufen ist, nicht nur jede Feindschaft innerhalb des eigenen Volkes zu vermeiden, sondern die Angehörigen der anderen Nationen und die Völker selbst als solche zu achten und zu lieben.

4. Die Liebe Christi überwindet auch die Unterteilung der Klassengesellschaft. Sie akzeptiert weder Klassenhaß noch -kampf. Die Kirche will die Einheit aller in Christus und versucht, fordert auf und lehrt, die Liebe gemäß dem Evangelium zu leben, auch die Liebe zu denen, die manche als Feinde betrachten möchten. Während sie dem Liebesauftrag Christi folgt, fordert die Kirche soziale Gerechtigkeit und damit gleiche Güterverteilung in der Gesellschaft und Hilfe für die Ärmsten und alle Menschen in Not. Zugleich verkündet und fördert sie Frieden und Versöhnung in der Gesellschaft.

5. Die Liebe der Kirche bringt hauptsächlich eine Haltung der Vergebung mit sich, in Nachahmung der Güte Christi, der sich, obwohl er die Sünde verdammte, als „Freund der Sünder” (vgl. Mt 11,19; Lk 19,5–10) verhielt und sich weigerte, sie zu verurteilen (vgl. Joh 8,11). Auf diese Weise bemüht sich die Kirche, in sich und im Herzen ihrer Kinder die hochherzige Bereitschaft Jesu zu erzeugen, der verzieh und den Vater gebeten hat, denen zu vergeben, die ihn zum Tod verurteilt hatten (vgl. Lk 23,34).

Die Christen wissen, daß sie nie Rache nehmen dürfen und daß sie entsprechend der Antwort Jesu an Petrus alle Beleidigungen verzeihen müssen, ohne je nachzulassen (vgl. Mt 18,22). Jedes Mal, wenn sie das Vaterunser sprechen, bekräftigen sie ihren Willen zur Vergebung. Das von der Kirche gegebene und eingeprägte Zeugnis der Vergebung ist an die Offenbarung des göttlichen Erbarmens gebunden: Eben weil sie gemäß der Mahnung Jesu (vgl. Lk 6,36–38; Mt 6,14–15; 18,33–35) dem himmlischen Vater ähnlich sein sollen, sind die Christen zur Nachsicht, zum Verständnis und Frieden bereit. Damit vernachlässigen sie nicht die Gerechtigkeit, die nie vom Erbarmen getrennt werden darf.

6. Die Liebe offenbart sich auch in der Achtung und Hochschätzung jeder menschlichen Person, die die Kirche üben will und zu deren Übung sie aufruft. Sie hat den Auftrag empfangen, die Wahrheit der Offenbarung zu verbreiten und den von Christus gestifteten Heilsweg bekannt zu machen. In der Nachfolge Jesu Christi richtet sie ihre Botschaft an Menschen, die sie als freie Personen anerkennt, und sie wünscht die volle Entfaltung ihrer Persönlichkeit mit Hilfe der Gnade. In ihrem Wirken geht sie also den Weg des Überzeugens, des Dialogs und der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit und dem Guten; und wenn sie in ihrer Lehre der Wahrheiten des Glaubens und der Moralgrundsätze fest bleibt, wendet sie sich an die Menschen mehr mit einem Angebot als mit einer Auflage, im achtungsvollen Vertrauen auf deren Urteilsvermögen.

7. Die Liebe erfordert auch eine Bereitschaft, dem Nächsten zu dienen. Und in der Kirche aller Zeiten sind immer diejenigen zahlreich, die sich diesem Dienst widmen. Wir können sagen, daß keine religiöse Gesellschaft so viele Liebeswerke hervorgebracht hat wie die Kirche: Dienst an den Kranken, den Behinderten, Dienst an der Jugend in den Schulen, an den von Naturkatastrophen und anderen Unglücksfällen heimgesuchten Bevölkerungen; Unterstützung aller Art für die Armen und Bedürftigen. Auch heute sehen wir, daß sich dieses Phänomen, das manchmal fast an Wunder grenzt, wiederholt: Auf jede neue Not, die sich in der Welt abzeichnet, antworten neue Initiativen der Hilfe und Unterstützung seitens der Christen, die dem Geist des Evangeliums entsprechend leben. Es ist eine Liebe, die in der Kirche oft heroisch bezeugt wird. In ihr gibt es viele Märtyrer der Nächstenliebe. Wir erinnern hier nur an Maximilian Kolbe, der in den Tod gegangen ist, um einen Familienvater zu retten.

