JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 28. Juli 1993
1. Das Thema des inneren Abstands des Priesters von den irdischen Gütern ist eng mit seinem Verhalten zur politischen Frage verknüpft. Mehr denn je zeigt sich heute eine ständige Verflechtung der Wirtschaft mit der Politik, sowohl in dem weiten Problembereich von nationalem Interesse als auch auf dem engeren Feld des Familien- und Privatlebens. So geschieht es bei den Wahlen, wo die eigenen Vertreter im Parlament und die öffentlichen Verwalter zu wählen sind, bei der Stimmabgabe für die den Bürgern vorgeschlagenen Kandidatenlisten, bei der Wahl der Parteien und bei der Meinungsäußerung zu Personen, Programmen und Bilanzen, die die öffentliche Verwaltung betreffen. Es wäre ein Irrtum, wenn man die Politik ausschließlich oder hauptsächlich von ihrem ökonomischen Kontext abhängig machen würde. Aber die Pläne für den Dienst am Menschen und am Gemeinwohl auf höherer Ebene sind dadurch bedingt und müssen in ihren Inhalten auch die Fragen bezüglich Besitz, Gebrauch, Verteilung und Umlauf der irdischen Güter umfassen.
2. Alle diese Punkte schließen eine ethische Dimension ein, an der auch die Priester interessiert sind, gerade im Hinblick auf den Dienst, der am Menschen und an der Gesellschaft gemäß der von Christus erhaltenen Sendung zu leisten ist. Denn er hat eine Lehre verkündet und Gebote formuliert, die nicht nur das Leben des Einzelmenschen, sondern auch das der Gesellschaft erhellen. Jesus hat besonders das Gebot der gegenseitigen Liebe ausgesprochen. Sie schließt die Achtung jedes Menschen und seiner Rechte mit ein. Sie schließt die Regeln der sozialen Gerechtigkeit ein, die darauf abzielen, jedem Menschen das zu garantieren, was ihm gebührt, und die irdischen Güter gleichmäßig unter den Menschen, Familien und Gruppen zu verteilen. Jesus hat außerdem die Universalität der Liebe unterstrichen, die über alle Unterschiede zwischen Rassen und Nationen hinausgeht, aus denen sich die Menschheit zusammensetzt. Man könnte sagen, er habe, indem er sich selbst als „Menschensohn” bezeichnete, auch durch diesen Hinweis auf seine messianische Identität erklären wollen, dass sein Werk für jeden Menschen ohne Unterschied des Standes, der Sprache, der Kultur, der ethnischen und sozialen Gruppe bestimmt ist. Indem er den Frieden für seine Jünger und für alle Menschen ankündigte, hat Jesus das Fundament im Gebot der Nächstenliebe, der Solidarität, der gegenseitigen Hilfe auf dem gesamten Erdkreis gelegt. Es ist klar, dass dies für ihn der Zweck und der Anfang einer guten Politik war.
Jesus wollte sich jedoch nie in einer politischen Bewegung engagieren und lehnte jedes Angebot ab, das gemacht wurde, um ihn in irdische Angelegenheiten und Geschäfte zu verwickeln (vgl. Joh 6,15). Das Reich, das er zu gründen gekommen ist, ist nicht von dieser Welt (vgl. Joh 18,36). Deshalb hat er zu denen, die ihn zu einer Stellungnahme bezüglich der weltlichen Macht zwingen wollten, gesagt: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!” (Mt 22,21). Er hat der jüdischen Nation, der er angehörte und die er liebte, nie die politische Befreiung versprochen, die viele vom Messias erwarteten. Jesus versicherte, dass er als Sohn Gottes gekommen war, um der Menschheit, die der Knechtschaft der Sünde unterworfen war, die geistliche Befreiung und die Berufung zum Reich Gottes anzubieten (vgl. Joh 8,34-36); und dass er gekommen war, nicht um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen (vgl. Mt 20,28); und dass auch seine Jünger, besonders die Apostel, nicht wie die Regierenden dieser Erde an die irdische Macht und die Herrschaft über die Völker denken, sondern demütige Diener aller sein sollten (vgl. Mt 20,20-28), wie ihr „Herr und Meister” (Joh 13,13-14).
