JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 7. Oktober 1992
1. In der Konstitution Lumen Gentium spricht das II. Vatikanische Konzil von einer Analogie zwischen dem Kollegium der Apostel und dem der Bischöfe, die mit dem Bischof von Rom verbunden sind: „Wie nach der Verfügung des Herrn der heilige Petrus und die übrigen Apostel ein einziges apostolisches Kollegium bilden, so sind in entsprechender Weise der Bischof von Rom, der Nachfolger Petri, und die Bischöfe, die Nachfolger der Apostel, untereinander verbunden.“ (Lumen Gentium, Nr. 22). Es ist die Lehre von der Kollegialität der Bischöfe in der Kirche. Diese Lehre wurzelt zuallererst darin, dass Christus, unser Herr, als er seine Kirche gründete, die Zwölf berief und sie als Apostel einsetzte, indem er sie mit der Sendung betraute, das Evangelium zu verkünden und das christliche Volk als Hirten zu leiten; deshalb stiftete er die „Amts”-Struktur der Kirche. Die zwölf Apostel erscheinen uns gleichsam als ein „Körper” und ein „Kollegium” von Einzelpersonen, die untereinander durch die Liebe Christi verbunden sind, dem sie der Autorität des Petrus unterstellt hat, zu dem er gesagt hatte: „Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen” (Mt 16,18). Aber diese ursprüngliche Gruppe, die den Evangelisierungsauftrag bis zum Ende der Zeiten erhalten hatte, musste Nachfolger haben, und das sind die Bischöfe. Diese Nachfolge – sagt das Konzil – ist eine Wiedergabe der ursprünglichen Struktur des Kollegiums der Zwölf, die nach dem Willen Christi unter der Autorität des Petrus miteinander verbunden waren.
2. Das Konzil stellt diese Lehre – abgesehen von der Formulierung – nicht als Neuheit vor, sondern als den Inhalt einer historischen Wirklichkeit, die sich in der Annahme und Verwirklichung des Willens Christi zeigt, der uns aus der Tradition erwächst.
a) Das Konzil spricht über „die uralte Disziplin, dass die auf dem ganzen Erdkreis bestellten Bischöfe untereinander und mit dem Bischof von Rom im Bande der Einheit, der Liebe und des Friedens Gemeinschaft hielten,
b) desgleichen das Zusammentreten von Konzilien zur gemeinsamen Regelung gerade der wichtigeren Angelegenheiten in einem durch die Überlegung vieler abgewogenen Spruch, weist auf die kollegiale Natur und Beschaffenheit des Episkopates hin. Diese beweisen die im Laufe der Jahrhunderte gefeierten ökumenischen Konzilien.
c) Darauf deutet aber auch schon der früh eingeführte Brauch hin, mehrere Bischöfe zur Teilnahme an der Erhebung eines Neuerwählten zum hohepriesterlichen Dienstamt beizuziehen. Glied der Körperschaft der Bischöfe wird man durch die sakramentale Weihe und die hierarchische Gemeinschaft mit Haupt und Gliedern des Kollegiums.“ (Lumen Gentium, Nr. 22).
3. „Insofern dieses Kollegium – so lesen wir weiter – aus vielen zusammengesetzt ist, stellt es die Vielfalt und Universalität des Gottesvolkes; insofern es unter einem Haupt versammelt ist, stellt es die Einheit der Herde Christi dar” (Lumen Gentium, Nr. 22). Gemeinsam mit dem Nachfolger des Petrus übt das gesamte Kollegium der Bischöfe die höchste Gewalt in der Gesamtkirche aus. Über das „Petrusamt” in der Kirche werden wir in den kommenden Katechesen sprechen. Aber es muss auch berücksichtigt werden, wenn von der Kollegialität des Episkopats die Rede ist.
Zweifellos wird – so Lumen Gentium – „die höchste Gewalt über die ganze Kirche, die dieses Kollegium besitzt, … in feierlicher Weise im ökumenischen Konzil ausgeübt” (Lumen Gentium, Nr. 22). Aber man liest dort auch, dass „der Bischof von Rom [das Vorrecht] hat …, diese Konzilien zu berufen, auf ihnen den Vorsitz zu führen und sie zu bestätigen” (Lumen Gentium, Nr. 22). Ein Konzil kann nicht wahrhaft ökumenisch sein, wenn es nicht vom Bischof von Rom bestätigt oder wenigstens angenommen wird. Dem Konzil würde das Merkmal der vom Nachfolger des Petrus sichergestellten Einheit fehlen. Wenn die Einheit und die Katholizität gewährleistet sind, kann das ökumenische Konzil auch in unfehlbarer Weise die Wahrheiten des Glaubens und der Moral definieren. In der Geschichte haben die ökumenischen Konzilien eine sehr wichtige und entscheidende Rolle für die genaue Bestimmung, Definition und Entwicklung der Lehre gespielt. Man denke nur an die Konzilien von Nizäa, Konstantinopel, Ephesus und Chalcedon.