8. Wir müssen zugeben, daß es in den Jahrhunderten nicht an Verletzungen des Liebesgebotes gemangelt hat, weil die Kirche eine Gemeinschaft auch von Sündern ist. Es handelt sich um Verfehlungen einzelner und von Gruppen, die sich christlich nannten, im zwischenmenschlichen Bereich, auf sozialer und internationaler Ebene. Das ist die schmerzliche Wirklichkeit, die man in der Geschichte der Menschen und der Nationen und auch in der Geschichte der Kirche entdeckt. Im Bewusstsein der eigenen Berufung zur Liebe nach dem Beispiel Christi bekennen die Christen in Demut und Reue diese Sünden gegen die Liebe, ohne jedoch aufzuhören, an die Liebe zu glauben, die nach Paulus „alles erträgt” und „niemals aufhört” (vgl. 1 Kor 13,7–8). Auch wenn sich in der Geschichte der Menschheit und der Kirche selbst Sünden gegen die Liebe anhäufen, die traurig stimmen und betrüben, so muß man gleichzeitig voll Freude und Dankbarkeit anerkennen, daß es zu keiner Zeit an Christen fehlt, die wunderbare Zeugnisse zur Bekräftigung der Liebe geben; und oftmals sind das – wie wir sagten – heroische Zeugnisse.

Der Heroismus der Nächstenliebe der einzelnen Personen geht Hand in Hand mit dem großartigen Zeugnis der Werke der Nächstenliebe auf sozialem Gebiet. Es ist unmöglich, sie alle hier auch nur annähernd aufzuzählen. Die Geschichte der Kirche seit den frühchristlichen Zeiten bis heute ist voll davon. Und doch scheint das Ausmaß der Leiden und Nöte des Menschen ungeheuer und die Möglichkeiten der Abhilfe zu übersteigen. Aber die Liebe ist und bleibt unbesiegbar (omnia vincit amor), auch wenn sie scheinbar keine anderen Waffen mehr hat als das unerschütterliche Vertrauen in die Wahrheit und Gnade Christi.

9. Wir können zusammenfassen und schließen mit einer Bekräftigung, die in der Geschichte der Kirche, ihrer Einrichtungen und ihrer Heiligen sozusagen einen Erfahrungsbeweis findet. Und der besteht darin, daß die Kirche in ihrer Lehre und ihrem Streben nach Heiligkeit das evangelische Ideal der Nächstenliebe immer lebendig gehalten hat; daß sie zahllose Beispiele der Nächstenliebe oft bis zum Heroismus gegeben hat; daß sie eine weite Verbreitung der Liebe unter der Menschheit erzeugt hat und, mehr oder weniger anerkannt, am Beginn der vielen Einrichtungen der Solidarität und sozialen Zusammenarbeit steht, die ein unerlässliches Netz der modernen Zivilisation darstellen. Und sie hat Fortschritte gemacht und kommt immer mehr voran in der Erkenntnis der Erfordernisse der Nächstenliebe und in der Erfüllung der Aufgaben, die diese Erfordernisse ihr stellen. All das unter dem Einfluß des Heiligen Geistes, der ewige, unendliche Liebe ist.

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Liebe Schwestern und Brüder!

Mit dieser kurzen Betrachtung grübe ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Mein besonderer Grub gilt dem Musikverein ”Eintracht“ aus Obergrombach, dem ich für die musikalischen Darbietungen aufrichtig danke.  

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Saluto cordialmente la banda musicale “Città di Fabriano”, che ha ospitato in questi giorni il Musikverein “Eintracht” di Obergrombach, ed auguro di cuore che la loro fraterna accoglienza contribuisca a tessere tra i popoli legami sempre più saldi di mutua conoscenza e solidarietà.

Euch allen, Euren lieben Angehörigen zu Hause sowie den mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbundenen Gläubigen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.  

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Heute ist der Todestag von Papst Johannes XXIII., der mit mutiger Fügsamkeit gegenüber den Eingebungen des Heiligen Geistes das II. Vatikanische Ökumenische Konzil eröffnet hat. Das Echo der Botschaft des Glaubens und der väterlichen Güte, die er der Kirche und der Welt hinterlassen hat, ist in unseren Herzen immer sehr lebendig. Zum Abschluß dieser Begegnung wollen wir seiner in Ehrfurcht gedenken und vom Heiligen Geist denselben apostolischen Eifer dieses großen Papstes erflehen, um in angemessener Weise den Erfordernissen der Neuevangelisierung zu entsprechen.