Gewiss sollte diese von Jesus gebrachte geistliche Befreiung entscheidende Folgen in allen Bereichen des privaten und sozialen Lebens haben, da sie eine Ära der Neubewertung des Menschen als Person und der Beziehungen zwischen den Menschen nach dem Maß der Gerechtigkeit eröffnete. Aber der direkte Einsatz des Gottessohnes war nicht in diesem Sinn.
3. Es ist leicht verständlich, dass dieser Zustand der Armut und der Freiheit hauptsächlich dem Priester entspricht, dem Sprecher Christi bei der Verkündigung der menschlichen Erlösung und dem Verwalter bei der Anwendung ihrer Früchte auf jedem Feld und jeder Lebensstufe. Dazu sagte die Bischofssynode von 1971: „Die Priester sind zusammen mit der gesamten Kirche gehalten, sich, soweit wie möglich, für eine bestimmte Handlungsweise zu entscheiden, wenn es um die Verteidigung der fundamentalen Menschenrechte, um die ganzheitliche Förderung der menschlichen Person und die Verwirklichung des Friedens und der Gerechtigkeit geht, wobei stets jene Mittel zu benutzen sind, die im Einklang mit dem Evangelium stehen. Dies alles gilt nicht nur im persönlichen, sondern auch im sozialen Bereich; in dieser Hinsicht sollen die Priester den Laien behilflich sein, damit sie sich in der rechten Weise um die Bildung des eigenen Gewissens bemühen” (Der priesterliche Dienst, zweiter Teil, I, 2: O.R.dt. Nr. 11, 1971, S. 5).
Dieser Text der Synode, der die Einheit der Priester mit allen Gliedern der Kirche im Dienst der Gerechtigkeit und des Friedens ausdrückt, zeigt, dass die Stellung der Priester im Hinblick auf die soziale und politische Tätigkeit nicht identisch ist mit jener der Laien. Das wird noch klarer im Katechismus der Katholischen Kirche ausgesprochen, wo wir lesen: „Es ist nicht Sache der Hirten der Kirche, in die politischen Strukturen und die Organisation des Gesellschaftslebens direkt einzugreifen. Diese Aufgabe gehört zur Sendung der gläubigen Laien, die aus eigenem Ansporn mit ihren Mitbürgern zusammenarbeiten” (Nr. 2442).
Der Laienchrist ist berufen, sich unmittelbar auf diesem Gebiet zu engagieren, um dazu beizutragen, dass in der Gesellschaft immer mehr die Prinzipien des Evangeliums vorherrschen. Der Priester setzt sich unmittelbarer in der Nachfolge Christi für die Entfaltung des Gottesreiches ein. Wie Jesus soll er darauf verzichten, sich in der aktiven Politik zu engagieren, besonders wenn sie, wie es fast unausweichlich geschieht, an eine Partei gebunden ist, denn er soll allen Menschen ein Bruder und – sofern gewünscht – ein geistlicher Vater sein.
Natürlich gibt es Sonderfälle für Einzelne und Gruppen sowie Situationen, wo es angebracht oder sogar notwendig erscheint, dass sie den mangelhaften und richtungslosen öffentlichen Einrichtungen zu Hilfe kommen und an ihre Stelle treten, um die Sache der Gerechtigkeit und des Friedens zu unterstützen. Die kirchlichen Institutionen selbst, auch auf höchster Ebene, haben in der Geschichte diese Rolle gespielt, mit allen Vorteilen, aber auch mit der ganzen Last und den Schwierigkeiten, die daraus erwachsen. Die Vorsehung scheint heute die politische, konstitutionelle und lehrmäßige Entwicklung in eine andere Richtung zu führen. Die bürgerliche Gesellschaft hat sich fortschreitend mit Institutionen und Mitteln ausgestattet, um die eigenen Aufgaben autonom zu erfüllen (vgl. Gaudium et spes, Nr. 40, 76).