4. Über die ökumenischen Konzilien hinaus gilt: „Die gleiche kollegiale Gewalt kann gemeinsam mit dem Papst von den in aller Welt lebenden Bischöfen ausgeübt werden, sofern nur das Haupt des Kollegiums sie zu einer kollegialen Handlung ruft oder wenigstens die gemeinsame Handlung der räumlich getrennten Bischöfe billigt oder frei annimmt, sodass ein eigentlich kollegialer Akt zustande kommt” (Lumen Gentium, Nr. 22).
Die nach dem II. Vatikanischen Konzil eingeführten Bischofssynoden haben den Zweck, die Teilhabe des Bischofskollegiums an der universalen Leitung der Kirche konkreter zu verwirklichen. Diese Synoden untersuchen und besprechen Fragen der Pastoral und Lehre, die für die Gesamtkirche von entscheidender Bedeutung sind. Die Früchte ihrer Arbeiten, die sie mit dem Apostolischen Stuhl zusammengetragen haben, sind in Dokumenten gesammelt, die weltweite Verbreitung finden. Die nach den letzten Synoden herausgegebenen Dokumente tragen ausdrücklich die Bezeichnung „nachsynodal”.
5. Und weiter: „Die kollegiale Einheit tritt auch in den wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Bischöfe zu den Teilkirchen wie zur Gesamtkirche in Erscheinung.“ (Lumen Gentium, Nr. 23). „Daher stellen die Einzelbischöfe je ihre Kirche, alle zusammen aber in Einheit mit dem Papst die ganze Kirche im Band des Friedens, der Liebe und der Einheit dar.“ (Lumen Gentium, Nr. 23).
„Die Bischöfe, die den Teilkirchen vorstehen, üben als einzelne ihr Hirtenamt über den ihnen anvertrauten Anteil des Gottesvolkes, nicht über andere Kirchen und nicht über die Gesamtkirche aus. Aber als Glieder des Bischofskollegiums und rechtmäßige Nachfolger der Apostel sind sie aufgrund von Christi Stiftung und Vorschrift zur Sorge für die Gesamtkirche gehalten.“ (Lumen Gentium, Nr. 23). „Alle Bischöfe müssen nämlich die Glaubenseinheit und die der ganzen Kirche gemeinsame Disziplin fördern und schützen sowie die Gläubigen anleiten, zur Liebe zum ganzen mystischen Leib Christi, besonders zu den armen und leidenden Gliedern und zu jenen, die Verfolgung erdulden um der Gerechtigkeit willen (vgl. Mt 5,10). Endlich müssen sie alle Bestrebungen fördern, die der ganzen Kirche gemeinsam sind, vor allem dazu, dass der Glaube wachse und das Licht der vollen Wahrheit allen Menschen aufgehe.“ (Lumen Gentium, Nr. 23).
6. Hier ist zu beachten: „Dank der göttlichen Vorsehung aber sind die verschiedenen Kirchen, die an verschiedenen Orten von den Aposteln und ihren Nachfolgern eingerichtet worden sind, im Laufe der Zeit zu einer Anzahl von organisch verbundenen Gemeinschaften zusammengewachsen. Sie erfreuen sich, unbeschadet der Einheit des Glaubens und der einen göttlichen Verfassung der Gesamtkirche, ihrer eigenen Disziplin, eines eigenen liturgischen Brauches und eines eigenen theologischen und geistlichen Erbes. Darunter haben vorzüglich gewisse alte Patriarchatskirchen wie Stammütter des Glaubens andere Kirchen sozusagen als Töchter geboren, mit denen sie durch ein engeres Liebesband im sakramentalen Leben und in der gegenseitigen Achtung von Rechten und Pflichten bis auf unsere Zeiten verbunden sind.“ (Lumen Gentium, Nr. 23).
7. Wie man sieht, betont das Konzil im Zusammenhang mit der Lehre von der Kollegialität der Bischöfe auch die Grundwahrheit vom wechselseitigen Durchdringen und der Integration der örtlichen Wirklichkeit und der universalen Dimension in der Struktur der Kirche. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Rolle der Bischofskonferenzen zu betrachten. Die Konzilskonstitution über die Kirche bekräftigt: „In unserer Zeit [können] die Bischofskonferenzen vielfältige und fruchtbare Hilfe leisten, um die kollegiale Gesinnung zu konkreter Verwirklichung zu führen“ (Lumen Gentium, Nr. 23). Ausführlicher wird dieses Thema im Dekret Christus Dominus über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche behandelt. Dort lesen wir: „Die Bischofskonferenz ist gleichsam ein Zusammenschluss, in dem die Bischöfe eines bestimmten Landes oder Gebietes ihren Hirtendienst gemeinsam ausüben, um das höhere Gut, das die Kirche den Menschen bietet, zu fördern, besonders durch Formen und Methoden des Apostolats, die auf die gegebenen Zeitumstände in geeigneter Weise abgestimmt sind.“ (Christus Dominus, Nr. 38,1).