Für die Kirche bleibt deshalb die Aufgabe, die ihr eigentlich zukommt: das Evangelium zu verkünden und sich darauf zu beschränken, die eigene Mitarbeit in allem anzubieten, was dem Gemeinwohl dient, ohne ein politisches Amt anzustreben oder zu übernehmen.
4. In dieser Sicht kann man besser verstehen, wie viel von der Bischofssynode 1971 bezüglich des Verhaltens des Priesters im politischen Leben gesagt wurde. Ihm steht gewiss weiterhin das Recht auf eine eigene politische Meinung zu und auf die Ausübung seines Wahlrechts, dem Gewissen entsprechend. Die Synode sagt: „In jenen Verhältnissen, wo verschiedene politische, soziale oder wirtschaftliche Wahlmöglichkeiten legitim bestehen, haben die Priester wie alle Bürger das Recht, eine eigene Wahl zu treffen. Da jedoch die politischen Zielsetzungen ihrem Wesen nach relativ sind und das Evangelium niemals völlig adäquat und gültig interpretieren, muss der Priester als Zeuge der zukünftigen Dinge einen gewissen Abstand zu jedwedem politischen Amt oder Einsatz wahren” (Der priesterliche Dienst, zweiter Teil, I, 2: O.R.dt. Nr. 11, 1971, S. 5). Der Priester wird sich besonders vor Augen halten, dass eine politische Partei nie mit der Wahrheit des Evangeliums gleichgestellt werden und deshalb – im Gegensatz zum Evangelium – nicht Gegenstand einer vollen Zustimmung sein kann. Folglich wird der Priester diese Relativität berücksichtigen, auch wenn Bürger christlichen Glaubens lobenswerterweise Parteien gründen, die sich ausdrücklich am Evangelium inspirieren**,** und er wird sich auch in der Weise engagieren, dass das Licht Christi ebenfalls die anderen Parteien und sozialen Gruppen erleuchtet.
Hinzuzufügen ist, dass das Recht des Priesters, eine eigene persönliche Wahl zu treffen, von den Anforderungen seines Priesteramtes begrenzt wird. Auch diese Begrenzung kann ein Teil der Armut sein, die nach dem Vorbild Christi zu üben er berufen ist. Tatsächlich kann er manchmal verpflichtet sein, sich von der Ausübung seines Rechts zu enthalten, um ein gültiges Zeichen der Einheit zu sein und das Evangelium in seiner Fülle verkünden zu können. Noch mehr wird er vermeiden müssen, die eigene Wahl als die allein legitime darzustellen, und innerhalb der christlichen Gemeinschaft wird er daran denken, dass die Laien reife Menschen sind (vgl. ebd.), und er wird sich darum bemühen, ihnen bei der Gewissensbildung zu helfen (ebd.). Er wird möglichst vermeiden, sich Feinde zu schaffen durch Stellungnahmen im politischen Bereich, die das Vertrauen aushöhlen und den seiner Hirtensendung anvertrauten Gläubigen Grund bieten, sich von ihm zu entfernen.
5. Die Bischofssynode von 1971 unterstreicht vor allem die Notwendigkeit für den Priester, auf jeden aktiven Einsatz in der Politik zu verzichten: „Die Übernahme** eines** führenden Amtes (leadership) oder die aktive Durchführung von Kampagnen zugunsten irgendeiner politischen Partei muss für jeden Priester ausgeschlossen bleiben, wenn dies nicht in konkreten und außerordentlichen Umständen vom Wohl der Gemeinschaft wirklich gefordert wird. Dies könnte jedoch nur mit Zustimmung des Bischofs unter Konsultation des Priesterrates und – gegebenenfalls – der Bischofskonferenz geschehen” (ebd.). Also besteht die Möglichkeit der Abweichungen von der allgemeinen Regel; sie sind jedoch nur in Ausnahmefällen berechtigt und benötigen eine entsprechende Autorisation.
Die Priester, die sich in der Hochherzigkeit ihres Dienstes für das Ideal des Evangeliums zur politischen Tätigkeit gedrängt fühlen, um wirksamer zur Gesundung des politischen Lebens beizutragen, indem sie Ungerechtigkeiten, Ausbeutungen und Unterdrückungen aller Art beseitigen, erinnert die Kirche daran, dass man auf diesem Weg leicht in Parteienkämpfe verwickelt wird und Gefahr läuft, nicht zum Aufbau einer gerechteren Welt, die sie anstreben, sondern zu neuen und schwereren Formen der Ausbeutung armer Menschen beizutragen. Die Priester sollen in jedem Fall wissen, dass sie für diesen aktiven politischen Einsatz weder die Sendung noch das Charisma von oben haben.
Deshalb bete ich, und ich fordere zum Gebet dafür auf, dass in den Priestern immer mehr der Glaube an die eigene Hirtensendung auch zum Wohl der Gesellschaft wächst, worin sie leben. Sie sollen ihre Bedeutung auch für unsere Zeit erkennen und die Erklärung der Bischofssynode von 1971 verstehen: „Die Vorrangstellung der besonderen Sendung, die die ganze Existenz der Priester bestimmt, muss daher stets vor Augen gehalten werden, so dass sie selbst, die eine mit großem Vertrauen erneuerte Erfahrung bezüglich der göttlichen Dinge besitzen, diese wirksam und mit Freude den Menschen zu verkünden vermögen, die darauf warten” (ebd.).
Ja, ich wünsche mir und bete darum, dass meinen priesterlichen Mitbrüdern von heute und morgen immer mehr dieses Geschenk der geistlichen Erkenntnis verliehen wird, das sie dahin führt, auch im politischen Leben den Weg der von Jesus gelehrten Armut zu verstehen und zu gehen.
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Liebe Schwestern und Brüder!
Indem ich Euch, liebe deutschsprachige Pilger und Besucher, bitte, für die Priester zu beten, dab ihr Glaube an ihre pastorale Sendung wachse, grübe ich Euch alle sehr herzlich. Einen besonderen Grub richte ich an die Schwestern vom Göttlichen Erlöser aus den Provinzen in Ungarn, in der Slowakei, in Österreich und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika: Möge das Leitthema Eures Generalkapitels: ”Du hast Worte des ewigen Lebens“, Euch und Eure Mitschwestern auf dem gemeinsamen Glaubensweg begleiten. Euch allen, Euren lieben Angehörigen und Freunden in der Heimat sowie allen, die Euch geistlich verbunden sind, erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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Im Gruß an die Pilger italienischer Sprache möchte ich meinen tiefen Schmerz über die unschuldigen Opfer der schändlichen Attentate zum Ausdruck bringen, die in der vergangenen Nacht Mailand und das Herz des christlichen Rom getroffen haben. Diese grausamen, durch nichts zu rechtfertigenden Verbrechen sind immer Grund zur Schande für den, der sie plant, und für den, der sie durchführt. Eine menschliche und zivilisierte Gesellschaft baut man nicht auf der Missachtung Gottes und des Menschen auf. Beten wir zusammen für die trauernden Familien, für die Verwundeten und alle, die von diesen tragischen Ereignissen betroffen wurden. Beten wir für die Zukunft Italiens. Der Herr inspiriere die Bürger dieses Landes mit Gedanken des Friedens und der verantwortlichen Brüderlichkeit. In dieser Stunde der Prüfung erteile ich dem geliebten italienischen Volk von ganzem Herzen meinen besonderen Segen.
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