Aus diesen Texten geht hervor, dass die Bischofskonferenzen Fragen ihres Zuständigkeitsbereichs behandeln können, die über die Grenzen der einzelnen Diözesen hinausgehen; dazu können sie Antworten hinsichtlich der Pastoral und Lehre vorschlagen. Sie können auch ihre Meinungen zu Problemen äußern, die die Gesamtkirche betreffen. Sie können vor allem den Bedürfnissen zur Entfaltung der Kirche, entsprechend den Anforderungen und Gegebenheiten der nationalen Mentalität und Kultur, mit Autorität Sorge tragen. Sie sind in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die mit Zustimmung der Mitgliedsbischöfe großen Einfluss auf die Pastoralarbeit ausüben.
8. Die Bischofskonferenzen sind für ihren eigenen Zuständigkeitsbereich verantwortlich, aber ihre Entscheidungen haben unvermeidliche Auswirkungen auf die Gesamtkirche. Das Petrusamt des Bischofs von Rom gewährleistet die Übereinstimmung der Tätigkeit der Konferenzen mit dem Leben und der Lehre der Gesamtkirche. Diesbezüglich legt das Konzilsdekret fest: „Beschlüsse der Bischofskonferenz, sofern sie rechtmäßig und wenigstens mit zwei Dritteln der Stimmen jener Prälaten, die Mitglieder mit entscheidendem Stimmrecht der Konferenz sind, gefasst und vom Apostolischen Stuhl gutgeheißen wurden, besitzen verpflichtende Rechtskraft nur in den Fällen, in denen entweder das allgemeine Recht es vorschreibt oder eine besondere Anordnung, die der Apostolische Stuhl motu proprio oder auf Bitten der Konferenz erlassen hat, es bestimmt.“ (Christus Dominus, Nr. 38,4). Das Dekret setzt schließlich fest: „Wo besondere Verhältnisse es erfordern, können die Bischöfe mehrerer Länder mit Zustimmung des Apostolischen Stuhles eine einzige Konferenz bilden.“ (Christus Dominus, Nr. 38,5).
Ähnliches kann auch hinsichtlich der Bischofsräte und -versammlungen auf kontinentaler Ebene geschehen, wie es zum Beispiel beim Rat der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen (CELAM) oder dem der europäischen Ortskirchen (CCEE) der Fall ist. All das ist ein breiter Fächer neuer Gruppierungen und Zusammenschlüsse, mit denen die eine Kirche auf die geistlichen und sozialen Ansprüche und Probleme der Welt von heute zu antworten sucht. Es kennzeichnet eine Kirche, die lebt, nachdenkt und als Apostel des Evangeliums in unserer Zeit tätig ist. In jedem Fall hat sie das Bedürfnis, sich darzustellen, zu wirken und zu leben in Treue zu den beiden Grundmerkmalen Einheit und Katholizität, die die christliche Gemeinschaft schon immer und das apostolische Kollegium im Besonderen gekennzeichnet haben.
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Herzlich begrüße ich Euch, liebe deutschsprachige Pilger und Besucher, die Ihr zum Nachfolger Petri gekommen seid.
Indem ich dazu einlade, unsere Bischöfe in ihrer die universale Kirche mit den Teilkirchen verbindenden Funktion weiterhin mit Wort und Tat zu unterstützen, entbiete ich einen herzlichen Willkommensgrub den Diakonen des Päpstlichen Collegium Germanicum et Hungaricum, die unmittelbar vor dem Empfang des Sakramentes der Priesterweihe stehen: für Euer priesterliches Leben und Wirken erbitte ich die bestärkende Gnade und Kraft des Heiligen Geistes. Zugleich begrüße ich Eure lieben Eltern, Angehörigen, Freunde und die Mitglieder Eurer Heimatpfarreien.
Mein besonderer Gruß gilt auch einer Blindengruppe aus Fulda, den Ordensschwestern verschiedener Kongregationen, die an einem geistlichen Kurs in La Storta teilnehmen, sowie der Pilgergruppe der Kirchengemeinde St. Elisabeth Salzgitter, den Lesern der Kirchenzeitung für das Bistum Linz und den Chören aus verschiedenen Diözesen.
Euch allen, Euren Lieben in der Heimat sowie den mit uns über Radio und das Fernsehen verbundenen Schwestern und Brüdern erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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